Prolog
Shiras p.o.v.
Ich rannte so schnell ich konnte durch den Wald, ließ meine tote Mutter auf der Lichtung zurück. Es schmerzte mich, sie dort liegen zu lassen, als wäre sie nicht mehr als Dreck, den ich mir abstreifte.
Am liebsten hätte ich mich an ihrer Mörderin gerächt, hätte mich für ihren Mord an meiner Mutter revanchiert, auch wenn ich nicht wusste, wie ich das hätte anstellen sollen.
Und doch hätte ich es getan. Hätte es getan, wenn ihr Freund sich nicht schützend vor sie gestellt hätte. Ich machte mir nichts vor, gegen ihn wäre ich nicht angekommen.
Ich musste meine Rache auf später verlegen.
Denn rächen würde ich mich. Das hatte ich mir geschworen.
Die Bäume flitzten nur so an mir vorbei, während ich nach Hause preschte.
Doch ich beachtete meine Umgebung gar nicht, sah nicht die Tiere davonhuschen, hörte nicht die Blätter rauschen, roch nicht diesen dem Wald typischen Geruch und spürte auch nicht die Ruhe und den Frieden, der mich unter dem dichten Blätterdach sonst immer überkam.
Nein, in meinem Kopf spielten sich noch die letzten Momente mit meiner Mutter ab.
Ich hatte unbedingt einen Spaziergang machen wollen, obwohl es uns verboten war, ohne männliche Eskorte uns von unserem Versteck - denn nichts anderes war es - zu entfernen.
Aber ich vermisste es, den Wald alleine zu durchstreifen, nur ich und die Lebendigkeit des ruhigen Waldes.
Stattdessen hatte ich im Garten gesessen, ein trauriges Lied gesummt und frustriert am Gras gerupft. Bis Mom gekommen war.
Da ich mit dem Rücken an der Hauswand saß, hatte ich nicht gesehen, wie sie in der Hintertür stand und mich besorgt betrachtete.
Und als sie mir dann anbot, heimlich mit mir in den Wald zu gehen - wir wären zu zweit und es würde schon nichts geschehen, wir würden uns weit von dem fremden Rudel fernhalten - da konnte ich einfach nicht nein sagen.
Ich hatte mich so sehr gefreut und auch einen Anflug von Adrenalin verspürt, als wären wir auf einer geheimen Mission.
Wir hatten herumgetollt wie zwei Welpen, und als wir uns ausgetobt hatten, hatte ich mich zurückverwandelt und gesungen.
Meine Mutter liebte es, mich singen zu hören. Und ich liebte es auch.
Das Singen war etwas Besonderes für mich. Zu sagen, es wäre mein Hobby wäre untertrieben. Zu sagen, es wäre meine Leidenschaft, kam der Wahrheit schon näher.
Es war kaum zu beschreiben, was das Singen mit mir machte. Indem ich sang...da spürte ich die Worte richtiggehend im Herzen. Ich erlebte das Lied, als wäre ich diejenige mit dem gebrochene Herzen oder diejenige, die gerade Party machte.
Die Melodie floss geradezu durch mich hindurch und in diesen Momenten war die Realität fern und ich ganz weit weg.
Es war ein wunderbares Gefühl.
Der Tag war perfekt gewesen. Und wir fühlten uns sicher, waren wir doch weit weg von allem Fremden und allen Feinden.
Wir wurden unaufmerksam. Das war unser erster Fehler. Wir hatten nicht mehr auf unsere Umgebung geachtet und dann kamen wir auch schon auf dieser Lichtung an.
Alles war noch gut, bis diese Blondine aus dem Gestrüpp brach.
Wir hätten weglaufen sollen.
Aber Mom...
Das ist unsere Chance, hatte sie mir über die Rudeltelepathie gesagt.
Wenn wir sie deinem Dad bringen, wird alles gut. Dann haben wir mehr Freiheiten und er wird endlich glücklich sein.
Das war unser zweiter Fehler gewesen.
Ich war ängstlich, aber bei der Aussicht auf mehr Freiheiten, auf einen fröhlichen Dad...
Okay, hatte ich zugestimmt.
Und als Mom sie dann mit einem Hieb bewusstlos schlagen wollte....da hatte sie plötzlich geschrien.
So gequält aufgeschrien, dass mein Herz vor Entsetzen und Pein stehen geblieben war.
Zuerst hatte ich gar nichts verstanden. Da lag meine Mom und schrie vor Schmerzen. Aber ich konnte keine Wunde an ihr entdecken.
Doch dann sah ich es...das Mädchen hatte die Hand gehoben und den Blick konzentriert auf meine Mutter gerichtet.
Ich war zu langsam gewesen, zu schockiert, mein Gehirn konnte nicht begreifen, was es sah.
Und dann kamen auch schon mein Dad angerannt, der den Schmerz meiner Mutter spüren musste.
Ich bemerkte es kaum.
Mom!, hatte ich telepathisch gerufen. Sie hatte nicht reagiert.
Ich hatte sie vorsichtig mit der Nase angestupst. Nichts.
Und dann plötzlich....war sie tot. Ihr Jaulen erstarb. Und ihr Herzschlag...war nicht mehr da.
Noch jetzt steckte mir der Schock tief in den Knochen.
Ich hatte meine Mutter verloren.
Mein Verstand wusste das, aber mein Herz konnte es noch gar nicht richtig begreifen.
Es war so schnell gegangen. Im einen Moment war sie noch da, und im nächsten nicht mehr.
