Kapitel 43

Schweißgebadet schrecke ich auf und versuche, die brennenden Tränen zurückzuhalten. Vergebens.
Die Erinnerung und die Angst haben im Traum Besitz von mir ergriffen und verfolgen mich noch im wachen. Mühselig setze ich mich auf. Mein Rücken schmerzt und mein Kopf dröhnt, als hätte ich letzte Nacht getrunken.
Irgendwann in den späten Morgenstunden muss ich mich auf der Couch in den Schlaf geweint haben.

Da zieht sich jede Faser meines Körpers zusammen. Ich muss gestern so unter Schock und Medikamenten gestanden haben, dass mir jetzt erst wirklich bewusstwird, wo ich überhaupt die Nacht verbracht habe. Ich bin zu Hause, also in meinem alten Apartment. Sofort verdrängt ein nur zu alt bekanntes Gefühl den bitteren Nachgeschmack meines Alptraums.
  Schlagartig fühle ich mich zurückversetzt in das unsichere, hilflose Mädchen, dass ich so dringend zurücklassen wollte.
  Besorgt lasse ich meinen Blick durchs Wohnzimmer wandern. Hier ist alles noch so, wie ich es verlassen habe. Sogar meine Dose mit dem Kaffeepulver steht noch offen neben der Kaffeemaschine. Alles ist, als wäre nie etwas gewesen.
  Ich wollte hier nie wieder sein müssen und nun droht diese Vertrautheit mich mit voller Wucht zu zermalmen.
  Erst als ich mich vergewissert habe, alleine zu sein, gelingt es mir, wieder frei zu atmen. Jadon scheint schon. Einige Tage nicht hier gewesen zu sein. Wirklich sicher fühle ich mich trotzdem erst, als ich das Türschloss verriegelt habe. Kaum auszumalen was wäre, wenn ich jetzt auf Jadon treffen würde. Das könnte ich nicht durchstehen.
Schnell aber weichen die Vorstellung von einer ungewollten Begegnung mit Jadon anderen noch viel grausameren Gedanken.

Matt setze ich mich wieder aufs Sofa, lege mir die Decke um die Schultern und schaue starr und geistesabwesend auf immer denselben Punkt auf der Wand gegenüber.
In meinem Kopf sind immer die gleichen Bilder. Ich sehe Zayn, die Waffe und Collins Gesicht. Egal wie oft ich blinzle, ich kann diese Erinnerungen nicht vor meinem. Inneren Auge verbannen.
  Ich weiß gar nicht, wie lange ich so sitze und mit dem Gefühlschaos aus Schmerz, Trauer, Zorn und dem beschämenden Verdacht, benutzt und belogen worden zu sein, kämpfe. Ich kann nichts Essen oder trinken, kann mich noch nicht einmal aufraffen, ins Bad zu gehen.
  Da klingt es an der Wohnungstür.
Normalerweise müsste mein Herz vor Nervosität heftig klopfen und meine Hände zu schwitzen beginnen, doch das passiert nicht. Selbst die Möglichkeit, dass Jadon vor mir stehen könnte, lässt mich inzwischen komplett emotionslos. Schlürfend in die Decke gewickelt, schiebe ich die Kette aus ihrer Schiene und öffne.
  Verwundert sehe ich in die Gesichter der Polizeibeamten, die mich gestern schon im Krankenhaus befragt hatten.

  „Officers, gibt es etwas…  Haben Sie sie…“, stammle ich.

  „Nein, leider nicht“, antwortete der Jüngere, „Können wir hereinkommen?“

Ich lasse die Tür weit auffallen und gehe ein Stück zur Seite, um die Beamten hereinzulassen.

  „Bitte, setzen Sie sich“, nuschle ich mit einer einladen Handbewegung, bevor ich mir einen Stuhl heranziehe.

  „Miss Austin, wir sind in einer anderen Angelegenheit hier“, beginnt nun der Andere, während er mich einmal von oben bis unten zu mustern scheint.

Beschämt fahre ich mir durchs Haar. Ich trage noch dieselbe Kleidung wie gestern und habe noch nicht einmal meine Zähne geputzt.

  „Es geht um ihren Freund, Jadon Logan. Er ist hier gemeldet. Er wurde uns als vermisst gemeldet. Wann haben Sie Mr. Logan das letzte Mal gesehen?"

Erst jetzt fällt mir auf, dass ich die Luft angehalten hatte.

  „Ich…  ich habe ihn seit einigen Tagen nicht mehr gesehen. Wir haben uns getrennt und ich war bis gestern nicht mehr hier.“

Ich habe meinen Satz noch nicht zu Ende gebracht, als ich bereits beginne, mich unbehaglich zu fühlen.
Natürlich muss die ganze Situation mehr wie suspekt auf die Polizisten wirken.

