21. Kapitel: "Gerade aufgestanden und der Tag ist schon rum."

Noch bevor ich die Augen öffnete, versuchte ich mich zu orientieren. Ich lag unter einer leichten Steppdecke, meiner Sommerbettdecke, und mir war mollig warm. Meine Beine waren nackt, wie sonst auch, wenn ich aufwachte, doch als ich mit den Fingernägeln zart über die Seiten meines Körpers strich, fand ich keine lockere Spitzenpanty, wo sonst eine den ersten Widerstand auf der allmorgendlichen Reise meiner Hand bildete. Während ich höher hinaufstrich, stieß mein Fuß gegen etwas Warmes unter der Decke. Etwas Warmes, Weiches, das sich fremd und seltsam vertraut zugleich anfühlte, als gehöre es genau hierher.

Sanft bog ich meine Zehen und stupste gegen das Etwas. Warm, weich ... haarig. Meine Nasenflügel zuckten. Noch immer lag ich mit geschlossenen Augen auf dem knittrigen Laken. An meinem Busen, wo ich ein komfortables Bustier erwartet hatte, griff ich erneut ins Leere. Kein Stoff. Nur glatte Haut. Ich atmete tief ein und stockte.

Dieser Duft. In meinem Zimmer war es stickig und es roch nicht nach den weißen Chrysanthemen auf meiner Fensterbank. Nein, das hatte überhaupt nichts Blumiges an sich. Mein Kopf fiel schwach nach rechts, meine Wange schmiegte sich ins seidene Kissen und ich seufzte, als ich den wahrscheinlich angenehmsten Geruch der Welt einsog: salziges Karamell und ein Hauch Pfeffer. Ich runzelte die Stirn und reckte meine Nase wieder ein winziges Stück in die Höhe. Die Luft im Raum war dicht; so dicht, wie nur zwei Menschen einander kommen konnten. Meine Lider flatterten und als meine Pupillen sich an die Lichtverhältnisse angeglichen hatten, schalteten meine Synapsen. Was mein Bein da unter der Decke berührte, war ein anderes und im Gegensatz zu meinem eigenen behaartes Bein.

Mir entwischte ein überraschtes Quieken, als ich Dag neben mir im Bett ausmachte. Die Erinnerungen an die gestrige Nacht kehrten zu mir zurück, kochten heiß in mir hoch und ohne jegliches Zutun meines Verstands, senkte ich meine Lippen auf seine. Ich löste mich von ihm und blickte in seine geöffneten, blauen Augen.
„Morgen", brachte ich schüchtern raus. Dag erwiderte nichts, er zog mich mühelos an sich, schob einen Arm zwischen meine Taille und die Matratze, drehte sich auf den Rücken und nahm mich so mit sich. Er küsste mich und ich lächelte in die Zärtlichkeit hinein. Obwohl ich ewig so hätte weitermachen können, mit Dags Händen auf mir, die über meine nackte, empfindliche Haut strichen, stoppte ich ihn, indem ich zwei Finger auf seine Lippen legte. „Danke, dass du mich gestern nach Hause gebracht hast", sagte ich leise.

Dag schloss die Augen und atmete im Stoß aus.
„Na los, hau schon raus, dein großes Aber." Er schob mich von sich runter und setzte sich auf. Sein Blick aus dem Fenster galt den weißen Wolken. Glaubte ich. Es war schwer zu sagen, wo er in Gedanken war. Er griff nach seinem T-Shirt am unteren Rand des Bettes und zerknüllte es in den Händen.
„Was machst du?", fragte ich und nahm ihm das Oberteil weg. „Und welches Aber?"

Er sagte nichts, sondern hob bloß schweigend eine Augenbraue. Ich faltete sein Shirt auseinander, ließ die Decke los, in die ich mich gewickelt hatte und streifte es über. Statt mich mit überflüssiger Unterwäsche rumzuärgern, stand ich einfach so auf und tatsächlich war alles einigermaßen bedeckt, wie ich zufrieden feststellte. „Kaffee?", fragte ich ihn.

