Kapitel 8 - Keanen - ✔️
Ich fahre wieder zu schnell, doch diesmal ist Serena ganz ruhig und starrt aus dem Fenster. Sie muss meinen kleinen Ausbruch eben gehört haben, ansonsten würde sie sicher nicht so schweigsam sein.
„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Wir hatten einen kleinen Konflikt." Serena nickt bloss stumm und lächelt, was mich auf der Stelle irgendwie beruhigt. „Schon okay", erwidert sie dann, und meine Wut ist wie weggeblasen. Wie macht sie das? Und wieso hat sie so eine Wirkung auf mich?
„Wir sind gleich da", räuspere ich mich, und Serena nickt erneut. Wenige Minuten später erscheint ein grosses Gebäude vor mir. „Ich komme noch mit hoch. Ich will Jona noch gratulieren", teile ich mit, und Serena schaut mich kurz verwirrt an, dann nickt sie. „Okay, dann... mach das." Ich steige aus, schliesse den Wagen und folge Serena ins Gebäudeinnere. Wir betreten einen Lift, und als wir die Wohnung betreten stellt sich schnell heraus, dass Serena mit ihrem Bruder und ihrer besten Freundin in einem Penthouse wohnt. Und dieses ist auch nicht gerade spärlich ausgestattet.
„Alessias Eltern haben uns die Wohnung gekauft und zur Verfügung gestellt", erklärt Serena, als sie meinen erstaunten Blick sieht, und ich nicke anerkennend. Gerade als ich glaube, Serena wäre alleine, kommt ein besorgter Jona um die Ecke geschossen und schliesst Serena wortlos in die Arme. Dabei fällt sein Blick auf mich, und er zieht die Augenbrauen etwas zusammen.
Ich weiss, dass dir das nicht gefällt.
„Ich dachte dir wäre wieder was passiert als du gestern nicht geschrieben hast", sagt Jona, als er seine Schwester loslässt, und Serena lacht. „Wäre Keanen nicht so nett gewesen mich mitzunehmen, wäre vielleicht wirklich was passiert." Jona sieht mich verwirrt an und ich seufze. „Sie hatte vor der Gasse, in der alles passiert ist, eine Panikattacke. Ich habe sie gefunden und mitgenommen."
Jona reisst geschockt die Augen auf und sieht wieder seine Schwester an. „Merda, ich... ich wusste nicht mehr, dass dein Heimweg an der Halle vorbeiführt. Es tut mir leid, Seri." Serena schnaubt bloss unbeeindruckt und drückt sich an Jona vorbei. „Ist ja nichts passiert, und ausserdem wollte Zia bestimmt nicht, dass du sie alleine lässt."
Ihre spitze Bemerkung über Jonas Freundin entgeht weder Jona noch mir, und ich presse die Lippen zusammen. Diese Zia gefällt mir genauso wenig wie Serena, und Jona scheint das langsam zu merken.
„Seri, sie hat sich den Fuss gestossen und wir mussten lange auf einen Arzt warten."
Serena lacht auf, und ich lache fast mit ihr.
Wegen einem gestossenen Fuss geht man doch nicht direkt in die Notaufnahme, oder habe ich hier was verpasst?
„Ja, frag dich mal wieso ihr so lange warten musstet. Ein gestossener Fuss interessiert die Ärzte nicht, Zia hätte genauso gut heute zu ihrem Hausarzt gehen können. Ihr wart wohl der unwichtigste Notfall im ganzen Krankenhaus, es wundert mich, dass ihr überhaupt angenommen wurdet. Was hat sie denn für eine Diagnose erhalten?"
Serena funkelt ihren Bruder, der sie etwas entgeistert ansieht, angriffslustig an, und ich schmunzle.
„Keine, es ist alles okay", beichtet Jona dann leise, und Serena wirft die Arme in die Höhe. „Na eben", zischt sie dann und schüttelt den Kopf.
