Kapitel 39

Während Dominik von zwei Herrn in ein Gespräch verwickelt wurde, sammle ich all mein neu entfachtes Selbstbewusstsein, setze ich an die Bar und bestelle mir einen Drink. Immerhin habe ich das gleiche Recht hier zu sein, wie jeder andere auch.
Mit geradem Rücken warte ich auf meinem Hocker, bis der Barkeeper mit mein Glas an die Theke stellt. Als ich ihn freundlich anlächle, wenden er allerdings sofort den Blick ab. Eigentlich hatte ich mir einen Barkeeper immer ein wenig offener vorgestellt.
Allerdings ist hier eh alles irgendwie anders.
Die Musik erscheint mir hier hinten, im Gegensatz zum Main Floor des Clubs, viel zu düster zu sein.
Das nächste Lied was gerade anfängt, kommt mir sogar irgendwie bekannt vor.
Es gab mal eine Zeit in meinem Leben, damals auf der High School, da habe ich diese Gothic Musik, Tag und Nacht gehört. Auch wenn sich mein Geschmack mittlerweile ziemlich geändert hat, hat sie mir damals geholfen, mit meinen Sorgen zurecht zu kommen. Für eine After Party erscheint mir diese Musikauswahl trotzdem unpassend.
Bevor weitere Erinnerungen an meine Schulzeit aufkommen können, schüttle ich die Gedanken ab und will
zu meinen Glas greifen, aber plötzlich stoppt mich eine grobe Bewegung.

„Es reicht!", knurrt Collin hart, der meine Hand festhält, „Komm! Raus hier!"

Grob zieht er mich vom Barhockern und zerrt mich mit sich.
Beschämt schaue ich zurück, doch niemanden scheint diese Szene wirklich zu registrieren.
Grob schleift Collin mich hinter sich her zum Ausgang. Um mir noch mehr Peinlichkeiten zu ersparen, lasse ich es zu, bis wir auf der Straße stehen.
Kaum dass wir draußen stehen, reiße ich Collin meine Hand weg.

„Was bildest du dir eigentlich ein?", fahre ich ihn an, „Du bist er Letzte, der mir noch etwas zu sagen hat. Du hast mich benutzt, für diese lächerliche Wette..."

Collin unterbricht mich.

„Wir sollten kein Aufsehen erregen."

Mit dem Kopf deutet er auf die andere Straßenseite und aus irgendeinem Grund, der mir gerade selbst nicht klar ist, folge ich ihm.

„Was soll das ganze Theater?", frage ich gereizt.

Kurz vor seinem Wagen, bleibt Collin stehen. Seine Hände sind zu Fäusten geballt. In seinen Augen steht ein Ausdruck, den ich an ihm nicht kenne. Er wirkt aufgebracht und verunsichert, nervös.

„Was ist hier los?", wiederhole ich.

Dieses Mal Klinge ich weniger aufbrausend. Meine Stimme ist leise, fast schüchtern.

„Kimberly, du verstehst das nicht", er wendet den Blick ab, „Wie könntest du auch. Und das ist auch das Beste so."

Regungslos stehe ich vor ihm.

„Bitte steig ein."

Er öffnete die Beifahrertür, und weil ich ein paar Antworten und Erklärungen fordere, lasse ich mich Kurzerhand auf den Sitz gleiten.
Die Stimmung ist angespannt. Keiner von uns spricht ein Wort, aber etwas liegt in der Luft. Die Spannung im Wagen ist beinahe mit bloßen Händen greifbar.

„Erkläre es mir", unterbrechen ich schließlich die unangenehme Stille.

Die geladene Anspannung ist kaum zu ertragen.
Collin öffne den Mund, bekommt aber keinen Laut über die Lippen.

„Collin, ich denke, du bist es mir irgendwie schuldig nach allem heute Nacht."

Ich sehe wie er mit sich kämpft. Seine Kiefer mahlen. Seine Schultern sind verkrampft. Abwesend blickt er auf die leere Straße.

„Kimberley, du weißt genau, dass du mir wirklich wichtig bist", beginnt er, „Du bist eine fantastische Frau."

