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F̲̅e̲̅l̲̅i̲̅x̲̅ P̲̅o̲̅v̲̅:

Mit stechenden Tränen, welche meine Sicht kontinuierlich verschwommen darstellen, torkle ich zuerst ein paar Schritte von der Tür weg, um einen, für mich, essenziellen Abstand zu erschaffen, in der Hoffnung, diese instinktive Responsion würde meinen inneren, wütenden Tornado an Gefühlen ein wenig in die Schranken weisen. Heiße Tränen der tiefgründigen Trauer rinnen in Strömen über meine geschwollenen Wangen. „W-warum...?", entweicht es mir schluchzend, ehe meine Knie unkontrollierbar nachgeben, kurz darauf mit einem dumpfen Knall auf dem kühlen Boden aufprallen, jede weitere Sekunde scharfe Messer kompromisslos durch mein pulsierendes Herz gebohrt werden. Jedoch sind die körperlichen Schmerzen nicht annähernd vergleichbar mit den psychischen Qualen, denn die intensiven Erinnerungen spielen sich wie ein sadistischer, furchteinflößender Horrorfilm unvermeidlich vor meinem geschlossenen Sehsinn ab, zerquetschen mich beinahe unter ihrem immensen Druck.

Ein reines Chaos echauffiert in meinem gebrochenen Herzen, während ich einerseits keinen blassen Schimmer habe, wie man mit so einer avernalischen Situation richtig zurechtkommt, andererseits nicht genügend Kraft besitze, damit ich einer sinnvolleren Tätigkeit nachgehen könnte, anstatt auf dem lackierten Boden zu knien und den brennenden Tränen freien Lauf zu gewähren. Vielleicht gibt es darauf keine eindeutige Antwort, aber ich brauche eine sichere Rettung aus diesem verworrenen Wollknäul. Chan, Minho, Hyunjin, Jisung, Seungmin und Jeongin sind nicht erreichbar, schließlich befinden sie sich logischerweise in ihrem normalen Alltag, sprich in der Schule. Außerdem teilen sich Changbin und ich unseren Freundeskreis, was keine Pluspunkte für mich ergibt, weil ich die sechs keinesfalls in meine privaten Angelegenheiten hineinziehen möchte. Erstens fällt es mir nach wie vor schwer, meine Vergangenheit irgendwem anzuvertrauen, der nicht der Dunkelbraunhaarige oder meine Mutter ist, zweitens haben sie bestimmt besseres zu tun, als mir beim jämmerlichen Heulen zuzusehen.

Ängstlich schlingen sich meine Arme um meinen bebenden Oberkörper, während eine neue Welle an Traurigkeit, Frustration, Wut, Scharm meine Gedanken aufwühlt, ich die salzigen Tränen unregelmäßig auf meinen Pullover tropfen spüren kann. Nichts scheint zu nützen, denn mit jeder verstreichenden Minute steigert sich die Panik in mir, weshalb sich mein zittriger Körper reflexartig an die nächstbeste Wand drückt, sodass ich nun meine schwachen Knie unruhig anwinkle, die Hände fest an die Ohren presse, um flehend für einen Moment alles zu vergessen, jedoch funktioniert dies nicht so, wie geplant, da mein Gehirn mich wiederholt aufmerksam macht, warum ich überhaupt zu dieser Uhrzeit zu Hause im Flur am Boden sitze und bis zum Hals in unumgänglichen Schwierigkeiten stecke, mir die Seele folglich aus dem Leib weine.

Mittlerweile gewöhne ich es mir schwerfällig ab, meine Tränen zu unterdrücken, weil es im Endeffekt sowieso keine Wirkung erzielt. Die einzigen Geräusche, welche mich begrenzt ablenken, sind das regelmäßige Ticken der Küchenuhr und das gelegentliche Tropfen des Wasserhahns, jene ich beide aus der Küche höre. Die emotionalen, überfordernden Attacken rauben mir zunehmend jegliche Energie, weswegen ich der salzigen Flüssigkeit freien Lauf lasse, trotzdem versuche, das erschöpfende Zittern, Schluchzen und Beben zu bändigen, obwohl mir längst bewusst ist, dass dies womöglich zu einem totalen Kontrollverlust führt. Möglicherweise wäre der überrumpelnde Vorfall von heute Vormittag nie passiert, wenn ich Jongnim nie meine Sexualität anvertraut oder Changbin keinesfalls näher an mich herangelassen hätte. Ich hätte es vermeiden können. Wieso bin ich so naiv und sentimental? Ich habe mich selbst in diese schmerzvolle Situation gesteckt, niemand anderes!

