Kapitel 40 - Keanen - ✔️

„Keanen Salvatore." Elia steht mit finsterer Miene in meinem Zimmer, und ich seufze. „Was denn?", murre ich, und stelle meinen Koffer ab. Ich bin vor einigen Stunden erst angekommen, und es ist schon später Nachmittag. „Dad ist außer sich."

Ich schaue Elia fragend an, da Dad der letzte ist, der sich über was aufregt. „Wieso denn Dad?", frage ich also, und will mich an Elia vorbeischlängeln und auf mein Bett setzen, doch Elia hält mich an der Schulter auf. „Weil du Lio und Serena alleine hast zurückfliegen lassen, und somit schutzlos in Mailand herumgetigert bist, vielleicht?" Elia sieht mich scharf an, und auch sein Tonfall sagt mir, dass ich jetzt nicht spaßen sollte.

„Ich schaue heute oder morgen vorbei. Versprochen." Elia nickt nur und lässt mich dann endlich los. „Wie geht's dir?", fragt er dann plötzlich, und ich fahre etwas erstaunt über die Frage herum. „War schon besser", sage ich nur, obwohl dass die Untertreibung des Jahres ist. Es geht mir beschissen, aber im Gegensatz zu Serena habe ich es auch einfach verdient.

„Ich muss dir nicht sagen, dass du ein Idiot bist, oder?" Elia dreht sich zu mir um und mustert mich. „Das weiss ich tatsächlich schon selbst", zische ich nur, und Elia schüttelt den Kopf. „Nicht nur wegen Serena. Hör auf zu lügen und gib wenigstens zu, dass es dir beschissen geht und der Hass auf dich selbst so groß ist wie noch nie. Du kannst vielleicht Lio oder so was vormachen, aber ich bin dein gottverdammter Bruder und ich kenne dich."

Ich schaue Elia überrascht an, weil ich sowas wirklich nicht von ihm erwartet habe. Dann schüttle ich nur den Kopf und wende mich meinem Koffer zu. „Ich will nicht reden", murre ich, und höre Elia seufzen. „Ich habe doch gerade gesagt du sollst nicht lügen!", zischt er, und ich drehe mich ruckartig zu ihm um. „Dann sag mir doch verdammt noch mal was ich will, wenn du es so gut weißt!"

Ich habe lauter als beabsichtigt gesprochen, doch es ist mir egal. Elia sieht mich eine Weile lang nur an, dann kommt er zu mir und umarmt mich. Etwas überrumpelt stehe ich da, da Elia und ich uns selten umarmen. Doch dann erwidere ich die Umarmung meines Bruders und merke, wie sich tatsächlich ein Teil meiner Anspannung auflöst.

„Siehst du, tut doch gut", murmelt Elia leise lachend, und ich grinse ebenfalls. „Bilde dir nichts darauf ein", erwidere ich nur, und spüre erneut Elias raues Lachen.

„Ich hab' deine Gitarre auf Vordermann gebracht." Ich löse mich von meinem Bruder und sehe ihn ungläubig an. „Du kannst das?", frage ich dann, und Elia nickt grinsend. „Ich kann sogar spielen, aber du warst zu sehr auf die Arbeit fokussiert, um das zu merken. Und ich habe es etwas vor dir versteckt um dich damit zu überrumpeln." Ich grinse breit und schüttle den Kopf. „Dann gehen wir jetzt was spielen. Ich habe schon lange keine Gitarre mehr gespielt." Elia nickt, und seine Augen leuchten.

Wir spielen beide seit wir klein sind ein Instrument. Elia hat Schlagzeug gelernt, während für mich die E-Gitarre genau das richtige war. In der Musik haben wir Ablenkung zum Training und all den Geschäften gefunden, doch seit Dad mich offiziell in die Geschäfte miteingeschlossen hat, habe ich kaum noch Zeit zum Spielen gefunden. Deshalb freue ich mich gerade umso mehr.

Elia schließt unseren eigenen, schalldichten Musikraum auf, und sofort stürze ich auf meine Gitarre zu, die schon bereitsteht. Ich schließe sie an den Verstärker an und übe einige Griffe, bis sich meine Finger wieder an das Gefühl der Saiten gewöhnt haben. „Million miles away?", fragt mich Elia, und spielt damit auf einen Song an, den wir selbst geschrieben haben. „Immer gerne", sage ich grinsend, und spiele die ersten Akkorde. Elia nimmt seine Drumsticks in die Hand und fängt an, mir den Takt anzugeben. Ich brauche zwei Anläufe, bis ich es schaffe das Lied zu spielen, doch dann funktioniert es einwandfrei.

