Kapitel 12
Die Nächte sind kurz. In den letzten Tagen habe ich wenig geschlafen und kaum gegessen. Daher fühle ich mich wahnsinnig kraftlos. Mein Körper ist schlapp und meine Augen müde.
Ausgerechnet heute scheine ich am Tiefpunkt angelangt, aber obwohl ich das Gefühl habe ein dunkler Schatten würde mich umhüllen, werde ich heute Abend auf der Vernissage versuchen, hundert Prozent zu geben. Es ist der erste Event, den ich mitorganisieren durfte. Die Galerie ist mir so wichtig. Es ist mein Strohhalm, mein letzter Halt hier.
Ich habe in Seattle noch keinen wirklichen Anschluss gefunden und meine Beziehung fährt unaufhaltsam ins Nichts. Ich weiß nicht wie ich sie noch retten soll und ich bin mir nicht sicher, ob ich es überhaupt noch will. Vielleicht hätten wir es schon viel früher beenden sollen.
Vielleicht war das mit uns von Anfang an zum Scheitern verurteilt, denn so wie es mit uns momentan steht, sind wir beide nicht glücklich. Weil Jadon noch auf der Arbeit ist, habe ich Zeit in Ruhe zu duschen und meine Haare zu föhnen, die ich später zu einem lockeren Zopf flechte. Ich überlege, ob es unangemessen wäre etwas von den neuen Sachen zu tragen, da die Blusen recht schlicht gehalten sind. Meine andere Kleidung ist allerdings nicht gerade als schick zu bezeichnen.
Nach langem Überlegen entscheide ich mich doch für die neuen apricotfarbene Bluse mit einer langen Kette und trage dazu meinen grauen Stiftrock.
Da ich mich mit der Kleiderwahl so schwer getan habe, muss ich mich jetzt doch beeilen. Schnell betone ich meine Augen mit schwarzer Mascara und trage etwas hellen Lipgloss auf. Dann muss ich auch schon los.
Eine ganze Stunde vor Eröffnung steige ich aus dem Bus. Ich mag diese Gegend hier mit dem Kontrast zwischen alten Gemäuern und Neubauten. In den Seitenstraßen sind einige Wände mit großen Graffitis besprüht, was in meinen Augen auch eine Art von Kunst ist, die allerdings wieder so gegensätzlich zur nobel wirkenden Hauptstraße erscheint.
In der Galerie ist alles aufgebaut. Die Bilder von Zayne sind bereits perfekt in Szene gesetzt, die Stühle vor der Bühne aufgereiht und der Sektempfang im Eingangsbereich aufgebaut. Es wirkt lebendiger als die Ausstellung von Dominik Martino, moderner. Genau was wir erzielen wollten. Prüfend gehe ich durch den Raum.
"Zufrieden?", höre ich eine tiefe Stimme hinter mir.
"Sehr und Sie?", möchte ich von Collin wissen, der zustimmend grinst.
"Da kommt ja auch der Mann der Stunde!", ruft er, als Zayne Deren den Raum betritt.
Er wirkt nervös, was ich ziemlich gut nachvollziehen kann.
"Es ist sehr gut geworden", richtet dieser sein Lob an uns, "Ganz genau so hatte ich es mir vorgestellt."
Natürlich freue ich mich das zu hören, versuche aber professionell zurückhaltend zu bleiben.
Die Vernissage beginnt wir geplant mit dem Empfang, bevor für den Maler der große Moment auf der kleinen Bühne kommt.
Trotz seiner anfänglichen Nervosität stellt sich Zayne mit einer souveränen Leichtigkeit dem Publikum vor.
Er spricht von seiner Zeit in London, seine Beweggründe in die USA zu ziehen und darüber was ihn zu seinen Bildern inspiriert hat. Sein lässiger Look in Jeans und Leinenhemd unterstreicht dabei seine unkomplizierte Art, die Dinge zu betrachten.
Es ist wirklich ein gelungener Auftakt seiner Ausstellung, da die Gäste allesamt interessiert seinen Ausführungen folgen.
Späterhin steht Zayne allen Anwesenden für Fragen und Gespräche zur Verfügung. Auch die geladene Presse führt Interviews und fotografiert fleißig.
Wir Kunstvermittler verwickeln ebenfalls die Interessenten in angeregte Verkaufsgespräche. Jeffrey ist es sogar gelungen, direkt eines der Gemälde zu verkaufen.
