33. Kapitel: "Geh ma' lieber in die Uni."

Mit rosa lackierten Fingernägeln trommelte ich einen Rhythmus auf meinen engen Jeansrock. Die weiß gestrichene Haustür ragte wie ein Mahnmal vor mir auf. Und dann hörte ich Schritte. Schritte, die sich aus unterschiedlichen Richtungen und unterschiedlich schnell auf die Tür zubewegten, vor der ich stand und wartete. Ein rasselndes Geräusch ertönte, als drinnen jemand die Kette aushängte.

Schlitternd stoppte meine Schwester genau vor mir. Sie strahlte bis über beide Ohren und sofort breitete sich ein warmes Kribbeln der Freude in meinem Bauch aus.
„Pari!" Laya sprang mich beinah an und umarmte mich so fest, dass ich einen knappen Meter rückwärts taumelte. Ich lachte in ihr langes Haar, das sie heute offen trug. Ihr unverwechselbarer Eigengeruch hüllte mich ein und ich drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Ihre braunen Augen funkelten vor Glück. „Komm rein!" Laya zog mich an den Ärmeln meiner pastellfarbenen Chiffonbluse mit sich in den Flur. Die Tür stieß sie dabei mit dem Fuß zu. „Du musst unbedingt ein Stück von Mamas selbstgebackenen Schokoladenkuchen probieren! Sie hat das Rezept getestet, von diesem japanischen Kochkanal auf YouTube, den du ihr empfohlen hast. Das ist so lecker!", schwärmte sie. „Schmeckt genauso gut wie bei dir", versicherte meine kleine Schwester mir und ich lachte; darunter mischte sich ein Räuspern.

„Paris Kuchen hat mir damals besser geschmeckt, aber ich konnte mich nicht mehr an ihre Geheimzutat erinnern." Als ich mich umsah, entdeckte ich meine Mutter. Sie stand neben der Garderobe an die Wand gelehnt und sie lächelte. Nicht feindselig, sondern einladend; nicht scheinheilig, sondern ehrlich. Ich lächelte zögerlich zurück.
„Zimt", sagte ich. „Ich habe Zimt unter den Teig gemischt."

„Ist sie schon da?!" Die Tür des Badezimmers en suite im unteren Bereich der Maisonette-Wohnung knallte. Kurz darauf hechtete mein Vater die Treppe zu uns hoch, als wäre eine Horde Monster hinter ihm her. „Ach, Azizam." Er schloss mich in seine Arme und schunkelte mit mir von einem Bein aufs andere.
„Papa ..." Entschieden schob ich ihn weg von mir. „Ich bekomme keine Luft, wenn du mich zu lange drückst", erinnerte ich ihn.
„Pari, lass dich anschauen." Ich fragte mich, ob er auch vor seinen Patienten in der Praxis manchmal ins Persische wechselte, ohne es zu bemerken, oder ob es ihm nur dauernd vor seiner Familie passierte. „Du hast uns vielleicht einen Schrecken eingejagt, als du das letzte Mal einfach geflohen bist", brabbelte er vor sich hin, bis Mama ihm eine Hand auf die Schulter legte.

„Souheil, lass sie doch erstmal reinkommen und ihre Sachen ablegen."
„Schon geschehen", meinte ich, stellte meine Handtasche auf der Sitzbank ab und zog die Sommersandaletten mit elegantem, kleinem Absatz aus. „Wo ist der Schokoladenkuchen, der mir versprochen wurde?", fragte ich. Laya umfasste mein Handgelenk. „Er steht gleich in der Küche."

Ich ließ den Blick streifen und erkannte, dass alles blitzsauber und ordentlich war. Anders als bei meinem letzten Besuch. „Möchtest du auch ein Glas Milch?", hakte Laya nach und ich nickte, ehe ich auf meinem angestammten Stuhl Platz nahm. In der Mitte des Tisches stand ein angeschnittener Kuchen, der saftig aussah, wie eine richtige Kalorienbombe. Dem Aussehen nach zu urteilen, war er meiner Mutter wirklich perfekt gelungen.
„Tut mir leid, dass ein Stück fehlt", entschuldigte sich Mama bei mir. „Aber unser Teufelchen hier musste sich ja unbedingt noch vor dem Mittagessen eins davon mopsen." Papa wuschelte Laya durch die Haare, die bloß verschmitzt zu ihm hochgrinste.
„Frisch aus dem Ofen hat er so lecker geduftet, ich konnte nicht widerstehen", verteidigte sie sich, dann setzte sie sich neben mich. Ich schnalzte missbilligend mit der Zunge.
„Nicht kippeln", ermahnte ich sie, als sie damit begann. Meine Schwester verdrehte die Augen, saß aber anschließend still. Sie schob ein zweites Glas Milch zu mir rüber und leerte ihr eigenes bis zur Hälfte in nur einem Zug.

