Ich trete in die kühle Nachtluft hinaus und ziehe meine Lederjacke enger um meine Schultern, ehe ich mich zum Parkplatz begebe, wo Jona mich abholen soll. Keanen hat sich eben von mir verabschiedet und ist gerade weggefahren, und ich schaue seinem Audi hinterher. Hübsches Modell denke ich mir, und erwische mich dabei, wie ich lächelnd an den Abend zurückdenke.
Es ist das erste Mal seit langem, dass ich wieder Spass bei der Arbeit hatte, und das nur, weil Keanen meinen eher seltenen Humor teilt. Was mich überrascht, ist, dass er Rainhard so schnell durchschaut hat. Auch wenn er den netten Chef raushängen lässt, ist er in Wahrheit ein richtiges Monster. Er hat eine ehemalige Mitarbeiterin von mir geschlagen, bis sie gekündigt hat, obwohl sie das Geld so dringend gebraucht hätte. Eigentlich durchschauen ihn die neuen nie, aber ich glaube Keanen hat sofort gemerkt, dass er falsch ist.
Ich trete von einem Bein aufs andere, während ich darauf warte, dass Jona mit seinem BMW um die Ecke kommt, doch er kommt nicht. Genervt schaue ich auf mein Handy und will meinem Bruder schreiben, als er mir zuvorkommt.
Jona: Hey Kleine, es tut mir leid aber ich kann nicht kommen. Zia hatte einen kleinen Unfall, weshalb ich mit ihr ins Krankenhaus gehen musste. Bitte sei mir nicht allzu böse
„Merda, das kann doch nicht sein Ernst sein!" Ich stecke angepisst mein Handy ohne meinem Bruder zu antworten wieder in meine Jackentasche und überlege, was ich jetzt tun soll. Einen Bus gibt's nicht, und ein Taxi ist mir zu teuer, also bleibt mir wohl nur der Weg zu Fuss übrig. Widerwillig laufe ich los, krame nach meinen Kopfhörern und stöpsle sie in meine Ohren, während ich nach meiner Lieblingsplaylist suche. Leise summe ich die Melodie mit und frage mich, was wohl mit Zia passiert ist, dass sie ins Krankenhaus musste.
Ich laufe an den wenigen Passanten vorbei, die jetzt noch unterwegs sind, und wenn ich an Jungs Gruppen vorbeilaufe, senke ich den Kopf, wie Jona es mir als kleines Mädchen gezeigt hat. Zu allem Überfluss fängt mein Magen auch noch an, verlangend zu knurren, und ich würde am liebsten schreien. Bis ich zu Hause bin dauert es sicher noch zehn Minuten, auch, wenn ich schon fast renne.
Ich laufe weiter und sehe, wie im schwachen Licht der Laternen die Halle näherkommt, bei der heute das Spiel stattgefunden hat. Ich senke den Kopf wieder, doch als ich an der Gasse angelange, in der Smith mich heute gegen meinen Willen angefasst hat, bleibe ich automatisch stehen. Ich schaue in die Gasse und fixiere den Punkt an der Mauer, wo ich stand, und die Bilder von Smith und wie er mich anfasst schiessen nacheinander in meinen Kopf. Ich spüre wieder seine Hände an meinem Körper, und ein bitterer Geschmack macht sich in meinem Mund breit, während ich unkontrolliert zittere.
Beruhige dich, Serena. Es ist alles okay.
Ich wiederhole diese Sätze immer wieder, doch ich sehe immer wieder Smith vor mir, und ich spüre wieder dieselbe Lähmung in meinen Beinen, wie vor ein paar Stunden. Panisch fange ich an nach Luft zu schnappen, doch ich habe das Gefühl, nur aus und nicht einzuatmen. Tränen verlassen meine Augen als ich feststelle, dass ich alleine bin, und ich bemerke das Auto gar nicht, dass in meiner Nähe parkiert.
