Kapitel 9

Der Jazz Club 'Aristo' liegt im Zentrum von Seattle. Die Straßen sind trotz so später Stunde voller Menschen und überall blinken Lichter.
  Mit einem zurückhaltenden Lächeln hakt der breite Türsteher im schwarzen Anzug das samtene Seil aus der Stahlhalterung und lässt mich vorbei.
  Da ich noch nie in einem solchen Club war, bin ich gespannt was mich erwartet. Es ist dunkel und voll. Vor bordeauxroten Wänden stehen schwarze Couchgruppen. Große Holzwürfel dienen als Tische. Die Musik ist laut genug um sie überall noch gut zu hören.
  Verunsichert schlängele ich mich an den überfüllten Tischen vorbei, während ich Ausschau nach Collin und der Künstlergruppe halte. Ich fühle mich irgendwie fehl am Platz und bereue jetzt schon überhaupt gekommen zu sein. Außerdem verlässt mich die Zuversicht sie hier im Getümmel überhaupt zu finden.
Gerade als ich im Begriff bin wieder zu gehen, spüre ich eine Berührung an meinem Arm. Doch als ich mich umdrehe, ist da niemand.
  Etwas verwirrt schaue ich mich um. Da entdecke ich Collin, der mit einem Glas Wein in der Hand lässig an der Bar lehnt. Er trägt eine dunkle Jeans und ein graues Leinenhemd, was ihn weniger streng erscheinen lässt. Seine Haare sind wie üblich perfekt gestylt. In diesem Moment dreht er sich um. Es breitet sich dieses lässige, sexy Lächeln auf seinem Gesicht aus, bei dem jede Frau das Gefühl hat dahinzuschmelzen, nur dass es bei mir eben nicht zieht, da ich seine Show schon von früher kenne.
Mit wenigen, eleganten Schritten hat er den Raum durchquert und steht vor mir.

  „Miss Austen, wie schön, dass Sie es noch geschafft haben."

  "Ich dachte mir es wäre von Vorteil, die Künstler vorab in einer entspannten Atmosphäre kennenzulernen", antworte ich unterkühlt.

  "Wir haben heute den VIP Bereich für uns. Kommen Sie, ich stelle Ihnen die Gruppe vor", mit diesen Worten legt er mir eine Hand in den Rücken und schiebt mich sanft an den Tischen vorbei zu einer kleinen Treppe.

Unwillkürlich jagt mir seine Berührung einen kalten Schauer über den Rücken. Seine Finger sind unerwartet kalt, so als käme er gerade von draußen.

Der VIP Bereich befindet sich etwas erhöht, abgegrenzt durch einen Samtvorhang. Dahinter sitzen vier junge Männer auf breiten Ledersesseln um einen großen Würfel voller Gläser und drei Eiskübel mit Alkohol.

  "Meine Herren!", unterbricht Collin die angeregten Gespräche, "Ich möchte euch Kimberly Austen vorstellen. Sie übernimmt die Betreuung bei 'Boltmans'."

Alle Augen sind nun auf mich gerichtet, was mir ein wenig unangenehm ist.

  "Kimberly, das ist Christoph Malte, neben ihm Ray Orderer, der Mann in schwarz ist Jan Miller und daneben sitzt Zayn Deren", macht er mich mit den Malern bekannt, wobei ich verzweifelt versuche mir die Gesichter zu den einzelnen Informationen, die ich bereits in Erfahrung gebracht habe, genau einzuprägen.

  "Bitte setzen Sie sich", fordert mich Collin auf und weist mir einen leeren Sessel neben Zayn Deren zu.
  "Was möchten Sie trinken?", erkundigt sich dieser höflich, "Wir haben Wodka und Rum. Sie können sich aber natürlich auch etwas anderes von der Bar ordern."

Seine Stimme, aus der ein britischer Akzent herauszuhören ist, klingt angenehm seidig.

  "Danke, für mich besser keinen Alkohol", lehne ich höflich ab.

Collin, der immer noch neben meinem Sessel steht, runzelt die Stirn, bevor er ein volles Glas vom Tisch nimmt.

