Kapitel 42 - Keanen - ✔️
„Wo ist Serena hin?" Emilio sieht mich fragend an, und ich zeige in Richtung der Toiletten. „Sie musste sich plötzlich übergeben", sage ich nur, und Emilio blickt meiner Hand kurz besorgt nach, dann nickt er und setzt sich. „Wie geht's Lucía?", frage ich meinen Cousin, und er vergräbt sein Gesicht in seinen Händen, um sich über die Augen zu reiben. „Gut soweit. Sie wird gerade untersucht, aber die Ärzte denken, dass sie einfach zu fest festgehalten wurde, und sie deswegen Gefühlsstörungen hat, die aber zum Glück nur vorübergehend sind."
Ich nicke und lege seufzend meinen Kopf in den Nacken, bis er die Wand hinter mir berührt. „Du siehst fertig aus", stellt Emilio fest, und ich grinse schief. „Bin ich auch." Das ist alles, was ich dazu sage, weil es nicht mehr zu sagen gibt. Ich bin fertig mit allem. Mit den Nerven, mit meinen Gefühlen, mit mir selbst.
„Es wird schon wieder besser, hab' Geduld." Ich nicke nur und schließe die Augen. Ich habe mir Jonas Worte in der vergangenen Stunde, in der wir hier saßen, durch den Kopf gehen lassen, und mich entschieden. Ich werde kämpfen. Wenn Serena mich wirklich nicht mehr in ihrem Leben haben will, dann wird sie mir das zeigen, da bin ich mir sicher. Ich werde ihr die Zeit lassen, die sie braucht, und mich versuchen, langsam wieder etwas an sie heran zu wagen.
Vorerst nur als Freunde, damit wir sehen, ob wir überhaupt noch miteinander klarkommen können. Vielleicht entwickelt sich danach wieder mehr, doch wenn nicht kann ich es Serena nicht verübeln. Ich würde gerade alles tun, um überhaupt eine Rolle in ihrem Leben zu spielen, so viel steht fest.
„Das gefällt mir einfach nicht", murmelt Luca plötzlich, der neben mir sitzt, und ich sehe ihn fragend an. „Jack ist nirgends aufzufinden", sagt er, und ich seufze. Das war schon immer so. „Der wird sich schon früh genug zeigen", knurrt Elia nur missmutig, und Recht hat er dabei schon irgendwie. „Er wird sich uns in paar Tagen sowieso stellen müssen, denn wir haben diesen Matteo und alle Mädchen, die er entführt hat. Ich glaube, er wird auftauchen müssen." Ich nicke nur und schließe wieder meine Augen.
„Wie lange bleiben die denn da drin?", murmelt Luca, und sieht zur Toilette rüber. Die Schwester ist eben rausgegangen und kommt jetzt gerade wieder den Gang entlanggelaufen, mit zwei Verpackungen in der Hand. „Vielleicht ist sie krank und bekommt gerade etwas dagegen oder so", mutmaße ich, und die Jungs geben sich damit zufrieden. „Oder sie hat ihre Tage bekommen", meint Elia schulterzuckend.
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Mittlerweile ist Serena mit der Schwester in ein anderes Zimmer gegangen, das ich nicht mehr sehen kann. Aber ich glaube nicht, dass Elias Theorie noch richtig ist. Es sind schon wieder zwanzig Minuten vergangen, und ein Arzt kommt auf uns zu. „Emilio Salvatore", sagt er, und Emilio steht auf. „Darf Keanen mitkommen?", fragt er, und ich sehe ihn etwas verdutzt an. Wieso will er mich denn dabeihaben? „Klar", sagt der Arzt und lächelt mir kurz zu. Ja, die Ärzte kennen mich hier schon.
Ich stehe auf und folge Emilio und dem Arzt in ein Zimmer. Es ist wie jedes andere Krankenzimmer in diesem komischen Weiss gestrichen, nur die Wand hinter den Betten ist in einem Pastellgrün gestrichen worden. Es ist zwar gewöhnungsbedürftig, aber irgendwie hat es auch etwas beruhigendes, Frisches an sich. Wahrscheinlich war das auch genau das Ziel des Architekten, der diese Zimmer entworfen hat.
Lucía liegt in einem Bett am Fenster und hat die Augen geschlossen. Ihre schwarzen, kurzen Haare liegen um ihr Gesicht rum verteilt auf dem Kissen, und in ihrer Hand steckt eine Nadel. „Wie geht's ihr?", fragt Emilio leise, und der Arzt lächelt ihn aufmunternd an. „Besser, sie hat wieder einigermaßen ein Gefühl in ihren Fingern entwickelt. Jedoch hat sie eine mittelschwere Gehirnerschütterung, weshalb wir sie gerne eine Nacht hierbehalten möchten. Nur zur Überwachung, mehr nicht."