„Erstmal", deklarierte meine Mutter feierlich, während sie ein großes Kuchenstück auf meinen Teller hievte, „freuen wir uns sehr, dass du da bist, Pari." Das Stück kippte um und meine Mutter sah ein paar Sekunden aus, als wäre sie wieder fünf Jahre alt, so wie sie mit vorgeschobener Unterlippe deswegen schmollte. Sanftmütig nahm ich ihr den Teller ab.
„Danke, dass ihr euch die Zeit nehmt", erwiderte ich.
„Du bist unsere Tochter", wandte mein Vater ein. „Natürlich nehmen wir uns Zeit für dich. Wir sind heilfroh, dass du dich doch noch bei uns gemeldet hast. Darya hat schon überlegt, ob wir dir nicht lieber einen langen Brief schreiben sollen." Mit dem Daumen deutete er auf Mama. „Sie dachte, wenn die Unterhaltszahlungen wiedereinsetzen, ohne dass wir uns mit dir ausgesprochen hätten –" Auf Farsi zischte Mama, dass er den Mund halten solle.
„Ich möchte das selbst erklären", bat sie ihn, sich für den Moment noch zurückzuhalten und sah mir ernst in die Augen. „Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht, Azizam, das musst du mir glauben."

Mein Griff um die Kuchengabel, die ich in der rechten Hand hielt, festigte sich.
„Das hat auf mich ganz anders gewirkt", antwortete ich kühl. Laya musterte mich neugierig von der Seite.
„Ich weiß", seufzte meine Mutter.
„Darya, ich habe dir gesagt, dass es falsch bei ihr ankommen würde." Papa verschränkte seine Finger mit ihren.
„Es tut mir leid, Pari", sagte sie zu mir. „Ich wollte dir den Freiraum geben, von dem ich dachte, du würdest ihn brauchen. Die Unterhaltszahlungen habe ich eingefroren, weil ich nicht wollte, dass du glaubst, deine Worte würden keine Konsequenzen nach sich ziehen. Am Ende hättest du es uns in die Schuhe geschoben und noch behauptet, dass wir dir sowieso nicht zugehört hätten."

Mein Magen zog sich unangenehm zusammen bei dem Gedanken daran, wie ich seit Wochen mit meinen Ersparnissen knauserte, weil meine Mutter mir hatte zeigen wollen, dass das, was ich zu meinen Eltern sagte, nicht einfach an ihnen vorbeiging. Mit Müh und Not schluckte ich meine Wut runter.
„Habt ihr wenigstens was Sinnvolles mit dem Geld angefangen, das ihr dadurch überhattet?", fragte ich sie tonlos und stach die Gabel in den Schokoladenkuchen.

„Ich bin jetzt immer donnerstags bei einer Therapeutin", mischte Laya sich ein. „Außerdem wechsle ich bald die Schule."
„Wie bitte?", hustetet ich. Ich hatte mich an einem Krümel verschluckt. Mama und Papa lächelten.
„Deine Schwester ist hochbegabt."
„Ach du Scheiße", rutschte es mir raus.
„Pari", tadelte mein Vater mich. Schuldbewusst senkte ich die Lider.
„Du bist gemein", lachte Laya über mich. „Ich komme auf eine Schule, wo mehr Kinder so sind wie ich. Wir lernen in meiner neuen Klasse alles ein bisschen schneller. Papa und ich waren auch schon beim Probetag." Angesichts der Tatsache, dass meine Schwester offenbar ein kleines Genie war, kam ich mir unglaublich blöd dabei vor, auch nur nebenbei zu erwähnen, dass ich mein Studium möglicherweise abbrechen würde.