  "Sie sollten sich etwas gönnen Kimberly. Es war ein erfolgreicher und langer Tag. Amüsieren Sie Sich einfach."

Zögerlich nehme ich das Glas schließlich an, lehne mich zurück und bemühen mich, mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen.

  "Aber nur eins."

Langsam schleicht sich eine Mischung von Unwohlsein und schlechtem Gewissen in meine Magengegend, die ich hastig mit einem großen Schluck Alkohol niederzuringen.

Eine halbe Stunde später habe ich das zweite Glas intus und denke über ein Drittes nach, während ich den Diskussionen und Anekdoten der Männer lausche, ohne mich selbst am Gespräch zu beteiligen. Da spricht mich Zayn an.

  „Sagen Sie, Kimberly..."

  „Kim, nennen Sie mich einfach Kim", unterbreche ich ihn kurz.

Ich mag es nicht gerne mit meinem vollen Namen angesprochen zu werden, wenn es sich nicht gerade meinen Dozent, meinen Vorgesetzter oder fiese Collin Owens, handelt.

  „Ok, Kim", verbessert er sich lächelnd.

Ich muss zugeben, dass sein Lachen, bei dem sich kleine Fältchen um seine blauen Augen bilden, wirklich sympathisch ist.

  „Wir haben vorhin über die Gegenwartskunst im Vergleich zur Moderne gesprochen. Was bevorzugen Sie?"

Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten.

  "Ich schätze die zeitgenössischen Werke sehr", beginne ich nach kurzem Überlegen, „Es ist faszinierend, wie sich die Entwicklung immer mehr außerhalb der Bildenden Kunst bewegt. Allerdings muss ich zugeben, dass mein Herz für den Expressionismus schlägt."

Während ich erzähle, haftet sein Blick interessiert auf mir.

  „So Leute, nun aber genug vom Job", unterbricht uns der ganz in schwarz gekleidete Jan, „Die Band beginnt gleich zu spielen. Wollt ihr hier bleiben oder mit nach draußen?"

  „Ich komme mit", höre ich Ray.

  „Ich denke, dass ich es von hier auch ganz gut hören werde", wirft Zayn etwas sarkastisch ein, wobei er mir einen gespielt genervten Blick zuwirft, über den ich lachen muss.

  „Was ist mit dir, Collin?", richtet sich Christoph beim Aufstehen an den letzten der Runde.

In seiner Mine erkenne ich, dass er kurz überlegt, bevor er antwortet.

  „Ich bin dabei. Wir sind ja zum Feiern hier. Was ist mit Ihnen Kimberly?", wendet er sich an mich.

  „Ich werde Mister Deren etwas Gesellschaft leisten und komme dann nach", antworte ich diplomatisch, da ich nicht zugeben möchte, dass mir Jazz im Grunde nicht sonderlich gefällt und ich Gedränge nicht ausstehen kann.

Die Männer verlassen zielstrebig und gut gelaunt den VIP Bereich, nur Zayn und ich bleiben zurück.

  „Woher kommen Sie?", möchte er wissen, während er unsere Gläser nachschenkt.

„Fresno, Kalifornien"

„Ach, das ist ja ein Zufall. Collin Owen kommt soweit ich weiß auch aus Fresno", erzählt Zayn belustigt.

Ich werde ihn nun allerdings nicht offenbaren, dass Collin und ich uns schon von klein auf kennen, weil ich keine lästigen Fragen über unsere Vergangenheit beantworten will. Schließlich bin ich froh, dass Collin sich nicht an mich erinnert oder mich nicht erkennt. Sonst würde er mich wohlmöglich überhaupt nicht ernst nehmen.

  „Ich höre bei Ihnen einen britischen Akzent heraus", bemerke ich und lenke so vom Thema ab.

  „Ja, ich stamme aus Penrith, einer Kleinstadt im englischen Cumbria. Das liegt weniger als fünf Kilometer außerhalb der Grenze des Lake District National Parks", berichtet er offen, „Aber für einen Maler ist eine Kleinstadt einfach nicht das Wahre. So kam es, dass ich erst in London wohnte und schließlich vor zwei Jahren gemeinsam mit einem Freund hier gelandet bin."

