16

Luca

Luna hat den Kopf zur Seite an den Rücksitz gelehnt und beobachtet mich. Vielleicht ist es das Funkeln in ihren Augen das mir den Mut gibt die Frage zu stellen, die mit jedem Meter drängender wird. Denn gleich erreichen wir die Kreuzung und müssen über die Richtung entschieden, in die wir fahren.

„Möchtest du noch mit zu mir kommen?" Passenderweise ist die nächste Ampel auf Rot und ich kann in Lunas wunderschönes Gesicht sehen. Dabei entgeht mir nicht das leichte Zögern, das ihr Lächeln für Sekundenbruchteile verwischt.

„Du mußt natürlich nicht." Füge ich eilig hinzu. „Ich dachte nur, dann könnten wir morgen früh direkt bei mir losfahren. Ich schlafe auch ganz brav auf dem Sofa. Ehrenwort." Ich zwinkere ihr zu, doch die Art wie sie die Stirn runzelt, jagt mir einen Schauder über den Rücken.

" Du vertraust mir doch , oder?" Die Worte sind heraus und ich kann sie nicht mehr rückgängig machen, genauso wenig wie den leichten Vorwurf der darin mitschwingt. 

„Ja, ich vertraue dir," erwidert sie und weicht meinem Blick aus, um den Saum ihres Kleides nach unten zu ziehen. 

„Wenn du wirklich auf dem Sofa schläfst und mich ...ich weiß nicht..bremst wenn ich irgendwie..sagen wir mal...ein zu großes Tempo vorlege, oder so." Sie fängt an, auf den Innenseiten ihrer Wangen herum zu kauen. Das habe ich schon öfter bei ihr beobachtet, bisher fand ich es immer süß an ihr, aber jetzt verstärkt es das unheilvolle Stechen in meinem Herzen.

„Also Luna, wenn hier einer gebremst werden sollte, um kein unangebrachtes Tempo vorzulegen, bin das jawohl eindeutig ich. Aber sei unbesorgt. Es wird nichts passieren, was du nicht wirklich zu Einhundert Prozent möchtest. Und wenn nötig, werde ich dich daran erinnern, bevor wir einen Schritt weiter gehen." Meine Worte scheinen sie zu beruhigen, denn das Stirnrunzeln verschwindet und ihr Lächeln kehrt zurück. 

„Okay, dann komme ich mit zu dir.Ich habe eine interessante Netflix Doku angefangen, die können wir ja zu Ende gucken, wenn du Lust hast."

Erleichtert lasse ich die Luft aus meinen Lungen weichen, die sich in dem angespannten Moment darin gesammelt hat. "Furchtbar gern!"

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"Diesmal bin ich wohl derjenige mit der unaufgeräumten Wohnung, " warne ich Luna vor, als ich meine Wohnungstür aufschliesse. Luna zuckt die Schultern. „Unaufgeräumte Wohnungen sind viel aufregender. " Ich hauche ihr einen Kuss auf die Wange. "Ich hab sowieso keine Geheimnisse vor dir." Mann wie gut es sich anfühlt, seine Zuneigung nicht mehr verstecken zu müssen. Trotzdem schlägt mir das Herz bis zum Hals. „Setz dich ruhig schon mal." Ich räume ein paar Bücher vom Wohnzimmertisch und staple sie auf dem Boden. „Ich habe nicht vor auf dem Tisch zu sitzen," grinst Luna. "Ja ...du hast Recht, ich dachte nur...falls wir nachher was essen...,"stammle ich und muss über mich selbst die Stirn runzeln. „Mich interessiert, was du liest." Neugierig beugt Luna sich herab, um einen Blick auf die Bücher zu erhaschen.

„Langweilige  Coffe Table Books," erleichtert darüber, dass ihr meine Nervosität nicht aufgefallen ist, winke ich ab.  Doch Luna lässt sich nicht beirren und schnappt sich einen der schweren Bände um darin zu blättern. Ihr braunes Haar fällt ihr dabei über die Schultern und bedeckt das Gesicht. Lächelnd hocke ich mich neben das Sofa und streiche es zur Seite. "Sollen wir uns was zu Essen bestellen?" 

