COREY - Kapitel 5


Montagmorgen. Wie ätzend. Die Sonne strahlt mir ins Gesicht und ich habe gar keinen Bock auf Uni. Liegen bleiben ist auch keine Option. Lilly muss in den Kindergarten.

Ich schließe meine Augen, versuche mir Meghan vorzustellen, wie sie neben mir liegt, ihre grünblauen Augen mit den bernsteinfarbenen Einsprengseln auf mich gerichtet und ein zartes Lächeln auf ihren Lippen. Sie würde meinen Namen flüstern, dann würde sie mich küssen und ich würde sie zärtlich lieben.

Aber ich kann mich kaum noch erinnern, wie sich ihre Lippen angefühlt haben. Ich habe die letzten Jahre so viele Mädchen geküsst, dass die Erinnerungen sich vermischen und ohne dass ich es beeinflussen kann, schiebt sich Cats Bild vor mein geistiges Auge.

Habe ich am Samstag echt zu ihr gesagt, sie könnte mich küssen, wenn sie das mit dem Piercing ausprobieren will? Betroffen fahre ich mir mit den Fingern durch meine vom Schlaf zerwühlten Haare. Heilige Scheiße, was für eine bekloppte Idee, sowas zu ihr zu sagen! Aber wenn ich den Gedanken mal weiterdenke, ist es zwar eine heiße Idee aber auch eine Sackgasse. , der Meghan kannte, der nur ein bisschen Grips im Kopf hat, und das schließt mich ein, kann auf den ersten Blick sehen, dass das mit mir und Cat nur eine Katastrophe werden kann.

Ich schüttele den Kopf über mich selbst und steige aus dem Bett. Zeit für ein neues Piercing, das mich jeden Tag erinnert, dass Cat absolut tabu ist. Am besten irgendwo im Gesicht, damit ich es auch jeden Morgen sehe, wenn ich mich rasiere.

Als ich in die Küche komme, steht Mum schon an der Spüle. Mit ihren kurzen blondierten Haaren sieht sie ein bisschen aus wie die Frau von Eurythmics, diese, ach, keine Ahnung wie sie heißt. Aber wie von selbst summe ich dieses Lied, und der Text wandert wie automatisch durch meinen Kopf. Wäre echt toll, wenn ich mir den Stoff der Vorlesungen ebenso schnell merken könnte, wie Melodien oder Liedtexte.

Die neue Frisur steht Mum. Sie ist ungewohnt und sie sieht irgendwie viel jünger aus, nicht wie dreiundvierzig.

Die Piercings in ihren Ohren glitzern im Licht, das gedämpft durch die billige Scheibengardine aus Synthetik fällt. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, was den Körperschmuck anbelangt und wie immer summt auch sie irgendein Lied vor sich hin, während sie Lilly ein Bagel für den Kindergarten mit Frischkäse bestreicht und Salat drauflegt.

Eine Brotdose für mich steht schon auf der Küchentheke.

Jeden Morgen bekomme ich von ihr eine Zwischenmahlzeit mit. Mit sechzehn war das noch peinlich, jetzt bin ich cool genug, um mit den anderen draußen zu chillen und Essen aus Metalldosen in mich hineinzuschaufeln. Am liebsten sitze ich dabei auf der Wiese am Brunnen, C und Rufus leisten mir oft Gesellschaft, manchmal auch Cat oder diese superscharfe Emmi, die mich aber dauernd abblitzen lässt.

Ich wünsche Mum wie jeden Tag einen guten Morgen, dann kriegt sie einen Kuss auf die Wange.

Sie lächelt, stellt mir meinen Kaffee auf den Tisch. Gibt keinen Kommentar ab, dass ich es am Wochenende übertrieben habe. Das habe ich nämlich definitiv, wenn ich mir die dunklen Ringe unter meinen Augen anschaue.

Das Glück habe ich nicht, als mein Stiefvater reinkommt. Greg ist mies drauf morgens. Nicht nur morgens. Eigentlich immer. Er beachtet meine Mum gar nicht, die ihm sein Frühstück hinstellt. Ohne auch nur guten Morgen zu sagen, meckert er aus dem Stand über mein Sexuallebe und die Band, die er für Zeitverschwendung hält. Als Lilly aus dem Bad kommt, geht es gleich bei ihr weiter.

Ein weißes Kleid für den Kindergarten, wird nur dreckig und sei Blödsinn. Lilly ist gerade mal fünf! Prompt füllen sich ihre mandelförmigen Augen mit Tränen. Sie möchte doch nur hübsch aussehen!

„Komm her", sage ich zu meiner Halbschwester und klopfe auf meinen Oberschenkel. „Wenn dein Kleid schmutzig wird, dann waschen wir es einfach, okay?"

