Kapitel 8
Auch am nächsten Tag steht Recherchieren und Lernen an der Tagesordnung. Im Gegensatz zu der Liste aufsteigender, junger Künstler, ist das Lesen über Wein eher langweilig. Oft muss ich einen Absatz mehrmals lesen um ihn zu behalten. Stunden sitze ich in meinem Büro und starre auf Wörter wie Jahrgang, Herkunft, Rebsorte, Weinkategorie und Alkoholgehalt in Volumenprozent, bis mir schwindelig wird. Für jemanden, der eigentlich nie Alkohol trinkt, ist das nichts, für das man sich begeistern kann. So zieht sich der Tag unglaublich in die Länge. Da ich aber meine Aufgabe bestmöglich meistern möchte, zwinge ich mich redlich dazu mir zumindest ein passables Grundwissen anzueignen.
Als sich endlich der Feierabend nähert sind mein Kopf und meine Augen müde.
Das sollte sich auch die komplette Woche nicht ändern, während mein Chef nicht im Haus ist.
Donnerstag Nachmittag erhalte ich dann überraschend eine Anruf von Mister Roland.
„Hallo, Miss Austen. Wie kommen Sie mit ihrer Arbeit voran?", erkundigt er sich.
„Ganz gut, danke."
„Ich habe gerade eine Mail von der Agentur erhalten. Sie werden morgen jemanden schicken, um Sie genauer kennenzulernen und den weiteren Ablauf zu besprechen", fährt er fort, „Ich werde bei dem Gespräch nicht anwesend sein können. Fühlen Sie sich bereit?"
Ich schlucke hörbar, bevor ich antworten kann.
„Ähm, ja. Kein Problem."
„Ich verlasse mich auf Sie. Bitte kontaktieren Sie mich, direkt nach dem Meeting."
Er klingt zuversichtlich.
Dann legt er auf.
Mit heftigem Gewitter tobt am Abend ein Sturm über den Dächern von Seattles, als ich nach einer ausgiebigen, heißen Dusche vor meinem Schrank stehe.
Der Wind wirbelt die braunen Blätter umher und schlägt kleine, vertrocknete Äste gegen das Fenster. Auch in mir ist Alles aufgewühlt.
Nervös ist kaum das richtige Wort um meinen Gemütszustand zu beschreiben. Ich bin überanstrengt, aufgeregt und voller großer Erwartungen. Vom morgigen Tag hängt eine Menge ab. Wenn es gut läuft, werde ich als Künstlerbetreuung für zukünftige Events mitverantwortlich sein. Wenn ich scheitere, werde ich bestenfalls wieder ganz am Anfang stehen, falls ich weiterhin bei "Boltman Art Gallery" beschäftigt sein sollte.
Ich nehme mir das professionell Wirkenste, was meine Garderobe hergibt. Dann lege ich mich hin und schlafe mit Bauchschmerzen ein.
Am nächsten Morgen stehe ich bereits mit den selben Magenschmerzen auf. So gut es geht versuche ich das Unwohlsein zu ignorieren und schlüpfe in meinen grauen Hosenanzug. Meine Haare trage ich leicht lockig nach hinten gesteckt, um seriös zu erscheinen. Dann mache ich mich auf den Weg zur Arbeit.
Der Bus ist völlig überfüllt, die holprige Fahrweise schlägt mir noch mehr auf den Bauch und meine unendliche Aufregung lässt meine Hände ununterbrochen feucht werden, obwohl das Meeting erst auf heute Nachmittag angesetzt ist.
Da ich auch weiterhin vom Beratungsteam abgezogen bleibe, nutze ich die verbleibende Zeit damit mich nochmals mit der Agentur und ihren Klienten auseinanderzusetzen. Das Treffen ist entscheidend für meinen zukünftigen Werdegang und ich möchte absolut nichts dem Zufall überlassen.
Ein Blick auf die Uhr meines Bildschirms verrät mir, dass der große Moment unaufhaltsam näher rückt.
Fieberhaft warte ich auf den Anruf von Natalie am Empfang, der allerdings auf sich warten lässt.
Mit zwanzig minütiger Verspätung, kündigt sich der Agent endlich an. Ich atme tief durch, zupfe meinen Blazer zurecht und trete in den Ausstellungsraum. Fragend blicke ich zu Natalie, die mit einer unauffälligen Kopfbewegung auf einen Herrn deutet.