Es spannt mich brutal auf die Folter, zu wissen, heute nicht nur eine bedeutende Freundschaft zwischen dem Dunkelbraunhaarigen und mir chancenlos verloren zu haben, sondern auch meine erste, eigentlich glückliche Beziehung dabei zusehen zu müssen, wie sie wegen eines schwungvollen, empathielosen Schlages quälerisch in kleine Stücke zerschmettert wurde, jede Erinnerung, Freundschaft und all das zusätzliche Glück, welches ich mir nach dem Wechsel auf die aktuelle Schule mühselig aufbaute, nun in irreparablen Trümmern liegt, mein gesamter Körper sich vor seelischen Stichen verzweifelt zusammenkrümmt. Das strapazierende Szenario ähnelt einer massiven, zerstörerischen Abrissbirne, jene ihre destruktive Aufgabe mit vollem Vergnügen erledigt, manchmal sogar das emotional prioritäre zu Hause eines unschuldigen Kindes ohne Gefühlsregung destruiert.

Aber die wichtige Frage ist, ob mein Ex-Freund oder Jongnim die Verantwortung für diese höhnische Handlung trägt? Panisch weiten sich meine Augen auf eine monströse Tellergröße, sobald ich einen potenziellen Zusammenhang binnen Sekunden erkenne. Ist es möglich, dass die zwei unter einer Decke stecken, verräterisch lästern und ohne einen Hauch von Schuldgefühlen über mich spotten, während ihr boshaftes Lachen kein Ende findet? Ich wurde von beiden intrigant benutzt, als wäre mein fragiles Vertrauen ein unwichtiges, billiges Glas, jenes für niemanden einen besonderen Wert hat, sondern einfach nur eines von vielen kostengünstigen Industrieprodukten ist.

„Nein, bitte nicht", flehe ich erstickt, wobei die tiefsitzende Furcht meine Atemwege automatisch verengt, der überlebenswichtige Sauerstoff mich zwar umgibt, allerdings nicht in meine Lunge möchte. Ein imaginäres Vakuum raubt mir die essenzielle Möglichkeit, revolvierende Atemzüge zu genießen, stattdessen ringe ich wie ein Fisch über Wasser, um eine rettende Lösung am Leben zu bleiben.

Ich will das alles nicht mehr!

Warum fühlen sich die Menschen hervorragend, welche anderen zerstörerischen Schmerz hinzufügen? Wieso gewinnt der Täter, während das Opfer mit einem lebenslangen Schaden existieren muss?

Das ergibt keinen Sinn. Jongnim ist zurück, Changbin verrät mich, meine Mutter bleibt wegen irgendwelchen Problemen länger auf der Arbeit und ich bin dazu verpflichtet, schnellstmöglich meinen üblichen Alltag fortzusetzen, als wäre nichts passiert!

Ungefähr eine Viertelstunde später lege ich zu Tode erschöpft den Kopf in den Nacken, weswegen ich sofort einen erwarteten Kontakt mit der Wand herstelle. Immer wieder fallen meine bleischweren Augen zu, ehe ich ein letztes Mal müde blinzle, die Spannung aus den Muskeln ungestört entweicht, die überfordernden Gedanken etappenweise aus meinem einknickenden Schädel zunehmend verschwindet, die letzten Tropfen ihren Weg aus meinem geschwollenen Sehsinn bahnen.

Ich würde so viel dafür opfern, mich nicht mehr so zu fühlen oder die präsenten Erinnerungen an meinen ehemaligen besten Freund mit einem Radiergummi aus dem Langzeitgedächtnis ein für alle Mal auszulöschen.

——

Vorsichtig öffne ich meine ziehenden Lider, weshalb meine geballten Fäuste kurz über sie reiben, um den Schlafsand behutsam zu entfernen, bis meine Hand schwach zur Wand gleitet, ich wenige Augenblicke darauf wackelig aufstehe, jedoch bei dem ersten Schritt wieder eine unangenehme Bekanntschaft mit dem Boden mache, da meine Beine unglücklicherweise eingeschlafen sind. „Scheiße", zische ich genervt, probiere den einfachen Plan, ohne groß zu überlegen, ein zweites Mal, in der Hoffnung, es klappe dieses Mal. Draußen strahlt bereits kein Licht mehr in die komfortable Wohnung, da anscheinend die Sonne in der Zwischenzeit ihre revolvierende Abwesenheit beansprucht, allerdings lege ich meinen ungeteilten Fokus auf andere Dinge, welche mir momentan bedeutungsvoller erscheinen.

Ein erleichtertes Seufzen erfüllt den stillen Raum, während mich die Neugierde, zu wissen, wie spät es mittlerweile ist, intuitiv packt, ehe ich wissbegierig nach meinem verschollenen Handy auf der kuscheligen Couch suche.

19:00 Uhr? Habe ich ernsthaft den Mittag und Nachmittag ununterbrochen im Flur geschlummert?

