Kapitel 13 - Serena - ✔️
„Emilio, was soll das? Was ist da los?"
Emilio zieht mich wortlos durch seine Wohnung, bis er im Obergeschoss vor einer Türe stehenbleibt. „Ich kann dir das nicht sagen, du musst Keanen selbst fragen. Hier ist mein Zimmer, und hier bleiben wir auch, bis uns einer der Jungs holt. Alles klar?"
Ich schüttle den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Mein Bruder, mein bester Freund und allgemein meine Freunde stehen da unten und tun was weiss ich, während ich hier schön stillhalten und abwarten soll? Ich will wissen was da los ist!"
Emilio schaut mich kurz an, dann lässt er frustriert die Schultern sacken. „Serena, bitte. Tu was ich dir sage und danach musst du Keanen fragen, ich habe ihm was versprochen. Er bringt mich um wenn ich dir alles verrate." Ich sehe die Verzweiflung in Emilios Augen, und seufze ergeben. „Okay, ich bin still." Emilio lächelt leicht, und wir setzen uns auf sein Bett.
„Und jetzt? Wie lange wird das dauern?" Emilio schaut auf die Uhr und zuckt mit den Schultern. „Ich weiss es nicht. Hoffentlich nicht länger als zehn Minuten, ich will noch zu Lucía." Ich lächle. „Du magst sie, oder?" Emilio schaut mich kurz etwas erschrocken an, doch dann lächelt er ebenfalls.
„Naja... sie ist schon ganz süss. Ich würde sie gerne besser kennenlernen."
Ich lächle und stosse fast ein „Awww" aus.
„Dann tu das", erwidere ich stattdessen, und Emilios blick wandert zu mir. „Das ist alles nicht so einfach, Serena."
Ich schnaube und ziehe die Augenbrauen hoch. Was soll daran nicht einfach sein?
„Und warum meinst du das?" Emilio lacht bitter auf, dann lässt er sich rücklings auf sein Bett fallen. „Weißt du, mein Leben ist nicht so, wie es scheint. Das wirst du alles noch früh genug erfahren, aber ich will Lucía nicht in unnötige Sachen mit reinziehen." Ich ziehe verwirrt die Augenbrauen zusammen und will gerade etwas sagen, als von draussen laute Stimmen zu hören sind.
Ich will zum Fenster laufen, doch Emilio hält mich fest. „Tu das nicht. Es wird alles gut, aber bitte bleib einfach mit mir hier sitzen."
Ich will protestieren, doch dann denke ich wieder an seine Worte eben, und gebe erneut nach. Lustlos lasse ich mich wieder auf dem Bett nieder, während Emilio im Raum auf und ab läuft. „Was geht da eigentlich zwischen Kea und dir?"
Die Frage reisst mich so aus meinem Konzept, dass ich eine Weile nur mit offenem Mund dasitze. „Äh – nichts? Also, nichts wovon ich nichts wüsste. Wir sind Freunde... glaube ich. Vielleicht nicht mal, keine Ahnung. Wieso?"
Emilio schaut mich an, dann lächelt er. „Ich glaube, da kommt noch was", sagt er dann gelassen, und legt sich wieder auf sein Bett. Verwirrt und vor den Kopf gestossen schaue ich ihm dabei zu, was er mit einem Lachen kommentiert. „Jetzt schau mich nicht wie ein verängstigtes Reh an." Ich schnaube lächelnd und schüttle den Kopf. „Emilio, du bist unglaublich."
Ich lege mich neben ihn und starre an die Decke, während ich versuche zu verstehen, was die Jungs draussen schreien.
Keine Chance.
Als jedoch ein lauter Knall ertönt, zucke ich zusammen, doch gerade als ich aufschreien will hält Emilio mir die Hand vor den Mund. Er nimmt sie erst wieder weg, als ich etwas ruhiger atme und ihn finster anschaue. „Du kannst sagen was du willst, aber das da war ganz bestimmt keine Gummibärchen Packung, die etwas laut aufgeplatzt ist. Das war ein Schuss."
