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F̲̅e̲̅l̲̅i̲̅x̲̅ P̲̅o̲̅v̲̅:
Dieser Tag ist ein absoluter Albtraum. Allein der Fakt, dass ich in Changbins zu Hause bin, fühlt sich furchtbar an. Wieso muss diese Präsentation so wichtig für die Benotung sein? Als hätte ich nichts Besseres zu tun.
Gerade stehe ich noch im Flur, während der Ältere meinen Weg versperrt. „Verschwinde aus meinen Augen. Ich habe keine Lust, dass du mich kennenlernst", schaue ich ihn missbilligend an, spucke meine Worte in sein Gesicht.
Bevor der Kleinere mich weiter am Verlassen dieses Hauses hindert, bin ich bereits bei meinen Schuhen, welche ich schnell binde, was bei Converse zwar etwas dauert, aber dafür sehen sie großartig aus. „Warte! Wir sind noch nicht fertig!", wird mir nachgerufen, mein Interesse weckt es in keiner Weise. Wann versteht er endlich, dass ich niemanden brauche? Schließlich war auch niemand für mich da, als der Verrat von Jongnim passierte. Er hat etwas Unumkehrbares gemacht und ich schenkte ihm, geblendet von Hoffnung und Positivität, mein Vertrauen, obwohl die Alarmglocken in meinem Gehirn aufschlagen hätten sollen, als mein ehemaliger, bester Freund den Transboy sichtlich abstieß. Bis zum jetzigen Moment bleibt mir unerklärt, welche Schwierigkeiten es hat, die richtigen Pronomen und den korrekten Namen bei einer Person zu verwenden. Ist es so viel besser, jemanden für seine Geschlechtsidentität fertig zu machen, anstatt diesem Menschen Unterstützung zu zeigen?
Tief ausatmend öffne ich die Türe, während ein flitzender Changbin auf mich zukommt. Der Typ hat eine Ausdauer mit mir, das glaubt keiner. „Felix-", erblicke ich aus dem Augenwinkel seine Hand, die nach meinem Oberarm greift, jedoch habe ich gerade andere Sorgen.
„Scheiße", entweicht es mir, wie von einer Tarantel gestochen. Es schüttet wie aus Eimern! Noch dazu sieht es aus, als würde es später hageln. Na super, ein weiterer Beweis, weswegen meine gute Laune mit der Zeit immer mehr zu verschwinden scheint.
„Anscheinend bist du heute wohl dazu gezwungen, eine Übernachtung bei mir durchzustehen", witzelt Changbin hinter meinem Rücken ein paar Minuten später, wobei ich nur wütend in den Regen schaue. Ernsthaft? Ich kann nicht nach Hause oder diesen Ort hier verlassen.
„Halt den Rand oder ich schneide dir die Zunge höchst persönlich ab", drohe ich, nachdem meine Wut ein kleines bisschen verflogen ist, ich mich zu ihm umdrehe. „Ich glaube, du hast unsere Rollen verwechselt", lehnt er sich zu mir nach vorne. „Du bist der Gast und beinahe gezwungen, bei mir zu bleiben, wenn du keine Grippe oder Erkältung bis morgen willst", reibt mir der Kleinere meinen Untergang extra unter die Nase.
Bockig verschränken sich meine Arme vor meiner Brust, ehe meine Sicht für ein paar Sekunden schwarz wird, weil ich bewusst laut seufze und meine Augen schließe. „Du hast die Wahl, Felix. Entweder wir klären das heute zwischen uns oder du schläfst hier draußen, wobei du danach mit hoher Wahrscheinlichkeit steinkrank sein wirst", grinst der Typ provokant, wohlwissend, ich würde absolut nicht in diesem Unwetter schlafen.
Aber ein wenig darf ich doch spielen. „Falsch gedacht. Ich bleibe hier draußen", antworte ich, drehe meinen Körper bewusst weg von ihm, was ihn nur erstaunend pfeifen lässt. „Wie Sie wollen. Ich bewege mein Ärschlein hinein und mache mir etwas zu essen. Falls sich Ihre Meinung ändern sollte, dann befindet sich meine Wenigkeit am Kochen", neckt mich der Koreaner, während mein Körper sich ordentlich durchschüttelt wegen der Kälte. Großartig.
„Ich weiß ganz genau, du wirst in weniger als drei Minuten klingeln. Du hast drei Möglichkeiten. Erstens stelle ich einen Timer, damit ich die Tür in ein paar Minuten erneut öffne, zweitens wirst du deinen Allerwertesten von allein in die Wärme bringen, somit mit mir zu Abend essen, während wir ein paar Kleinigkeiten klären, oder drittens trage ich dich rein", schlägt der Gastgeber vor, bevor mein Kopf in den Nacken fällt, daraufhin ein mehr als genervtes Stöhnen meinerseits erklingt. „Wie großzügig, dass du mir drei Minuten Frieden gönnst", pressen meine Lippen den Kommentar hervor, da mir zunehmen kälter wird und sich eine Gänsehaut überall auf meiner Haut ausbreitet.