Daraufhin kommt sie auf mich zu, was Jona genau beobachtet. „Danke, dass du mich bei dir hast schlafen lassen. Du hast was gut bei mir." Ich lächle und umarme Serena, danach verschwindet sie, ohne Jona eines Blickes zu würdigen, nach oben.
Ich drehe mich zu Jona um, der mich nur verwirrt anschaut. „Ist das dein Ernst?", fragt er dann, und ich hebe fragend eine Augenbraue. „Was denn?", frage ich, und Jona hebt jetzt ebenfalls eine Augenbraue. „Halt sie da raus", verlangt er dann, und ich lächle. „Nichts Anderes hatte ich vor, Kumpel. Ich habe sie nur mitgenommen, weil es ihr beschissen ging, oder immer noch beschissen geht. Daran ist nichts falsch."
Jona schaut mich nochmal prüfend an, dann nickt er. „Danke", murmelt er, und ich klopfe ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Schon gut. Aber ich habe eine andere Info, die dich wohl nicht erfreuen wird."
Jona sieht mich fragend an, und meine Laune sinkt sofort wieder. „Dad will, dass wir Lio aus den Ferien holen. Wir brauchen ihn, jemand von Sergios Männern hat geplaudert." Jona gibt einen frustrierten Laut von sich, dann nickt er ergeben. „Okay, wenn das so ist. Es wird ihm nicht gefallen."
Ich nicke, dann wende ich mir der Türe zu. „Das weiss ich", seufze ich noch, und Jona murrt etwas vor sich hin. „Danke nochmal", sagt er dann, und ich hebe die Hand. Dann verschwinde ich und drücke den Liftknopf.
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„Ich buche den nächsten Flieger", murrt Lio wenig begeistert, und ich lächle leicht.
„Danke. Und es tut mir wirklich leid, aber du kennst Dad. Du hast was gut bei mir." Ich höre wie Lionel seufzt, während er auf seinem Laptop rum tippt. „Ich bin übermorgen in der Früh da", sagt er dann, und ich höre, wie er seinen Laptop zuklappt. „Danke, Lio. Du hilfst uns wirklich." „Das will ich doch hoffen, der Flug kostet mich ein Vermögen", seufzt er, und ich lache.
„Wir übernehmen die Kosten natürlich. Wie gesagt, du kennst Dad."
„Ja, das tue ich. Also, ich erkläre das Ganze kurz meiner Mom. Bis spätestens übermorgen, halt mich auf dem Laufenden und schick mir, was ich schon tun kann." Ich nicke. „Werde ich. Ich muss jetzt los, ich melde mich später Lio." Wir verabschieden uns, und ich lege auf.
Das wäre geschafft.
Ich öffne auf WhatsApp den Chat von Elia, weil ich weiss, dass er gerade bei Dad ist.
Keanen: Kleine Info für Dad: Lio kommt übermorgen in Seattle an.
Ich stopfe mein Handy zurück in meine Jeanstasche, und drehe die Waffe in meinen Händen hin und her. Dann laufe ich auf die Lagerhalle vor mir zu, zeige dem Mann am Tor meinen Ausweis und trete ein. Drinnen schaut jeder zu mir um, und ich grinse. Die Leute wissen wer ich bin, vor allem aber, wer mein Dad ist.
„Schön, dass du auch mal kommst."
Ich drehe mich um und schaue in die grauen Augen meines Cousins.
„Emilio, du bist also auch hier" stelle ich fest, und mein Cousin grinst mich an. „Aber natürlich, dein Vater hat mich beauftragt, da Elia dich nicht begleiten konnte." Ich nicke, war ja klar, dass mein Vater jemanden findet. Ich hätte das hier auch alleine durchführen können, aber gegen Unterstützung kann ich nichts einwenden.