Dag musterte mich von oben bis unten.
„Komm nochmal her", verlangte er. Gut zu wissen, dass seine Stimme noch tiefer werden, noch voller klingen konnte. Ich grinste wissend und beugte mich vor, bis seine Lippen wieder meine fanden. Meine Knie gaben nach, als er den Kuss intensivierte. Ich kletterte auf seinen Schoß, nahm sein Gesicht in beide Hände und seufzte, als er unter das T-Shirt fuhr, in das ich gerade geschlüpft war.
Untermalt von noch sehnsüchtigeren Seufzern griff ich in sein Haar, vergrub meine Nase darin, als er meinen Hals küsste. Ich hielt mich an seinen Schultern fest und versuchte mich zurückzuhalten, biss mir auf die Unterlippe. Dag wich von meinem Hals ab, küsste mich hinter dem Ohr und knabberte schließlich an meinen Ohrläppchen. Das Kichern, das er mir damit entlockte, verjagte die Anspannung. Ich seufzte ungewollt lauter und küsste ihn, um das Geräusch zu dämpfen. Überhaupt wollte ich einfach nur alles ersticken. Die ganze Angst und Unsicherheit, die sich in Luft auflöste, wenn ich ihm nah war. Er half mir, das T-Shirt wieder auszuziehen, bevor er sich zurücklehnte und mich unnachgiebig mit sich zog. Sanft drehte er mich, sodass ich unter ihm lag. Wir küssten uns eine Weile einfach nur, mit viel zu viel Gefühl für etwas, das mit Gefühl eigentlich gar nichts zu tun hätte haben sollen. Iara würde mich lynchen, wenn sie davon erfuhr. Ich wollte Dag nicht ausnutzen, trotzdem konnte ich nicht von ihm lassen. Dafür war es viel zu gut ...

Wenig später wollte ich mir die Schuld unter der Dusche vom Körper waschen, doch das einzige, was ich in den Abfluss spülte, war meine ohnehin schon verkümmerte Selbstachtung. Ich setzte mich auf den Rand der Badewanne und betrachtete mein Gesicht in der Spiegelung des Edelstahl-verchromten Hahns. Wasser tropfte aus meinen Haaren auf den weißen Keramikboden. Ich war schwach geworden; hatte wieder einmal nachgegeben – wieder einmal versagt. Ein Handtuch fand seinen Weg in meine Hände und während ich mich abtrocknete, zogen Bilder der vergangenen Nacht wie in einer Diashow an meinem inneren Auge vorüber. Etwas so selbstverständlich, unbeschwerlich Intimes wie das zu bereuen war absolut unmöglich. Das einzige, was mich quälte, war die Scham über meine eigene Inkonsequenz, vor der meine beste Freundin mich noch gewarnt hatte.

Noch immer lediglich in sein T-Shirt gekleidet kehrte ich zurück in mein Zimmer, wo Dag, nach wie vor mit freiem Oberkörper, dafür aber wenigstens in Boxershorts und mit einer Tasse Kaffee, auf dem Bett saß.
„Hey. Sicher, dass du nichts essen willst?", fragte ich ihn, ließ mich auf der Bettkante nieder und strich mit dem Daumen über seine weichen Lippen.
„Hier." Er reichte mir die Kaffeetasse. „Ich gehe erst duschen, aber vielleicht stellt sich der Hunger danach ein."
Ich nickte und ignorierte nach Kräften den Kuss, den er mir auf die Stirn drückte. Er war schrecklich zutraulich.

Schuldbewusst starrte ich auf den Rest der Flüssigkeit in der Tasse und entdeckte leichte Kalkschlieren darauf.
Um etwas zu tun und nicht wieder in die Abwärtsspirale meiner Gedanken gesogen zu werden, stand ich auf und sammelte unsere Klamotten ein. Dazwischen fand ich die leere Kondomverpackung. Ich speicherte den Namen der Marke in meinen Handynotizen ab und schmiss den Plastikfetzen danach in den Müll, zu den anderen Überresten des Abends. Dags Jeans faltete ich halbwegs ordentlich, seine Socken stopfte ich in seine Sneakers, die im Flur standen. In der Küche kochte ich mir eine neue Tasse Kaffee. Einen ganzen Pott diesmal. Ich fand genug im Kühlschrank, um Eierkuchen zum Frühstück zu servieren. Während ich am Herd stand und darauf wartete, den runden Teigfladen endlich wenden zu können, ging ich die verpassten Anrufe von Samu durch. Nachdem er mein Verschwinden bemerkt hatte, hatte er mich noch fast zehnmal versucht zu erreichen. Ich blockierte seine Nummer und atmete tief durch. Mit ihm hatte ich definitiv abgeschlossen.