„Du strapazierst anscheinend liebend gerne meinen Geduldsfaden", kontert das Wesen, welches ich nicht sehe, da mein Körper weiterhin abgewendet von ihm steht. „Dann machen wir es auf meine Art", nehmen meine Ohren flüsternd wahr.
Was hat der denn nun vor?
Ehe ich etwas anderes machen hätte können, wirft mich Changbin über seine Schulter, was für Außenstehende wahrscheinlich so aussieht, als wäre ich ein Kartoffelsack. „Ey, du Zwerg! Lass mich sofort runter!", treffen meine Handflächen immer wieder auf seinen Rücken. „Ich habe dich gewarnt", lacht er nur. Der hat Nerven.
——
Gelangweilt lehnt sich mein Rücken gegen die Theke, während Changbin die Tiefkühlpizzen in den Ofen schiebt. „In zehn Minuten ist unser Essen bereit", freut sich der Kleinere sichtlich, wobei ich nur eine genervte Miene aufziehe.
Die Motivation und gute Laune, welche mich früher zum Quatschen gebracht haben, scheinen nicht mehr zu existieren. Ich habe absolut keinen Schimmer, was ich noch fühlen oder wie ich handeln soll. Tja, da hat Jongnim sein Ziel wohl erreicht, denn momentan bestehe ich aus Kälte, Sarkasmus und Ablehnung gegenüber Freunden und Vertrauen. Ich habe niemanden, obwohl meine Mutter mir angeboten hatte, ich könne zu ihr kommen, möchte ich sie keinesfalls mit meinen Problemen belasten.
Ich gestehe es mir selbst ein, dass ich verbittert bin und verraten wurde. Verrat. Es ist es Wort mit so viel Bedeutung, es könne einem alles nehmen. Eine Sache reicht und man liegt am Boden, weint, fragt sich, womit man das verdient hat, welche Taten man verrichtet hatte, weswegen man diese Art von Schmerz durchleben muss. Ja, das ist mir durchaus bekannt. Die Erinnerungen an den Jungen wollen mich nicht verlassen, sich unter keiner Bitte von mir lösen. Und dann kommt plötzlich jemand, der so anders ist als jeder Mensch, den ich bis jetzt getroffen habe. Kann man Changbin vertrauen oder sind das alles nur Spielchen, jene er an mir ausführt? Werde ich jemals wieder in der Lage sein, eine Person an mich heranzulassen? Die komplette Situation ist überfordernd. Mein Kopf scheint keine Lösung zu finden, ich fühle mich eingesperrt in der Irre.
„Felix? Ist alles in Ordnung?", schüttelt jemand meine Schulter, während ich langsam in der Realität ankomme. War das eine erneute Abtreibung in die Gedanken, welche mich quälen? Ich muss wirklich aufpassen damit, sonst wird es noch auffälliger, als es ohnehin schon ist.
„Alles bestens, was hast du? Sind wir jetzt schon übersensibel geworden?", frage ich in einem kalten, ablehnenden Ton, bevor ich ihm in die Augen starre. „Ich habe keine Ahnung, was dein Problem ist, aber die Pizzen sind fertig und ich würde es sehr befürworten, wenn du deine respektvollen Manieren aus dem hintersten Teil deines Gehirns hervorrufst, denn ich lasse mir so einen Dreck nicht länger gefallen", spricht der Ältere todernst, nachdem sich sein Gesicht um einiges verdunkelt. Wow, diese Art hätte ich in keiner Weise von meinem Gegenüber erwartet.
Sprachlos finde ich einfach Platz auf einem Stuhl beim kleinen, rundlichen Tisch, während der Gastgeber das Essen auf zwei Teller aufteilt und sich zu mir gesellt. „Danke", entweicht es mir unabsichtlich. „Du hast doch Manieren. Ich bin stolz auf dich", lächelt er mich kurz an, weshalb mein Puls sich minimal erhöht. Was ist nun los? Spinne ich komplett?
——
„Was ist dir passiert, dass du so kalt und ablehnend bist?", stellt Changbin mir eine Frage, welche ich nicht umgehen kann, beziehungsweise werde. Vielleicht ist es besser, mit dem Weglaufen aufzuhören.
Nachdem das Theater von vorhin abgekühlt ist, haben wir uns jeweils ein Glas mit Wasser geschnappt, sitzen somit gegenüber wie gerade eben. „Es- Sagen wir so, es ist etwas passiert. Ich bin schließlich nicht ohne Grund so", nippe ich kurz an dem Glas. „Lass uns etwas ausprobieren", schlägt der Koreaner mit viel Begeisterung vor, was man ebenso an seinem Gesichtsausdruck erkennt. „Was soll das sein?", frage ich neugierig, jedoch zurückhaltend nach. „Du erzählst mir, weswegen deine Persönlichkeit einem Eisbrocken gleicht, und ich vertraue dir im Gegenzug eine Sache aus meiner Vergangenheit an, die nur meine drei besten Freunde wissen. Klingt das nach einem Deal?" „Abgemacht.", stimme ich nach langem Überlegen zu.
