Kapitel 28 - Keanen - ✔️
„Wie geht's Serena?"
Elia schaut mich aus seinen halb geöffneten Augen an und versucht sich an einem Grinsen. „Scheisse", sage ich nur, und es trifft es glaube ich ziemlich gut. Es geht Serena verdammt scheisse, und das nur, weil sie erstens nicht weiss, was hier los ist, und zweitens liegen ihr Bruder und ihr bester Freund wegen mir hier. Und mein eigener Bruder.
„Wieso hast du das getan?", frage ich, und Elia sieht mich verwirrt an.
„Wieso hast du dich einfach so vor mich gestellt?"
Elia sieht mich eine Weile lang an, dann wendet er den Blick zum Fenster. „Weil du mein Bruder bist, Kea. Du musst irgendwann die Geschäfte übernehmen, du hast eine Freundin. Du hast noch so viel, was du erledigen musst. Du hättest nicht einfach gehen dürfen." Ich schnaube und schüttle den Kopf. „Aber du schon?", frage ich dann, und Elia schliesst die Augen.
„Für dich hätte ich in dem Moment alles getan", sagt er bloß, und wieder schüttle ich den Kopf.
„Verdammt, eigentlich muss ich doch auf meinen kleinen Bruder aufpassen, nicht mein kleiner Bruder auf mich. Du bist zwanzig, Elia. Wenn es für jemanden hier zu früh ist zum Gehen, dann für dich. Fuck, ich hab's versäumt." Elia lacht leise. „Bist du jetzt etwa so aufgebracht, weil du von deinem kleinen Bruder beschützt wurdest?" Ich seufze und nicke. „Schon, aber vor allem, weil es dich fast das Leben gekostet hätte. Ich würde mir mein Leben lang Vorwürfe machen. Wir sind doch ein Team."
Elia grinst immer noch und nickt. „Ja, das sind wir. Aber Kea?" Ich blicke auf und sehe, wie Elia mich mittlerweile ernst ansieht. „Du musst Serena die Wahrheit sagen." Ich seufze und sehe aus dem Fenster. „Ich weiss, Elia", sage ich nur, denn es stimmt: Ich weiss es wirklich, aber es ist nicht ganz so einfach, wie es klingt. Serena wird mich hassen.
„Ich habe Angst, dass sie einfach... alles aufgeben wird. Uns aufgeben wird." Elia sieht mich nachdenklich an, dann seufzt er.
„Schau, ich denke, sie wird sicher ihre Zeit brauchen, die du ihr auch geben sollst. Es ist möglich, dass sie alles aufgeben wird. Immerhin sind wir Mitglieder der Mafia und erschiessen nicht gerade selten einige Menschen, also eigentlich wäre es eine völlig logische Reaktion. Aber andererseits – sie liebt dich, wirklich. Ich habe noch nie jemanden gesehen der einen anderen so verdammt verliebt angeschaut hat wie sie dich. Sie sieht ihre Welt und Zukunft in dir, Kea. Und genau deswegen gehe ich eher nicht davon aus, dass sie alles einfach so beenden wird, auch wenn sie allen Grund und mein vollstes Verständnis hätte. Ihr gehört zusammen, Mafia hin oder her, und ich glaube, dass Serena das tief in sich drin auch weiss."
Ich nicke langsam und grinse schief. „Ich hasse es, dass du immer Recht hast", sage ich dann, und Elia lacht leise. „So ist es eben mit einem kleinen Bruder." Wir lachen noch ein bisschen zusammen und unterhalten uns darüber, was wir machen werden, wenn alle wieder auf den Beinen sind, bis mich eine Krankenschwester darum bittet, zu gehen.
Sobald ich aus dem Krankenhaus raus bin atme ich einige Male tief durch. Elia sah beschissen aus, aber ich war so nett ihm das nicht zu sagen. Es ist ein Wunder, dass er überhaupt wach ist.
Ich blicke auf mein Handy und sehe, dass Noah mir geschrieben hat.
Noah: Hey Kea. Ich hoffe, es geht den Jungs gut? Ich habe mich mit dem Rest verzogen, weil wir euch nicht stören wollten. Melde dich später wenn's dir besser geht bei mir, ich bin wie immer in meinem Apartment.
Ich lächle und stecke mein Handy wieder ein, als eine kleine Person neben mir zum Stehen kommt. Wortlos nehme ich Serena, die völlig verheult ist, in die Arme und drücke ihr einen Kuss auf den Haaransatz. „Wie geht's Jona?", frage ich irgendwann, und schiebe Serena etwas von mir. Sie wischt sich die Tränen vom Gesicht und sieht mich völlig kaputt an. „Keine Ahnung, ich... habe Angst, dass er es nicht schafft."