„Gut, wir brauchen ein Mädchen, dass hier scheinbar arbeitet. Sie sollte so um die achtzehn sein und hat schwarze, kurze Haare. Ich muss dir wohl nicht sagen, dass das gegen unsere Regeln verstösst." Emilio nickt abermals, und wir machen uns auf die Suche nach dem Mädchen. Von einem Mann, der hier arbeitet, haben wir den Tipp bekommen, dass der Chef der Halle, also Jack, ein Mädchen entführt, misshandelt und dann gegen ihren Willen hier angestellt haben soll. Sowas dulden wir unter keinen Umständen, und Jack wird dafür zahlen, wenn es wirklich so ist.
Emilio und ich laufen mit gezückter Waffe an den Arbeitern vorbei, bis ich ganz hinten tatsächlich ein Mädchen mit schwarzen Haaren entdecke. Sie kauert in der Ecke und ihre Schultern beben, doch von ihrem Gesicht kann ich nichts erkennen. Ihre Arme zieren Flecken in allen möglichen Farben, und ich knirsche wütend mit den Zähnen.
„Das ist sie", zische ich zu Emilio, doch er ist auch schon lange auf sie aufmerksam geworden. Ich überwinde die letzten Schritte zu ihr und kauere mich vor das Mädchen, um nicht so einschüchternd auf sie zu wirken. Sie erinnert mich kurz an Serena, wie Elia und ich sie in der Gasse gefunden haben.
„Hey, wer bist du?"
Mein Cousin ist neben mir in die Hocke gegangen und hebt den Kopf des Mädchens etwas an. Ängstlich blickt sie zu uns hoch, doch Emilio scheint sie beruhigen zu können.
„Lucía", flüstert sie schlussendlich leise, und ich nicke leicht.
„Okay. Hast du was dagegen, wenn wir dir ein paar Fragen stellen?"
Ich überlasse das Reden meinem Cousin, da er auf Lucía gerade sehr beruhigend zu wirken scheint. Denn sie nickt tatsächlich nach einigen Sekunden, und Emilio lächelt.
„Okay, gut. Ich bin Emilio, und das hier ist mein Cousin, Keanen." Er zeigt zuerst auf sich, dann auf mich, und Lucías Augen weiten sich etwas, als sie meinen Namen hört. „Du bist doch nicht etwa der Sohn des Obersten, oder?" Ich nicke und lächle sie schief an. „Doch, der bin ich. Aber du brauchst keine Angst vor mir, oder uns, haben. Wir tun dir nichts." Als Beweis für meine Worte stecken Emilio und ich unsere Waffen ein, und Lucía atmet auf.
Wir richten uns wieder auf und Emilio reicht Lucía die Hand, um sie dann ebenfalls auf die Beine zu ziehen. „Wir gehen in den Raum dort", entscheide ich und zeige auf eine Türe mit der Aufschrift "Privat". Wir wollen gerade loslaufen, als Lucía stolpert und das Gleichgewicht verliert. Emilio schnappt sich gerade noch rechtzeitig ihren Oberarm und zieht sie wieder zurück, wobei sie das Gesicht verzieht. „Tut mir leid", murmelt sie dann, und Emilio lächelt. „Kein Problem, jeder stolpert mal." Gerade will er ihren Arm loslassen, als Lucía ihn anschaut.
„Ich... bin nicht gestolpert", flüstert sie dann, und während mein Cousin sie verwirrt mustert, geht mein Blick automatisch zu ihrem Bein – und ich erschrecke. Um ihren Oberschenkel ist ein dicker Verband gewickelt, der sich mit Blut vollgesogen hat, und schon nur, wenn ich mir das anschaue habe ich Schmerzen.
„Planänderung, wir fahren mit Lucía ins Krankenhaus, Elia und Luca erledigen denjenigen, der hierfür zuständig ist, und dann fragen wir. Das sieht nicht gut aus."