Verblüfft von den meisterhaften Schlafkünsten trinke ich vorerst ein Glas voll kaltem Wasser, welches die schlappen Geister in mir schließlich aufweckt, ehe ich mir grübelnd überlege, was meinen knurrenden Magen akut stillen könnte. Es ist unüblich, dass ich nach dem nervenaufreibenden Schultag noch Hunger empfinde, die Aktion mir seltsamerweise nicht den Appetit verdarb, aber ich hatte seit gestern Abend nichts mehr zu essen, was ein zusätzlicher Faktor für meinen Heißhunger bildet.

Nachdem ich die meisten unwichtigen Benachrichtigungen mit einer idiotensicheren Wegwischbewegung fürs Erste entfernte, antworte ich instinktiv meiner Erziehungsberechtigten auf ihre Anrufe, da die zehn Verpassten reichen, damit mir bewusst ist, dass sie sich deutlich um mich sorgt und sich äußerst schuldig fühlt, nicht bei mir sein zu können. „Felix, Liebling. Wie geht es dir? Es tut mir so leid, dass ich nicht bei dir sein kann! Du fühlst dich nicht gut und ich stecke hier auf der Arbeit fest", macht sich meine Mutter ununterbrochen selbstbezogene Vorwürfe, wobei ich unabsichtlich die Stirn runzle. Es ist nicht ihre Schuld, sie hat mich so oft unterstützt. „Eomma, hör auf dir die Schuld zu geben. Du kannst kein bisschen für die aktuelle Situation. Stress dich nicht, ich werde uns einfach etwas bestellen", erwidere ich aufrichtig, nehme ein entlastetes Ausatmen wahr. „Danke, Lix. Du bist ein Engel", spricht die Ältere gelassener als zuvor, jedoch schwingt immer noch ein deutlicher Druck an Schuldgefühlen mit. Da kann sich so mancher eine dicke Scheibe abschneiden.

Mehrere Male setze ich meine Erziehungsberechtigte verständnisvoll in Kenntnis, dass es für mich keineswegs ein Problem sei, wenn ich allein zu Abend esse, schließlich trägt sie nicht die Verantwortung für die nächtliche Schicht. Sobald ich bei einem nahegelegenen Restaurant hastig anrufe, meine Bestellung, welche schlichtweg aus Kimbap, Bulgogi, Kimchi, Reis, plus einer Portion Eiscrème besteht. Besonders der Nachtisch ist mein Lebensretter, denn dieser soll bekanntlich die Nerven beruhigen, obwohl ich mich manchmal frage, wie viel Wahrheit eigentlich dahintersteckt, aber es wirkt, weswegen der übrige Rest simpel und einfach als unwichtig abgestempelt wird.

In der Zwischenzeit decke ich den Tisch, richte die Kissen, inklusive Decke auf der Couch, verstaue die Schultasche unter meinen Schreibtisch, jener in meinem entspannten Zimmer steht, sorgfältig, bis mein klarer Blick zur regelmäßig tickenden Küchenuhr wandert, ein geringes, dennoch vorhandenes, Gefühl der Erleichterung einen Teil des immensen Druckes von meiner ziehenden Brust glücklicherweise wegnimmt. Die nervenaufreibende Sache bedrückt mich stets unglaublich, keine Frage, allerdings scheint sich mein Verstand endlich erneut in die Realität einzubringen, was mich deutlich vor einem neuen emotionalen Zusammenbruch bewahrt.

5 Minuten vor der berechneten Uhrzeit, wann mein frisches Abendessen ankomme, stopfe ich den nötigen Betrag mit ausreichlich Trinkgeld in die hintere Hosentasche, wobei das Smartphone in die andere wandert, zu guter Letzt der prioritäre Türschlüssel selbstständig an meinem Mittelfinger herumbaumelt. Anscheinend möchte mir das Unterbewusstsein damit eine Nachricht senden. Schnell schlüpfe ich in ein gemütliches Paar Schuhe, sperre voller Vorfreude die sichere Türe auf, welche sich schlagartig in ein gebrochenes Herz verändert.

Die quälende Sicht, jene sich vor meinen weit aufgerissenen Augen bietet, lässt das blutpumpende Organ mit solch einer Intensität pochen, dass ich Angst habe, es könne aus meiner stechenden Brust platzen.

„Changbin?", hauche ich ungläubig, während meine Augen unerwarteterweise zu Tränen beginnen, die unbewiesenen Anschuldigungen ihm gegenüber für einen Moment komplett meinen Kopf verlassen, sich die niemals stillstehende Welt für mich trotzdem wie eingefroren anfühlt. Mit einem reuevollen Blick knie ich mich vorsichtig zu dem Dunkelhaarigen hinunter, streiche diesem fürsorglich über die Stirn, ehe die eisige Kälte meine aktiven Instinkte auf Hochtouren fahren lässt.

Warum ist er hier?


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Und wieder Drama xD

Endlich habe ich es geschafft, ein neues Kapitel hochzuladen! Danke an jeden, der so viel Geduld mit mir und dieser Story hat <33

Eine wunderschöne, restliche Woche!

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