COREY - Kapitel 70
Auf geradezu unheimliche Art erspürt Cat immer wieder, was ich brauche.
„Danke", flüstere ich, obwohl ich weiß, dass sie es nicht hört. Sie schläft tief und fest, ahnt nicht, dass sie mir heute einmal mehr etwas gegeben hat, von dem ich dachte, es sei unauslöschlich mit Meg verbunden. Außer diesem einen Mal mit Meghan habe ich noch nie ohne Gummi mit einem Mädchen geschlafen, aber auch da eigentlich nicht richtig.
Nicht wie mit Cat bis zum Schluss, sondern der Plan war ein bescheuerter Koitus interruptus, den ich aber ziemlich verkackt habe. Ich war einfach zu spät dran. Bei dem Gedanken an mein Versagen winde ich mich innerlich. Wäre mir der Mist nicht passiert, würde Meg vielleicht noch leben. Wie wäre mein Leben dann verlaufen? Hätte Meg sich dann aus einem anderen Grund das Leben genommen? Wäre ich Cat auf der Convention begegnet und wäre ich dann genauso fasziniert gewesen, weil Meg einfach nur aus einem anderen Grund tot gewesen wäre? Oder wäre ich jetzt noch mit Meghan zusammen und Cat wäre nie in mein Leben getreten?
Fruchtlose Gedanken auf die ich keine Antwort bekommen werde.
Aus naheliegenden Gründen habe ich also immer konsequent verhütet. Einfach, weil ich mir nichts einfangen wollte, weder ein weiteres Kind noch eine Krankheit. Egal wie die Mädchen gebettelt haben oder wie raffiniert sie es angestellt haben, egal ob mit Pille oder Spirale oder was weiß ich, es gab keine Ausnahme.
Man könnte nun sagen, Cat hätte mich in einem schwachen Moment erwischt. Aber das Gefühl schwach zu sein, hatte ich in dem Augenblick nicht. Ich hatte zum ersten Mal seit langer Zeit Lust darauf, es ohne zu machen, war bereit ein Risiko einzugehen, hatte Mut genug, genau das zu tun, was ich mir wünsche. Weil es mehr ist, als nur die Befriedigung eines körperlichen Bedürfnisses. Weil ich mit dem Herzen und meiner ganzen Seele dabei bin.
Um sie nicht zu wecken, verzichte ich darauf, sie zum Einschlafen in den Arm zu nehmen, sondern kuschle mich lediglich an ihren Rücken und lege meinen Arm über ihren Bauch.
Nachmittags um fünf zu schlafen, hat ein bisschen was von Rentnerehepaar. Aber offenbar braucht sie Schlaf so dringend wie ich und dann ist es kein Problem, wenn ich mir auch ein Nickerchen gönne.
Mein Nickerchen ist ein ausgewachsenes Koma, dass mich in den Schwitzkasten nimmt und mich in den Schlaf zerrt, wo es mich beinahe achtzehn Stunden fixiert. Als ich meine Hand ausstrecke, ist Cats zerwühltes Kissen bereits kalt. Aber ich fühle mich menschlich.
Ich folge dem Geruch nach gebratenem Speck, Eiern und Kaffee in die Küche. Leise öffne ich die Tür und beobachte mein Mädchen. Wie sie, die Haare zu einem unordentlichen Knoten hochgebunden, den Speck wendet und dabei ein Lied mitsingt, dass aus ihrem Handy erklingt. Krass, sie kann nicht nur Klavier spielen, sie kann auch singen. Dass sie so einen Tonumfang hat, hätte ich nicht erwartet.
Was sie da mitsingt, könnte von 3 Doors Down sein, aber ganz sicher bin ich nicht. Irrationale Eifersucht regt sich in mir, weil sie noch nie eines meiner Lieder mitgesungen hat, dieses aber total textsicher vor sich hin trällert. Was bescheuert ist, das weiß ich. Aber trotzdem!
„Guten Morgen!", sage ich und küsse sie auf die Wange.
Erschrocken zuckt sie zusammen und flucht: „Verdammt, Crow! Schleich dich gefälligst nicht so an. Ich hätte beinahe einen Herzinfarkt bekommen!"
„Ich habe mich nicht angeschlichen, deine Musik war nur zu laut!", ziehe ich sie auf.
„Ich habe dich aber nicht geweckt, oder? Das wollte ich nicht", entschuldigt sie sich.
„Hast du nicht, Baby, alles gut", sage ich. „Und selbst wenn, dann ist Essen und deine Stimme perfekt für einen Start in den Morgen."
Ich schiebe meine Hände unter das weite Shirt, das sie trägt -Meins von gestern?- und wandere weiter ihren Rücken hoch.
„Crow, der Speck brennt an", sagt sie mahnend und befreit sich.
Ich beobachte sie, wie sie mir Ei und Speck auf einen Teller füllt. Dann nimmt sie sich selbst und setzt sich mir gegenüber. Ich spieße das Essen auf, dann sage ich möglichst beiläufig: „Und dieses Lied, das gefällt dir also?"
Sie antwortet mit vollem Mund: „Ja, Kryptonite ist einer meiner Lieblingssongs."
Kryptonite, aha. Na ja, mit dem Zeug kenne ich mich aus. Mein „Kryptonite" sitzt mir gerade gegenüber und schaufelt ihr Gewicht in Ei und Speck in sich hinein. Dass sie so schlank ist, erscheint mir einmal mehr wie ein Wunder.