Ich seufze frustriert auf und streiche Serena vorsichtig mit dem Daumen die Tränen aus dem Gesicht, die ihr nun doch wieder runterlaufen. „Er wird es schaffen, ganz bestimmt." Serena nickt nur und lehnt dann ihre Stirn gegen meine Brust, woraufhin ich sie wieder in den Arm nehme und mein Gesicht in ihre Halsbeuge lege. Wie eine Ertrinkende klammert Serena sich an meinen Hals und bemüht sich um einen ruhigen Atem, das merke ich.
„Es wird alles gut", flüstere ich immer wieder und fahre vorsichtig aus Angst, sie könnte zerbrechen, mit der Hand Serenas Rücken auf und ab. „Kannst du mich nach Hause bringen?", fragt Serena irgendwann, und ich nicke. Ich lasse sie los, schnappe mir aber sofort ihre Hand, und führe sie zu meinem Auto. Sobald sie sitzt schliesse ich die Türe, öffne meine und setze mich neben Serena.
„Alessia und Bale sind übrigens auch da", teile ich noch mit, falls Serena nicht wüsste, dass ihre Mitbewohner wieder nach Hause gegangen sind, nachdem sie Serena hergebracht haben. „Okay", sagt diese aber nur, und ich starte den Motor.
--
„Können wir reden?"
Serena und ich sitzen auf ihrem Bett und schweigen. Ich nicke, denn ich weiss, was jetzt kommen wird.
„Ich... will endlich Klarheit, Kea. Ich will wissen, was im Leben meiner Freunde vor sich geht, was ihr mir verheimlicht. Ich will wissen, warum genau meine Freunde und mein Zwilling vor paar Stunden noch um ihr Leben gekämpft haben, und es eigentlich immer noch tun. Ich will wissen, wer das bei Emilio war und wieso, und ich will wissen, wieso ihr verfolgt werdet. Und ich will wissen, wer Noah ist und wieso ich nicht mehr arbeiten darf."
Ich nicke nur langsam, denn das sind genau die Fragen von denen ich wusste, dass Serena sie stellen wird. „Es ist alles etwas kompliziert zu erklären, und ich bin mir ziemlich sicher, dass du mich hassen wirst, aber du hast die Wahrheit verdient. Bitte versprich mit einfach etwas."
Abwartend sieht Serena mich an, und ich atme tief ein und aus.
„Hör mir zu bis ich ganz fertig bin, okay?"
Serena nickt, und ich nicke ebenfalls. „Gut, dann... okay. Du hast bestimmt schon hier und da Gerüchte über meinen Nachnamen gehört, oder?" Serena nickt, und ich fahre fort. „Die Gerüchte sagen, wir würden der Mafia angehören. Und das ist gar nicht mal so erfunden, wie immer alle behaupten. Mein Vater ist Lorenzo Salvatore, und er ist der Anführer der Mafia." Serena schaut mich aus grossen Augen an. Kurz schweigen wir beide, dann scheint sie sich wieder etwas gefasst zu haben. „Und was genau hat das mit Jona, Lio, Luca und so weiter zu tun?", fragt sie, und ich fahre mir durch die Haare.
„Das ist der komplizierte Part. In einer Mafiafamilie quasi wählt der Vater immer seinen ältesten Sohn aus, der dann eines Tages die Geschäfte übernehmen soll. Das wäre ich. Jedenfalls kriegen seine Söhne, also Elia und ich, eine etwas andere Erziehung, als wenn wir Mädchen wären. Wir werden von klein auf darauf trainiert verhandeln zu können, unsere Emotionen verstecken zu können, und sobald wir dazu fähig sind, kommt auch physisches Training und Schusstraining dazu. Wir werden quasi ausgebildet, und dabei nicht mal gefragt. Da ich mittlerweile schon lange mindestens so gut wie mein Vater bin, vertraut er mir auch viele Aufträge und Verhandlungen an, und Elia hilft mir. Luca ist der Sohn eines sehr guten Geschäftspartners von Dad, und wir haben ihn in die Geschäfte mit eingeschleust. Emilio ist wie schon mal erwähnt mein Cousin und gehört somit sowieso zur Familie, was heisst, dass auch er entsprechend ausgebildet wurde. Jona habe ich tatsächlich erst in der Highschool kennengelernt, aber ich wusste sofort, wer er ist. Euer Vater, Max, vertritt meinen Vater vor Gericht, und Jona hat sich dazu bereiterklärt, uns zu helfen, damit wir weniger Polizeikräfte auf uns ziehen. Lio hat das rausbekommen und war zuerst sehr skeptisch, doch dann hat er sich selbst dazu entschieden, Jona zu helfen. Und Noah... Noah ist etwa in der gleichen Position wie ich. Sein Vater ist ebenfalls Anführer einer Mafiaähnlichen Gang, den Seven Lions, und unsere Väter verstehen sich sehr gut. Für manche Aufträge müssen wir unsere Gangs zusammenschliessen, damit wir unseren Gegner bewältigen können. Bald steht wieder so ein Auftrag an, der auch etwas damit zu tun hat, wieso du nicht mehr arbeiten darfst. Noah und ich verhandeln immer zwischen unseren Eltern, und heute ist er in Seattle angekommen. Jetzt zu dem Auftrag: Unser Chef heisst nicht Rainhard, sondern Jack. Er steckt hinter dem Verschwinden der Mädchen, und er hat lange für uns gearbeitet, bis er uns hintergangen hat. Er ist sehr gefährlich, und hat es vor allem auf uns abgesehen. Wir müssen ihn erledigen. Er hat Elias Freundin auf dem Gewissen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er bald auf dich aus sein wird. Er ist derjenige, der bei Emilio angegriffen hat, und er ist auch derjenige, der bei Lio angegriffen hat."