Auch ich bin gerade dabei einen Herrn mittleren Alters zu beraten. Da weicht sein Blick ab. Zayne tritt zu uns.
"Ich kann Ihnen nur zustimmen", bringt er sich in das Gespräch mit ein, "Es war mein Ziel in diesem Bild eine Mystik zu schaffen, die sich doch in Farben mit besonderer Leuchtkraft offenbart. Es ist eines meiner persönlichen Lieblinge."
Der Herrn ist sichtlich angetan, was seine Kaufbereitschaft noch steigert.
"Ich wollte damals eine schwere Trennung verarbeiten. Das war hart und die Kunst hat mir geholfen", fügt Zayne noch hinzu, bevor er mir einen verschwörerischen Blick zu wirft, "Nun entschuldigen Sie mich bitte."
Kaum das Zayne weitergegangen ist, um ein junges Paar zu begrüßen, richtet sich der Herr an mich.
"Ich möchte dieses Bild erwerben", sagt er entschlossen.
"Eine wirklich sehr gute Entscheidung", bestärke ich ihn in seinem Entschluss, bevor wir zurück den Formalitäten übergehen.
Als die Kaufabwicklung abgeschlossen ist, verabschiedet sich der Herr und ich begebe mich auf die Suche nach Zyane, der gerade an der Bar steht.
"Vielen Dank", flüstere ich schon fast.
Ohne darauf zu reagieren ordert er zwei Gläser Sekt, eines für ihn und eins für mich.
"Wir dürfen während einer Ausstellung nicht trinken", lehne ich schnell ab.
"Ich möchte aber gerne auf den Verkauf des Gemäldes anstoßen", entgegnet er beharrlich und ich knicke ein.
"Ich habe die weiße Stelle an seinem Ringfinger bemerkt", erklärt Zyane, "Da wusste ich schon, dass er es kaufen wird. Er hat ganz frisch eine Trennung zu verkraften und sucht Trost."
Es beeindruckt mich sehr, dass Zayne so eine Auffassungsgabe hat.
"Das ist mir überhaupt nicht aufgefallen", gebe ich zu.
"Ich sehe in den meisten Menschen mehr", sagt er mit einem verschmitzten Lächeln, während seine Augen fest auf mich gerichtet sind.
Sofort spüre ich wie meine Wangen erröten und wende schüchtern den Blick ab.
"Wollen Sie wissen, was ich in Ihnen sehe, Kim?"
Seine Stimme ist leicht belegt und klingt plötzlich ganz anders, fast verführerisch. Aber bevor ich auf seine Frage eingehen kann, werden wir unterbrochen.
"Ich gratuliere Ihnen, Kimberly", beglückwünscht mich Collin, "Ich wusste schon, warum ich Sie im Team haben wollte. Kultiviert und Schön."
Einen Augenblick glaube ich, ich hätte mich verhört. Collin Owen bezeichnet mich, mich die 'kleine Vogelscheuche', wie er mich früher gerne nannte, als Schön und klug.
Weil ich nicht weiß wie ich auf dieses Kompliment reagieren soll, nippe ich verlegen an meinem Glas und senke den Blick.
"Jedenfalls ausgezeichnete Arbeit. Das habe ich nicht anders von Ihnen erwartet."
Während Collin spricht entgeht mir nicht wie Zyanes Ausdruck hart wird.
"Wir gehen nächstes Wochenende, wenn die Bilanz des heutigen Abends gezogen ist, essen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie uns begleiten, Kim", bietet Zayne an und Collin fügt hinzu,
"Ja, natürlich. Ich könnte Sie gegen sieben abholen."
Ich bin mir nicht sicher, wie Jadon auf so ein Essen reagieren wird, daher muss ich mir etwas Zeit zum Nachdenken verschaffen.
"Das können wir gerne die nächsten Tage noch genauer absprechen", versuche ich nichtssagend die Entscheidung nach hinten zu verschieben, "Heute geht es um die Kunst und ich muss wieder an die Arbeit.”
Mit einem Zug leere ich mein Sektglas und versuche zwischen dem Gästen und den Fotografen unterzutauchen. Diese nette Einladung stellt mich vor ein großes Problem. Schließlich wird Jadon nicht begeistert sein, wenn ich ihm davon erzähle. Zudem hatte das gesamte Gespräch eine seltsame Stimmung angenommen.