  „Haben Sie sich inzwischen gut in Seattle eingelebt?", interessiert mich.

  „Ja, das war nicht besonders schwer. Als ich damals von Pentrih nach London gezogen bin, war die Umstellung um einiges größer. Der Lärm und die vielen Menschen, daran muss man sich erst gewöhnen."

  „Ich weiß ganz genau von was Sie sprechen", gebe ich zu, "Ich bin jetzt seit nicht ganz fünf Monaten hier und kenne die Stadt noch nicht einmal wirklich."

Draußen hat die Band sich bereits kräftig eingespielt und das Publikum scheint begeistert zu sein. Zayn leert sein Glas in einem Zug.

  „Wenn Sie diese Woche etwas Zeit finden, würde ich Ihnen gerne ein paar schöne Ecken zeigen", sagt er plötzlich, während er eine Visitenkarte aus seiner Hosentasche zieht.

„Oh, das werde ich dann doch mit meinem Freund machen", murmle ich leise, worauf er seine Karte wieder in seine Hosentasche rutschen lässt.

Um uns Peinlichkeiten zu ersparen, schlage ich vor zum Rest der Truppe zu gehen.
Wir finden sie recht schnell an einem der Stehtische.
Die Stimmung ist ausgelassen und ich muss zugeben, dass die Musik gleichermaßen etwas Entspannendes und doch Anregendes hat.

  „Tanzen Sie, Kimberly?", fragt Collin überraschend.

Es ist keine Aufforderung.
So wie er es sagt ist es vielmehr ein Herausfordern.

  „Oh, nein! Ich tanze nie", platzt es aus mir heraus.

  „Jetzt sein Sie doch nicht so steif", beginnt er mich zu necken aber ich habe absolut nicht vor mich auf sein Spielchen einzulassen und schüttele energisch den Kopf.

  „Ich muss mich leider schon gleich wieder verabschieden."

  „Ich kann gerne unseren Fahrer für Sie rufen", bietet Collin höflich an, „Es wäre keine gute Idee zu Laufen."

  „Wirklich sehr freundlich, danke, aber ich rufe mir einfach ein Taxi", erwidere ich schnell.

  „Dann begleite ich Sie nach draußen."

Der Bestimmtheit in seinem Tonfall nach, macht es wahrscheinlich wenig Sinn zu widersprechen.
Also verabschiede ich mich von den Malern und lasse mich von Collin vor die Tür bringen, wo ich schnell ein Taxi ordere.
Zum Glück dauert es nicht lange bis mein Taxi am Bordstein hält. Gerade als ich einsteigen möchte, überholt mich Collin mit schnellem Schritt, um mir die Autotür zu öffnen und beim Einsteigen zu helfen. Dann wendet er sich an den Taxifahrer, dem er einfach einen Fünfzig- Dollar Schein zusteckt.

  „Wir sehen uns nächste Woche, Kimberly", sagt er mit einem Unterton, den ich nicht deuten kann, zum Abschied.

Leise drehe ich den Schlüssel im Schloss und öffne die Wohnungstür. Es ist dunkel. Mal wieder ist Jadon die ganze Nacht unterwegs.
Schnell hänge ich meinen Mantel auf und stelle meine Pumps unter die Garderobe, bevor ich mich wasche und umziehe. Müde bin ich allerdings noch nicht.
Widererwartend hat es mir heute Abend ganz gut gefallen.
Ich war noch nie in einem Club aber es war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Es hatte Stil und Niveau.
Ob ich Jadon von meinem kleinen Abenteuer erzählen werde, weiß ich jedoch noch nicht. Ich lüge ihn nie an und verheimliche eigentlich auch nichts vor ihm. Es war aber auch noch nie nötig, da ich nie etwas ohne ihn unternommen habe.
Momentan ist es so schon sehr schwer mit ihm und ich habe, um ehrlich zu, sein Angst vor seiner Reaktion. Vielleicht sollte ich es für mich behalten um einem Streit aus dem Weg zu gehen.

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