Plötzlich nimmt mir jemand die Kopfhörer raus und legt eine Hand auf meine Schulter, und ich schreie vor Schreck auf.
Für einen kurzen Moment sehe ich Smith vor mir, doch dann erkenne ich Keanen. Er sieht mich, und dannd die Gasse besorgt an, und scheint zu verstehen, was mit mir los ist. „Komm, wir gehen hier weg", murmelt er sanft, und seine Stimme beruhigt mich etwas, doch meine Beine gehorchen mir immer noch nicht. Ich versuche einen Schritt nach vorne zu machen, doch ich bleibe an meinem anderen Bein hängen und stolpere.
Gerade als ich glaube, Bekanntschaft mit dem Boden machen zu dürfen, legen sich zwei starke Hände an meine Hüften, und ich werde hochgehoben. „Was hat der Kerl bloß mit dir gemacht", höre ich Keanen mehr zu sich selbst flüstern als zu mir, und dann hänge ich kopfüber von seiner Schulter runter. Kurz darauf werde ich in einen Sitz gedrückt, und Keanen beugt sich über mich, um mich anzuschnallen. Schlussendlich setzt er sich neben mich hinters Steuer, und ich schaffe es, meine Atmung wieder etwas unter Kontrolle zu bekommen.
„Was hast du hier gemacht?", fragt der Italiener ehrlich interessiert, während er vom Platz fährt, und ich senke den Blick.
„Ich bin nach Hause gelaufen", erwidere ich immer noch etwas geschockt, und ich spüre Keanens brennenden Blick auf mir.
„Alleine? Nachts?" Seine Stimme ist überrascht, und ich nicke.
„Ja. Eigentlich wollte Jona mich abholen, aber seine Freundin musste ins Krankenhaus, und er ist mitgegangen."
Keanen schnaubt. „Dann hat er dich also alleine nach Hause laufen lassen?", fragt er, doch es ist mehr eine Feststellung. Ich nicke wieder, und Keanen pustet laut aus. „Dann bist du also auch alleine zu Hause?", hackt er nach, und ich schaue ihn etwas verwirrt an. „Ja, ich glaube schon" antworte ich verwirrt, und Keanen nickt.
„Gut, dann gehen wir was essen", beschliesst er, ohne mich überhaupt zu fragen, doch gerade als ich protestieren will, meldet sich mein Magen wieder. Keanen grinst, und ich seufze ergeben.
„Aber um diese Zeit ist doch nichts mehr geöffnet", versuche ich es trotzdem, doch mir hätte klar sein sollen, dass Keanen auch für das schon eine Lösung parat hat. „Ich habe einen guten Freund, der in einer Pizzeria arbeitet. Die schliesst erst in den frühen Morgenstunden." Ich nicke ergeben und lehne meinen Kopf gegen die Fensterscheibe, um meine Stirn etwas zu kühlen.
„Danke", murmle ich irgendwann, und Keanen lächelt. „Du musst dich nicht bedanken", erwidert er ebenfalls leise, und ich kann mir jetzt schon denken, dass auch hier Protest keinen Sinn hat, also lasse ich es einfach. Eine Weile sagt keiner was, doch ich spüre Keanens Blick hin und wieder auf mir.
„Wie geht's dir?", fragt er plötzlich in die Stille hinein, und ich erschrecke etwas. Er lächelt, und ich verdrehe die Augen. „Ich komm klar", lüge ich schnell, doch Keanen zieht eine Augenbraue hoch. „Lüg nicht", seufzt er, und ich murre frustriert. „Okay, nicht gut. Du hast es ja selbst gesehen." Keanen nickt, scheint jedoch nichts mehr zu sagen zu haben. Dann biegt er in eine kleine Strasse, an deren Rand er das Auto parkiert.