Emilio nickt unmerklich, und ich fahre mich durch die Haare. „Merda", murmle ich immer wieder, während ich mich wieder aufs Bett lege. „Wir sind hier sicher, falls es dich irgendwie beruhigt", murmelt Emilio, und ich lache auf. „Aber natürlich! Die Jungs dort draussen liefern sich eine Schiesserei, aber hey, Hauptsache wir sind sicher! Nichts auf der Welt könnte mich mehr beruhigen!"
Emilio wirft mir einen deutlichen Seitenblick zu, und ich seufze frustriert. „Ich schwörs euch, ich bekomme eine Erklärung für all das hier", zische ich, und Emilio nickt. „Wenn Kea das zulässt, dem Rest sind die Hände gebunden."
Ich nicke bloss müde und versuche die weitern Schüsse zu ignorieren, die von draussen ertönen. „Bitte sag mir einfach, dass Lio und Jona mit sowas umgehen können", piepse ich, und Emilio zieht mich etwas an sich. „Das können sie, Serena. Sehr gut sogar."
Ich lege einen Arm um seinen Bauch und presse mein Gesicht an seine Brust, ehe meine Tränen zum zweiten Mal für heute laufen. Ich weiss nicht, ob ich wegen dieser Antwort beruhigt oder nicht sein soll. Denn einerseits können Lio und Jona sich schützen, aber andererseits heisst das, dass sie schon lange mit Waffen und solchen Sachen zu tun haben. Und ich habe nichts davon gemerkt. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, weshalb Jona mir seine „Freunde" nie vorgestellt hat.
Mag sein, dass sie sich aus der High-School kennen, aber da ist noch mehr dahinter, das spüre ich – und eigentlich bekomme ich ja gerade live den Beweis dafür.
Ich will gerade etwas sagen, als mir Emilio den Finger auf die Lippen legt. „Ich glaube da kommt wer", flüstert er, und sofort spanne ich mich am ganzen Körper an. Ich denke an die Schüsse, die ich eben gehört habe, und ein Schauer jagt meinen Rücken runter. „Was heisst das?", frage ich tonlos, während Emilio sich langsam aufrichtet.
„Dass wir Besuch bekommen", zischt er, und ich schliesse die Augen.
Wie bin ich hier nochmal reingeraten?
„Du musst jetzt ganz still sein, okay? Vielleicht läuft der Typ am Zimmer vorbei."
Etwas verstört schaue ich Emilio an. „Wieso sollte er? Wäre ich er, würde ich jede Tür öffnen, und ich sehe hier ganz deutlich eine die uns vom Flur abgrenzt."
Emilio schmunzelt und nickt. „Da hast du schon Recht. Aber sei bitte trotzdem still." Ich nicke nur und ziehe meine Beine an meinen Oberkörper, während Emilio sich vor die Türe stellt und lauscht. „Er kommt", formt er mit den Lippen, und ich spüre, wie ich kreidebleich werde. Gerade als ich hektisch aufspringen will um mir ein Versteck zu suchen, wird die Türe auch schon aufgerissen, und zwei Männer mit gehässigem Grinsen stehen im Zimmer.
Hinter ihnen erscheint Keanen, der mich kurz ansieht, ehe er einem der beiden Männer einen Stoss verpasst. „Wie konnte das passieren?!", zischt Emilio, und Keanen schnaubt. „Wir sind ziemlich ausgelastet da unten."
Der Mann, der eben gestossen wurde, packt Emilio am Bein und zieht daran, was Keanens Cousin zum Fall bringt. Gleichzeitig zieht Emilio etwas Schwarzes aus seiner Jacke hervor, die er über dem Shirt trägt, und bei genauerem Hinsehen entdecke ich eine Waffe.
