Kapitel 6
Als mich mein Wecker am nächsten Morgen mit schrillem Klingeln weckte, überlegte ich einen kurzen Moment, ob ich nicht krankmachen sollte. Ich fühlte mich, dank des Schlafmangels, ausgelaugt und hatte keine Nerven mich durch langweiligen Unterricht zu quälen. Doch dann erinnerte ich mich wieder an mein Vorhaben, mit Louis zu sprechen und ich stand widerwillig auf.
Als ich nach einigen Minuten angezogen die Küche betrat, sah mich Gemma geschockt an. „Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht nicht geschlafen.“ Ein verschlafenes „Hmm“ war das Einzige was ich zustande brachte, bevor ich mir eine große Tasse extra starken Kaffee machte. Während ich diesen schlürfte, spürte ich die ganze Zeit Gemmas besorgten Blick auf mir. „Was ist in letzter Zeit los mit dir Harry?“ „Nichts. Mir geht’s gut Gem.“ versuchte ich sie zu beruhigen. „Lüg mich nicht an Harry. Sogar ein Blinder sieht dass dich irgendwas beschäftigt.“ Anstatt zu antworten, räumte ich meine mittlerweile leere Tasse in die Spülmaschine und ging ins Bad.
Als ich in den Spiegel sah, musste ich feststellen, dass ich mit meinen dunklen Augenringen wirklich erschreckend aus sah. Auch nachdem ich mir kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, sah ich nicht unbedingt besser aus.
Ich war froh als Gemma und ich endlich die Schule erreichten. Den ganzen Weg hatte unangenehmes Schweigen zwischen uns geherrscht. Keiner von uns beiden schien so recht zu wissen, was er sagen sollte. Nicht nach der Situation in der Küche. Als wir dann jedoch an der Stelle ankamen, wo wir beide in verschiedene Richtungen mussten, zog sie mich in eine Umarmung. „Du weiẞt das du immer mit mir reden kannst, oder? Ich bin für dich da.“ „Danke Gem.“ Sie verabschiedete sich von mir und ging dann in Richtung ihres Klassenzimmers davon. Für einen kurzen Augenblick fühlte ich mich tatsächlich ein wenig besser. Doch das verflog ziemlich schnell, als ich Louis mit einem braunhaarigen Mädchen, das ihn sichtlich anschmachtete, zusammen an seinem Spind stehen sah. Ich musste unbedingt mit ihm reden.
Als hätte er meinen Blick auf sich gespürt, drehte er sich um und sah mir einen kurzen Moment direkt in die Augen. Ich konnte mich nicht bewegen. Das Blau seiner Augen hatte mich wieder einmal erstarren lassen. Dann drehte er sich einfach um und verschwand zusammen mit Zayn und dem Mädchen.
Nachdem ich die Chance verpasst hatte vor dem Unterricht mit Louis zu reden, konnte ich mich nicht auf die ersten Unterrichtsstunden konzentrieren. Ich hoffte wirklich ihn in der Pause zu erwischen und als es dann endlich klingelte, war ich der Erste, der das Klassenzimmer verließ.
Ich sah mich suchend auf dem Schulhof um. Noch waren nicht viele Schüler dort, doch langsam wurden es mehr. Nach einer Weile konnte ich endlich Louis sehen, der schon wieder in Begleitung des Mädchens, den Pausenhof betrat. Mit schnellen Schritten lief ich auf ihn zu, doch in dem Moment in dem er mich bemerkte, drehte er sich um und lief zurück ins Schulgebäude. Ich versuchte ihm zu folgen, was sich jedoch als schwieriger herausstellte als gedacht, da ich ihn bei den vielen Schülern aus den Augen verlor.
Resigniert ging ich zurück nach draußen und während ich auf Niall und Liam zu ging, fasste ich einen Entschluss. Ich begrüßte sie kurz, während ich mich zu ihnen setzte. „Ich brauche euren Rat.“ Beide sahen mich verwirrt an. „Was meinst du? Wozu?“ fragte der Ire sofort und ich fing an ihnen von Louis´ und meinen Begegnungen zu erzählen. Ich berichtete von dem Einbruch und warum ich gestern zu spät zu ihnen gekommen war. Die Sache mit dem Friedhof und Louis´ Mutter erwähnte ich jedoch nicht, da ich nichts so Privates ohne sein Einverständnis preisgeben wollte. Schließlich schilderte ich ihnen noch unsere nächtliche Begegnung, Louis´ Versuch alles zu erklären und seine plötzliche Flucht.
„Oh man, jetzt versteh ich warum du so aufgewühlt warst.“ meinte Niall als ich meine Erzählung beendete. „Sprich ihn doch einfach heute in der Schule darauf an“ schlug Liam vor, doch ich schüttelte sofort den Kopf. „Hab ich heute schon zwei mal versucht, aber er flüchtet gerade zu vor mir.“
„Wir haben doch nachher Geschichte zusammen und wenn ich mich nicht irre, ist Louis auch im gleichen Kurs. Ich könnte dir helfen ihn nach der Stunde abzufangen, damit du vernünftig mit ihm reden kannst.“ bot Niall an, was ich natürlich nicht ablehnte.