„Hier sind wir", eröffnet der Italiener feierlich, und ich steige aus. Mittlerweile gehorchen mir meine Beine zum Glück wieder, und Keanen muss mich nicht nochmal tragen. Vor uns erscheint ein kleines Restaurant, in dem die Lichter tatsächlich alle noch brennen, und es sitzen sogar ein paar Menschen an den Tischen und unterhalten sich. Keanen hält mir die Eingangstüre auf, und ich betrete mit einem Lächeln das Restaurant, in dem es nach Pizza und Pasta riecht.
Sobald Keanen neben mich tritt kommt ein etwas rundlicher Mann auf uns zu und lächelt Keanen breit an. „Kea! Wie schön, dass du wieder mal kommst. Und wie ich sehe, hast du Begleitung dabei?" Keanen nickt und sieht kurz zu mir. „Das ist Serena, eine... Freundin von mir." Der Mann schaut mich aus seinen gütigen braunen Augen an und lächelt.
„E' carina", sagt er lächelnd, und ich werde augenblicklich rot. Keanen lacht, und als er dann mit einem kurzen Blick zu mir nickt, werde ich sogar noch röter.
„Lei parla italiano", klärt er den Mann auf, und dieser schaut mich aus grossen Augen an. „Eine Italienerin also?", fragt er glücklich, und ich nicke schmunzelnd. Die Röte weicht langsam wieder aus meinem Gesicht, doch Keanens Hand auf meinem Rücken hilft mir nicht wirklich. „Wunderbar!", jubelt der rundlichere Mann förmlich, und ich lache jetzt sogar leicht.
„Setzt euch doch", bietet der Mann an, und Keanen nickt. Er führt mich zu einem kleinen Tisch und zieht mir sogar den Stuhl zurück, was ich mich gehobenen Augenbrauen kommentiere.
„Du bist ja ein wahrer Gentleman", witzle ich, und Keanen lacht, während er sich ebenfalls setzt. „Nein, eigentlich nicht, aber ich kann tatsächlich nett sein." Ich lache ebenfalls, und der Mann von eben hält uns beiden eine Karte unter die Nase. „Das ist übrigens Francesco, ihm gehört der Schuppen hier." Ich nicke und lächle, als ich die detaillierte Einrichtung begutachte. Das Restaurant ist nicht gross, doch überall hängen Bilder oder stehen irgendwelche Skulpturen, was darauf deuten lässt, dass Francesco das Restaurant hier mit Liebe eingerichtet hat und führt.
„Bist du oft hier?", frage ich Keanen, und er sieht von seiner Karte auf. „Ja, ich bin so gesagt der beste Stammkunde den es gibt." Er lächelt schief, und auch auf meine Lippen legt sich ein leichtes Grinsen. Francesco kommt wieder an unseren Tisch, und wir nennen ihm unsere Bestellung. „Zweimal eine Pizza Salami? Geht klar!" Er verschwindet wieder in der Küche, vorher jedoch zwinkert er Keanen nochmals zu. Dieser verdreht daraufhin nur die Augen, während mir wieder die Röte ins Gesicht steigt.
Mein Handy rettet mich und gibt mir einen Grund, Keanen nicht anzuschauen. Schnell öffne ich WhatsApp als ich sehe, dass mir Jona nochmal geschrieben hat.
Jona: Seri?
Jona: Bist du zu Hause angekommen?
Ich schnaube, beschliesse jedoch, ihm trotzdem kurz zu schreiben.
Serena: Sitze gerade mit Keanen beim Italiener, der so freundlich war mich nach einer Panikattacke bei der Halle mitzunehmen. Wie geht's Zia?
Es interessiert mich ehrlich gesagt nicht, wie's Zia geht, weil ich sie immer noch nicht ausstehen kann, aber das will ich Jona nicht so sehr spüren lassen.
„Dein Bruder?"
Verwundert schaue ich auf und blicke direkt in Keanens belustigtes Gesicht. „Ja. Eventuell habe ich ihm nicht geschrieben wo ich bin, nachdem er mich abserviert hat." Keanen grinst und nimmt einen Schluck seiner Cola, die Francesco eben hingestellt hat.