Ist das eine dumme Idee? Definitiv, aber schlimmer als das mit Jongnim kann es ja wohl nicht sein, richtig? Ich, ein Typ mit Vertrauensproblemen, setze also genau das auf einen Teenager, den ich eigentlich nur anstachle und nicht zu mögen scheine. Das hört sich absolut bizarr an. Aber was ist das Leben ohne Risiko...
„Nur zur Info, ich habe vor, das schnell hinter mich zu bringen. Mein Kopf weiß selbst nicht, was er da tut oder warum. Falls du mich verraten solltest, wirst du mich von ganz anderen Seiten kennenlernen", drohe ich schon vor. „Werde ich nicht, versprochen"
„Okay, dann fangen wir mal an. Ich hatte in meiner alten Schule einen besten Freund, er heißt Jongnim. Auf jeden Fall waren wir so, wie beste Freunde eben waren, haben viel Scheiße gebaut, den Gossip ausgetauscht und all das Zeug. Irgendwann outete sich ein Schüler als trans, mit er/ihm Pronomen und einem neuen Namen, woraufhin er leider stark gemobbt wurde, danach die Schule verließ. Mein damals bester Freund nutze konstant die falschen Pronomen mit dem inkorrekten Namen, obwohl ich ihn immer hinwies, dass er falsch lag. Naiv war zu der Zeit kein Begriff für mich, ich habe schlichtweg einfach seine toxische Seite ignoriert. Als ich ihm dann von meiner Bisexualität erzählt habe, wusste es am nächsten Morgen die komplette Schule, welche sehr hasserfüllt bezüglich dieses Themas ist. Lange Rede, kurzer Sinn, das Mobbing verschonte mich nicht und ein paar Tage später wechselte ich die Schule, da ich es dort unter keinen Umständen länger ausgehalten hätte. Deswegen benehme ich mich auch so, die Vertrauensprobleme sind zu präsent", beende ich angespannt meine Erzählung, während der Dunkelbraunhaarige geschockt aussieht. „Das erklärt einiges, aber dieser Jongnim ist wirklich undicht. Man sollte andere deshalb keinesfalls fertig machen", kurz scheint Changbin zu grübeln, ehe er ergänzt: „Danke, dass du mir das anvertraust, das muss sehr schwer für dich gewesen sein und ich habe nichts gegen deine Sexualität. Ich bin selbst schwul, plus mein Freundeskreis ist ebenfalls alles andere als hetero", lächelt der Ältere mir aufmunternd zu, was ich schwach erwidere, mich zum ersten Mal ein bisschen akzeptiert fühle. „Hast du gerade gelächelt?!" „Nein? Wie kommst du darauf" „Lüg nicht! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen!" „Ach, egal." „Dein Lächeln steht dir, du solltest es öfters bei mir machen", grinst mein Gegenüber frech. „Du bist an der Reihe", lenke ich erfolgreich vom Thema ab.
„Gut, wo beginne ich? Also, meinen Eltern sind meine schulischen Leistungen unvorstellbar wichtig, sodass ich mich selbst im letzten Semester dadurch unter viel Druck gesetzt habe. Ich hatte am Anfang hervorragende Noten, aber mit der Zeit kamen mehr Nebeneffekte. Schlafstörungen, Perfektionismus und unfassbarer Leistungsdruck, weshalb ich teilweise bis um vier in der Früh wach war, um zu lernen oder gar nichts an Schlaf bekam. Meine Erziehungsberechtigten haben vorerst nichts mitbekommen, aber Chan, Minho und Hyunjin, meine besten Freunde, bemerkten es, dass ich in der Nacht kein Auge zudrückte und am Tag an dem Versuch scheiterte, wach zu bleiben. Wir drei haben uns dann zusammengesetzt, darüber geredet und sind zu dem Entschluss gekommen, ich solle es meinen Eltern sagen, damit sie sich mit mir darum kümmern können. Ich habe es aus dieser Zeit geschafft und schlafe besser. Manchmal habe ich noch Schwierigkeiten beim Einschlafen, aber da helfen mir meine Freunde sehr", erklärt Changbin zu Ende, ehe seine Mundwinkel kurz nach oben gehen.
„Es scheint, als hätten wir beide ordentlich was durchgemacht", fällt mir nachdenklich auf. „Ja, da hast du recht. Können wir jetzt endlich mit diesen unnötigen Kommentaren und anderem Blödsinn aufhören?", will der Koreaner wissen, wobei ich nicke.
Vielleicht ist es doch keine negative Sache, jemandem zu vertrauen. Jedoch ist da immer noch diese Angst in mir, er lüge mich an. Naja, wird schon schief gehen. Wenn der Ältere mich wirklich verraten sollte, dann weiß ich nicht, was mit mir passieren wird. Irgendwie habe ich die ehrlichen, tiefgründigen Gespräche vermisst...
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Wie fandet ihr es? :)
Have a great week!
Bye bye ;)
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