„Sollen wir dann fahren?", reißt sie mich aus meiner Überlegung, wie viele Kilometer sie in der Woche läuft, um die Figur zu erhalten.
Als ich sie nach der Strecke frage, antwortet sie ausweichend, dass es viele Kilometer sind. Das ist nicht gerade aussagekräftig und klingt, als sei ihr das Thema unangenehm. Was ich nicht verstehe. Gegen Sport spricht eigentlich doch nichts, sofern man es nicht übertreibt. Im Gegenteil: ich sollte vielleicht mal mehr Sport treiben, dann hätte ich die Auftritte auch besser weggesteckt.
Aufmerksam beobachte ich Cat, wie sie die Pfanne und unsere Teller spült. Betrachte das Spiel ihrer Muskeln unter ihrer gebräunten Haut, wenn sie sich bewegt und sehe ihr nach, wie sie die Küche verlässt, durch die Tür zum Gang geht und nach links ins Bad abbiegt. Als sie kurz darauf zurückkommt, sitze ich noch immer mit meiner Tasse in der Hand da, der einzige Unterschied ist die Temperatur des Kaffees.
„Was ist los?" Fragend mustern mich Cats Augen.
Wir müssen reden Cat. Aber ich sage kein Wort. Rede mir ein, dass später genug Zeit bleibt, das zu klären. Also tue ich, was ich am besten kann: Ich flüchte vor der unangenehmen Aufgabe und fahre mit ihr ins Möbelhaus, um das mit dem Bett zu erledigen. Danach fahren wir in Nialls schickem Auto Lilly abholen und dann zu meiner Mum.
In der Zeit, die Cat und ich unterwegs waren, hatten wir viel Zeit uns zu unterhalten und gespannt folge ich Cat und Lilly in Mums Wohnung.
Wenn Cat mich nicht vorgewarnt hätte, wäre ich jetzt schockiert. Meine Sachen, die in der Wohnung verteilt waren, sind größtenteils schon ordentlich in Kisten verpackt im Wohnzimmer aufgestapelt. Besonders sticht mir der braune Pappkarton ins Auge, auf den Mum in großen Lettern „Fotos" geschrieben hat. Schlagartig wird mir übel. Ich sehe zu Cat hinüber, die Lilly in ihr Zimmer folgt um sich anzuhören, was Lilly auf dem Keyboard geübt hat und ich umarme Mum.
Ein bisschen sieht es so aus, als ob Mum es nicht erwarten könnte, mich loszuwerden. Aber Cat sagt, überdrehter Aktivismus sei Mums Weg, mit meinem spontanen Auszug klar zu kommen.
„Mum, sei nicht sauer", sage ich. Komische Begrüßung nachdem wir uns Wochen nicht gesehen haben. Aber es ist das, was mich am meisten bewegt. Mal abgesehen von dem spezillen Karton und der drängenden Frage, die diese Kiste aufwirft.
„Das bin ich nicht, Corey. Ich war nur überrascht, dass es so schnell geht." Sie lächelt. „Aber wahrscheinlich war es überfällig. Ich wollte es bloß nicht wahrhaben."
Ich werfe einen Blick über die Schulter. Cat ist noch bei Lilly.
„Mum, hast du was zu ihr gesagt? Ich meine wegen Meg?"
„Corey, das geht mich nun wirklich nichts an. Da mische ich mich nicht ein. Aber du solltest mir ihr reden. Vor allem über das mit dem Piercen. Oder die Fotos verschwinden lassen."
Einen kleinen Moment überlege ich, aber das ist keine Option, oder? Es wäre unehrlich. Und Lügen gehören nicht in meine Beziehung zu Cat. Ich hintergehe sie schon so lange und fühle mich beschissen dabei.
„Nein, ich rede mit ihr. Am besten bald. Ich weiß nur nicht, wie ich das alles erklären soll."
Mum sieht mich an. „Ist alles halb so wild, wie es aussieht, wenn sie keine Gelegenheit hat eigene Schlüsse zu ziehen. Schieb es nicht zu lange auf. Okay?"
Ich fahre mir über das Gesicht. Sie hat recht. Alles halb so wild, wenn ich die Kurve krieg.
Da Mum und Cat ordentlich mit hinlangen, ist mein Zimmer bald leer. Lilly nimmt es überraschend gelassen, dass ich packe. Vermutlich ist das für sie der perfekte Augenblick. Wenn ich erstmal wieder zu Hause einziehen würde und sie sich wieder an mich gewöhnt hätte, dann wäre das sicher schwieriger für sie. Während der Tour haben wir alle bereits losgelassen, was wir zu fest umklammert hatten und eine gesunde Distanz zueinander gefunden.
Cat stapelt die Kartons, die ich mit Mum nach unten trage, in den Volvo.
„Im Tetris spielen hältst du einen Weltrekord?", frage ich und sehe anerkennend zu, wie sie die Kisten so stapelt, dass es am Ende keine Lücken mehr gibt.
Sie errötet ein wenig.
„Hab ziemlich viel Tetris gespielt, als Niall im Krankenhaus war", sagt sie dann. Ich warte, ob sie noch mehr erzählt. Sie redet nie über die Zeit, als ihr Bruder so krank war. Das kann sicher nicht leicht für sie gewesen sein. Doch sie widmet sich schweigend wieder dem letzten der Kartons. Dem Karton, in dem mein Leben in Bildern ruht.
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