Kapitel 26

Nur sehr schwer schaffe ich es gegen meine Magenschmerzen anzukämpfen. Alles in mir ist angespannt, verkrampft. Leise gehe ich in die Küche, drücke die Türe möglichst geräuschlos zu und schalte die Kaffeemaschine ein. Allerdings ist es nicht die Angst, die mich so durch die Wohnung schleichen lässt. Ich will Jadon nur nicht wecken, weil ich es nicht ertragen kann, ihn um mich zu haben. Jede Minute, die er schläft, ist eine Minute länger Ruhe, oder wie auch immer man diesen Zustand gerade bezeichnen will.
  Und noch etwas ist anders.
Ich fühle mich in meinem Entschluss, ihn zu verlassen und neu anzufangen, bestärkt wie noch nie. Ich weiß, dass es hart wird aber ich muss es schaffen. Es wird schwer, jedoch wird es mir alleine besser gehen. Ich darf es nicht zulassen, dass mein Leben weiter unglücklich verlaufen. Das bin ich mir selbst schuldig.
  Seit ich heute früh eingerollt auf der Couch aufgewacht bin, habe ich nur noch Wut und Hass in mir.  Es war anders, als all die Male zuvor. Ich bin zwar aufgewühlt und meine Nase schmerzt, ich fühle mich jedoch nicht mehr wertlos und klein.

Obwohl ich völlig ruhig mit meiner Tasse schwarzen Kaffee am Fenster sitze, tobt in meinem Inneren ein Sturm der Gefühle. Die Minuten vergehen wie Stunden, in denen ich einfach gar nichts mache. Bis es Mittag wird, habe ich mich quasi in der Küche versteckt, vor Jadon, vor einem Konflikt, einer Entscheidung und vor mir selbst. Niemals hätte ich mir das so lange gefallen lassen sollen. Niemand hat es verdient, so respektlos behandelt zu werden. Und weil Jadon nicht bereit ist, sich Hilfe zu suchen, um an seinen Problemen zu arbeiten, kann ich mich nicht länger aufgeben, um für ihn da zu sein. Das würde mich nur auf Dauer völlig zerstören. Besser, ich suche mir irgendwo ein günstiges Zimmer und gehe.

Plötzlich geht die Wohnungstür. Vor Schreck stoße ich mir den Ellbogen an der Tischkante. 
  Jadon war gar nicht zu Hause gewesen.
Ich höre seine Schritte durch den Flur poltern, noch bevor die Tür  wieder ins Schloss fällt. An der Art wie er läuft, kann ich erkennen, dass er schwankt. Er ist betrunken.
  Doch statt zu mir in die Küche zu stürmen, wie ich erwartet habe, verschwindet er im Bad.
  Eine ganze Weile stehe ich in der offenen Küchentür und lausche, wie er das Wasser laufen lässt, immer wieder leise Flucht und hörbar in den Schränken wühlt. Dann schlürfe ich zögerlich durch den Flur. Eigentlich strebt sich alles in mir auch nur in seiner Nähe zu sein, doch irgendetwas sagt mir, dass hier etwas nicht in Ordnung ist. Vorsicht wage ich einen Blick ins Bad.

  „Was ist passiert?“, entfährt es mir entsetzt.

Jadons Kleidung ist völlig verdreckt. In seinen Haaren hängt Matsch und Laub und sein Gesicht ist blutverschmiert.
  Weil er nicht antwortet komme ich näher, um zu schauen, ob er ernsthaft verletzt ist. Erst jetzt sehe ich die großen Striemen, die quer über sein Gesicht…

  „Oh mein Gott, was hast du gemacht?“, bricht es aus mir heraus.
  „Als würde es dich interessieren“, blafft Jadon zurück, während er mit einem Waschlappen über die Wunde tupft.

  „Du bist verletzt, natürlich ist mir das nicht egal.“

Mit schmerzverzerrter Mine sprüht er etwas Desinfektionsmittel auf die Wange.

  „Keine Ahnung, ich musste hier raus. War noch in der Kneipe. Dann wollte ich nach Hause laufe und plötzlich hat mich etwas angegriffen. Keine Ahnung, eine riesige Katze oder ein streunender Köter. Es ging so schnell, ich habe es nicht richtig erkennen können, wie ein Schatten. Irgendwie bin ich gestürzt.“

  „Du brauchst einen Arzt. Das sieht wirklich fies aus“, rate ich ehrlich besorgt aber Jadon blockt.

