83. Final II
Ich umarmte jeden einzelnen noch einmal, bevor ich mich auf den Weg zur Bank machte, denn Anfangen durfte ich nicht. Dungas Begründung war, dass ich nicht in die Taktikform passte, doch ich war mir sehr wohl bewusst, dass es an meiner Unerfahrenheit lag. Ney und Oscar waren zwar auch noch sehr jung, doch sie spielten schon seit mehr als einem Jahr bei Profivereinen in Europa und kannten sich daher mit Drucksituationen aus. Im Gegensatz zu mir.
Die von Dunga angeordnete Aufstellung an diesem wichtigen Tag war 4-4-2. Julio Cesar war im Tor, er sollte alle Bälle vor dem Netz abfangen. Trotz seines Alters hatte er, und nicht der jüngere, ebenso gute Jefferson, die Gunst des Trainers erhalten. Vermutlich lag es an seinem Erfahrungswert, den er in fünfzehn Jahren der Berufsausführung erlangt hatte.
In der Abwehr würden Dani Alves, David Luiz, Thiago Silva und Marcelo dafür sorgen, dass Julio möglichst wenige Bälle abfangen musste. Es war ihre Aufgabe, dass wir nicht in großen Druck vor dem Tor kamen. Das war ein Vorteil der Argentinier, die besonders stark im Sturm waren. Paulinho, Luis Gustavo, Oscar und Willian waren für die Verteilung der Bälle zuständig. Sie waren dafür verantwortlich, dass der Sturm funktionieren konnte. Ebenso fingen sie die gegnerischen Angriffswellen ab und gaben der Abwehr so Zeit, sich zu sortieren. Im Sturm sollten Neymar und Hulk den Argentiniern Druck machen und Tore schießen. Tore zu schießen war am heutigen Abend unsere größte Aufgabe. Ohne Tore konnten wir nicht gewinnen.
Ich hatte es mir neben Maicon und Jefferson, dem Ersatztorwart, bequem gemacht und fachsimpelte mit ihnen über die Geschehnisse auf dem Feld. Wir analysierten die sehr offensive Aufstellung der Argentinier. 4-3-2-1. Dadurch lösten sie großen Druck auf unser Team aus. Wir beobachteten die Spielweise der Gegner und analysierten ihre Schwachstellen, wir konnte keine großen Lücken finden.
Anfangs war das Spiel sehr zäh. Der Ball wanderte im Mittelfeld von Mann zu Mann, dann wurde er verloren und kurz brach Hektik aus. Die Teams standen alle am Mittelkreis und der Ballbesitz wechselte ständig. Doch nie kam ein Team dem Tor näher als dreißig Meter. Auch wenn es von dieser Entfernung möglich gewesen wäre, zu schießen, tat es keiner. Die Verteidigungen waren einfach zu kompakt aufgestellt. Wir auf der Ersatzbank fanden tausende Wege, es besser zu machen als die Spieler, aber wir konnten leider nicht einfach so auf das Spielfeld rennen, um unsere Ideen umzusetzen. Unsere brasilianischen Verbündeten auf dem Spielfeld fanden keine Lösung gegen das kompakte Stellungsspiel der Argentinier. Ein erneuter Ballverlust. Messi. Er stürmte auf unser Tor zu, doch nur Thiago und David waren von der Abwehrkette noch übrig geblieben. Ich vergrub meinen Kopf in meinen Händen. Wie konnte man nur so unvorraussichtig sein?! Das würde eindeutig schief gehen. Und das tat es auch. Zusammen mit Agueros Hilfe dribbelte Messi Thiago und David mit einer Leichtigkeit aus, wie es nur Maradonna hätte tun können. Auch Julio konnte er mit einer Finte leicht verladen. So wurde in der 23. Minute das 1:0 für die Argentinier geschrieben. Man konnte das Stöhnen der brasilianischen Fans deutlich vernehmen. Die Enttäuschung war ihnen ins Gesicht geschrieben. Uns aber auch. Dieses Spiel noch zu drehen, würde wirklich schwer werden, ja fast unmöglich. Nun brach Hektik in unserer Mannschaft