Emilio und ich nicken erleichtert, und dann setzt Emilio sich an das Bett von Lucía. „Was läuft da eigentlich?", frage ich ihn, und er lächelt. „Ich glaube, wir sind sowas wie zusammen", flüstert er, um Lucía nicht zu wecken. Ich grinse breit und setze mich neben Emilio. „Ich wusste es", murmle ich, und Emilio grinst schief. „War ja klar."
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Jona hat Serena abgeholt. Ich starre verwirrt an die Decke und versuche seit einigen Stunden, Schlaf zu finden, doch es klappt nicht wirklich. Alles in diesem Zimmer erinnert mich an Serena, und ich frage mich, wie lange das noch so gehen wird. Im Gästezimmer kann ich auch nicht pennen, weil auch dort einige Erinnerungen an Serena sind.
Wir mussten uns ja auch einmal durchs komplette Haus vögeln.
Bei dem Gedanken grinse ich leicht, denn es stimmt schon irgendwie. Ich drehe mich seufzend zur Wand und starre nun auf das leere Kissen neben mir, was mich auch nicht weiterbringt.
Toll.
Ich erhebe mich seufzend und ziehe mir meine Jogginghose über, dann verlasse ich leise mein Zimmer. Unten in der Küche entdecke ich meine Mutter, die sich über einige Dokumente beugt. „Mamma?" Meine Mutter dreht sich um und sieht mir in die Augen. „Keanen, du bist noch wach?" Ich nicke und gehe um die Theke herum, um mir ein Glas Wasser einzuschenken.
„Konnte nicht schlafen", sage ich nur, und Mom nickt. „Was ist das?", frage ich, und zeige auf die Dokumente. „Nur ein paar Rechnungen, die ich morgen Lorenzo zeigen werde. Ich sortiere sie." Ich nicke bloss, denn ich habe gerade keine Lust dazu eine Diskussion mit meiner Mutter anzufangen, dass sie nicht bis in die Nacht arbeiten soll. „Geh bitte nachher schlafen", sage ich nur, und meine Mutter nickt mit einem Lächeln.
„Was hält dich denn wach?", fragt sie mich, und ich seufze. „Serena", murmle ich nur, und Mom nickt verstehend. „Gib ihr Zeit", rät sie sanft, und ich schnaube. „Das tue ich ja, aber ich will auch wissen, ob sich das Warten überhaupt lohnt." Mom nickt und legt die Unterlagen beiseite.
„Ich denke, es wird sich lohnen. Und wenn nicht, dann hast du deine Lektion gelernt. Aber wenn ich daran denke, wie Serena dich angeschaut hat, wird sie dich nicht einfach so vergessen können. Das spüre ich. Sie hat sich trotz deines Geheimnisses für dich entschieden, das zeigt, dass sie Größe hat und viel auf sich nimmt, um mit ihren Liebsten zusammen sein zu können. Gib die Hoffnung nicht so schnell auf."
Meine Mutter steht auf und gibt mir einen Kuss auf die Wange, dann verschwindet sie. Ich bleibe noch eine Weile in der Küche stehen und drehe das Glas hin und her, bis ich es mit einem Zug leere und auf die Platte stelle.
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„Ich will aber zu Serena!" Lucía steht neben ihrem Krankenbett und hat die Arme vor der Brust verschränkt. „Okay, dann fahren wir eben zu ihnen", murre ich und verfluche Emilio dafür, dass er heute nicht kommen konnte. Natürlich war ich so nett, Lucía abzuholen, aber langsam bereue ich es. „Komm", sage ich bloss, und Lucía folgt mir breit grinsend aus dem Zimmer. Ich verfrachte sie in mein Auto und steige dann selbst ein, aber dank Lucías Kopf kann ich keine Musik oder so hören, weil sie davon direkt Schmerzen bekommt.
„Deine Tabletten hast du genommen?", frage ich, und das Mädchen neben mir nickt. „Ja, alle." Ich nicke und starte dann den Motor. Der Verkehr ist heute mal wieder super nett, und statt zehn brauchen wir vierzig Minuten, bis wir bei Serena sind. „Ich hoffe sie ist überhaupt zu Hause", sage ich, und klingle. Es dauert eine Weile, doch dann ertönt Serenas Stimme.
„Hallo?" Ich lächle leicht. „Hey, Serena. Bevor du einen Schreck kriegst, Lucía wollte unbedingt zu dir. Lässt du uns rein?" Es dauert eine Weile, dann ertönt der Summton. Ich halte Lucía die Türe auf, und sie drückt den Liftknopf. Im Lift steigt meine Anspannung, da ich das erste Mal wieder in der Wohnung sein werde, ohne eine Beziehung mit Serena zu haben.