Mir stockt der Atem.
Collin schließt die Augen, nur für einige Sekunden, dann spricht er weiter. Nun klingt er noch härter, geradezu unterkühlt.

„Aber ich gehe davon aus, dass nun klar ist, dass das hier niemals irgendeine Märchenstory wird."

Meine Wangen erröten. Die Wucht, mit der mich seine Worte treffen, bereitet mir eine Gänsehaut.

„Ja", presse ich hervor.

Da ist er wieder, der eiskalte, bestimmende Collin Owen. Der arrogante, selbstsüchtige Mistkerl.

„Ich wünschte, es könnte anders sein, es geht aber nicht. Und ich kann dir den Grund dafür nicht sagen."

„Es ist so schwer daran?", nun Klinge ich wieder wütend.

„Verdammte Kimberly, es ist einfach besser so!"

Collins laute Stimme erschüttert den Wagen.
Sofort schießen mir Tränen in die Augen. Doch er entschuldigt sich wieder einmal nicht für sein barsches Verhalten. Stattdessen steuert er schweigend in die Tiefgarage seinen Wohnblock.

Meine kalte Fassade hält gerade lange genug, bis die Tür zu seinem Apartment hinter mir zufällt. Bittere Tränen rollen mir über die Wangen. Ich fühle mich plötzlich wieder so klein, schrecklich dumm und naiv.
Schnell hetze ich ins Schlafzimmer und lasse auch hier die Tür lautstark ins Schloss fallen.

„Kimberly?" Collins Stimme dröhnt durch die Tür, kurz bevor sie auffliegt.

„Kimberly, ich..."

„Schon in Ordnung", unterbreche ich ihn, „Ich packe und werde gleich weg sein."

„Aber... „, er beginnt seinen Satz, stockt dann kurz, „Wo willst du denn hin. Ich meine, du kannst... "

„Schon gut, ich komme zurecht", unterbrechen ich ihn.

Seine geheuchelten Worte machen mich nur noch wütender.
Warum sollte er sich Sorgen um mich machen?
Er, der nur mit mir gespielt hat.
Er, der meine Verletzlichkeit ausgenutzt hat.
Hektisch werfe die paar Sachen, die ich ausgepackt hatte zurück in meine Tasche.
Ich muss hier weg, egal wohin. Ich kann es keine Sekunde länger in Collins Appartement ertragen.
Unaufhörlich tropfen heiße Tränen von meinem Kinn, egal wie sehr ich darum kämpfe, sie zu unterdrücken.
Es war falsch zu glauben, seine Taten wären ehrlich gemeint. Ich hätte es besser wissen müssen, schließlich war mir klar, wer Collin wirklich ist. Und trotzdem habe ich zugelassen, dass er meiner Seele, meinem Herzen so nahekommen kann, um mich so zu verletzen.
Wie ein kleines Mädchen war ich von seiner Nettigkeiten und der Art wie er mit mir umgegangen ist so geblendet, dass ich in ihm unbedingt den Prinzen sehen wollte, statt das gefühllose Monster, dass nun mal in ihm steckt.
Weil mir das inzwischen wieder klar ist, schlüpfe ich in meine Sneakers, packe meine große Tasche und die Tüte. Schnell wische ich mit dem Ärmel meines Blazer über mein verweintes Gesicht, dann öffne ich die Schlafzimmertür, bereit zu gehen.

Collin sitzt am Esstisch, als ich bepackt mit meinem Hab und Gut durch das Apartment schlürfe. Ich kann spüren, dass er mich ansieht. Doch ich will mich auf nichts mehr einlassen.
Verkrampft versuche ich, jeglichen Blickkontakt zu vermeiden. Ich würde Collin so gerne tausend Dinge sagen, ihm sagen, dass ich nichts bereue, dass meine Gefühle ernst waren, dass es mich unendlich verletzt.
Ich würde ihn gerne anschreien, weil es mir so weh tut, weil ich mich benutzt fühle, und weil ich wegen ihm nicht mehr an das Gute glauben kann. Aber nicht eine Silbe schafft es über meine Lippen.
In meinem Inneren brennt es schrecklich. Mein Magen zieht sich schmerzlich zusammen.