Etwas, das ich von Dag leider nicht behaupten konnte.

Müde und verloren in meinen Schuldgefühlen, die im Hinterkopf unaufhörlich weiter an mir nagten, zupfte ich an seinem T-Shirt, das ich noch immer trug. Ich zerrte es hoch, über meine Nase. Es duftete nach ihm, und ein wenig nach Vanille. Sein Eigengeruch, mein Duschgel. Die Mischung passte irgendwie.

„Wow, ich dachte, du tischst maximal Toastbrot auf", meinte er, als er plötzlich im Türrahmen auftauchte. Ich lächelte. Dag trat zu mir an den Herd und küsste mich auf die Wange. Ich revanchierte mich mit der gleichen Geste und lehnte mich gegen ihn. „Auf die Gefahr hin, dich jetzt total abzufucken", begann er, „dachte ich, wir könnten mal drüber reden, wo wir nach gestern stehen."
„Schon okay", erwiderte ich leichthin und kippte eine neue Kelle Teig in die Pfanne. „Lass es mich mal so ausdrücken", meinte ich, den Kopf leicht schief gelegt. „Es gibt eine Sache, die sich geändert hat und eine, die geblieben ist, wie sie war. Was willst du zuerst hören?"

„Was hat sich geändert?"
„Ich will mehr Sex mit dir, dringend und um jeden Preis", gab ich mir gar keine Mühe, mein unstillbares Bedürfnis nach seiner Nähe zurückhaltend zu umschreiben. „Es würde an Wahnsinn grenzen, würde ich mir das jetzt, nach gestern Nacht, noch entgehen lassen." Er grinste kurz und verringerte den Abstand zwischen uns, dabei umfasste er mit der Rechten meinen nackten Oberschenkel. Ich atmete überrascht ein und strich mir die Haare hinters Ohr, um meine Reaktion so zu überspielen.
„Ganz deiner Meinung, was das angeht", sagte er. Seine Finger streichelten aufwärts. Ich schlug rigoros auf seine Hand. Mit einem „Au!" zog er sie weg und lachte. „Erstens habe ich Hunger, zweitens hast du dir noch gar nicht angehört, was sich nicht geändert hat", rügte ich ihn. „Damit das klar ist: Sex ist keine Beziehung für mich." Dag konnte mir sicherlich folgen, doch seine Miene blieb unbewegt. „Zu einer Beziehung gehört mehr als nur Sex, und zu diesem Mehr bin ich gerade einfach nicht fähig", legte ich die Karten auf den Tisch. „Ich versuche immer noch mein Leben zu regeln, auch wenn es eventuell nicht danach aussieht." Den letzten Teil des Satzes hatte ich halb verschluckt.

„Das hat alles keine Eile." Dag spielte mit meinen Haaren und vermied Augenkontakt. „Du wirst sehen, wohin es am Ende führt." Nachdem er tief durchgeatmet hatte, sah er mich doch an. „Nur dass du's weißt: Ich bin eher der Beziehungstyp. Aber man sollte sich immer gut überlegen, mit wem man zusammen sein möchte und wenn du nicht hundertprozentig sagen kannst, dass du eine Beziehung möchtest, bin ich der Letzte, der dich unter Druck setzen will." Das lief besser als gedacht. Lächelnd lehnte ich mich vor und küsste ihn. Als er mich wegschob, blinzelte ich verwirrt. „Verrat mir noch eins", forderte er mich auf, „Zu wessen geregeltem Leben gehört denn bitte ein prüder Keuschheitsgürtel?", hakte er nach.

Beleidigt boxte ich gegen seine Brust.
„Ich probiere mich noch aus. Zölibat erschien mir einigermaßen umsetzbar, als ich den Stress im Studium hatte", grummelte ich verlegen. Dag küsste mich auf die Schläfe.
„Du hast dich dessen ja quasi entledigt." Aus seinem Blick sprach deutlich, dass er einen Teil meiner so gewonnen Freizeit als ihm bereits geopfert betrachtete. Während er sich streckte, blieben meine Augen an seinen Tattoos kleben. Seine gesamte Ästhetik war so fernab von dem, was ich bisher als attraktiv empfunden hatte. Eigentlich grenzte es an ein Wunder, dass ich mich derartig zu ihm hingezogen fühlte.