Oben angekommen steht Serena schon im Türrahmen, und als ich sie sehe stockt mir der Atem. Sie sieht noch mitgenommener aus als gestern. Lucía fällt ihr glücklich in die Arme, und Serena lächelt zwar, doch ihren Blick wendet sie nicht von mir ab. Etwas nervös stehe ich hinter Lucía und halte ihre Tasche in den Händen.
„Kommt doch rein", sagt Serena dann, und zieht Lucía mit sich. Etwas erstaunt betrete ich die Wohnung ebenfalls, und entdecke Jona, der gerade etwas zockt. „Du kannst dich gerne dazusetzen", sagt er sofort, als er mich etwas hilflos im Flur stehen sieht, und ich nicke. „Danke", seufze ich als ich mich aufs Sofa fallen lasse, und Jona drückt mir einen Controller in die Hand. „Keine Ursache", meint er nur, und ich höre, wie die Mädchen kichernd in Serenas Zimmer verschwinden.
„Mario Kart?", fragt Jona grinsend, und ich nicke schief lächelnd. „Immer gerne."
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Nach zwei Stunden, in denen Jona und ich uns mehr oder weniger die Köpfe eingeschlagen haben, tauchen Lucía und Serena wieder auf. „Ich würde gerne gehen", verkündet Lucía, und ich will schon aufstehen, als Jona mir zuvorkommt. „Ich bringe dich", sagt er schnell, und ich schaue ihn verwirrt an. Serena funkelt ihren Zwilling ziemlich wütend an, doch der grinst nur frech zurück. Lucía verabschiedet sich von uns, und dann sind die beiden aus der Türe raus. Eine Weile bleiben Serena und ich einfach so stehen, und es wird unangenehm.
„Willst du?", frage ich deshalb unsicher, und halte Jonas Controller in die Luft. Serenas Augen leuchten kurz auf, und sie nickt. Dann kommt sie auf das Sofa und setzt sich mit einem sicheren Abstand neben mich. Wir zocken eine Weile, bis Serena plötzlich den Controller weglegt. „Wieso hast du all diese Dinge gesagt?", fragt sie mich, und etwas überrumpelt lege ich meinen Controller ebenfalls weg, und drehe mich zu Serena.
„Ganz ehrlich? Ich weiss es selbst nicht. Ich habe keine Ahnung, was da mit mir falsch gelaufen ist. Ich habe nie so über dich gedacht, das musst du wissen. Ich wollte dich auch nie so verletzen, immerhin liebe ich dich. Alles was ich jemals wollte war, dich zu beschützen und für dich da zu sein. Der Halt zu sein, den du benötigst. Ich kann dir nur sagen, dass mir alles so unglaublich leidtut. Ich wollte nie dass es so weit kommt, und ich hasse mich selbst jeden Tag mehr dafür. Ich wollte dich nie verlieren, du warst und bist immer noch mein Traummädchen. Ich vermisse dich unglaublich und habe keine Ahnung, ob ich das, was passiert ist, überhaupt jemals wieder gut machen kann. Ich wäre dazu bereit alles zu tun, wirklich."
Ich schaue Serena eine Zeit lang direkt in die Augen, und sie nickt dann langsam.
„Ich hoffe du verstehst, dass ich meine Zeit brauche. Ich kann nicht einfach so tun als wäre nichts. Du hast mich unglaublich verletzt, ich glaube ich habe mich noch nie so scheisse gefühlt wie in den vergangenen Tagen. Aber ich will auch nicht einfach alles aufgeben, verstehst du? Ich vermisse dich doch auch. Ich will doch auch nur, dass es wieder so ist wie vorher, aber ich weiss nicht mal, ob ich das noch kann. Ob ich es vergessen kann."
Ich schüttle den Kopf.
„Du sollst es auch nicht vergessen, Serena. Das wird nie klappen. Falls du kannst wäre ich einfach froh, wenn du mir vielleicht irgendwann vergeben könntest. Das wäre mir schon unglaublich wichtig." Serena nickt nur und rutscht dann etwas auf ihrem Platz rum, was mir zeigt, dass sie noch nicht fertig ist. „Was ist denn?", frage ich deshalb, und Serena sieht mich kurz an.
„Kea, ich... wir... das ist schwer. Fuck. Okay, nochmal." Sie holt tief Luft, und ich sehe das Mädchen vor mir gespannt an.
„Ich bin schwanger, Keanen. Du wirst Vater."
Was?
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Keanen weiss es also jetzt.
Aber seine Reaktion erfahrt ihr erst im nächsten Kapitel ;)
Was haltet ihr von seinem "Geständnis" bzw. Keas Entschuldigung gegenüber Seri?
- Xo, Zebisthoughts
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