aus. Ein Rückstand gegen Argentinien - was für eine Schande!! Immer wieder rollten nun die Angriffswellen der ermutigten Argentinier auf unser Tor zu. Higuain brachte eine scharfe Flanke in den Strafraum und Aguero musste nur den Kopf hinhalten. Ich vergrub meinen Kopf ein zweites Mal innerhalb kurzer Zeit in meinen Händen, doch der erwartete Jubel blieb aus. Als ich aufblickte, sah ich, wie Julio Cesar auf dem Boden aufkam und Messi mit dem Ball am Fuß zum Eckpunkt lief. Wir reckten die Fäuste in die Luft und klatschten Julio nach dieser Wahnsinnsparade Beifall. Doch nun gab es Eckball. Messis Eckbälle waren, meiner Erfahrung beim Fc Barcelona nach, ziemlich hart und präzise. Teilweise unabwehrbar. Dani und Ney wussten das sogar besser als ich, und deswegen hoffte ich auf einen Plan der beiden. Messis Eckball kam genau ins Getümmel. Jemand wollte den Ball mit dem Kopf über die Linie befördern, doch einer unserer Abwehrspieler hatte sein Bein dazwischenbekommen. Ich konnte weder sagen, wer der argentiniesche, noch wer der brasilianische Spieler war. Es war alles so eng und undurchsichtig. Was ich aber sah, war, wie der Ball in hohem Bogen aus unserem Strafraum und fast bis an die Mittellinie flog. Ney kam an den Ball und umdribbelte seinen Gegenspieler. Das war DIE Kontergelegenheit für unser Team. Ney und Hulk gegen zwei Verteidiger. Jetzt konnten sie endlich zeigen, wie gut sie als Duo harmonierten! Doch Ney legte den Ball weit zurück zu Paulinho. Während wir uns noch aufregten, bemerkte ich, dass dieser Wahnsinn eine Logik hatte. Paulinho hatte nämlich viel Platz und chippte den Ball mustergültig in die Schnittstelle der Abwehr. Der gestartete Hulk erreichte den Ball nur eine gefühlte Millisekunde vor dem Verteidiger. Vor Spannung zitterte ich. Er nahm den Ball mit dem Kopf mit und lief nun alleine aufs Tor zu, den Verteidiger im Nacken. Doch das störte ihn herzlich wenig. Abgebrüht schloss er den Konter mit einem gekonnten Flachschuss ab. Tor!! 1:1! Wir hatten wieder eine Chance! Das Stadion gröhlte. Die brasilianische Fans vor Freude, die argentinischen vor Entrüstung. Die Argentinier trabten mit gesenkten Köpfen zum Anstoßkreis. Unsere Elf hatte neuen Mut gefast und konnte sich nun den Angriffsversuchen des gegnerischen Teams entgegenstellen. Die Argentinier merkten das und das Spielgeschehen verflachte weitesgehend wieder.
Bis zur 45. Minute langweilte mich das Spiel wieder. Die selbe Geschichte wie vor den beiden Toren. Der Ball wurde hin und hergespielt, ein Ballverlust unterbrach die Kette. Doch anstatt einen Angriff zu starten, übte das andere Team das selbe Verfahren aus. Dann pfiff der Unparteiische, der Italiener Niccola Rizzoli , zur Halbzeit.
"Jungs, was bitte schön war das?!", brüllte Dunga, nachdem er die Kabinentüre geschlossen hatte. Etwa fünf Minuten hielt er uns eine Strafpredigt, dann erklärte er uns, wie wir, oder besser: die aktiven Spieler, das Geschehen zu ihren Gunsten verändern könnten. Ich hoffte sehr, dass Dani, Ney und Co sich Dungas Ratschläge zu Herzen nahmen und auf sie eingingen. Wir hatten nun, dank dem 1:1 eine realistische Siegeschance. Wir konnten gewinnen! Wir konnten der Welt beweisen, dass Brasilien immer noch die selbe Fußballnation war, wie vor zehn Jahren. Denn seitdem war die Leistung unserer Nationalmannschaft ständig gesunken. Aber wir hatten nun die Möglichkeit, unser Image um einiges aufzubessern.