Im Gegensatz zu Greg weiß ich nämlich, wie man die Scheißwaschmaschine bedient. Lilly strahlt, kommt zu mir, klettert umständlich auf meinen Schoß und kuschelt sich an mich. Meine Mum bringt ihr die Fruit Loops, die sie so gerne mag und ich fülle ihr Milch in ihre Schale.

Wütend, weil ich ihn geflissentlich ignoriere, steht Greg auf und verlässt die Küche. Echt kein Schaden, finde ich.

Lilly dreht sich zu ihrer Schüssel und beginnt zu löffeln, während ich vorsichtig meinen Kaffee trinke und aufpasse, sie nicht anzuschütten.

„Was machen wir heute Nachmittag, Süße?", frage ich sie. „Wozu hast du Lust?"

„Können wir in den Park und wieder die Enten füttern?" Strahlend sieht Lilly mich an.

Meine Mutter wirft mir einen giftigen Blick zu, der sagt „Verboten!"

„Hm, ich glaube die Enten müssen ein bisschen Diät machen. Sie werden zu dick und gehen unter", rede ich mich raus.

„Geht Dad auch unter? Er wird auch immer dicker", will Lilly wissen. Ich verschlucke mich beinahe an meinem Kaffee. Nein Schätzchen, so viel Glück, dass Greg ertrinkt, habe ich nicht.

Mum legt den kleinen Abriss von einem dieser Zettel aus der Bäckerei hinter der Uni neben meinen Teller. Ich habe den Aushang dort letzte Woche entdeckt, als ich erfolglos Emmi angegraben habe. Sie weigert sich mit mir auszugehen. Begründung: ich habe schon was mit Elena gehabt. Wie albern! Wer hatte noch nichts mit Elena?

„Ich habe es mir überlegt. Vielleicht hat Lilly ja Spaß daran. Wenn es wirklich kostenlos ist, dann können wir es zumindest versuchen", meint Mum.

„Was versuchen wir?", fragt Lilly neugierig.

„Das ist eine Überraschung, Schätzchen. Und jetzt verabschiede dich von Mum. Sie muss gleich los. Dann gehen wir zwei Zähneputzen, ja?"

Lilly springt auf und gibt unserer Mutter einen Kuss. Wir halten jeden Morgen denselben Ablauf ein. Meine Schwester braucht ihre Routine und Rituale.

Ich habe ein unheimlich schlechtes Gewissen wegen der zweimonatigen Tour, die unsere Band machen will, da läuft dann plötzlich alles anders für meine Schwester.

Aber Mum sagt, sie schafft das mit Lilly. Daran zweifle ich keine Minute. Ich frage mich eher, wie Lilly es in der Zeit mit Greg schafft.

Nachdem die Tür hinter Mum zufällt, machen wir uns hübsch, wie ich immer sage. Ich mache der Kleinen einen Pferdeschwanz, dafür darf sie mich bürsten, was rein gar nichts bringt. Meine widerspenstigen, dunklen Haare lassen sich nichts vorschreiben. Dann putzen wir genau drei Minuten unsere Zähne und anschließend gibt es eine Runde Mundwasser. Wir spucken genau gleichzeitig ins Waschbecken und Lilly juchzt vor Freude.

Dann helfe ich ihr mit den Schuhen und ihrer Jacke, packe ihren Rucksack und wir gehen zu meinem Wagen. Ich liebe sie. Die Kleine ist ein wunderbares Mädchen. Ich verstehe nicht, wie Greg so ätzend zu ihr sein kann. Sie klettert in ihren Auto-Kindersitz und lässt sich anschnallen.

„Bin ich heute nicht hässlich?", vergewissert Lilly sich. Wieder schwimmen Tränen in ihren Augen, die vom gleichen Blau sind wie meine, wie Mums. Nur die Form unterscheidet sich, und sie hat diese kleinen Fältchen im Augenwinkel. Das liegt an ihrer Trisomie.

Kinder sind grausam, und was anders ist, dass nennen sie schnell mal hässlich, ohne es wirklich böse zu meinen. Lilly ist eben anders.

„Du bist wunderschön, kleine Lilly", sage ich zu ihr. „Lass dir nichts anderes einreden."

„Können wir offen fahren?", fragt sie beruhigt.

„Mum hat gesagt erst am Nachmittag. Sonst wirst du wieder krank."

Auch so eine Sache, die bei ihr anders ist. Ihr Immunsystem ist nicht so ausgeprägt und letzte Woche habe ich drei Tage Uni sausen lassen, weil Greg keinesfalls bei seiner verschnupften Tochter bleiben kann und Mum auf einem Symposium angemeldet war. Mir macht das nichts aus, aber dann soll Greg nicht immer an meinen Noten rummeckern, sondern sich mal selber um was kümmern!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top