Dag zeigte gähnend auf den Herd.
„Pass auf den Eierkuchen auf, sonst verbrennt er." Mir schoss ein schmutziger Witz durch den Kopf, den ich allerdings nicht aussprach. Soweit waren wir noch nicht. Ich ging auf ihn zu und platzierte einen Kuss auf seiner Nasenspitze.
„Mach dir keine Hoffnungen, du stehst nur vor der Besteckschublade", wehrte ich ihn verbal ab, als seine Hände an meinen Hintern glitten.
„Du bist grausam."
„Bin wohl doch nicht Bambi", spottete ich und griff nach Messern und Gabeln, bevor ich die Schublade mit der Hüfte wieder schloss. „Setz dich", forderte ich ihn auf.

Wir aßen zu zweit, als wäre es immer so gewesen. Die naive Stimme in meinem Innern meldete sich und verherrlichte die Ausgeglichenheit, die ich empfand; schrieb sie allein Dag zu. Doch ich zweifelte stark an, dass es ganz speziell an ihm lag. Unter anderem, weil ich nicht wahrhaben wollte, dass ich mein Glück möglicherweise von ihm abhängig machte.

Ein paar mit Nuss-Nougat-Creme beschmierte Eierkuchen später, sah ich ihm dabei zu, wie er sich vom Stuhl erhob.
„Gibst du mir mein Shirt zurück?", fragte er.
Ich stand ebenfalls auf, trat an ihn heran, hauchte einen Kuss auf seine Schulter und legte meine Wange an seine Brust. Sein Herz klopfte nicht sonderlich schnell und ich freute mich darüber, weil es nur heißen konnte, dass meine Gegenwart ihn nicht aus dem Takt brachte. Aber auf einer anderen, tieferen Ebene verletzte es mich. Begehrenswert, aber nicht begehrenswert genug für dieses symptomatische Herzrasen eines Verliebten. Innerlich beschuldigte ich mich selbst als scheinheilige Kuh, weil ich einerseits wollte, dass er Gefühle für mich entwickelte, um meinen Selbstwert zu pushen und mich andererseits mein letzter Funken Anstand anschrie, ich solle mich was schämen dafür.
Dag strich mir übers Haar und so besann ich mich wieder.
„Warte hier", bat ich ihn. Kurz darauf kehrte ich in ein cognacfarbenes Wickelkleid gehüllt, und nach einem kleinen Abstecher in Mikas Zimmer, zu ihm in die Küche zurück.

„Das ist aber nicht meins", sagte er und drehte das Shirt, das ich meinem Mitbewohner aus dem Schrank geklaut hatte, in den Händen.
„T-Shirts werden nicht zurückgegeben", konstatierte ich nüchtern. Er grinste zog das fremde Shirt an und plötzlich schien mir alles wie zuvor zu sein. Bevor wir gestern übereinander hergefallen waren.
„Ich bin noch mit Vince im Studio verabredet", sagte er.
„Okay", nickte ich, wusste aber nicht, was ich weiter darauf erwidern sollte.

„Du warst noch nie bei mir, oder?", fragte er.
„Nein." Wir hatten uns höchstens mal zu dritt bei Vincent in der Wohnung getroffen. Ansonsten im Studio der Jungs, oder waren draußen unterwegs gewesen. Er sah sich suchend im Raum um.
„Hast du einen Zettel und einen Stift?" Ich reichte ihm den Notizblock und Kuli für die Einkaufslisten und er schmierte eine Adresse aufs Blatt. Den abgerissenen Papierfetzen reichte er mir. „Meine Tür steht dir offen, wenn du deine Mitbewohner nicht stören willst."
„Stören?", hakte ich empört nach.
„Du bist laut", grinste er.
„Blödmann", funkelte ich ihn böse an und zuckte im nächsten Moment zusammen als ich das Knacken eines Schlüssels im Schloss der Wohnungstür hörte.

Keine Ahnung warum

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