Der große Mann, dessen Jackett seine breiten Schultern nur noch mehr betont, steht mit dem Rücken zu mir an einem der Gemälde. Er wirkt konzentriert aber seine Körperhaltung ist sichtlich entspannt. Entschlossen spanne ich die Schultern an und nähere mich ihm mit festem Schritt.
Das Klackern meiner Absätze hallt durch den leisen Raum, sodass ich die Aufmerksamkeit des Agenten auf mich ziehe, bevor ich bei ihm stehe. Als er sich zu mir wendet, werden meine Knie weich.
Mit einem breiten Grinsen kommt Collin auf mich zu.
„Miss Austen, entschuldigen Sie die Verspätung aber der Verkehr war die Hölle", begrüßt er mich mit selbstgefälligen Unterton.
„Folgen Sie mir bitte in mein Büro", antworte ich knapp, ohne weiter auf seine Ausrede einzugehen.
Er gibt sich übertrieben gelassen, was ihn nur noch arroganter erscheinen lässt. Es ist unglaublich.
Am Liebsten würde ich ihn einfach stehen lassen, wenn nicht zu viel für mich von diesem Treffen abhängen würde.
Mit schnellem Tempo gehe ich vor ihm her. Das Bewusstsein beobachtet zu werden, macht mich unsicher.
An meinem Büro stoppe ich, öffne die Tür und gewähre ihm den Vortritt.
„Setzen Sie sich doch bitte", biete ich gespielt freundlich an, „Möchten Sie ein Glas Wasser oder einen Kaffee?"
„Kaffee wäre genau das Richtige", antwortet Collin, während er sich in meinem Büro umsieht.
Also nehme ich den Hörer und bitte Natalie uns zwei Tassen zu bringen, wobei ich die Gelegenheit nutze Collin unbeobachtet zu Mustern.
Es ist sehr lange her, dass wir uns gemeinsam zur Schule gegangen sind. Und obwohl er sich optisch kaum verändert hat, ist irgendetwas anders an ihm. Er hat diese besondere Ausstrahlung, eine Mischung aus Souveränität, als würde er über allen Dingen stehen, Selbstbewusstsein und irgendetwas unkontrolliert Wilden, das unter der coolen Oberfläche schlummert.
„Die Agentur hat mich ja heute zu Ihnen geschickt, um die Details unserer zukünftigen Zusammenarbeit zu besprechen. Mein Job als Künstlervermittler besteht dabei darin, den Kontakt zwischen dem Künstler und Ihnen als Veranstalter herzustellen und alle Vertragsverhandlungen als Stellvertreter abzuwickeln", beginnt Collin das Gespräch, „Da die meisten Maler auch einen Managervertrag mit uns haben, kümmere ich mich auch verstärkt um die Imagepflege, was bedeutet, dass ich im Grunde alles übernehme was deren Karriere mittelbar und unmittelbar fördert."
Er wird unterbrochen, als es an der Tür klopft und Natalie schweigend den Kaffee herein bringt. In Seelenruhe rührt Collin in seiner Tasse, bis er fortfährt:
„Was wir von der 'Boltman Art Gallery' erwarten ist natürlich die Weitergabe der Kunstwerke an ein möglichst großes Publikum. Welche Möglichkeiten bieten Sie uns in dieser Hinsicht?"
„Wir können Ihnen ein breitgefächertes Angebot bieten, zum einen durch Führungen aber selbstverständlich auch durch perfekt kuratierte Ausstellungen", trete ich ihm selbstbewusst gegenüber, „Diese Gallery ist schließlich bekannt für ihre Stärke Kunst ins öffentliche Blickfeld zu rücken."
Lasziv lehnt er sich in seinen Stuhl zurück. Sein Blick fixiert mich ernst, jedoch umspielt ein kaum merkliches Grinsen seine Mundwinkel.
„Ausgezeichnet, Miss Austen."
Unser etwas zu scharfer Ton löst sich allmählich, während wir etwas fachsimpeln. Inzwischen bin ich um einiges gelassener, da diese Unterhaltung absolut vielversprechend verläuft.