„Hm?" Sie ist gerade in ein Foto vertieft, auf dem dem ein Wolf zu sehen ist, der durch die Eiswüste Alaskas trabt. 

„Du bist wunderschön, weißt du das eigentlich?" Sie wendet mir den Kopf zu. Wortlos sieht sie mich an. Ihre Unterlippe zittert kaum merklich. 

"Essen klingt gut," weicht sie aus und wendet sich wieder dem Buch zu.

„Ich bestelle uns was Leckeres , ja?" 

Bedächtig blättert sie um und lässt den Blick über die Seite schweifen. „Okay."

„Aber keine Pizza ." Fügt sie hastig hinzu.  

„Ganz wie du willst, Luna. Ich hole dann mal die Karte." Gemeinsam suchen wir was zu Essen aus und ich gebe die Bestellung auf. Danach setze ich mich zu Luna auf das Sofa. Vorsichtig nimmt sie meine Hand. Ihre Fingerspitzen fühlen sich kalt an, trotzdem sendet diese zarte Berührung tausend in Feuer getauchte Pfeile unter meine Haut.

„Sollen wir die Netflix Doku anmachen?" frage ich sie, um meine Nervosität irgendwie in den Griff zu bekommen.

Zaghaft lehnt sie den Kopf an meine Brust. Hoffentlich hört sie nicht, wie schnell mein Herz schlägt. 

„Darf ich lieber nochmal das Foto sehen, das du mir damals gezeigt hast?" fragt sie. Vorsichtig lasse ich meine Finger durch ihre Harre gleiten. 

„Dann muß ich ja aufstehen," murre ich. „Dabei ist es gerade so schön einfach nur mit dir hier zu sitzen." 

„Ich möchte es aber gerne nochmal sehen, "beharrt sie. Offenbar kann sie sehr stur sein. 

„Natürlich". Ich hauche ihr einen Kuss auf den Scheitel und verschwinde im Nebenzimmer. Kurzerhand nehme ich das Foto vom Klavier und beschliesse  Luna noch ein Weiteres zu zeigen. Eines, auf dem meine Mutter zu sehen ist. Damals, vor drei Monaten hat Luna es die ganze Zeit angesehen und ich wußte das ihr eine Frage auf der Seele brennt. 

Ich setzte mich wieder neben sie und ziehe sie in meine Arme, die beiden Bilderrahmen noch in der Hand haltend. 

 Neugierig huscht ihr Blick über die Fotos. „Das hier kennst du ja schon." Ich halte das Footballfoto hoch. Sie nimmt es mir aus der Hand. „Blackwater im Footballtrikot" grinst sie. „Es steht dir wirklich ausgezeichnet." Ich hebe das Kinn und ziehe eine Augenbraue hoch, „hättest du das nicht zugegeben, wäre das sowieso total unglaubwürdig."

„Da ist er wieder, Luca Blackwater. Die Arroganz in Person." Sie kräuselt die Oberlippe und verdreht genervt die Augen, was kosmisch aussieht und mich unwillkürlich zum Lachen bringt.

„Wenn du möchtest, kann ich dir das Trikot zeigen," schlage ich vor. 

Sofort hellt sich ihr  Blick  auf. „Gerne." Doch als ich aufstehen will, um es zu holen, nimmt sie mir das Foto meiner Mutter aus der Hand.