"So, ihr werdet da jetzt raus gehen und alles geben!! Ist das klar?!", rief Dunga, dann klatschte er in die Hände, "ihr werdet der Welt zeigen, wer ihr seid!!" Anschließend beteten wir gemeinsam, wir Brasilianer waren ein sehr gläubiges Volk. "Tamo Junto!", schrie Ney und umarmte nochmals jeden von uns. Dann ging es in die zweite Runde.
Man möge fast sagen, die zweite Hälfte hätte genauso begonnen, wie die erste, doch es gab eindeutig mehr Torchancen. Argentinier wie Brasilianer trauten sich in die gegnerische Hälfte, und das Spiel wurde immer spannender. Wir auf der Bank waren schon mehrmals verzweifelt. Es kam mir vor wie damals, als ich mit meinem Vater die Spiele auf dem Fernseher angesehen hatte. Diese Spannung, und das Wissen, nichts gegen den Spielstand zu tun können. Doch jetzt hatte ich eine realistische Chance, etwas zu ändern! Die nächst Großchanche dieses Spiels ließ nicht lange auf sich warten. Keine fünf Minuten nach dem Wiederanpfiff verlor Marcelo den Ball und Higuain erkannte die Chanche, zog in die Mitte und zog aus knapp zwanzig Metern ab. Der Ball flog perfekt aufs Tor zu und Julio konnte sich so lang machen wie er wollte - er hatte keine Chance, an den Ball zu kommen. Doch wir hatten Glück,der Ball klatschte an den Pfosten. Ich atmete tief durch. Ein erneuter Rückstand würde unser Team ruinieren.
Aber zum Glück hatte auch die Selecao ihre Chancen. In der 53. Minute trieb Oscar den Ball im Mittelfeld, spielte einen Doppelpass mit dem aufgerückten Silva und spielte eine Steilpass zu Hulk, der den Ball flach in den Strafraum zog, wo Ney den Ball knapp am Kasten vorbei jagte. Kurzum: Es war ein hochspannendes Spiel mit vielen Torchanchen. In den folgenden zehn Minuten erschien Argentinien stärker. Sie hatten etwas mehr Ballbesitz und ihre Pässe brachten unsere Abwehr ein ums andere Mal in Bedrängnis. Mehrere Male konnte ich nicht hinsehen, weil ich Angst vor einem Gegentor hatte.
Dann bekam Messi einen Freistoß nach einem umstrittenen Foul, etwa dreißig Meter vor dem Tor. Das könnte gefährlich werden. Messi schoss den Ball direkt aufs Tor, doch Cesar klatschte den Ball nach einer spekterkulären Flugeinlage ab. Doch auf einmal tauchte Aguero vor dem Tor auf und versenkte den Ball im Tor. Das komplette Stadion rastete aus. Verdammt! Das Spiel war gelaufen! Aber als der grelle Pfiff des Schiedsrichters alles Geschrei übertönte, kehte für einen Augenblick Ruhe ein. Der Linienrichter hatte nämlich die Fahne gehoben. Abseits. Zum Glück! Die argentinischen Fans waren davon natürlich nicht sehr begeistert und begannen, das Schiedsrichtergespann auszupfeifen. Doch als die Widerholung auf dem großen Bildschirm gezeigt wurde, sah man deutlich, dass sich Aguero im Abseits befunden hatte. Das Spiel flachte wieder etwas ab. Beide Mannschaften hatten einfach zu viel Angst davor, einen Fehler zu machen. Nun wurde es Dunga zu bunt. "Luna mach dich fertig", knurrte er mir zu. So kam es, dass ich in der 72. Minute eingewechselt wurde. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, wirklich etwas zu verändern, war ich die ersten paar Minuten neben der Spur. Ich war einfach viel zu aufgeregt. Aber von Zeit zu Zeit wurde ich besser. Ich verhalf Ney und Luis Gustavo zu Torchanchen und hatte sogar selber eine gute Gelegenheit. Aber Argentinien ließ sich nicht abschrecken. So kam es, dass Aguero und Higuain auch zwei gute Möglichkeiten hatten. Kein Team schien mehr zu überlegen, fast alle stellten sich schon auf die Verlängerung ein. Aber ich war mir nicht sicher, wie lange wir die Verlängerung durchstehen würden, ohne ein Gegentor zu kassieren. Denn unsere Aktionen wurden immer schwerfälliger und tempoloser, während die Argentinier immer mit selbem Rhythmus auf unser Tor zustürmten. Es waren keine zehn Minuten mehr auf der Uhr, als Thiago Silva Messi den Ball abnahm und Oscar bediente, der zu Paulinho durchsteckte. Paulinho schloss ab und das ganze Stadion sprang auf und hielt den Atem an. Doch der Schuss wurde abgefälscht und landete direkt vor meinen Fuß. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf und ich bekam Angst. Überhastet schloss ich ab. Der Ball flog und der Torwart wollte den Ball ganz sicher festhalten, doch zwei seiner Verteidiger wollten ihn abwehren, bedrängten sich dabei gegenseitig und der Ball fiel mir ein zweites Mal vor den Fuß. Diesmal ließ ich mich nicht beirren. Ich schlenzte den Ball aufs Tor und riss die Arme hoch, als ich sah, dass niemand mehr dazwischen kommen konnte. Jetzt rastete das Stadion komplett aus . Keinen Zuschauer hielt es mehr auf seinem Platz! Doch das Spiel war noch nicht vorbei. Agentinien vesuchte verzweifelt in den verbliebenen Minuten verzweifelt, das Spiel noch umzubiegen. Sie hatten auch einige kleinere Chanchen, aber keine davon war richtig gefährlich. So kam es, dass Messi einen Weitschuss recht deutlich neben dass Toor setzte und Cesar sich möglichst langsam den Ball zurechtlegte und ihn, so weit wie es nur irgendwie ging, davonzudreschen. Als der Ball durch die Luft flog durchschnitt der grelle Pfiff der Schriedsrichterpfeife die fast andächtige Stille. Zwei weitere Pfiffe folgten und ich brach auf dem Spielfeld zusammen. Wir hatten gewonnen! Wir waren Weltmeister! Meine Gedanken waren so überwältigend, dass ich die unmöglich lauten Schreie des Publikums nicht hören konnte. Ich merkte nicht, dass die Bank aufgesprungen und auf das Spielfeld gerannt war. Ich nahm auch nicht war, dass sich um mich eine Traube von Spielern gebildet hatte. Alle weinend. Sie hoben mich hoch und warfen mich in den Himmel. Ich war ein Held! Ich hatte uns gerettet! Der Kampf war gewonnen! Weinend lag ich Ney in den Armen, und wurde reiheum gereicht. Jeder umarmte jeden, jeden Brasilianer und jeden Argentinier, es gab keinen Rassismus. Wir waren nur Menschen, die durch etwas verbunden wurden - den Fußball...
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Leute!!! 2005 Wörter!! Unglaublich! Ich muss aber ein wenig schummeln, mein Bruder hat mir hierbei geholfen, weil ich dann doch keine 2000 Wörter über ein einziges Spiel schreiben kann. Also danke an ihn ;) Lass mir doch bitte einen Vote oder ein Kommentar da, wenn es euch gefallen hat. Ich saß fast fünf Stunden an diesem Kapitel! (Warum auch immer)
Das nächste Kapitel kommt morgen. (Ja, es geht noch weiter ;) )
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