Kapitel 38 - Keanen ✔️

Hundert Euro. So teuer war es, den Spiegel zu ersetzen, der vor ein paar Stunden meine Faust zu spüren bekommen hat. Ich habe mich nicht mehr mit Valentina getroffen, sondern sicher noch eine halbe Stunde lang zugehört, wie Serena geweint hat, und versucht einen Weg zu finden, die letzten paar Minuten rückgängig zu machen.

Ich bin so ein Idiot.

Und Lionel hat mir auch mit einem Satz klargemacht, was er von mir hält. Ich glaube, ich habe Serena in dieser Sekunde verloren, in der ich nicht nachgedacht habe und irgendwelche Scheisse rausgelassen habe. Und das habe ich nicht mal ernst gemeint, nie im Leben würde ich darauf kommen, so über Serena zu denken.

Ich weiß auch nicht, wieso ich all das gesagt habe. Ich war wütend und vor allem genervt, nicht nur von Serena. Eigentlich kann sie gar nichts dafür, dass ich genervt war, aber ich habe mir die ganze Nacht lang Sorgen gemacht. Als sie und Lio nicht mehr da waren ist mir das Herz in die Hose gerutscht, und ich bin sofort los, um sie zu suchen. Und verdammt, Serena hat Recht.

Ich hätte sie Valentina vorstellen sollen, immerhin würde es mich an ihrer Stelle auch verletzen. Aber ich war so überrascht darüber, ausgerechnet Vale hier anzutreffen, dass ich nicht daran gedacht habe, und jetzt hab' ich den Mist. Serena will nichts mehr von mir wissen, und ich kann es ihr nicht mal verübeln. An ihrer Stelle würde ich auch nichts mehr von mir wissen wollen.

Jetzt gerade jogge ich etwas planlos durch die verschiedenen Gassen, doch ich habe eine Karte dabei. Der Fitnessraum im Resort gibt zwar auch viel her, doch irgendwie musste ich raus. Und hier bin ich. Hier sind kaum Menschen, weshalb ich in Ruhe meinen Gefühlen freien Lauf lassen kann. Ich bin so unglaublich wütend auf mich selbst, dass es mich fast zerreißt. Ich hatte genau eine wichtige Aufgabe, und die bestand daraus, dieses eine Mädchen zu beschützen und sie nicht zu verletzen. Und ich tat genau das. Ich verletzte sie, und das wohl ziemlich heftig, wenn ich darüber nachdenke, was ich alles gesagt habe.

Ich werde ihr nie wieder in die Augen sehen können, soviel steht fest. Ich wische kurz eine Träne von meinem Gesicht, die vor lauter Hass auf mich selbst mein Auge verlassen hat, und laufe noch etwas schneller. Wie konnte ich sowas tun? Ich hätte nie gedacht, dass ich sowas überhaupt mal sagen könnte, doch scheinbar habe ich falsch gedacht. Dabei war der Abend gestern noch so schön.

„Keanen!"

Ich glaube kurz, dass Serena mich ruft, doch dann taucht Vale vor mir auf.

Schlechter Zeitpunkt.

„Was ist?", frage ich genervt, und komme vor Valentina zum Stehen. „Das könnte ich eher dich fragen", gibt sie mit gerunzelter Stirn zurück, und meint damit wohl mein verheultes Gesicht. „Ist nicht wichtig", murre ich nur, und Vale nickt. „Ich bin immer noch für dich da, auch wenn wir uns nicht mehr oft sehen. Ich bin trotz allem deine beste Freundin." Ich nicke bloß und laufe langsam weiter, damit Vale Schritt halten kann. „Ich dachte, du bist weggezogen", sage ich und versuche, das Thema zu wechseln. „Ich bin hiergeblieben, mit meinem Freund." Ich nicke und lächle leicht. Vale hat also endlich jemanden gefunden, der sie so akzeptiert, wie sie ist.

„Wie lange seid ihr denn schon zusammen?" Vale lächelt, und erinnert mich sofort an Serena. „Zwei Jahre", sagt sie dann glücklich, und ich nicke. Ich würde mich gerne mehr für meine beste Freundin freuen, aber es geht gerade einfach nicht. „Und jetzt sagst du mir was los ist, ich habe dich noch nie so deprimiert erlebt." Ich seufze und fahre mit meinen Händen über mein verschwitztes Gesicht. „Gestern, als wir uns gesehen haben. Da stand neben mir doch ein Junge mit einem Mädchen auf dem Rücken, oder?"

Vale nickt.

„Der Junge ist ein guter Kumpel von mir, Lionel heißt er. Und das Mädchen ist, oder war, keine Ahnung, meine Freundin. Serena. Ich hab's verbockt." Vale sieht mich eine Weile an und deutet dann auf eine Bank, und ich nicke. Wir setzen uns, und Vale sieht mich weiter an. „Erzähl mir mehr", verlangt sie, und ich lächle. Wenn man ihr etwas erzählt, will sie immer mehr davon wissen, um genau zu wissen, was sie einem dann raten soll.