„Du bist immer noch gut!", lacht Elia, als das Lied beendet ist, und ich grinse ihn an. „Was dachtest du denn? Ich lasse mich doch nicht einfach von meinem kleinen Bruder überholen." Elia lacht, dann öffnet sich die Türe. „Keanen? Du hast Besuch." Meine Mutter streckt ihren Kopf in den Raum, und ich stehe verwirrt auf. Dann ziehe ich das Kabel für den Verstärker aus meiner Gitarre und hänge sie wieder in ihre Halterung an die Wand.

„Seit wann bekomme ich denn Besuch?", murmle ich, und Mom zuckt mit den Schultern. Ich laufe hoch in mein Zimmer und bleibe wie angewurzelt stehen, als sich Jona von meinem Bett erhebt. Ich schließe die Türe und lehne mich dann dagegen. „Also dich hätte ich hier nicht erwartet", sage ich dann, und Jona schnaubt. „Das interessiert mich herzlich wenig."

Ich schaue ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Was ist? Wenn du mir jetzt auch noch sagen willst, dass ich ein Arsch bin und alles versaut habe – spar's dir."

Jona sieht mich kurz irritiert an, dann fährt er sich kopfschüttelnd durch die Haare. „Du hattest eine einzige verdammte Aufgabe", zischt er dann, und sieht mir direkt in die Augen. „Es war deine Aufgabe auf meine Schwester aufzupassen und sie nicht zu verletzen. War das so schwierig?" Jona stellt sich vor mich, und ich spüre seine Wut, die er unterdrückt.

„Verdammt Jona wie oft soll ich es Leuten noch sagen, dass es mir leidtut und ich sowas nicht wollte? Ich kann es auch nicht mehr rückgängig machen, verstehst du das? Ich wünschte ich könnte etwas an der Situation ändern, und ich habe langsam echt die Schnauze voll davon, dass jeder von euch einzeln vorbeikommen muss, um mir nochmal unter die Nase zu reiben, dass ich ein Idiot bin. Denkst du etwa das weiss ich nicht? Denkst du ich habe Serena so beleidigen wollen? Nein, natürlich nicht verdammt, ich liebe sie! Und jetzt frag mich bloß nicht wieso ich das dann gesagt habe. Jeder ist mal wütend, und jedem rutschen mal Dinge raus, die sie gar nicht sagen wollen. Und jetzt bitte, wenn du weiter darauf rumsitzen möchtest – du weißt, wo die Türe ist. Ich habe genug davon, dass ich selbst nicht mit mir klarkomme reicht völlig aus."

Für einen Moment sagen weder Jona noch ich etwas, und er starrt mich nur aus diesen blaugrünen Augen an. „Sie hat gestern ihr Zimmer fast zerlegt. Wäre Bale nicht gekommen wäre vielleicht sogar schlimmeres passiert. Sie übergibt sich jeden Morgen seit du sie so verletzt hast. Ich habe genau eine Frage an dich."

Ich ziehe gespannt die Augenbrauen hoch. „Wenn du die Gelegenheit hättest, in einem einzigen Moment alles was du jemals wolltest du ergreifen. Würdest du die Chance nutzen, oder sie fallen lassen?"

Ich schaue Jona eine Weile an. „Ich würde sie nutzen", sage ich dann, und Jona nickt. „Gehört Serena zu den Dingen, die du schon immer wolltest?"

Ich nicke wieder.

„Dann kämpf verdammt nochmal um sie. Wenn du sie weiterhin in deinem Leben willst, dann sei kein Weichei und kämpfe um sie, zeig ihr, dass es dir leidtut. Wenn du Glück hast gibt sie dir noch eine Chance. Zeig ihr, dass sie dir nicht egal ist, und dass es dir auch nicht gut geht. Dass du auch leidest. Dass du sie willst. Dass es nicht das Ende ist. Denn das hier ist deine Chance, dein Moment. Serena hat gestern einige Bilder zerstört, doch alle auf denen sie mit dir zusammen ist, hat sie nicht angerührt. Sie konnte sie nicht zerstören, Keanen. Lass ihr Zeit, aber trete nicht völlig aus ihrem Leben."

Ich schaue Jona an und lasse mir nochmal durch den Kopf gehen, was er mir gerade alles gesagt hat.

Sie konnte die Bilder nicht zerstören?

Vielleicht hasst sie mich doch nicht so sehr, wie ich dachte. Vielleicht vermisst sie das, was wir hatten tief in sich drin trotzdem etwas. Sollte ich mich wirklich wieder in ihr Leben einmischen? „Ich verletze sie doch bloß wieder", murmle ich, und Jona lässt frustriert den Kopf nach vorne fallen. „Verletzter als jetzt geht es nicht mehr. Auch wenn sie es nicht zugeben will, sie braucht dich. Du bist derjenige, der ihr die letzten Wochen Halt gegeben hat und für sie da war. Sie ist trotz allem an deiner Seite geblieben, Keanen. Denk darüber nach."

Mit diesen Worten verlässt er mein Zimmer und lässt mich alleine zurück.

Hat er Recht?

