84. Last time
Wir machten alle eine Ehrenrunde um das Stadion. Ich auf den Schultern der Jungs. Im Maracana. Das Stadion meiner Träume. Wir hatten doch tatsächlich die Weltmeisterschaft gewonnen! Der Jubel der Fans wurde nicht leiser, und für einen Moment war alles perfekt. Ich wollte nicht, dass es aufhörte. Es war einfach zu schön, um war zu sein. Immer wieder machten wir Späße, bewarfen uns mit leeren Plastikbechern oder schütteten den restlichen Inhalt der kleinen Wasserfläschchen über uns aus. Wir hatten einfach Spaß. Ney trottete gemächlich hinter uns her, ein Gebet nach dem anderen in den Himmel schickend, und begutachtete die Menge, die uns zujubelte. Ich wusste, dass er gerne das entscheidende Tor geschossen hätte, doch es war so nicht.
Als wir dann zur Siegerehrung gerufen wurden, bildeten wir den Argentiniern einen Gang. Mit traurigen Mienen klatschten sie bei uns ab. Sie hätten auch gerne gewonnen. Doch heute lag die Gunst bei uns. Vielleicht würden sie das nächste Mal gewinnen, wenn ich nicht mehr beim Team war. Richtig, ich musste gehen. Dass ich Teil eines Männerteams sein dürfte, war nur eine Ausnahme. Ich vermute auch, dass der Einfluss meines Vaters damit zutun hatte. Schließlich war er ein Teil der Mannschaft gewesen, die 1994 den Titel gewonnen hatte.
Als die Argentinier wieder von dem Podest nach unten gekommen waren, ordneten wir uns der Reihe nach und erklimbten die Stufe zum Siegerpodest. Mit jedem Schritt, den wir zwischen den Fans machten, schlug mein Herz härter und lauter. Thiago, der Kapitän, lief als letztes. Er würde den Pokal in Empfang nehmen und ihn der Welt präsentieren. Mit jedem Schritt, dem ich dem Siegerpodest näher kam, zitterte mein ganzer Körper mehr und mehr. Ich fragte mich, wie Julio vor mir so ruhig bleiben konnte. Endlich kam ich auf der Ebene vor mir an. Den anderen vor mir wurde schon von den Vertretern der UEFA gratuliert, und mit ihren Medaillen machten sie sich auf den Weg zum Podium.
Dann war ich an der Reihe. Jedem Vertreter schüttelte ich die Hand, bis ich beim letzten angekommen war. Ich schüttelte unserer Präsidentin die Hand, während sie mir meine Medaille umlegte. Der Mann hinter ihr, umarmte mich. "Dein Vater wäre so stolz auf dich..." Ich wollte ihm widersprechen, sagen, dass mein Vater noch lebte, doch da wurde ich bereits von hinten weitergeschoben. Ich gesellte mich zu den anderen. Neymar legte einen Arm um mich und wir lächelten in die Menge. Oscar stand auf meiner Seite. Es war einfach wunderbar. Meine neue Familie hatte sich um mich herumgesellt. Wir drehten uns um und bildeten eine Gasse. Thiago lief neben Präsidentin Dilma und dem Chef der UEFA zu uns nach vorne. Beide hielten den WM-Pokal in ihren Händen. Dann übergaben sie den Pokal Thiago. Er streckte ihn nach oben und wir alle brüllten los. Ebenso das Stadion. Es war einfach verrückt. Alle, wirklich alle, schrien.
Nach einer ausgiebigen Feier wurde der Pokal erneut Dilma ausgehändigt, da sie die Präsidentin der República Federativa do Brasil galt, und so das Land vertrat.
Wir Spieler hingegen stiegen die steilen Treppen wieder hinab, und bildeten mit allen Vernatwortlichen einen großen Kreis. Dunga hielt inmitten eine große Rede. Er dankte allen für die große Unterstützung, die er und das Team erfahren hatten, und erzählte, wie toll ihm die Zeit gefallen hatte. Auch sagte er, dass es ihm egal gewesen sei, wenn wir verloren hätten, der Sieg war nur das Sahnetüpfelchen auf dem I. Jeder sagte etwas zu der Zeit in der Gruppe und es war einfach wunderbar.
