Kapitel 6 - Keanen - ✔️
„Und ich kann wirklich hier schlafen?"
Sicher zum fünften Mal seit wir in meiner Wohnung sind höre ich diese Frage, und wie jedes Mal nicke ich einfach. „Ja, kannst du. Das Gästezimmer ist neben meinem." Serena seufzt wieder mal, was mittlerweile einfach nur noch niedlich ist. „Ich habe keine Kleider", stellt sie irgendwann fest, und schaut etwas verloren an sich herab. „Warte einen Moment", sage ich, lasse sie stehen und eile in mein Zimmer. Dort öffne ich meinen Kleiderschrank und suche die kleinsten Sachen für sie raus, die ich besitze, aber die werden ihr natürlich noch viel zu gross sein.
Mit einem Pulli und einer Jogginghose die mir zu klein ist laufe ich wieder runter und gebe Serena, die es sich mittlerweile auf dem grossen Sofa bequem gemacht hat, die Kleider. „Sind das deine Sachen?", fragt sie mich mit grossen Augen, während sie den Stapel entgegennimmt, und ich nicke. „Ja, aber die Hose ist mir eh zu klein. Das Badezimmer ist oben, erste Türe links. Willst du duschen?" Serena nickt heftig, und ich lächle. „Gut, Tücher solltest du im kleinen Schrank neben der Dusche finden."
Serena nickt abermals, dann verschwindet sie mit einem kleinen Lächeln nach oben.
Ich laufe in die Küche und nehme mir zwei Tassen, während ich höre, wie oben die Dusche angeht. Eigentlich hat hier jedes Zimmer ein eigenes Badezimmer, aber für die Gäste haben wir ein separates, das nicht ans Gästezimmer grenzt.
„Wieso bist du denn um diese Zeit noch wach?"
Die Stimme meiner Mutter lässt mich etwas aufschrecken, und mir fällt fast der Löffel mit Schokopulver aus der Hand, den ich gerade in eine Tasse befördern wollte.
„Und wer benutzt denn das Gästebadezimmer?"
Meine Mutter wackelt anzüglich mit den Augenbrauen, und ich verdrehe die Augen. „Mom, sie ist nur eine Freundin, da läuft nichts. Wir haben sie heute vor Smith gerettet, sie arbeitet mit mir und hatte auf dem Heimweg eine Panikattacke, weshalb ich mit ihr essen gegangen bin und sie jetzt mit zu uns genommen habe. Zu Hause wäre sie alleine."
Mom nickt müde und hält mir lächelnd auch eine Tasse hin. „Und wie war die Arbeit?", fragt sie weiter, und ich zucke die Schultern. „Ganz okay. Ich bin froh jetzt schon jemanden zu kennen, Serena und ich haben jede Schicht zusammen. Aber der Chef macht mich skeptisch."
Mom schaut fragend auf.
„Er ist so ekelhaft gespielt freundlich, das regt mich auf. Und Serena hat mir heute in der Pizzeria anvertraut, dass er in Wahrheit ein Monster ist. Er hat scheinbar schon eine Mitarbeiterin so lange geschlagen, bis sie gekündigt hat, obwohl sie das Geld dringend gebraucht hätte." Mom nickt nur langsam, und verzieht das Gesicht. „Es gibt wirklich ekelhafte Menschen auf dieser Welt", sagt sie dann, und ich nicke ebenfalls. „Ich werde ihn überprüfen, einfach zur Sicherheit."
Meine Mutter nickt, ehe sie die Augenbrauen zusammenzieht. „Hast du eigentlich noch was von Lionel gehört?" Sie schaut mich fragend an, und ich schüttle den Kopf. „Nein, seit er in Spanien ist nicht mehr. Aber ich möchte ihm seine Ferien gönnen." Mom nickt wieder und nimmt einen Schluck ihrer Schokoladenmilch, dann setzt sie sich auf einen Barhocker. „Wir bräuchten ihn sobald er zurück ist wieder", seufzt sie dann, und ich seufze ebenfalls.