Ich schrecke auf und krieche noch weiter zurück, bis ich am Ende des Betts angelangt bin. Weder Keanen noch Emilio beachten mich, sondern liefern sich einen Kampf mit den Männern, die ebenfalls beide Waffen haben. „Was ist das hier?", flüstere ich, und schreie unterdrückt auf, als einer der Männer Keanen derartig am Kinn erwischt, dass er nach hinten taumelt und an der Wand aufprallt, ehe sich der Mann wieder auf ihn stürzt.
Blut rinnt aus seiner Nase, und Emilio, der sich gerade auf seinen Gegner setzt, ist ähnlich zugerichtet.
Meine Hände zittern und ich spüre wie die Tränen über mein Gesicht laufen, doch ich kann mich nicht bewegen. „Hört auf", flüstere ich immer wieder, doch natürlich hört keiner auf. Ich kneife die Augen zusammen und schlage die Hände vors Gesicht, bis ich plötzlich spüre, wie sich jemand neben mich setzt.
Erschrocken reisse ich die Augen auf als ich deutlich den Lauf einer Pistole im Rücken spüre, und im gleichen Moment ertönt ein Schuss.
Für einen Moment glaube ich, keine Luft zu bekommen, während die Person neben mir wie ein nasser Sack vom Bettrand zu Boden fällt und mit einem dumpfen Geräusch aufkommt. Gleichzeitig ertönt noch ein weiterer Schuss, und nun liegen beide Männer leblos auf dem Boden.
Ich schaue wie erstarrt von den Männern zu Keanen und Emilio, die beide eine Waffe in der Hand halten und schwer atmend im Zimmer stehen, und Keas Blick gleitet langsam zu mir.
„Serena, das... hättest du eigentlich nicht sehen dürfen", flüstert er, und ich schüttle den Kopf.
„Sie sind tot", whispere ich erstickt, und schaue mit Tränen in den Augen zu den Männern, die immer noch am Boden liegen. „Sie hätten uns sonst getötet", erwidert Emilio, der an der Wand lehnt und sich das Blut vom Gesicht wischt.
„Aber sie kennen mich doch gar nicht!", wimmere ich, und Keanen schnaubt. „Seri, nichts hätte ihnen egaler sein können. Sie hätten dich, Emilio und mich ohne weiteres getötet."
Ich schüttle wieder nur unmerklich den Kopf, dann stehe ich auf. „Ich will nach Hause", erkläre ich heiser, aber bestimmter als gedacht. Keanen nickt und legt mir eine Hand auf den Rücken, um mich nach draussen zu führen. Mit zittrigen Beinen gehe ich die Treppen runter, und höre, wie Jona und Lio lautstark miteinander diskutieren.
Als ich nach draussen gehe sehe ich, wie sie sich gegenüberstehen, während Luca und Elia verzweifelt versuchen, den Streit zu schlichten.
„Hört auf", flüstere ich wieder, und tatsächlich fahren beide zu mir rum. „Scheisse, Seri." Lio kommt auf mich zu, löst Keas Hand von meinem Rücken und zieht mich an sich. „Es tut mir so leid dass du das alles sehen musstest."
Ich versuche meine Atmung zu kontrollieren und atme den mir so unglaublich vertrauten Geruch von Lionel ein, was mich irgendwie etwas beruhigt. „Es tut mir so leid." Lio wiederholt diese Worte immer wieder, und mit jeder Silbe aus seinem Mund wird mir bewusster, was ich gerade erlebt habe.
Mir wird klar, dass mein Bruder, mein bester Freund und die Leute, die ich nie für solche Menschen gehalten hätte, gerade getötet haben.
Sie können mit Waffen umgehen, sie können kämpfen, und ich habe nichts davon geahnt. Mir wurde nie etwas gesagt, für mich waren alle hier einfach normale junge Erwachsene, die ihr Leben geniessen und ihren Wünschen nacheifern, doch das alles sieht jetzt ganz anders aus.