„Kimberly, hör zu", beginnt Collin, „Es tut mir leid. Ich... "

„Ok", nuschle ich leise, wobei ich ein leichtes Zittern in meiner Stimme nicht unterdrücken kann.

Es versetzt mir einen Stich mitten in mein Herz. Am Liebsten würde ich hier auf der Stelle schluchzend zusammensinken. Aber ich verbiete es mir selbst, mich weiter vor Collin zu erniedrigen.
Ohne ihn anzusehen, schleife ich die Tasche Richtung Flur, als er mich erneut stoppt.

„Wohin willst du denn jetzt? Hast du..."

„Lass es einfach", unterbreche ich ihn.

Ich kann seine gespielte Fürsorge kaum ertragen.

„Brauchst du Geld für ein Ho..."

Mehr höre ich nicht mehr, da die Tür zu seiner Wohnung hinter mir ins Schloss fällt.
Kurz habe ich Angst, er könnte mir hinterherkommen, denn das würde ich nicht durchstehen. Als mir dann aber klar wird, dass die Tür zu bleibt, spüre ich einen Schmerz in mir, der auch andersherum nicht Qualvollen gewesen sein könnte.
Unter Träumen steige ich den Fahrstuhl. Ich fühle mich so alleine wie niemals zuvor. Außer die Galerie habe ich alles verloren. Ich weiß noch nicht einmal, wo ich heute schlafen soll.
Der Fahrstuhl geht auf und ich beeile mich, mit gesenktem Blick die Eingangshalle zu durchqueren. Ich kann fühlen, dass mir von der Rezeption aus neugierig nachgeschaut wir.
Ich will nur noch raus.

Obwohl meine Tasche unglaublich schwer ist, laufe ich zügig in Seattles Nacht hinein. Es ist windig und kalt. Überall laufen Passanten hektisch über den Gehweg und hellen die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos blenden trotz Nebel meine rot geweinten Augen. Krampfhaft ringe ich mit meinen Gefühlen.
Ein Teil von mir, möchte diese Stadt einfach hinter sich lassen und nach Hause.
Der andere Teil entpuppte sich überraschenderweise als eine Kämpferin, die akribisch nach Möglichkeit sucht weiterzumachen.
Natürlich könnte ich in mein altes Apartment, nur habe ich zu große Angst, noch einmal auf Jadon zu treffen. Seit mich Collin zu sich geholt hast, habe ich weder auf seine Anrufe reagiert, noch seine Nachrichten vor dem Löschen gelesen. Endlich war ich endlich bereit, mit dieser Beziehung abzuschließen. Endlich hatte ich den Mut und die Kraft und leider weiß ich, dass es Collins Verdienst war. Wahrscheinlich ist ihm selbst nicht klar, wie sehr er mir in dieser ganzen Zeit geholfen hat, dass er mir die Augen öffnete und mir gezeigt hat, dass ich mehr wert bin.
  Aber für was?
Um mir dann selbst den Boden unter den Füßen wegzureißen?
Hat ihm das alles wirklich so gar nichts bedeutet?
Mitten auf der Straße laufen mir wimmernd die Tränen über das kalte Gesicht.
Hat er nicht gemerkt, dass ich mich Hals über Kopf ihn verliebt habe?
Eisiger Wind fegt mir durchs Haar und ich wünschte, er könnte auch meinen Herzschmerz davon wehen.
Angestrengt versuche ich einen klaren Gedanken zu fassen.
Wenn die Provision bereits überwiesen wurde, hätte ich die Möglichkeit, mich für ein paar Tage in einem günstigen Hostel einzubuchen.
Da es zu allem Übel jeden Moment zu Regnen anfangen wird, beschließe ich, zum nächstes Geldautomaten zu gehen, um nachzusehen, ob ich mir vielleicht tatsächlich eine Zimmer leisten kann. Wenn nicht, weiß ich schlichtweg nicht mehr weiter.
Kurz wische ich mir über mein Gedicht, obwohl es mir gerade völlig egal ist, wie ich aussehen oder was andere Leute denken könnten, dann marschiere ich los.

Hättet ihr mit dieser Wendung gerechnet?

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