Ich hasse es einen meiner besten Freunde in unsere Arbeit einzubeziehen, Luca und Jona sind schon genug. Aber Lionel ist clever und kann mit Jona zusammen wirklich eines der besten Teams abgeben, die wir haben. Wenn die Beiden im Boot sind bei einem riskanten Auftrag, geht eigentlich nie was daneben. Momentan ist er aber mit seiner Familie in Spanien, und das fast den ganzen Sommer über, weshalb Jona mehr zu tun hat.
„Ich werde ihn mal fragen, wann er nach Hause kommt", murre ich, und Mom lächelt. „Ich gehe wieder schlafen", sagt sie dann, und ich nicke. „Buonanotte, tesoro", sagt sie, und ich lächle. „Buonanotte, mamma."
Mom verschwindet, und gleichzeitig höre ich, wie Serena die Dusche ausmacht. Ich stelle die Schokoladenmilch, die ich für sie gemacht habe, auf die Theke und setze mich mit meinem eigenen Getränk auf den Barhocker, auf dem Mom eben sass, und inspiziere meine Tattoos.
Ich habe mir mit vierzehn mein erstes stechen lassen, bei einem Freund. Danach wurden es immer mehr, und jetzt ist mein Arm fast voll. Aber es sind nicht verschiedene Tattoos wirr durcheinander, sondern sie sind alle aufeinander abgestimmt und ergeben zusammen ein recht schönes Gesamtbild. Mit meinem ersten Tattoo wollte ich eigentlich meinen Eltern eins auswischen, aber es stellte sich dann heraus, dass es ihnen recht egal war, also habe ich weitergemacht.
Ich bin so in meinen Gedanken an die Tattoos versunken, dass ich Serena erst bemerke, als sie sich neben mich setzt.
„Das ist deine", sage ich, und zeige auf die Schokoladenmilch vor ihr. „Danke", murmelt sie und lächelt. Ihre Haare hängen nass über ihre Schultern, und der Pulli reicht ihr bis in die Mitte ihrer Oberschenkel. Unter ihren Augen zeichnen sich dunkle Schatten ab, die darauf deuten lassen, dass sie mindestens so müde ist wie ich.
„Sagen deine Eltern eigentlich nichts, wenn du einfach so jemanden mitnimmst?" Ich schüttle meinen Kopf und grinse. „Das ist vor paar Monaten regelmässig passiert", beichte ich dann, und Serena schaut mich aus grossen Augen an. Ich grinse noch breiter, und sie wendet sich mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen kopfschüttelnd ihrer Schokoladenmilch zu.
„Musst du morgen irgendwo hin?", frage ich sie, und sie schüttelt müde ihren Kopf. „Nein, nur nach Hause", murmelt sie, und ich nicke. Mehr oder weniger synchron trinken wir unsere Tassen leer, und ich stehe auf, um sie in die Spüle zu stellen. „Euer Sofa ist bequem."
Ich drehe mich um und sehe, dass Serena sich auf unserem Sofa ausgebreitet hat und die Augen schliesst. „Seri, du kannst nicht auf dem Sofa schlafen." Grinsend laufe ich zu ihr, doch sie gibt nur ein Murren von sich. „Lass mich", grummelt sie, und ich lache leise. Als sie immer noch keine Anstalten macht, aufzustehen, seufze ich und schiebe meine Arme unter ihren Rücken und ihre Kniekehlen. „Komm, ich bring dich hoch", flüstere ich, und mit einem zufriedenen Lächeln legt Serena ihren Kopf an meine Brust.