Ich bin verletzt, wütend und durcheinander. Ich kann die Erlebnisse eben nicht einordnen, ich weiss nicht, was ich von all dem hier halten soll. Ich bin wütend und verletzt, weil weder mein bester Freund, noch mein eigener verdammter Zwilling mir was gesagt hat. Und dann Keanen, Elia und Luca, und natürlich auch Emilio. Wahrscheinlich weiss sogar Lucía Bescheid.
Ich hätte doch ahnen müssen, dass etwas gewaltig nicht stimmen kann, wenn Kea, Elia und Luca immer wieder zu Mr. Salvatore müssen, und danach immer schlecht drauf sind. Wie konnte ich bloß so naiv sein? Wie konnte ich denken, dass ich mal eben einen Jungen kennenlernen kann, der in meinen Augen weitaus perfekt ist, ohne dass es da einen Hacken gibt?
„Was war das eben?", frage ich mit zittriger Stimme und schäle mich aus Lio's Umarmung.
„Was sollte das eben? Wieso habt ihr das getan? Wieso ist das hier passiert, verdammt wieso könnt ihr mit Waffen umgehen und Leute einfach so erschiessen?!"
Ich schaue jeden einzeln an, doch keiner sagt was. Bebend zeige ich auf das Haus, in dem mindestens zwei Leichen liegen, und breche wieder ganz in Tränen aus. „Das waren Menschen", flüstere ich erstickt und schüttle immer wieder den Kopf, während ich zurückweiche.
Lio verzieht das Gesicht und schüttelt den Kopf. „Nein, das war nicht einfach so. Du verstehst das nicht." Ich lache bitter und humorlos auf. „Natürlich verstehe ich das nicht, wie sollte ich denn auch? Ich habe nicht mal davon geträumt, dass ihr sowas tun würdet verdammt! Was ist das hier?"
Lio sagt nichts mehr, doch ich kann die Tränen in seinen Augen deutlich erkennen.
„Ich will nichts mit Mördern zu tun haben", flüstere ich, und Lio schüttelt erschrocken den Kopf. „Nein, Serena, bitte sag sowas nicht. Du verstehst es nicht." Er kommt einen Schritt auf mich zu, doch ich weiche aus, als würde ich mich an ihm verbrennen.
„Nein Lio, das... meine ich so. Du – nein, ihr könnt nicht ernsthaft von mir erwarten, dass ich nach dem hier nicht völlig am Rad drehe. Dass ich nach alldem hier nicht total verletzt und vor allem verängstigt bin. Scheisse sogar mein eigener Zwilling macht hier mit! Ich habe mich gerade in ungefähr sechs Leuten getäuscht, zwei davon sind schon mein ganzes Leben an meiner Seite. Ich glaube keiner von euch versteht wirklich, was das für ein Gefühl ist, oder?"
Alle schütteln stumm den Kopf, während Tränen über Lionels Wangen fliessen.
„Ich will dich doch nicht verlieren", wispert er, doch ich schüttle den Kopf. „Nein Lio, ich kann das hier nicht. Ich brauche Zeit, ich will – nein, ich muss nachdenken. Aber eine Frage habe ich."
Keanen tritt hervor und schaut mich fragend an. „Ja?"
Ich schaue zu ihm auf und bitte ihn innerlich darum, wenigstens jetzt ehrlich zu sein.
„Was ist das hier?"
Ich zeige auf ihn und die anderen Jungs, und Keanen schliesst kurz die Augen. „Ich kann dir das nicht sagen, Serena. Ich darf nicht. Du solltest hier weg, das ist nicht für deine Augen bestimmt."
Obwohl ich mit so einer Antwort gerechnet habe, tut es trotzdem weh. Ich schlucke schwer und nicke, dann drehe ich mich um und laufe davon.
—
& ich heule schon wieder. Ich habe selbst einen besten Freund und omg, ich wäre in der Situation von Lio und Seri so am Ende.
Was denkt ihr, dass jetzt passieren wird? Wie wird sich Serena den anderen gegenüber verhalten?
& mal was anderes: wie hat euch das Kapitel gefallen?
- Xo, zebisthoughts
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