„Ich hatte geplant mich heute Abend mit einigen jungen Künstlern der Agentur zu treffen", höre ich Collin plötzlich erklären, „Vielleicht möchten Sie zu uns stoßen. Es wäre eine gute Gelegenheit die Maler im Vorfeld kennenzulernen. Natürlich nur, wenn Sie noch nichts vorhaben, Miss Austen."
Mir stockt der Atem.
Natürlich habe ich keine Pläne für heute aber einen Abend mit Collin Owen zu verbringen steht nicht gerade auf meiner Wunschliste.
Noch bevor ich etwas zu seinem Angebot sagen kann, redet er weiter.
„Ich kann Ihnen gegen 20:00 Uhr einen Fahrer kommen lassen, der Sie zum 'Aristo Club' bringt", fügt er schnell hinzu.
„Danke, aber einen Fahrer benötige ich nicht. Ich werde versuchen, im Laufe des Abends dazuzukommen", antworte ich redegewandt.
So habe ich mir alle Möglichkeiten offen gehalten und kann es mir noch in Ruhe überlegen.
Collin steht auf und reicht mir die Hand.
„Es würde mich freuen", verabschiedet er sich.
Nachdem Collin mein Büro verlassen hat, brauche ich einige Minuten für mich, bevor ich Mister Roland kontaktiere, um ihm vom Verlauf dieses Gespräches zu berichten.
Er ist natürlich überaus erfreut und ich glaube sogar etwas Anerkennung in seiner Stimme zu erkennen.
Obwohl es mir mächtig gegen den Sinn steht ausgerechnet mit Collin Owen zusammen arbeiten zu müssen, bin ich in diesem Augenblick unbeschreiblich stolz.
Es ist nur ein wenig traurig, dass ich niemanden davon berichten kann. Mein Dad arbeitet oft in der Spätschicht, und ist daher mal wieder nicht zu erreichen, und hier in der Stadt habe ich bislang noch keine Freunde gefunden. Wie denn auch?
Ich gehe ja im Großen und Ganzen nur zur Arbeit, Einkaufen und in den Waschsalon. Ich nehme mir vor meinen Dad am Sonntag anzurufen um ihm die Neuigkeiten zu erzählen, während ich mich mit einem Sandwich aufs Sofa setze.
Nachdenklich schaue ich mich im Raum um und komme zum Entschluss eine helle, fröhliche Wandfarbe zu kaufen. Ein heller Anstrich lässt das Zimmer bestimmt geräumiger wirken. Dann nehme ich meinen Laptop auf den Schoß und suche nach einem Baumarkt in der Nähe.
Mittlerweile ist es schon nach 20:00 Uhr. Die Maler sind bestimmt schon in diesem Club.
Irgendwie wäre ich gerne hingegangen aber ich kann mich nicht überwinden. In Gesellschaft Fremder bin ich zu schüchtern. Manchmal würde ich das gerne ablegen, wäre gerne mutiger, weniger pessimistisch. Ich wäre so gerne auch einfach mal mehr selbstbewusst, ein bisschen mehr nicht ich.
Ich bin die Frau, die immer alles abwägen muss, die immer auf den perfekten Moment wartet, um dann das Gefühl zu haben etwas zu verpassen.
Es wäre eine wirklich gute Gelegenheit die Künstler kennenzulernen, ungezwungen in privatem Ambiente.
Typisch für mich selbst zerbreche ich mir gefühlte Stunden den Kopf, statt einfach einmal spontan alle Zweifel über Bord zu werfen.
Doch dann fasse ich mir ein Herz.
Nur für zwei Stunden.
Was soll ich schließlich wieder die halbe Nacht einsam und verlassen hier im Apartment sitzen?
Schnell springe ich unter die Dusche, bevor sich meine neue Entschlossenheit wieder verflüchtigt. Dann glätte ich mit etwas zittrigen Händen meine Haare und trage Make up auf. Außergewöhnlich spontan fällt meine Kleiderwahl auf meinen dunkelblauen Overall mit einer langen Kette und den passenden Pumps. Aufgeregt werfe ich mein Handy, etwas Geld und meinen Schlüssel in die kleine schwarze Tasche und verlasse das Haus, bevor mich der Mut verlässt.
Wärt ihr auch noch in den Club?
Was wird Kim dort wohl erwarten?
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