  „Ist ihm etwas… zugestoßen?“, hauche ich schließlich.

Kaum dass mir dieser Gedanke in den Sinn kommt, beginnen meine Hände wieder zu zittern und mein Mund wird schlagartig unangenehm trocken. Doch der Beamte macht keinerlei Anstalten, meine Frage zu beantworten.

  „Sowohl auf der Arbeit noch bei seinen Eltern ist etwas über seinen momentanen Aufenthalt bekannt. Auch in seinem Stammlokal war er nicht. Doch uns wurde gesagt, dass es vor seinem Verschwinden wohl einen heftigen Streit gab.“

Ohne etwas zu sagen, nicke ich zustimmend.

  „Seine derzeitige Lebensgefährtin teilte es mit, dass er seit dieser Auseinandersetzung verändert war.“

Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Übelkeit überkommt mich.

  „Er hatte…eine andere? Eine
Affäre? “, keuche ich.

Auch darauf geht der Polizist nicht weiter ein.

  „Miss Austin, können Sie uns eventuell noch einen Hinweis zu
Mr. Logan geben?“

Während gestern zumindest noch der jüngere Kollege etwas Mitgefühl hatte, spüre ich nun, wie mich seinen skeptischen Blick redlich durchbohrt.
  Ist das eine Befragung oder ein Verhör? Verdächtigen mich diese beiden Beamten, etwas mit dem Raub oder Jadon plötzlichem Verschwinden zu tun zu haben?
  Unsicher zupfe ich an einem losen Faden meiner Decke herum.

  „Nein, ich habe ihn seit unserem Streit weder gesehen noch gehört“, erkläre leise stammelnd, „mehr kann ich dazu wirklich nicht sagen. Aber er ist oft bei seinem Freund, Samuel. Den Nachnahmen kenne ich leider nicht. Die Beiden sind Arbeitskollegen.“

Natürlich möchte ich helfen, allerdings habe ich Angst, dass mir die Polizei nicht glaubt, dass ich nichts über Jadons plötzliches Verschwinden weiß.
  Schweigend machen sie sich ein paar Notizen, dann werfen Sie sich einen Blick zu, den ich nicht deuten kann, bevor sie sich fast zeitlich erheben.

  „Wir haben soweit alles. Danke.“

Sogleich ich die Tür hinter den beiden Männern geschlossen habe, breitet sich ein flaues Gefühl in meinem Magen aus, dass sich rasend schnell zu einem Drücken, in der Brust ausweitet.
  Absolut alles in meinem Leben ist gerade nur noch unwirklich, irreal und angsteinflößend gespenstisch, sodass ich mir nur wünsche, sofort aus diesem Alptraum aufzuwachen. Ich kann nicht mehr denken, mein Kopf ist zu voll und gleichzeitig einfach leer, da ich keinen einzigen dieser Millionen Gedanken fassen kann.
Trotzdem versuche ich, mich wenigstens kurz zu konzentrieren.
  Es gibt viele Menschen, die such in stressigen Situationen einfach eine Auszeit nehmen und abhauen, ohne Rücksicht auf irgendjemand anderes zu nehmen. Aber obwohl Jadon sich gerne die Tage und Nächte in einer Kneipe um die Ohren schlug, ist es absolut untypisch für ihn, sich tagelang bei niemandem zu melden. Schnell suche ich mein Handy, dass mir heute früh zwischen die Kissen der Couch gerutscht ist. Wage, erinnere ich mich daran, wie meine Finger es die ganze Zeit fest umklammerten.
  Keine Ahnung auf wessen Anruf ich gewartet habe.
Ohne weiter darüber nachzudenken, entriegle ich die Tastensperre und wähle Jadons Nummer. Sofort schaltet sich die Mailbox ein. Also versuche ich es direkt noch einmal, und wieder und wieder. Ich kann nicht aufhören, es zu versuchen, da ich befürchte, meine zerrüttete Welt könnte dann komplett auseinanderfallen. Plötzlich blinkt eine Nachricht auf.
  Nur mit Not kann ich einen Aufschrei noch unterdrücken, während ich aufgewühlt nachschauen, wer sich gemeldet hat.
  Es ist mein Dad. Ich freue mich natürlich und bin trotzdem enttäuscht. Allerdings weiß ich, dass ich ihm unbedingt antworten sollte.
  Wie ferngesteuert drücke ich auf Wählen, doch kaum, dass das Freizeichen ertönt, schießen mir die Tränen in die Augen. Der Kloß in meinem Hals raubt mir die Luft. Ich kann das jetzt nicht.
  Schnell lege ich wieder auf und schalte neune Handy auf stumm.

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