„Sie war wütend, weil ich sie gestern völlig vergessen habe, was ich irgendwie auch verstehe. Aber ich war bloß so überrascht und froh darüber, dich zu treffen, dass ich alles andere ausgeblendet habe. Gestern ist sie dann einfach mit Lio ins Resort zurück, und ich habe nicht mal das bemerkt. Heute Morgen war ich deswegen ziemlich genervt, und habe das natürlich auch wieder an Serena ausgelassen. Irgendwann war meine Laune so tief, dass ich wirklich einen Haufen Scheisse vom Stapel gelassen habe, und ich glaube, dass noch nie jemand sie so sehr verletzt hat. Dann hat sie mir eine geklatscht und mir gesagt, ich soll zur Hölle fahren. Danach habe ich sie sicher noch eine halbe Stunde lang weinen hören, während Lio bei ihr war. Er hat mir auch ziemlich klargemacht, dass ich es verbockt habe."

Wieder verlässt eine kleine Träne mein Auge, doch es ist mir egal. „Ich glaube, ich habe sie verloren, Vale. Sie hat schon so viel wegen mir durchgemacht, aber das... ich glaube, das ist zu viel für sie. Ich zerstöre sie nur." Vale legt wortlos einen Arm um meine Schultern und zieht mich in ihre Arme.

„Du bist manchmal wirklich ein Idiot, Kea. Aber ich glaube nicht, dass es das Ende ist. Ich weiß zwar nicht, was Serena alles wegen dir durchgestanden hat, aber ich kann's mir ungefähr vorstellen. Elia hat mich etwas auf dem Laufenden gehalten. Gib nicht auf, aber lass ihr Zeit. Zeig ihr, dass es dir leidtut. Und sprich vor allem mit diesem Lionel, als Außenstehender versteht er deine Situation vielleicht etwas besser als Serena."

Ich nicke und drücke meine beste Freundin an mich. „Danke", murmle ich, und Vale lässt mich mit einem leichten Lächeln los. „Immer doch", sagt sie, und ich lächle ebenfalls etwas schief. „Und jetzt gehen wir Eis essen." Vale zieht mich auf die Beine und hakt sich dann bei mir unter. „Natürlich, alles was du willst", sage ich mit einer vor Ironie triefenden Stimme, und Vale lacht. „Jetzt hab' dich nicht so. Es ist wunderschönes Wetter!"

Ich verdrehe die Augen und nicke dann nur. „Von mir aus", grummle ich, und Vale grinst. „Wie geht's eigentlich dem Rest der Familie? Luca, Elia und so?" Valentina zählt Luca schon lange zur Familie, was mich zum Lächeln bringt. „Den Vollidioten geht's soweit gut. Elia, Lio und Jona – Serenas Bruder – lagen zwar vor kurzem noch im Krankenhaus, doch sie sind alle soweit wieder fit. Und Dad arbeitet immer noch viel, Mom jedoch endlich etwas weniger."

Vale nickt. „Das freut mich zu hören. Richte den Jungs Grüße von mir aus, ja?" Ich nicke und mein Magen grummelt, als wir den Eisstand entdecken. „Von wegen du willst kein Eis essen", lacht Vale, und ich verdrehe abermals die Augen.

--

„Keanen?" Ich drehe mich um und sehe Lionel auf dem Flur stehen. „Ja?", frage ich so normal wie möglich, und Lio kommt etwas auf mich zu. „Können wir reden?" Ich nicke und zeige auf mein Zimmer. Serena hat in meiner Abwesenheit ihre Sachen zu Lionel verfrachtet, weshalb ich jetzt ein Einzelzimmer habe. Lio folgt mir in mein Zimmer und schließt die Türe hinter sich.

„Wieso?", fragt er dann einfach, ohne um den heißen Brei herumzureden. Ich zucke mit den Schultern und fahre mir übers Gesicht. „Ich weiß es nicht, Lio. Ich wollte das alles gar nicht sagen, und ich habe wirklich keine Ahnung, wieso mir das alles rausgerutscht ist. Ich habe vorher nie auch nur so über Serena gedacht, ich habe doch Verständnis für ihre Situation mit den Eltern. Ich wünschte mir so sehr, dass ich es rückgängig machen könnte."

Lio nickt langsam und setzt sich neben mich. „Denkst du, sie wird überhaupt noch was mit mir zu tun haben wollen?" In meiner Stimme schwingt so gut wie keine Hoffnung mit, weil ich auch einfach keine habe. Ich kenne Serena, und ich glaube nicht, dass sie mir jemals wieder vertrauen wird. „Ich glaube, dass sie jetzt einfach verdammt viel Zeit braucht. Du hast wirklich ein paar heftige Sachen gesagt, weißt du. Es wird dauern, bis sie das verkraftet hat."