Etwas später hörte ich von einer Verschwörung, die das Team gegen Dunga ausheckte. Sie hatten alles Wasser aus den Kühltaschen in einen großen Bottich gekippt, und wollten ihn nun über dem Trainer ausschütten. Das war einfach Tradition bei einer gewonnenen Meisterschaft. Ich beteildigte mich gerne bei der Aktion. Am Schluss hoben dann alle dreiundzwanzig Spieler den Bottich. Leise schlichen wir uns hinter Dunga an, der gerade mit einem der Assistenztrainer sprach. Er hatte uns zwar entdeckt, verriet uns aber nicht.
"Auf drei", flüsterte Dani, "eins, zwei, drei." Dann gossen wir den Kübel mit dem eiskalten Wasser über ihm aus. "Ahhhhhh!!!!", schrie Dunga, woraufhin wir alle anfingen, wie irre zu lachen. "Tja, sieht so aus, als hättet ihr kein Bier für die Bierdusche gehabt", lachte er, "auch wenn das kalte Wasser echt schlimmer war. Naja, ich gehe mal umziehen."
Jetzt ging die Wasserschlacht erst recht los. Jeder beschüttete jeden mit Wasser. Wir feierten den Sieg ausgiebig, wenn auch ohne Alkohl. Der würde erst nacher fließen, und das in Mengen.
Die Familien hatten sich dann auch zu uns begeben. Sobald ich Rafa entdecken konnte, stürmte ich auf sie zu. Schon so lange hatte ich sie nicht mehr gesehen. Anscheinend war sie während meiner Abwesenheit, wie ich meine Entführung zu nennen pflegte, im Camp gewesen. "Luuu!!!" "Rafaaa!"" Wir fielen uns in die Arme, doch Ney störte unsere Umarmung. Hinter ihm stand seine ganze Sippe. Ich umarmte jeden, obwohl ich eigentlich fast keinen kannte, aber das war so Standart in diesem Land. Ich wunderte mich, dass mein Vater nicht hier war, aber vielleicht unterhielt er sich mit Freunden von früher. Während Ney und seine Freunde das Stadon unsicher machten, sprach ich mit Rafa. Plötzlich wies sie mich an, mich umzudrehen. Ich sah Dunga, wie er mir hektisch zuwinkte. Voller Panik und Unwissenheit blickte ich Rafa an, sie schickte mich zu ihm. Ich tippte Oscar an, der bei Marcelo stand, und deutete ihm, mir zu folgen. Gemeinsam rannten wir zu Dunga. "Ihr müsst schnell kommen, dein Vater wurde ins Krankenhaus eingeliefert, es steht sehr schlecht um ihn", sprach Dunga hektisch und bugsierte uns zu einem Taxi. Ich drehte mich nochmals zu Rafa um und bat sie um Hilfe, aber sie zuckte nur mit den Schultern. "Keine Sorge, ich erkläre den anderen alles." Er schob mich und Oscar regelrecht in das Taxi, welches sofort losbrauste. Oscar und ich hielten uns fest in den Armen, während wir weinten. "Es wird alles gut werden, irgendwie..."
Im Krankenhaus angekommen, stürmten wir zu dem genannten Zimmer. Atemlos kamen wir vor der weißen Türe an. "Wollen wir da wirklich rein?", fragte ich Oscar unsicher. "Ja, das sind wir ihm schuldig." Langsam öffneten wir die Türe und betraten vorsichtig das Krankenzimmer. Mein Vater sah ziemlich schlecht aus. Er sah sehr bleich und kraftlos aus. Wir setzen uns an seine Bettkante. "Ich bin froh, dass ihr hier seid", flüsterte er, "ich spüre es, die Zeit ist gekommen..." Es war totenstill in dem Zimmer. Die Vorstellung, Abschied nehmen zu müssen, war einfach schrecklich.