Ich setze mich langsam auf mein Bett und starre die Wand vor mir an. Ich kann doch nicht noch um ein Mädchen kämpfen wollen, das ich selbst verscheucht habe. Sie sollte mich hassen, doch irgendwie glaube ich, dass sie es nicht kann. Ich könnte sie auch niemals hassen.

--

„Es muss schnell gehen." Emilio setzt sich auf den Fahrersitz und fährt sofort los. Ich greife nach meiner Waffe in der Innenseite meiner Jacke und lege die Munition ein. „Was genau ist passiert?", frage ich monoton, und Emilio beißt die Zähne fest zusammen. „Er hat Lucía", flüstert er dann, und für einen kurzen Moment sage ich nichts.

„Scheisse", fluche ich dann leise, und Emilio nickt. „Er fährt mit ihr gerade in die Bar", sagt er dann noch, und ich reiße den Kopf herum. „Die Bar?", hacke ich nach, und Emilio nickt. „Ja, ich weiss nicht was er mit ihr anstellen will, aber anscheinend hat er dort das, was er braucht." Ich seufze frustriert. „Gut, wenigstens kenne ich mich aus", zische ich leise, und Emilio biegt ruckartig ab. „Wie konnte das passieren?", frage ich, und Emilio zuckt mit den Schultern.

„Ich weiss es nicht genau. Wir waren einkaufen, als ich sah, wie sie von zwei Männern aus dem Laden gebracht wurde. Sie hat nichts gesagt und von außen sah es ganz normal aus, doch ich habe die Waffe an ihrem Rücken gesehen. Und dann das Tattoo, welches Jack seinen Leuten stechen lässt. Einer von ihnen hat gesagt, dass sie zur Bar gehen werden."

Ich nicke und versorge meine jetzt geladene Waffe wieder. „Ich gebe Jona Bescheid, er soll auf Seri aufpassen", murmle ich, und fische mein Handy aus meiner Lederjacke.

Keanen: Jona, pass auf Serena auf. Jack hat Lucía wieder bei sich, und wir folgen ihnen gerade zur Bar. Wo auch immer ihr gerade seid, geht sofort in die nächste Halle.

Jona kommt sofort online, und ich denke, er hat eigentlich meine Antwort erwartet.

Jona: Mache ich. Wenn ihr Unterstützung braucht, meldet euch. Ich schicke euch Luca und Elia nach.

Keanen: Danke.

Ich lasse mein Handy wieder in die Jacke gleiten, und Emilio parkiert sein Auto etwas abseits der Bar. Tatsächlich sieht man, wie zwei Männer Lucía aus dem Auto und in die Bar zerren, und wir hetzen ihnen nach. Gerade als einer der Männer die Türe verschließen will, trete ich mit gezückter Waffe das Glas ein und erwische ihn gleich mit. Lucía schreit auf, und Emilio erscheint neben mir. Da wir nur zu zweit sind werden wir schnell eingekreist, doch ich vertraue auf unser jahrelanges Training.

Lucía wird von einem der Männer festgehalten und gegen eine Wand gedrückt, und er fährt provokativ ihre Taille entlang, was Emilio neben mir fast zum Explodieren bringt. „Wo ist Jack?!", zische ich, und die Männer schauen sich kurz an. Dann zücken sie ihre Waffen und ich mache mich ebenfalls bereit, doch bevor sie schießen können, ertönen weitere Schüsse, und etwas verwundert drehe ich mich um.

Luca und Elia.

„Gerade rechtzeitig", sagt Elia kühl und geht dann vor einem Schuss in Deckung. „Jack ist nicht hier", sagt der Mann, der Lucía festhält, und ich nicke. Was habe ich auch erwartet, als würde er sich einfach so zeigen. „Dann tut's mir leid für euch", knurrt Emilio kühl, und ehe die Männer reagieren können, fallen sie wie Dominosteine. Als der Mann, der Lucía festgehalten hat, zu Boden sackt, reißt er Lucía mit sich, doch Emilio befreit sie schnell und drückt sie an sich.

Er hebt sie hoch und verlässt mit ihr die Bar, was auch besser so ist. Sie soll sich nicht länger als nötig hier aufhalten. „Lasst uns auch gehen", beschliesst Elia, und gerade als wir uns umdrehen wollen, hören wir dumpfe Schreie. Sofort gehen wir dem Geräusch nach und bleiben vor einer Türe stehen, die Elia auftritt. Als wir sehen, was sich hinter der Türe verbirgt, klappt mir die Kinnlade runter.

Das sind alle Mädchen, die Jack hat verschwinden lassen. Und jedes Mädchen trägt nur ein ausgeleiertes Shirt.

Ich bringe ihn um.

--

Sie haben die Mädchen gefunden.

Und Kea hat zwei Standpauken bekommen, die ihm hoffentlich etwas helfen.

- Xo, Zebisthoughts

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