Ich nicke nur geknickt und lasse mich rücklings auf mein Bett zurückfallen. „Ich habe sie verloren, stimmt's?", frage ich leise, und Lio zuckt mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Im Moment schon, ja. Aber gib nicht einfach so auf." Ich seufze und schließe für eine Weile die Augen. „Wie geht's ihr?", frage ich dann leise, und Lio legt sich neben mich. „Es geht. Sie hat sich etwas erholt und telefoniert gerade mit Jona."

Oh fuck.

Lio scheint mir meinen Schrecken anzusehen, denn er lacht leise. „Keine Angst, bis in einer Woche hat der sich auch wieder beruhigt." Irgendwie bin ich mir ziemlich sicher, dass dies nicht der Fall sein wird, doch ich habe weder Kraft noch Lust, Lio zu wiedersprechen, also nicke ich einfach. „Bist du eigentlich wütend auf mich?", frage ich dann, und Lio setzt sich auf. „Nicht unbedingt wütend. Weißt du, mir sind auch schon ein Haufen Dinge rausgerutscht, von denen ich nie dachte, dass ich sie überhaupt zu denken wagte. Das passiert manchmal eben einfach, daher verstehe ich dich irgendwie. Trotzdem mag ich es nicht, dass du meine beste Freundin verletzt hast. Und ich stehe jetzt zwischen den Fronten, aber das tue ich gerne, wenn ihr euch dadurch wenigstens nicht an zickt."

Ich nicke nur und seufze. „Wo warst du eigentlich so lange?", fragt Lio dann, und ich zeige auf meine Sportkleidung, die über dem Stuhl hängt. „Ich war laufen, und dann mit Valentina ein Eis essen." Lio nickt nur und sieht mich prüfend an. „Wer ist sie eigentlich?", fragt er dann, und ich setze mich nun doch wieder auf.

„Meine beste Freundin sozusagen. Ich kenne sie seit dem Kindergarten, und irgendwann ist Dad dann mit uns in die USA gezogen. Wir haben viel miteinander unternommen, und würde es euch und Serena nicht geben, würde ich sagen, dass sie mich am besten kennt. Ich wollte übrigens nie was von ihr, da war Elia ganz vorne. Für mich war sie schon immer wie eine Schwester, und außerdem hat sie seit zwei Jahren einen Freund, mit dem sie übrigens auch schon zusammenwohnt."

Lionel nickt und erhebt sich dann. „Ich hoffe, dass die nächsten Tage nicht ganz so schlimm werden", murmelt er nur, und verlässt dann sein Zimmer.

Ja, das hoffe ich auch.

--

Meine Befürchtungen sind eingetroffen. Jona ist außer sich.

Und morgen fliegen wir schon zurück, das heißt, ich muss extrem schnell zu Hause verschwinden, bevor er wirklich mit mir reden kann. Serena hat mich die ganze Woche ignoriert, und wenn Lio nicht bei ihr war, hat sie telefoniert. Ich habe viel mit Vale unternommen, und jetzt gerade sitzen wir im Schwimmbad und essen unser sicher hundertstes Eis der Woche. Ich kenne niemanden, der so viel und gerne Eis isst, wie Valentina. Sie lebt sozusagen für Eis.

„Du denkst an morgen, stimmt's?" Ich nicke seufzend. „Jona bringt mich um", murmle ich, und Vale stupst mich in die Seite. „So schlimm wird es schon nicht werden. Und wenn doch, hast du es irgendwie auch verdient." Ich lege den Kopf in den Nacken und puste frustriert ein wenig Luft aus. „Ich weiß", murre ich nur, und werfe gekonnt den leeren Becher, in dem sich eben noch mein Eis befand, in den Abfalleimer neben mir. „Wer als erster im Wasser ist!"

Vale springt auf, und ich hetze ihr nach. Tatsächlich überhole ich sie noch kurz vor dem Pool Rand und springe dann so schnell ich kann ins Wasser. Sobald ich wieder auftauche springt Valentina mir fast auf den Kopf, und ich mache erschrocken einen Satz zur Seite. „Na, erschrocken?", lacht Vale, sobald sie auftaucht, und ich schüttle nur lachend den Kopf. „Unmöglich bist du", murmle ich, und Vale lacht.

Und ich vergleiche es wieder sofort mit Serenas Lachen.

--

Uhh Jona ist ausser sich vor Wut... was das wohl bedeutet :/

Versteht ihr Keanen?

Und was haltet ihr so von Valentina?

- Xo, Zebisthoughts

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top