„Ähm, sorry, das ist echt super ... Ich müsste mal auf die Toilette." Ich stand auf und fand mich kurz darauf im Bad wieder, mein Handy fest ans Ohr gepresst.
„Na, wie läuft's?" Dags Stimme zu hören beruhigte mich augenblicklich.
„Gut, es läuft gut bisher. Es ist nur ..." Tja, wie formulierte ich das am besten? Ich atmete tief durch und wischte mir ein wenig verschmierte Mascara aus dem Augenwinkel.
„Nur was?", hakte mein Gesprächspartner nach.
„Meine kleine Schwester ist hochbegabt und die Prüfungsangst war ein Symptom ihrer chronischen Unterforderung. Ich bin umgekehrt total überfordert und habe mich im Badezimmer eingeschlossen."

„Ist doch cool. Also das mit Laya. Besser jedenfalls als unheilbare Prüfungsangst, oder?", kommentierte er.
„Das ist überhaupt nicht cool", widersprach ich hysterisch. „Jetzt kann ich doch unmöglich noch damit um die Ecke kommen, dass ich mein Studium abbrechen will."
„Im Gegenteil. Ist doch perfekt, dann kann deine kleine Schwester ab jetzt die Ehre der Familie aufrechterhalten."
„Ich hasse deine Witze manchmal, weißt du das eigentlich?", knurrte ich und rieb über meinen Unterarm.
„Okay, tut mir leid, falscher Zeitpunkt."
„Sowas von falsch." Ich sank auf den geschlossenen Toilettendeckel.
„Mal im Ernst", schlug Dag einen anderen Ton an. „So dramatisch ist das gar nicht. Du machst aus einer Mücke einen Elefanten. Deine Eltern lieben dich. Nichts auf der Welt kann daran etwas ändern."
„Ich will ihnen das aber nicht sagen, ich habe Angst", gab ich zu.

„Überweisen sie dir wieder Unterhalt?", fragte er unvermittelt.
„Ich vermute mal schon."
„Du vermutest", wiederholte er.
„Deine Vorwürfe bringen mich nicht weiter", ärgerte ich mich, stand auf und marschierte im Raum auf und ab.
„Das war kein Vorwurf, du bist auf das Geld angewiesen. Es ist wichtig zu wissen, ob du weiter deinen gesetzlichen Unterhalt von ihnen beziehen wirst."
„Ja, werde ich, zufrieden?", entgegnete ich gereizt. „Könnten wir uns bitte dem Problem widmen, das gerade Priorität hat? Wie erkläre ich meinen Eltern, dass ich ihrer Vorstellung der perfekten Vorzeige-Tochter nicht gerecht werde?"
„Achte mal darauf, wie du sprichst", forderte Dag mich auf. „Wenn du die Frage schon so formulierst, machst du dich selbst damit runter."
„Hör auf zu klugscheißen, hilf mir!", fauchte ich.

„Mann, Pari, ich kann auch auflegen", schnaubte er.
„Nein!", rief ich, etwas zu laut. Rasch senkte ich die Stimme. „Nein, bitte nicht", flüsterte ich fast.
„Geh's halt anders an. Erzähl ihnen einen Teil der Wahrheit. Du sagst deinen Eltern, dass du finanzielle Unabhängigkeit von ihnen anstrebst und deswegen beschlossen hast, dich nach einem Ausbildungsplatz umzusehen. Völlig unverbindlich. Dass du dich fürs Studium nicht mehr so interessierst wie früher und zweifelst, ob das überhaupt das Richtige für dich ist, musst du ja nicht direkt offenlegen."
„Und wenn sie es genauer wissen wollen, lenke ich sie ab, indem ich sie vor einem Meteoriten warne, der auf unsere Terrasse zurast", vervollständigte ich seinen Plan trocken.

„Soll ich vorbeikommen?"
„Mach dir keine Mühe, ich weiß nicht, wie lange ich bleibe, aber ich gehe vor zweiundzwanzig Uhr, also brauche ich niemanden, der mich mit den Öffentlichen heimbringt", lehnte ich ab.
„Nein, soll ich vorbeikommen und dich rausholen?"

Ich massierte mir die linke Schläfe.
„Du willst herkommen und mich hier abholen. Was soll das bringen?"
„Entscheide dich, eine bessere Ablenkung wirst du auf die Schnelle nirgendwo auftreiben."
„Ist das die Strategie? Hit and run?" Skeptisch zog ich die Augenbrauen zusammen.
„Du sagst ihnen, dass du keinen Bock mehr auf Uni hast, guckst auf die Uhr und sagst: Mein Freund holt mich übrigens gleich ab, er hat mich zum Abendessen eingeladen."
„Bist du bescheuert? Ich lüge meine Eltern doch nicht an und sage ihnen, ich hätte einen festen Freund, wenn ich gar keinen habe."
„Das ist bloß ein Ablenkungsmanöver. Verschweig ihnen stattdessen, dass du dich exmatrikulieren lassen willst und du wirst dein Problem in seiner Schwere erfolgreich verdreifachen. Eltern wollen glückliche Beziehungen für ihre Kinder und wünschen ihnen ein gesundes Liebesleben." Angewidert reagierte ich: „Ew."
„Ist doch vollkommen normal, sich sowas für das eigene Kind zu wünschen", versuchte Dag die Wogen zu glätten.