  „Ach, scheiß drauf“, lallt er immer noch nicht ausgenüchtert, bevor er sich an mir vorbei schiebt, „Ich will nur ins Bett.“

Wortlos schaue ich ihm nach, bis er im Schlafzimmer verschwunden ist. Ich halte es natürlich für keine besonders gute Idee, diese Kratzer nicht von einem Arzt behandeln zu lassen. Zumal er ja noch nicht einmal weiß, was ihn da tatsächlich angegriffen hat.
  Weil die Striemen so groß sind, kann ich mir nur schlecht vorstellen, dass ihn wirklich eine Katze einfach so angegriffen hat. Ich habe allerdings auch noch nie gehört, dass Hunde jemanden gekratzt haben.
  Irgendwie ergibt das alles keinen Sinn. Vielleicht hat Jadon mir auch schlichtweg nicht die Wahrheit erzählt. Das würde mich nicht wundern, schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass er betrunken in eine Schlägerei verwickelt wurde. Ich weigere mich weiter damit zu beschäftigen, weil ich beginne mir zunehmend Sorgen zu machen und genau das möchte ich nicht. Nicht weil ich kalt bin oder mich Jadon nicht mehr interessiert, nein, vielmehr aus Schutz. Wenn ich mich um ihn sorge, werde ich mich um ihn kümmern und dann wird es wieder komisch. Dann werde ich alles Schreckliche zur Seite schieben und mich einmal mehr in dieser einseitigen Beziehung selbst verlieren.

Um mich abzulenken, beginne ich das Chaos, das Jadon im Bad hinterlassen hat, aufzuräumen. Im Waschbecken sind ganz leicht noch Rückstände von Blut zu erahnen, die ich mit heißem Wasser und Scheuermilch entferne. Bei der Vorstellung, diese Wunden hätten womöglich wirklich von einem Tier, einem tollwütigen Tier, verursacht worden sein, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Besser ich überrede Jadon später doch zu einem Arzt zu gehen. Nur zur Sicherheit.
  Auch der Fußboden ist voller kleiner Erdkrumen von seinen Schuhen, die sich mit dem Spritzwasser an manchen Stellen schon zu kleinen Schlammpfützen vermischt haben. Bevor es noch eine riesige Sauerei gibt, wringe ich den Lappen aus und Knie mich auf die Fliesen, um alles schnell aufzuwischen. Dabei zieht ein heftiger Schmerz durch beide Knie. Es muss noch von meinem Sturz gestern Nacht kommen. Bei der bloßen Erinnerung an die gestrige Nacht lässt mich erschaudern. Bis jetzt habe ich keine Erklärung für das, was sich in der dunklen Seitenstraße ereignet hat.

Ein lauter Schlag reißt mich aus meinen Gedanken.
  Geschockt schaue ich auf. Jadon steht im Türrahmen. So wie es scheint hat er etwas an die Wand neben der Dusche geschmettert. Von einer Sekunde auf die nächste wird mein Mund trocken und es fühlt sich an, als würde sich eine Schlinge um meinen Hals legen.

  „Du schaust noch nicht mal nach mir?“, schreit er aggressiv.

Ich bekomme keinen Ton heraus.

  „So wenig interessiert es dich also, wie es mir geht, du Dreckstück!“

Wieder sage ich nichts.
  Die Spannung hängt überall im Raum, raubt mir die Luft zum Atmen und droht mich niederzudrücken. Egal wie ich nun reagiere, weiß ich, dass einem Streit nicht mehr auszuweichen ist. Meine Finger umklammern den Putzlappen, während ich mich aufrichte.
  Grob packt Jadon meinen Arm, reißt mich auf die Beine und drückt mich gewaltsam gegen die Duschkabine.

  „So willst du es jetzt?“, brüllt er, „Glaubst du, du bist hier auch noch im Recht?“

Er drückt meinen Kopf mit der offenen Hand so fest gegen die Scheibe, dass ich mich nicht wehren kann.

  „Du Miststück. Was willst du denn machen? Willst du abhauen? Zu dem Lutscher, der dich fickt?“

Er schreit mir direkt ins Ohr, so laut, dass ich Angst habe mein Trommelfell platzt jeden Moment.

  „Pfff, lächerlich! Wer will dich Stück Dreck! Dir lerne ich wieder Respekt zu haben!“

Brutal knallt er meinen Kopf gegen die Kabine, als ich spüre, dass der Kratzer an meiner Lippe wieder blutet.

  „Du blutest“, keucht Jadon.

In diesem Augenblick lässt er mich los.

  „Es tut mir Leid, Baby“, japst er, „Komm her“

Unerwartet mitfühlend will er mich an seine Brust ziehen, doch es gelingt mir, mich aus seiner Umarmung zu befreien.

  „Geh… weg… von… mir“, presse ich hervor.

  „Baby, bitte, du blutest.“

Wieder will er mich an sich ziehen, doch auch dieses Mal kann ich entkommen.

  „Geh raus und lass mich in Ruhe!“

Meine Stimme klingt seltsam, bestimmend und hysterisch zugleich.

Kurz steht Jadon einfach nur da. Seine eh schon glasigen Augen füllen sich mit Tränen. Dann verlässt er tatsächlich das Bad.
  Schnell schlage ich dir Tür hinter ihm zu und schließe ab, bevor ich jämmerlich schluchzend zusammen sinke.

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