„Wo sind eigentlich eure Eltern?"
Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung, bereisen wohl gerade wieder die Welt." Keanen schaut mich etwas verwirrt an. „Wohnt ihr nicht mehr zu Hause?", hackt er dann nach, und ich schüttle den Kopf. „Nein, schon lange nicht mehr. Seit gut zwei Jahren wohnen wir mit meiner besten Freundin Alessia und ihrem Freund Bale zusammen, aber Bale ist erst seit paar Monaten dabei."
Keanen nickt und nimmt wieder einen Schluck. „Warte, meinst du etwa Bale Black?" Ich nicke, erstaunt darüber, dass Keanen ihn kennt. „Ja, Smiths Bruder. Woher kennt ihr euch denn?"
„Wir hatten einige Kurse zusammen in der Highschool, da lernt man sich schon bisschen kennen. Und ausserdem hat er da schon immer von Alessia geschwärmt." Ich lache, und Keanen grinst ebenfalls. „Gehst du eigentlich noch zur Schule?" Ich schüttle den Kopf. „Nein, ich habe letztes Jahr meinen Abschluss gemacht. Jetzt arbeite ich nur alle drei Tage in der Bar, mehr nicht." Keanen schaut mich nachdenklich an, dann nickt er. „Okay", ist alles, was er dazu sagt.
Wir essen schweigend unsere Pizzen, und erneut vibriert mein Handy, doch ich lese die Nachrichten nicht. Ich habe jetzt keine Lust, mich mit meinem Bruder über WhatsApp zu streiten, das kann ich immer noch morgen machen.
„Willst du mal studieren?", fragt mich Keanen zwischen zwei Bissen weiter aus, und ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht. Aber jetzt gerade bin ich mit meinem Leben eigentlich ziemlich zufrieden. Und du?" Keanen schüttelt den Kopf. „Nein. Ich werde irgendwann die Firma meines Dads übernehmen und mich bis dahin mit dem Job in der Bar durchschlagen." Ich nicke und esse schweren Herzens das letzte Stück meiner Pizza, was Keanen mit einem belustigten Lächeln kommentiert.
„Bist du eigentlich zu hundert Prozent Italienerin?" Ich schüttle den Kopf, und lege den Kopf schief. „Leider nicht, nein. Meine Mutter ist Amerikanerin. Und du?" Keanen nickt. „Ja, zum Glück. Ich liebe Italien." Ich grinse und nehme den letzten Schluck meines Getränks. Wir unterhalten uns noch etwas über alles Mögliche, dann zahlt Keanen unter lautem Protest meinerseits, und so sitzen wir später in seinem Auto.
„Ist bei dir jetzt jemand zu Hause?" Ich schüttle den Kopf, und Keanen biegt ab. „Was machst du da?", frage ich erschrocken, und erkenne ein Lächeln auf seinen Lippen. „Ich lasse dich nicht alleine, wenn du vor wenigen Stunden noch panische Angst hattest. Wer weiss, ob du vielleicht träumst? Du kommst mit zu mir."
Mir klappt die Kinnlade runter und ich setze mich kerzengerade auf. „Ich kenne dich noch nicht mal einen Tag, ich kann doch nicht einfach bei dir schlafen!" Keanen sieht mich aus dem Augenwinkel heraus an, und ich erkenne sofort, dass jeder Protest sinnlos ist. „Wir haben ein Gästezimmer in dem du schlafen kannst. Ich will dich einfach nicht alleine lassen, okay?"
Ich seufze und nicke. „Na dann", ergebe ich mich zum x-ten Mal heute Abend, und Keanen grinst. Idiota.
--
Heyy, Kapitel 5 ist jetzt also da :)
Irgendwie süss, wie Kea sich um Serena sorgt, nicht?
Und was denkt ihr über den Chef der beiden? Wieso hat Keanen ihn so schnell einschätzen können?
- Xo, Zebisthoughts
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top