„Ihr seht euch sehr ähnlich." Sie mustert mein Gesicht.„Ja, auf dem Bild war sie ungefähr so alt wie ich. Es war kurz bevor sie..."meine Stimme gerät ins Stocken und ich schlucke ein paarmal. „Bevor sie meinen Dad geheiratet hat." Luna legt ihre kühlen Fingerspitzen an meine Wange und jagt ein Kribbeln durch meinen Körper. „Hast du von ihm auch ein Bild?" Ich schüttle den Kopf. „Ich habe keine Ahnung wie er aussah, und ich will es auch gar nicht wissen. Er war derjenige der sie in den Drogensumpf hinabgezogen hat , nur um sie zu schwängern und sie allein mit ihrer Sucht zurückzulassen." Es macht mich  traurig, wenn ich daran denke, wie einsam die letzen Stunden gewesen sein müssen, die sie durchleben mußte, als sie mich zur Welt brachte. Einsam und verlassen in einem Keller, bis uns irgendjemand fand und den Krankenwagen rief.

 „Sie war nicht allein, du warst bei ihr,"verblüfft darüber, wie Luna meine Gedanken ergründet, stiehlt sich ein Lächeln auf meine Lippen, denn ich weiß genau was sie meint.„Ja, du hast recht. So habe ich das noch nie gesehen." Mein Herz zieht sich zusammen und setzt einen Schlag aus.

 Ich kann nicht anders, als mich vorbeugen und sie zu küssen.  Das Bild rutscht aus ihrer Hand und kommt auf dem weichen Teppich auf. Mit einem lautlosen Seufzer vertiefe ich den Kuss. Meine Finger gleiten unter ihr Kleid. Langsam schiebe ich es nach oben. Mein Blick fliegt über ihren Körper. Die zarte Haut ist an manchen Stelle von feinen roten Leinen durchzogen.  Ich ignoriere den Schmerz, den dieser Anblick in mir hervorruft, und senke meine Lippen darauf, um federleicht darüber zu streichen. Augenblicklich spannt Lunas Körper sich an, und sie zieht zischend die Luft ein.

„Entschuldige,"haucht sie und rutscht ein Stück von mir weg . Sie weicht meinem Blick aus und richtet sich auf, um ihr Kleid wieder nach unten zu ziehen.. „Luna, du mußt dich nicht entschuldigen. Ich habe dir ja gesagt , dass ich derjenige bin, der gebremst werden muß. Und ich bin froh das du das tust, denn ich will Nichts überstürzen. Wir haben alle Zeit der Welt, okay?"

Sie lehnt ihre Stirn an meine, „okay." 

„Möchtest du jetzt das Trikot sehen?" Versuche ich die Anspannung in mir zu vertreiben, bevor Luna etwas davon merkt. Ich will nicht, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlt. Auch wenn alles in mir danach schreit zu erfahren, warum sie sich selbst solche Wunden zugefügt hat. Denn das mit der Allergie und der Neurodermites habe ich keine Sekunde lang geglaubt.

Wir gehen in mein Schlafzimmer. „Setz dich ruhig." Ich deute auf das große Bett. Luna zögert kurz, lässt ich aber dann auf den Rand des Bettes sinken. „Ich bin gleich wieder da," grinse ich und verschwinde im angrenzenden Ankleidezimmer. Um meinen aufgeregten Herzschlag zu kontrollieren, atme ich ein paarmal tief durch. „Luca?" Ich war so angespannt, dass ich nicht bemerkt habe, das sie hinter mir steht. Augenblicklich drehe mich um und ziehe sie in meine Arme.

Wir küssen uns erneut, doch Luna unterbricht den Kuss viel zu früh. Ihr erwartungsvolles Lächeln entschädigt mich allerdings schnell.

„Jetzt will sich aber endlich das Trikot sehen".

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Es ist mittlerweile nach Mitternacht und ich liege auf dem Sofa. Nach langem hin und her habe ich Luna überredet, dass sie in meinem Bett schläft. Natürlich wollte sie auf dem Sofa schlafen, weil sie ja mein Gast sei. So lautete ihr Argument. Doch sie ist nicht mein Gast, sondern meine Freundin. Mann , der Gedanke lässt mich Grinsen wie den letzten Idioten. Einen verdammt glücklichen Idioten. Wenn da nur nicht der Umstand wäre, das ich ihr Chef bin. Aber daran will jetzt nicht denken. 