Eine ungewohnte Hitze steigt in mir auf, sodass ich erst einmal die Toilette aufsuche. Ich halte meine Hände unter das kalte Wasser des Wasserhahns und tupfe mir etwas in den heißen Nacken, während ich mein Spiegelbild betrachte. Mein Eyeliner ist von der Hitze etwas an den Seiten verlaufen. Mit einem Tuch aus dem Spender wische ich unter meinen Augen entlang und fahre mit nassen Fingern über mein Haar um mich wieder etwas herzurichten. Dann gehe ich zurück in den Ausstellungsraum.
Obwohl es mir nicht gelingt ein weiteres Bild zu verkaufen, empfinde ich den Abend für alle Beteiligten als Erfolg. Müde und dennoch glücklich fahre ich nach Hause.
Leise schließe ich die Tür auf, hänge im Dunklen meinen Mantel an die Garderobe und schlüpfe aus meinen Schuhen. Plötzlich geht das Licht im Wohnzimmer an.
"Wo kommst du her!", brüllt Jadon.
Ich schrecke zurück.
"Von der Vernissage. Das weißt du doch", versuche ich ihn so ruhig ich kann zu erinnern.
"Um diese Uhrzeit? Wen willst du hier verarschen? Du machst bestimmt mit Einem dort rum!", lallt er.
Abwehrend hebe ich die Hände.
"Nein! So etwas glaubst du doch nicht ernsthaft! Ich arbeite dort."
Jadon lässt sich nicht beruhigen. Wutentbrannt und mit torkelnden Schritten kommt er auf mich zu, drängt mich mit dem Rücken zur Wand. Da greift er meinen Zopf und zerrt meinen Kopf nach hinten. Seine andere Hand knetet grob meine Brust.
"Du gehörst mir!", knurrt er, während seine Finger über meinen Bauch an den Saum meines Rocks wandern.
Sein Atem stinkt so sehr nach Rum und Scotch, dass ich mich mit aller Kraft versuche, von ihm abzuwenden.
"Was soll das?", er klingt bedrohlich, "Du kleine Schlampe hast es heute wohl schon besorgt bekommen."
Angewidert schiebe ich ihn etwas von mir.
"Jadon, bitte!", flehe ich, "Du bist betrunken.“
Auf einmal packt er mein Gesicht und schlägt mich mit meinem Hinterkopf gegen die Wand. Ein dumpfer Schmerz zieht durch meinen Schädel. Mir wird schwindelig. Verzweifelt versuche ich mich zu wehren, möchte um mich schlagen und treten, jedoch fehlt mir die Kraft.
Ich habe Angst.
Jadon ist unkontrolliert, unberechenbar.
Auf einmal lässt er von mir ab.
"Ich habe keinen Bock mehr auf die ganze Scheiße", sagt er unerwartet ruhig, "Du ekelst mich an, du Schlampe. Ich fahre zu meinen Eltern. Das habe ich schon mit meinem Chef abgeklärt. Und wenn ich wiederkomme, läuft das hier gefälligst normal, sonst kannst du richtig was erleben."
Ich bin mehr von seiner so plötzlichen Stimmungsschwankung, als von seinem Entschluss überrascht. Ohne dem etwas hinzuzufügen geht er ins Schlafzimmer. Erleichtert, dass es nicht noch mehr eskaliert ist, lasse ich mich an den Wand entlang zu Boden gleiten, ziehe meine Beine fest an meinen Körper und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen.
Nachdem ich in dieser Nacht mehr oder weniger viel auf der Couch geschlafen habe, weckt mich der laute Geräuschpegel von Jadon. Mit seiner großen Trainingstasche in der Hand steht er im Flur.
Er meint es wirklich ernst. Er geht zu seinen Eltern.
In seinen Augen steht Wut und Traurigkeit und etwas, das ich nur zu oft in seinen Augen gesehen habe, Reue.
Die Luft ist so geladen, dass ich mich kaum traue zu atmen. Mein Herz rast. Dann verlässt er unsere Wohnung, ohne noch ein einziges Wort zu sagen. Für einen Moment fühle ich mich wie taub, dann höre ich die Tür im Hausgang und in mir steigt ein Schluchzen hoch, als wollte es ihm hinterher stürzen, ihn aufhalten.
Doch ein anderer Teil in mir wünscht sich, ihn gerade das letzte mal gesehen zu haben.
Weinend sinke ich zusammen.
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