Ich schüttle ebenfalls lächelnd den Kopf, während ich langsam mit Serena im Arm die Treppen hinaufsteige und die Türe zum Gästezimmer öffne. Ich lege sie ins Bett und ziehe ihr die Decke über, in die sie sich sofort kuschelt, und ich glaube es dauert keine Minute, und sie schläft schon. Mit einem Lächeln verlasse ich das Zimmer und gehe in mein eigenes, lege mich in mein Bett und drifte ebenfalls direkt in einen traumlosen Schlaf.
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Ich werde durch ein lautes Klopfen an der Wand wach und drehe mich genervt um, doch mein Versuch weiterzuschlafen scheitert, als das Klopfen nicht aufhört. „Elia halt die Fresse", motze ich und schlage meinen Ellbogen an die Wand, bis ich plötzlich realisiere, dass Elia gar nicht hier ist. Verwirrt setze ich mich auf und überlege, wer im Nebenzimmer sein könnte, und dann fällt es mir wieder ein: Serena schläft im Gästezimmer nebenan.
Das Klopfen ist immer noch da, und ich klopfe vorsichtig zurück, um nachzusehen, ob sie wach ist, doch ich bekomme abgesehen von dem dringenden, lauten Klopfen keine Antwort.
Träumt sie?
Ich überlege, was los sein könnte, als mir alles vom vorherigen Tag wieder einfällt. Der Anblick wie Smith sie gegen die Wand gedrückt hat, ihre Panikattacke vor der Gasse – fuck, natürlich träumt sie.
Schnell springe ich auf und verlasse mein Zimmer, ohne darauf zu achten, dass ich kein Shirt trage. Ich reisse die Türe vom Gästezimmer auf und entdecke Serena, die wild um sich schlägt und dabei auch nicht gerade selten die Wand trifft. Ich laufe zum Bett und versuche in ihr Gesicht zu blicken, doch sie dreht es die ganze Zeit hin und her. Also greife ich mit beiden Händen an ihre Wangen und halte sie still, und tatsächlich quellen aus ihren geschlossenen Augen Tränen. Im gleichen Moment schlägt Serena meine Hände heftig weg, und ich weiche etwas zurück.
„Serena wach auf!"
Ich versuche so laut wie möglich zu flüstern, um meine Eltern nicht zu wecken, doch darauf reagiert Serena natürlich nicht. Sie schlägt weiterhin um sich, und ich seufze frustriert. Dann weiche ich zwei Fäusten und einem Tritt aus, schnappe mir ihre Handgelenke, presse sie neben ihrem Kopf in die Matratze und setze mich auf ihre Beine.
Darauf muss sie reagieren.
Ihr ganzer Körper spannt sich immer weiter an, und ich brauche ganz schön viel Kraft, um ihre Handgelenke festzuhalten, doch es zeigt Wirkung. Irgendwann reisst Serena plötzlich panisch die Augen auf und schaut um sich.
„Hey, Seri."
Sie wird auf mich aufmerksam, und ihre blaugrünen Augen bleiben auf meinem Gesicht haften. Sie atmet unregelmässig und schwer, und auch ihre Tränen laufen weiter, doch die Panik weicht langsam aus ihren Augen, als sie realisiert, wo sie ist. Vorsichtig lasse ich ihre Handgelenke los und lege meine Hände auf meine angewinkelten Knie, und Serena schlägt sich die Hände vors Gesicht. „Tut mir leid", nuschelt sie beschämt, und ich kann sogar im Dunkeln erkennen, dass sie rot anläuft.
Lächelnd greife ich nach ihren Händen und nehme sie ihr vom Gesicht. „Das muss dir nicht leidtun, Seri. Du hast schlecht geträumt, das passiert jedem." Serena nickt zittrig, dann fällt ihr Blick auf meinen nackten Oberkörper. „Du sitzt auf mir", bemerkt sie trocken, und ich schaue an mir runter. Tatsächlich sitze ich immer noch auf Serena, und würde man die Hintergründe nicht kennen, könnte das hier sehr falsch aussehen.