„Meinetwegen, du hast Recht", gab ich klein bei. „Wann kannst du in Wilmersdorf sein?"
„In der Bonzengegend bist du aufgewachsen? Warte, ich muss die Zeit miteinkalkulieren, die ich brauche, um mir ein vernünftiges Hemd anzuziehen."
„Was trägst du denn?", fragte ich.
„Vergiss es, kein Telefonsex, während du im Badezimmer deiner Eltern hockst."
„Wieso, weil du nackt bist?"
„Vielleicht." Ich hörte, wie er grinste.
„Zieh dir was an und komm her", befahl ich.
„Schick mir die genaue Adresse und behalt dein Handy im Auge, ich schreibe dir, wenn ich da bin, dann kannst du die Bombe platzen lassen."
„Ich bin nervös", wimmerte ich.
„Echt? Merkt man dir gar nicht an."
„Hast du heute einen Clown gefrühstückt, oder was?"
„Clowns sind unlustig."
„Genau wie du. Beweg deinen Arsch her, Dag-Alexis." Er lachte.
„Bis gleich." Ich verabschiedete mich ebenfalls und legte auf.

Vor dem Spiegel kämmte ich mit den Fingern durch die großen Locken, die früher Hollywood-Diven auf dieselbe Weise getragen hatten und schnallte den Gürtel am Bund meines Highwaist-Rocks weniger eng. Die unliebsame Nebenwirkung von Kuchen. Als ich an den Küchentisch zurückkehrte, war Laya verschwunden. Ich entdeckte sie auf dem Sonnendeck und gesellte mich zu ihr. Die frische Luft tat mir gut.

„Hi", lächelte meine Schwester.
„Hey", erwiderte ich es. Wir sahen über die Brüstung runter auf die belebte Straße. „Danke, dass du dich für mich eingesetzt hast", sagte sie nach einer Weile.
„Hab ich gern gemacht, Azizam." Ich schlang einen Arm um ihre schmale Hüfte und zog sie zu mir heran. „Haben Mama und Papa sich bemüht, nachdem ich sie angeschnauzt habe?" Laya nickte.
„Sehr sogar."
„Schön."
„Sie hören auf dich, weißt du." Sanft pikste ich sie in den Bauch.
„Auf dich nicht?" Meine Schwester lachte nur. Wir sahen beide in die Ferne. Am blauen Himmel zogen Wolken vorüber.
„Ich hab dich lieb, Pari."
„Ich dich auch, Azizam", erwiderte ich und küsste sie auf die Wange.

„Pari, möchtest du Kaffee?", rief meine Mutter von der Terassentür aus.
„Ja, bitte", bestätigte ich. Mein Vater reckte seinen Kopf raus zu uns. „Kommt ihr rein, Mädchen?", fragte er. Laya nahm meine Hand und gemeinsam hielten wir auf den Esstisch zu. Mein Handy vibrierte, als ich mich setzte. Unauffällig warf ich einen Blick aufs Display. Eine Nachricht von Dag. Er wartete unten. Ich runzelte die Stirn. Das ging schnell.

„Ich habe über die Zukunft nachgedacht und meine Optionen abgewägt", tastete ich mich langsam vor. Papas Augenbrauen wanderten verwundert in die Höhe. Mama warf mir einen kurzen, überraschten Blick über die Schulter zu. Sie war dabei, heißes Wasser auf die Kaffee-Kardamom-Mischung in der Porzellankanne zu gießen. „Um euch dauerhaft was den Unterhalt anbelangt zu entlasten, könnte ich mir vorstellen, eine Ausbildung anzufangen." Meine Eltern suchten die passende Antwort darauf in der Miene des jeweils anderen und wurden – Oh, Wunder! – nicht fündig.
„Fühl dich nicht dazu gezwungen, Azizam, wir unterstützen dich gern", fand meine Mutter ihre Sprache wieder.
„Ich –" Als hätte er es geahnt, rief Dag mich an, bevor ich eine miese Erklärung zusammenstottern musste. „Entschuldigt, mein Freund ruft an, wir sind noch verabredet. Er ist wahrscheinlich schon hier."
„Dein Freund?" Die Augen meines Vaters wurden riesig.

