COREY - Kapitel 44

Ich wache morgens um sieben auf. Offenbar hat mein Körper noch nicht mitbekommen, dass zwar Dienstag ist, ich Lilly aber nicht in den Kindergarten bringen muss.

Neben mir liegt ein zerzaustes Mädchen, dessen verwischtes Makeup ein bisschen nach Waschbär auf Drogen aussieht. Name? Keine Ahnung... Doch Sarah. Sandra? Susan, richtig, Susan heißt die Kleine.

Ich klettere von meinem Alkoven und schleiche leise durch den Bus, um niemanden zu wecken. War ganz schön spät gestern. Beim Gedanken an Kevin muss ich beinahe lachen. Der war ganz schön besoffen, also nicht, dass hier irgendjemand außer unseren beiden Securities, Alex und Peter, noch nüchtern war.

Möglichst ohne Lärm zu machen, öffne ich die Tür und steige aus. Alex sehe ich nirgends, wahrscheinlich muss die Dunkelhaarige ab und zu mal schlafen, nur Peter sitzt vor dem Bus.

Er hat ein kleines Stück Holz in der Hand und schnitzt daran herum. Als er mich sieht grinst er.

„Bist ganz schön hart im Nehmen. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass du der letzte bist, der heute aufsteht."

Ich wäre auch nicht aufgestanden, wenn ich nicht den krassen Waschbären im Bett gefunden hätte. Das ist mir zu eng da oben. Ich kann ja später immer noch schlafen, wenn wir weiterfahren.

„Hast du mal ne Kippe für mich?" Fuck, ich bin total heiser. Das Rumgegröle in der Bar gestern Abend in Kombi mit Rauchen und Alk ist Gift für meine Stimmbänder. Aber zum Glück soll ich ja nicht das Ave Maria singen.

Peter wirft mir seine Zigaretten und sein Feuerzeug zu und ich setze mich neben ihm ins Gras.

„Was wird das?", frage ich ihn, während ich rauche.

„Ein Hund", sagt er und hält mir sein Werk entgegen. Krass. Der ist total niedlich. Alles da. Ohren, Schwanz, Beine mit winzigen Füßen und die Maserung sieht aus wie Fell. Er ist ein richtiger Künstler.

Während Peter sich wieder seiner Schnitzerei widmet, ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche.

„Guten Morgen, Mum!", schreibe ich. „Hat heute Morgen alles geklappt?"

„Alles super. Cat hat Lilly um halb acht abgeholt. Sie gehen zusammen frühstücken und hinterher in den Zoo."

Lilly liebt Tiere und sie würde jeden Tag in den Zoo gehen, wenn sie könnte. Sicher ist sie total aus dem Häuschen vor Freude. Eigentlich war nur ausgemacht, dass Cat Lilly im Kindergarten abliefert.

Dass sie einen ganzen Ferientag für meine Schwester opfert, ist wirklich süß von ihr. Sie scheint Lilly wirklich zu mögen, sonst würde sie das vermutlich nicht machen, oder?

Mein Handy vibriert und ich schaue auf das Display.

Cat hat ein Bild von sich und Lilly in der Story gepostet.

Sie sitzen im „Grannys" und essen Bagels. Wer wohl das Foto von den beiden gemacht hat? Mich beschleicht das ungute Gefühl, dass Sam derjenige sein könnte...

Wenig später bestätigt sich das Gefühl, denn Cat postet ein zweites Bild, auf dem Sam mit einem kleinen Jungen zu sehen ist und sie mit Lilly.

Sam stört mich in diesem Moment gar nicht mehr so sehr, denn meine Aufmerksamkeit wird auf etwas ganz anderes gelenkt:

Der Junge muss etwa zwei Jahre alt sein und der Anblick von Cat, Lilly und diesem Jungen, auch wenn die drei im Grunde nichts verbindet, ist zu viel für mich. Erinnert mich zu sehr an Meghan, Lilly und den Sohn, den ich nie gekannt habe. In diesem Moment hakt irgendwas in mir aus und das Handy fliegt in hohem Bogen, zersplittert auf dem Asphalt, wie mein Herz.

Peter sieht erschrocken von seiner kunstvollen Arbeit auf, sein Blick folgt mir, während ich die Einzelteile meines Handys in alle Richtungen kicke, versuche die ungebetenen Erinnerungen loszuwerden und wütend auf einen Baum einschlage, der nun wirklich nichts dafür kann, dass Cat ein Bild postet, ohne zu ahnen, was sie mir damit antut.

Meine Knöchel platzen auf, wie damals auf der Dachterrasse und das Blut tränkt meine Boxershorts.

Während ich noch tobe, schließen sich zwei starke Arme um mich.

„Schhhh, ganz ruhig, Junge", sagt Peter. Aber ich will nicht ruhig sein, ich will weiter wütend sein, versuche ich mich zu befreien. Doch obwohl er kaum größer ist als ich, habe ich nicht die leiseste Chance, ihn abzuschütteln. Er bringt sicher dreißig Kilo mehr auf die Waage als ich- und zwar reine Muskelmasse.

„Verdammt, Corey, hör auf", Rufus Stimme dringt durch den Nebel aus Zorn, aber ich habe keine Lust auf die Stimme der Vernunft zu hören.

Ich kämpfe weiter gegen Peter an, bis ich keine Kraft mehr habe, und er mich auf den Boden drückt. Alle stehen um mich rum, starren mich an. Angefangen von Mo, unserem Fahrer über Alex, die Bandmitglieder, sogar Susan Waschbär sieht mich irritiert an.

„Verpisst euch einfach, okay?", sage ich matt. Aber keiner rührt sich. Schockstarre?

„Ihr habt ihn gehört, oder?", sagt Alex leise. „Abflug, sucht euch eine Beschäftigung. Frühstücken, duschen, packen, holt euch gegenseitig einen runter, mir egal, aber verpisst euch! SOFORT!"

Sie geht vor mir in die Hocke. „Alles wieder okay?"

Ja. Nein. Keine Ahnung. „Peter, hol mal den Verbandskasten", bittet Alex den etwas überforderten Peter.

Dann reinigt sie meine Wunden, desinfiziert sie, verbindet sie. Mit einer Kopfbewegung, bedeutet sie etwas später ihrem Kollegen, ihr zum Security-Bus zu folgen und ich bleibe allein zurück mit meiner Wut und meinen Tränen, meiner Hilflosigkeit.

Meiner Sehnsucht.

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