"Wisst ihr, Kinder, ich bin durch die schlimmsten Erlebnisse gegangen. Seitdem die Mafia mich und Maria auf dem Kieker hatte, haben wir immer in Angst gelebt. Aber deine Eltern, Oscar, waren immer für uns da, und so auch auf der Liste der Mafia. Sie haben uns gesucht wegen alten Spielschulden von eurem Opa, Armano. Dein Vater Fabio, Oscar, und ich haben versucht, unsere Familie zu beschützen. Doch einer nach dem anderen ist der Mafia zum Opfer gefallen. Wir konnten nichts mehr dagegen tun, alle Schulden waren dreifach bezahlt. Dass Oscar nach London gegangen ist, war ein großes Glück. So war er aus dem Blickfeld der Mafia. Aber dann kamen sie zu uns. Du musstest weg. Jetzt holen sie sich auch uns, du konntest dich retten." "Das war nicht ich alleine", unterbrach ich ihn, "ein gewisser Damion Salvatore hat mir geholfen." Oscars Augen wurden groß: "Ney hat ihn darauf angesetzt, dich zu finden. Wir dachten er wäre tot!" Die Türe sprang auf: Marcelo und Ney traten ein. Mit einer kurzen Geste unterbrach mein Vater unser Gespräch. "Schön, euch zu sehen. Marcelo, ich muss sagen, du hast gut auf meine Tochter aufgepasst. Siehst du wie wunderhübsch sie jetzt ist? Ich möchte, dass Neymar jetzt den Job übernimmt. Er ist ja nun ihr Freund", er wandte sich an Ney, "wenn ihr heiratet, lasst doch bitte Plätze für mich und Maria frei, ja?" Ney nickte. "Ich bin so unglaublich stolz auf euch. Ihr kommt alle aus verschiedenen Familien, aber ihr habt alle die selbe Geschichte. Ihr habt meinen Traum erfüllt. Ihr habt unserem Land große Ehre erwiesen." Mein Vater deutete Oscar, Ney und Marcelo, das Zimmer zu verlassen.
"Luna, ich bin sehr glücklich. Du hast mir große Ehre erwiesen. Du bist in die großen Fußstapfen deines Vaters und in die deines Großvaters getreten. Du bist die Frau gewesen, die das entscheidene Tor geschossen hat. Das ganze Land liebt dich. Ich liebe dich. Ich bin so stolz auf dich! Du bist eine selbstständige, wunderschöne Frau geworden, meine Kleine. Meine Zeit ist gekommen, und ich werde nun endlich von meinem Leid erlöst." Mit der Zeit wurden meine Augen immer glasiger und schon lief Träne um Träne meine Wange hinab. "Du musst dir keine Sorgen machen, ich werde von oben auf dich aufpassen, so wie es deine Mutter tut. Ich liebe dich, kleines." "Ich dich auch, Papai." Dann umarmte ich ihn ein letztes Mal. Seine Augen wurden immer schwächer. "Nein Papai, bleib hier. Ich brauche dich!!", schrie ich, doch es war zu spät. Der Monitor, der seine Herzschlagfrequenz anzeigte, zeigte nur noch eine gerade Linie und das Gerät begann schrecklich laut zu piepen. Er war tot... Wütend, enttäuscht und traurig strömten mir die Tränen über die Wange und ich zerstörte alles, was ich in dem Zimmer vorfinden konnte. Ich merkte nicht, wie jemand mich in ein anderes Zimmer bugsierte. Ich spürte rein gar nichts mehr. Bis auf den tiefgehenden Schmerz in meinem Herzen.
Mir wurde eine Beruhigungsspritze verabreicht. Ich merkte nichts mehr. Als ich einige Minuten später wieder zu mir kam, saßen alle bei mir im Zimmer. Ney, Rafa, Marcelo, Oscar und das ganze Team. Alle waren hier. Ney und Oscar hielten mich im Arm und Rafa saß vor mir. Ich kuschelte mich in ihre Arme. Sie trösteten mich.
Und es war okay. Zwar nur für den Moment, aber es war okay.
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