„Hey Schatz", ging ich ans Telefon.
„Schatz? Du übertreibst maßlos", holte Dag mich zurück auf den Boden. „Und? Wissen sie Bescheid?"
„Ja, ich kann gleich runterkommen", antwortete ich. Meine Mutter gestikulierte wild vor mir herum, zeigte ein Kreuz mit ihren Händen, ein fettes X, während sie mit den Lippen formte, dass ich ‚meinen Freund' heraufbitten sollte. Eisern schüttelte ich den Kopf, was nur dazu führte, dass Mama mich mit einem ihrer berühmten Todesblicke bedachte. Ich schluckte. „Äh, hast du vielleicht Lust raufzukommen? Auf eine Tasse Kaffee? Meine Eltern würden dich gern kennenlernen."
„Du schuldest mir was." Ich zuckte vor Schreck zusammen, als es plötzlich klingelte.

„Das ist er", nickte ich, weil mein Vater mich fragend anschaute. Doch meine Mutter war längst im Flur und das Summen ertönte, als sie Dag hochließ.
„Wieso hast du uns nichts von deinem Freund erzählt?", beschwerte sie sich prompt. Ich folgte ihr an die Tür. Weil er nicht mein Freund ist, wollte ich sagen. „Das zwischen uns geht noch nicht allzu lange."

„Hallo!", lächelte meine Mutter breit. „Ich bin Darya, Paris Mutter."
„Hallo, schön Sie kennenzulernen." Höflich schüttelte ,mein Freund' ihr die Hand. „Ich bin Dag."
„Bitte duzen wir uns doch, komm rein." Sie winkte ihn in die Wohnung und sah mich wieder mit diesem seltsamen Ausdruck liebvoller Verachtung an.
„Hi", begrüßte Dag mich und küsste mich dann mitten auf den Mund, vor den Augen meiner Mutter. Ich erstarrte, aber dann besann mein eingestaubter Verstand sich darauf, dass ich die Lüge, die ich meinen Eltern aufgetischt hatte, auch glaubwürdig rüberbringen musste. Ich lächelte ihn an, als Dag zurückwich und streichelte seinen Arm.
„Kommt." Mama schob uns in die Küche, wo mein Vater aufstand, um Dag die Hand zu schütteln.

„Hallo, Souheil Nikkah, freut mich Sie kennenzulernen", stellte er sich formell vor.
„Ich habe ihm schon das Du angeboten, das ist Dag", plapperte meine Mutter ohne Punkt und Komma drauflos. Mir stieg das Blut in die Wangen. Laya kicherte. Ich trat ihr auf den Fuß, damit sie sich zusammenriss.
„Ich bin Laya", lächelte sie Dag freundlich an und verlagerte ihr Gewicht nach hinten, sodass sie mit der Stuhllehne gegen die Wand stieß. „Du sollst nicht kippeln, hab ich gesagt!", fuhr ich sie streng an. Dag blinzelte perplex. „Einmal ist sie vom Stuhl gefallen", rechtfertigte ich meine Sorge. „Patsch! – Gehirnerschütterung."
„Na, dann hör bloß auf zu kippeln", schloss Dag sich meiner Predigt an.
„Dankeschön", brummte ich zufrieden.

„Ich fürchte, wir müssen los, Schatz." Sämtliche Nackenhärchen stellten sich bei mir auf, als er diesen Kosenamen auf mich anwandte. In seinen blauen Augen blitzte es schelmisch auf.
„Sofort? Schafft ihr keine einzige Tasse Kaffee?", fragte Mama hilflos.
„Die halten den reservierten Tisch nicht ewig frei", übernahm Dag das Reden. „Zum Sechsmonatigen wollte ich mich nicht lumpen lassen."
„Genau, wir müssen leider wirklich –"
„Ich bringe euch noch zur Tür", schnitt meine Mutter mich scharf und flüsterte mir zu, während ich in meine Schuhe schlüpfte: „Über deine Definition von noch nicht allzu lange müssen wir dringend nochmal sprechen."

Zeit verschwenden

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