Ich sollte zufrieden sein. Sie ist bei mir. Sie hat mir mein beknacktes Verhalten der letzen drei Monate verziehen. Zum Dutzenstenmal schließe ich die Augen und versuche mich in den Schlaf gleiten zu lassen. Doch die Gewissheit, dass da diese wunderschöne Frau im Nebenzimmer in meinem Bett liegt, noch dazu in meinem Footballtrikot, hält mich wach. Ich hatte schon ein paar Frauen hier. Und ja, manchmal habe ich auf dem Sofa geschlafen, nachdem wir unseren Spaß hatten und habe gewartet, bis sie morgens in aller Frühe gegangen sind.Ich bin nicht so der Kuscheltyp, und niemals hat mich der Gedanke an eine dieser Frauen wach gehalten. Ich gehörte zu der Sorte Männer, die Sex ohne Verpflichtungen zu schätzen wissen. 

Gerade habe ich die Augen geschlossen, um mit Lunas Bild vor Augen einen weiteren Versuch zu machen, endlich einzuschlafen, da höre ich ein leises Wimmern. Abrupt setze ich mich auf. „Luna?" Das Wimmern wird zu einem Schluchzen.

„Lass...lass.."ruft sie . Mit einem Satz hechte ich aus aus dem Bett. Weil ich sie nicht erschrecken will, verzichte ich darauf, das Licht anzuknipsen und tappse im Halbdunkel zu meinem Bett herüber. „Lass mich gehen," wimmert sie kaum hörbar, aber doch deutlich genug für mich um diese Worte zu verstehen. 

„Luna?" Ich lasse mich an der Bettseite nieder und lege vorsichtig eine Hand an ihr Gesicht. Es ist nass vor Tränen.„ Ich werde jetzt das Licht anmachen okay?" Mit zittrigen Fingern taste ich nach der Nachttischlampe. Luna liegt auf dem Rücken. Die Bettdecke hängt halb am Boden. Ihr ganzer Körper zittert. „Luna? "Wispere ich und fahre mit den Fingerspitzen über ihre kalte Stirn. „Hör auf, "sofort zuckt meine Hand zurück. „Jason , lass mich gehen, bitte."

Irgendetwas eiskaltes schlägt in meinem Körper ein und reisst mir ein Loch in die  Eingeweide.

Hat sie wirklich diesen Namen gesagt? „Luna? Was ist los? "Meine Stimme ist sicherlich viel zu laut, aber ich muß wissen wen sie meint. Das kann sie unmöglich gerade gesagt haben. Ich habe mich definitiv verhört. 

Ganz sicher. 

Flatternd öffnen sich ihre Lider. „Shh...nicht erschrecken. Ich bin es nur." Sekundenlang weitet sich ihr Blick , doch als sie mich erkennt, klärt er merklich auf. „Du hattest einen Alptraum," wispere ich und streichle sanft die Stirn hinunter zu ihrer feuchten Wange.

„Alles ist gut. Hier ist niemand. Nur ich," fürsorglich klaube ich die Decke auf und breite sie über Lunas zierlichem Körper aus.

„Ja," sie nickt geistesabwesend.„Habe...habe ich was gesagt?" Die Angst in ihrem Blick zwingt mir eine Lüge auf die Lippen .„Nein. Hast du nicht. Alles gut."

Ich kann hören, wie sie vor Erleichterung ausatmet. 

„Ich bin drüben okay?" sanft plaziere ich einen Kuss auf ihrer Stirn.

„Luca?" Ich stehe schon an der Tür. „Kannst...kannst du dich zu mir legen?" Meine Brust zieht sich wieder so komisch zusammen. „Natürlich." Mit wild klopfendem Herzen krieche ich zu ihr ins Bett und lege einen Arm um sie. Als sie sich an mich kuschelt,  ziehe ich sie so nah es geht an meinen Körper. Langsam beruhigt sich ihr Atem und mein Herzschlag passt sich den regelmässigen Zügen an, bis wir Arm in Arm einschlafen .

2081 Wörter


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