Lucía will gerade wild den Kopf schütteln, doch Emilio lässt ihr keine andere Wahl als mitzukommen, denn er hat im Nu seine Arme unter ihren Rücken und ihre Kniekehlen geschoben, sie hochgehoben und sich zum Ausgang gewendet.
„Jack wird unglaublich wütend sein", murmelt Lucía besorgt, woraufhin Emilio schnaubt. „Das ist mir egal. Was er getan hat ist nicht akzeptabel und lässt sich in keiner Art und Weise rechtfertigen oder entschuldigen. Es würde mich nicht wundern, wenn Dad ihm die dritte, endgültige Verwarnung gibt." Lucía schaut zuerst Emilio, dann mich an. „Aber das ist doch die, die man nicht mehr miterlebt", flüstert sie, und ich nicke. „Genau die."
Lucía lehnt ihren Kopf an Emilios Brust und schaut etwas bestürzt nach vorne, und wieder erinnert sie mich an Serena. Sie hätte genauso reagiert, auch wenn Jack es mehr als nur verdient hat, endlich von der Erde zu verschwinden. Sie haben beide ein gutes Herz, manchmal auch zu gut.
„Wie lange hast du die Wunde schon?", frage ich, und Lucía überlegt. „Um die drei Tage denke ich mal." Emilio saugt scharf die Luft ein. „Und du hast nie den Verband oder so gewechselt?" Lucía schüttelt den Kopf. „Nein, Jack hat mir nichts dafür gegeben. Ich habe nur diesen einen Verband und Schmerztabletten."
Ich schüttle fassungslos den Kopf. „Dass solche Menschen überhaupt existieren dürfen", zischt Emilio, während er Lucía auf den Rücksitz meines Wagens setzt. Er selbst setzt sich neben sie, und ich starte den Motor. „Wie ist das eigentlich passiert?", frage ich nach einer Zeit, und Lucía zuckt etwas zusammen, da meine Stimme die Stille gebrochen hat.
„Ich habe aus Versehen etwas fallen lassen, und dann hat er mich geschubst. Ich bin mit dem Bein irgendwo rein, und dann hat es geblutet. Die Wunde ist nicht sehr gross, aber ich glaube, dass es hätte genäht werden müssen." Ich nicke und konzentriere mich möglichst auf den Verkehr, um nicht auf der Stelle umzudrehen und Jack die Hölle heiss zu machen.
„Wir kriegen das schon hin", seufzt Emilio nur, und Lucía sagt nichts mehr. Ich hupe als mir jemand direkt vors Auto fährt und seufze frustriert. „Der Verkehr bringt mich um", murre ich, und Emilio lacht leise. „Du hast dich dafür entschieden, einen Führerschein zu machen", schmunzelt er dann gelassen, und ich verdrehe die Augen.
„Ja, aber der Verkehr regt mich trotzdem auf. Das würde er auch ohne Führerschein."
Ohne einen weiteren Kommentar lehnt Emilio sich zurück, während Lucías Gesicht an der Scheibe klebt. „Seattle ist schön", murmelt sie irgendwann, und ich drehe meinen Kopf etwas zu ihr. „Ja, das stimmt. Warst du etwa noch nie hier?"
Lucía schüttelt den Kopf und schaut mich über den Rückspiegel an. „Ich komme aus Los Angeles", beichtet sie dann leise, und ich reisse die Augen auf. „Jack hat dich bis hierhin verschleppt?" Meine Stimme überschlägt sich fast, und Lucía nickt kaum merkbar. „Zuerst hat er mich vor der ganzen Schule bloßgestellt, und sogar meine Eltern haben mich verstossen. Wir... hatten was miteinander, wenn man das so nennen kann. Dann hat er seine wahre Seite gezeigt."
Wow.
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Neues Kapitel :3
Was haltet ihr von Lucía? Wie denkt ihr, dass es mit ihr weitergehen wird?
Und ob mit Lio auch Seris bester Freund gemeint ist..?
- Xo, zebisthoughts
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