Ich schliesse die Augen für eine Weile, da ich nicht sofort Serenas Reaktion sehen will.
„Das heisst... du tötest auch Menschen?", fragt sie irgendwann, und ich nicke. „Ja, aber nur die, die es wirklich verdient haben. Ich würde niemals eine unschuldige Person töten, das musst du mir glauben." Ich öffne die Augen jetzt doch und erkenne Tränen in Serenas Augen schimmern, während sie nickt. „Okay", flüstert sie dann, und steht auf.
„Wieso hast du mir das nicht vor New York gesagt?", fragt sie dann plötzlich, und ich ziehe verwirrt die Augenbrauen zusammen. „Weil... keine Ahnung. Ich wollte auf den besten Moment warten, aber ich habe realisiert, dass es den nicht gibt. Es ist und bleibt scheisse, egal wann und wie man es sagt. Aber wieso ausgerechnet vor New York?"
Serena schnaubt und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. „Weil ich da noch hätte umdrehen können", wispert sie dann, und bricht völlig in Tränen aus.
Ich will etwas sagen, doch sie hebt die Hand.
„Nein, ich... da waren wir nur Freunde. Ich hätte gehen können, doch jetzt... du bist mein Freund und verdammt ich habe mich wirklich heftig in dich verliebt, und ich kann jetzt nicht mehr einfach gehen. Ich kann euch nicht einfach so alle fallen lassen... ich hätte es ja schon mal fast getan, und schon da hat es sich scheisse angefühlt. Aber jetzt... fuck, ihr gehört zur verdammten Mafia! Ich habe keine Ahnung wie ich damit umgehen soll. Mein Zwilling liegt im Koma, mein bester Freund ist schwer verletzt und Elia anscheinend auch, und ich kann nicht mal was dagegen tun. Ich weiss nicht was ich machen soll, Keanen. Ich bin enttäuscht und am liebsten würde ich dich jetzt anschreien und dir sagen, dass du aus meinem Leben verschwinden sollst, aber das kann ich nicht, weil ich dich in meinem Leben brauche, verstehst du? Ich kann jetzt nicht einfach aufgeben und mir mein altes Leben zurückholen, dafür ist es zu spät."
Ich schaue sie einen Moment lang nur sprachlos an, dann nicke ich langsam. „Das heisst, du machst nicht direkt mit mir Schluss?" Serena sieht mich an und lächelt schief. „Ein Teil meines Körpers würde gerne, aber ich kann das nicht. Ich muss nachdenken, Kea. Viel und vor allem gründlich nachdenken."
Ich nicke und atme etwas erleichtert auf.
Sie macht nicht direkt Schluss.
„Okay, dann... gebe ich dir Zeit um zu überlegen, okay? Ich denke, das sollten wir beide." Serena sieht mich ebenfalls eine Weile an, dann nickt sie. „Ich melde mich wenn... ich mehr weiss. Wenn ich etwas klarer denken kann. Ich glaube es ist besser, wenn... ich jetzt alleine bin." Ich nicke abermals, dann stehe ich auf. Ohne wirklich darüber nachzudenken nehme ich Serena kurz in den Arm, dann verschwinde ich. In der Türe bleibe ich nochmal stehen und drehe mich zu Serena um, die vergeblich versucht, ihre Tränen zurückzuhalten.
„Es tut mir leid, Serena."
Mit diesen Worten verlasse ich zuerst ihr Zimmer und dann ihre Wohnung, in der ich mich in den letzten Wochen fast wie zu Hause gefühlt habe.
Ja, es tut mir leid.
So sehr.
--
Und dann kam die Wahrheit raus.
Denkt ihr, Serena wird Keanen aufgeben?
- Xo, Zebisthoughts
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top