Endlich kam ich im Haus an, ging durch die angelehnte Tür und brach in der Diele zusammen.
Für einen Moment lang ich nur da.
Keuchend.
Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat. Wie lange ich nur so dalag, unfähig, etwas anderes zu tun.
Immer wieder spielte sich die Szene von Mutters Tod vor meinem inneren Auge ab. Wenn ich doch nur nicht in den Wald hätte gehen wollen...
Wenn ich doch nur besser aufgepasst hätte...
Aber es war zu spät. Nun war sie bereits tot. Wegen mir. Ich hatte sie nicht gerettet.
Irgendwann kam Dad herein, mit anderen aus dem Rudel.
So wenige....aber das realisierte ich kaum.
Als er mich sah, wie ich so jämmerlich auf dem Fußboden lag, blitzte Wut in seinen Augen auf.
"Steh auf", befahl er barsch. Ich schluckte schwer, wollte etwas sagen.
"Steh auf!", schrie er da.
Ich zuckte zusammen.
Dann kam ich zitternd auf die Beine, wollte...
"Ins Wohnzimmer. Komm."
Und da war er schon an mir vorbei.
Verwirrt und ängstlich blickte ich ihm hinterher, bis sich meine Füße schließlich in Bewegung setzten.
Im Wohnzimmer stand er mit dem Rücken zu mir.
"Warum wart ihr dort draußen?", fragte er ruhig. Zu ruhig.
Zitternd antwortete ich:
"Wir wollten nur einen kleinen Spaziergang machen. Wir haben aufgepasst..."
Da wirbelte er mit zornig blitzenden Augen zu mir herum.
"Gar nicht aufgepasst habt ihr!", brüllte er. Wieder zuckte ich zusammen. Mein Herz wummerte vor Panik heftig in meiner Brust. So hatte ich ihn noch nie erlebt.
"Denn hättet ihr es getan, wäre sie jetzt nicht tot!"
Speichel sprühte aus seinem Mund.
Mein Atem ging schnell, voller Angst blickte ich ihn an.
Er zitterte vor Zorn. Langsam kam er näher, bis uns nur noch wenige Zentimeter trennten. Ich wollte zurückweichen, aber etwas sagte mir, dass das jetzt keine gute Idee wäre.
"Wegen dir ist sie tot", sagte er wieder ruhig, aber ich hörte den unterdrückten Schmerz und die Wut in seiner Stimme.
"Du hast sie umgebracht", machte er weiter und bei diesen Worten blieb mein Herz stehen.
"Du verdienst es nicht zu leben. Du bist nicht mehr als eine bloße Last. Aber dich jetzt zu töten, wäre gnädig. Nein. Du sollst mit diesem Schmerz, mit dem Wissen, dass sie wegen dir tot ist, leben."
Kälte hatte sich in seine Augen geschlichen, eine solche Kälte, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Und dann rief er:
"Als Strafe sollst du deiner Stimme und deines Gehörs beraubt werden!"
Er hob die Hände und es war, als schiene Sonnenlicht daraus. Ich musste die Augen zusammenkneifen, um nicht geblendet zu werden.
Und plötzlich war es, als brenne mein Körper.
Versengender Schmerz hüllte mich von Kopf bis Fuß ein, raste durch meine Adern, brachte das Blut in ihnen zum Kochen. Ich schrie. Schrie und schrie und schrie, bis meine Stimme nur noch ein Krächzen war und ich nur noch ein Klingeln in den Ohren hatte und dann....
Stille.
Ohrenbetäubende Stille.
Ich keuchte. Das spürte ich, spürte den Atem keuchend aus meinem Mund entweichen....aber ich hörte es nicht.
Wo vorher Laute gewesen waren, Geräusche, wunderschöne Töne....da war nun nichts mehr. Rein gar nichts.
Nein. Heilloses Entsetzen überkam mich. Das war nicht möglich. Das konnte doch nicht....das musste ein Trick sein. Oder ein Albtraum. Nicht real.
Es war unmöglich.
Aber...ich war taub. Meines Gehörs beraubt.
Mit Tränen in den Augen starrte ich Dad vor mir an.
Er erwiderte den Blick aus kalten grausamen Augen.
Du gehörst nicht mehr zu diesem Rudel. Du bist kein Werwolf mehr. Kannst nicht hören und nicht sprechen. Und das wird für immer so sein. Jetzt verschwinde von hier und lass dich nie wieder blicken.
Nein. Es war wie ein Stoß vor die Brust, wie ein Messer im Herzen, was er sagte.
Er verstieß mich. Verstieß mich aus dem Rudel. Aber damit wäre ich vielleicht noch zurecht gekommen.
Aber meine Stimme...mein Gehör...
Er hatte mir zwei der kostbarsten Dinge in meinem Leben geraubt.
Bitte nicht, flehte ich ihn telepathisch an. Aber er blieb unerbittlich.
Geh, sagte er nur. Und ich wich zurück. Schritt für Schritt wich ich vor diesem Monster, diesem Monster, das sich Dad nannte, zurück.
Und dann ertrug ich einfach seinen Anblick nicht mehr, ertrug es nicht, in einem Raum mit ihm zu sein, drehte mich um und rannte.
Rannte zum zweiten Mal an diesem Tag.
Aber dieses Mal ins Ungewisse.
Ich wusste nicht, wohin.
Es gab kein Zuhause mehr für mich. Keine Familie. Keine Lieder.
Da war nur noch ein einziges Nichts.
Und ich rannte geradewegs hinein.
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