Etwas verlegen setze ich mich neben Serena, die sich mittlerweile auch hingesetzt hat, und lehne mich an die Wand. „Du hast von Smith geträumt, oder?" Serena nickt kaum merklich, dann presst sie die Augen zusammen. „Es war so real. Wie wenn er wirklich hier wäre." Ihre Stimme ist dünn, und ich weiss nichts Anderes als sie an den Armen zu packen und in eine Umarmung zu ziehen.
„Es ist vorbei, Seri. Er ist nicht hier, und er wird dir nichts mehr tun. Es ist alles okay, du bist in Sicherheit. Ich bin bei dir." Sie nickt und legt ihre Arme um meinen Oberkörper, während sie ihr Gesicht an meine Schulter legt. „Habe ich dich lange wachgehalten?", fragt sie nach ein paar Minuten, und ich schüttle den Kopf, ehe ich mein Kinn auf ihren Kopf lege. „Nein, nicht wirklich. Aber ich dachte zuerst, du wärst Elia der mir einen Streich spielen will." Leise lacht Serena, und ich grinse ebenfalls. „So gefällst du mir schon viel besser", sage ich irgendwann, und ich spüre ihr Lächeln an meiner Schulter.
„Wie spät ist es eigentlich?", murmelt sie irgendwann, und ich werfe einen Blick auf den Wecker, der auf dem Nachttisch steht. „Halb vier", beantworte ich ihre Frage, und Serena seufzt. „Ich bin ja eigentlich müde, aber schlafen werde ich wohl nicht mehr können."
Ich überlege, was ich tun könnte, damit sie doch noch schlafen kann. „Und wenn ich hierbleibe?", frage ich schlussendlich, und etwas erschrocken schaut mich Serena an.
„Wie, hier?" Sie deutet mit dem Finger auf das Bett, und ich grinse.
„Ja. Es ist immerhin für zwei Personen gedacht."
Etwas überrumpelt schaut Serena mich an, dann senkt sie den Blick. „Vielleicht... könnte das wirklich helfen", nuschelt sie, und sobald sie das ausgesprochen hat, lege ich mich auch schon hin und strecke alle Viere von mir. Serena lacht, dann legt sie sich mit einem sicheren Abstand neben mich.
„Habe ich dich eben eigentlich geschlagen?" Serena dreht ihren Kopf und schaut mich an. Ich starre weiterhin nach oben und lache. „Ja, aber nicht fest. Dem Rest konnte ich ausweichen, ich kann kämpfen." Serena lächelt, dann dreht sie ihren Kopf wieder und starrt ebenfalls nach oben.
„Das tut mir leid", flüstert sie, und ich grinse schief. „Hör auf dich für Dinge zu entschuldigen, für die du nichts kannst", erwidere ich nach einer Weile, und Serena schaut mich wieder an. Diesmal drehe ich meinen Kopf auch, und mein Blick fängt ihren automatisch auf. Eine Zeit lang schauen wir uns stumm in die Augen, dann reisse ich meinen Blick los und mustere ihr ganzes Gesicht.
Serenas dunklen Haare liegen überall um ihren Kopf herum verteilt auf dem Kissen, ihre Lippen sind zu einem leichten Lächeln verformt, und ihre kleine Stupsnase wird vom Mondlicht, das durch das Fenster scheint, etwas beleuchtet. Ihre dichten Wimpern geben nochmal einen Kontrast zu ihren hellen Augen, und ihre etwas markanten, aber trotzdem noch sanften Wangenknochen machen ihr Gesicht zu etwas Speziellem.
Man muss Serena einfach anschauen.
„Ist etwas?", flüstert sie plötzlich, und mein Blick huscht wieder zu ihren Augen.
„Nein. Du bist einfach hübsch."
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Sooo Kapitel 6 ist da :3
Tjaa was haltet ihr bisher so von Kea und Seri? ;)
- Xo, zebisthoughts
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