Ein Klingeln kündigte an, dass die Pause vorbei war und einige Minuten später saßen wir auch schon nebeneinander im langweiligen Geschichtsunterricht. Doch statt aufzupassen, planten wir wie wir am besten Louis vom erneuten Weglaufen abhalten konnten.
Gerade als Niall mir das Ende seines Plans verraten wollte, trat unsere Geschichtslehrerin Frau Ernst, die leider genauso ernst war wie ihr Name schon sagte, vor unseren Tisch. „Da ihr beide die letzten Minuten so toll aufgepasst habt, könnt ihr mir sicher meine Frage beantworten.“ richtete sie sich mit provozierend freundlicher Stimme an uns. Doch bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, fuhr sie auch schon fort. „Nein natürlich könnt ihr das nicht. Ihr unterhaltet euch ja lieber statt dem Unterricht zu folgen.“ Der schadenfrohe Ton in ihrer Stimme nervte mich gewaltig, doch ich riss mich zusammen. Würde ich jetzt etwas sagen, würde ich mich selbst zum Nachsitzen einladen. Genervt brachte ich eine Entschuldigung hervor. Auch wenn es ziemlich ersichtlich war, dass diese nicht ernst gemeint war, warf uns Frau Ernst noch einen mahnenden Blick zu, führte dann aber ihren Unterricht fort.
Die restliche Stunde verbrachte ich damit, nervös auf meinem Stuhl herum zu rutschen und alle paar Minuten auf die Uhr zu sehen. Als die Klingel dann endlich zum Ende der Stunde läutete, lies ich mir Zeit dabei, meine Sachen zusammen zu packen. Niall hingegen war einer der ersten die sich auf den Weg zur Tür machten. Er ging zwischen den Reihen nach vorne und als er an Louis Bank vorbeikam, schubste er ganz aus Versehen dessen Federmäppchen vom Tisch. Ich schmunzelte als dieser sich genervt bückte, um seine Stifte vom Boden aufzusammeln.
Kurze Zeit später waren wir zwei die einzigen die sich noch im Klassenzimmer befanden. Ich stellte mich in die Nähe der Tür, damit Louis nicht so einfach verschwinden konnte.
Mit hochgezogener Augenbraue sah er mich an. „Was wird das hier." fragte er mich abschätzig. „Wir müssen reden." Ich versuchte ruhig zu bleiben, doch seine abwertende Art machte mir das nicht gerade einfach.
„Ich wüsste nicht über was." erwiderte er und versuchte an mir vorbei zur Tür zu gehen. Ich trat ihm in den Weg, worauf er mich sichtlich verärgert ansah. „Du weist genau über was." entgegnete ich. Langsam war ich wirklich gereizt von seinem scheinheiligen Verhalten. „Du hast mir Antworten versprochen, aber stattdessen haust du einfach mitten im Gespräch ab."
„Ich wüsste nicht was dich meine Angelegenheiten angehen." konterte Louis. Ich schluckte, als er langsam auf mich zu kam. „Hm vielleicht weil ich dich bei der Polizei anzeigen könnte." Ich versuchte mit dem Sarkasmus in meiner Stimme meine aufkeimende Unsicherheit zu überspielen. „Oh das würdest du doch nie tun." Er stand jetzt so nah vor mir, dass ich seine Körperwärme spüren konnte. Ich sah ihm an, dass er wusste wie sehr er mich verunsicherte. „Und woher willst du das so genau wissen." Mein Versuch möglichst selbstsicher zu wirken scheiterte kläglich an meiner zitternden Stimme.
„Darum." antwortete er und ehe ich mich versah, spürte ich seine Lippen auf meinen. Ich erstarrte einen Augenblick, doch dann erwiderte ich den Kuss. Ich wusste nicht warum ich das tat, aber das interessierte mich im Moment auch nicht. Das einzige was mich interessierte war, dass es sich verdammt gut anfühlte.
Doch so plötzlich wie er mich geküsst hatte, so schnell lies er auch wieder von mir ab. Er schob mich aus dem Weg, öffnete die Tür und lies mich fassungslos stehen, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Ich starrte ihm noch einige Sekunden hinterher, bis ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte und mich daran erinnerte, dass die nächste Stunde schon vor 15 Minuten angefangen hatte. Während ich jedoch meinen Rucksack vom Boden aufhob, kam mir der Gedanke, mich krank zu melden. Ich wollte Louis heute auf keinen Fall noch einmal begegnen. Also schlug ich kurzer Hand den Weg zum Sekretariat ein. Dort füllte ich eine Krankmeldung aus und machte mich dann auf den Weg nach Hause.
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