COREY - Kapitel 22
Ich liege in der Dunkelheit und lausche auf Cats regelmäßigen Atem.
Innerhalb weniger Stunden hat sie meine Welt komplett auf den Kopf gestellt. Ich dachte sie sei prüde, ein bisschen verklemmt, dass sie aber einfach keine Erfahrung hat, habe ich keinen Moment in Betracht gezogen. Dabei hätte ich es wissen können. Meg war genauso. Cats Bitte, mit ihr zu schlafen, kam schon völlig unerwartet. Ich hatte das wirklich nicht geplant.
Die Erkenntnis, dass ich ihr Erster bin, hat mich völlig umgehauen. Ihr Vertrauen ehrt mich, gleichzeitig macht es mir Angst und die Tatsache, dass sie noch nie so sehr mit jemandem schlafen wollte wie mit mir, macht mich... glücklich. Auf so irrationale Weise glücklich, dass mein Herz jedes Mal schneller schlägt, wenn ich daran denke.
Am meisten haben mich aber ihre Tränen danach berührt und schockiert. Ich dachte, ich hab's für sie total vergeigt!
Aber schön und überwältigend klingt, als ob es mehr als nur okay war...
Obwohl ich dachte, ich würde nie einschlafen können, wache ich irgendwann auf, weil Cat die Linien, meiner Tätowierungen auf meinem linken Arm mit ihrer Zunge nachfährt. So bin ich noch nie geweckt worden und ich liege ganz still und genieße das Gefühl, dass durch meinen Körper rieselt, mir Lust beschert, die durch meinen kompletten Körper pulsiert. Langsam arbeitet sie sich zu meiner Schulter vor, folgt den Wirbeln und Knoten bis zu meinem Hals.
„Crow, bist du wach?", fragt sie leise und ich nicke. „Ich muss langsam gehen. Niall hat schon zweimal geschrieben, wo ich bleibe. Ich hab ihm geantwortet, dass ich bei dir übernachtet habe, weil ich ihn und Elena nicht stören wollte. Nur damit du weißt, was ich gesagt habe."
Dann gibt sie mir einen Kuss auf die Wange und geht. So sehen klare Verhältnisse aus!
Aber warum fühlen sich die so beschissen an?
Als ich mich aus dem Bett quäle, ist es bereits weit nach Mittag. Mum und Lilly kuscheln auf der Couch und sehen sich alte Fotoalben an, aus der Zeit als Lilly noch klein war. Scheiße. Und dann kommt auch schon ihre Frage:
„Ist das Meghan?", fragt Lilly arglos und plötzlich habe ich einen Kloß im Hals.
„Ja", sagt Mum und blättert dann hastig weiter.
„Da bin ich."
Mum bestätigt ihr das und ich schleiche in die Küche. Das schwärzeste Kapitel meines Lebens und ausgerechnet heute, wo ich wegen Cat ein so schlechtes Gewissen habe, muss Mum es ausgraben?
„Vermisst Corey sie?", höre ich Lillys klare Stimme.
„Ganz bestimmt, er hat sie sehr gemocht, Schatz."
Wie die Hölle vermisse ich Meghan, würde ich am liebsten sagen, aber mein Hals ist wie zugeschnürt. Unser Kind wäre jetzt etwa drei, zwei Jahre jünger als Lilly.
Ich schütte den Kaffee, den ich mir aus Routine eingeschenkt habe, in die Spüle. Dann schnappe ich mir meine Jacke, knalle die Wohnungstür hinter mir zu und gehe ohne ein weiteres Wort.
Mein Handy summt. Mum schreibt nur ein Wort: „Sorry."
Ich weiß, es war keine böse Absicht. Aber der Schmerz sitzt noch immer so tief und es gibt nichts, aber auch gar nichts, was ihn lindert.
Weder Alkohol, noch Gras, noch Sex, nicht die Musik. Nichts. Nichts wird mir meinen Sohn oder Meg zurückbringen.
Ziellos laufe ich draußen herum, versuche irgendwie einen klaren Kopf zu behalten und dem Drang zu widerstehen, mich total zuzudröhnen.
Ich setze mich an den See, wo Lilly und ich immer die Enten füttern, aber die vielen Familien mit Kindern, die jungen Mütter und Väter, die vorbeispazieren, führen mir deutlich vor Augen, was ich schon haben könnte. Ich schließe die Augen, stelle mir Meghans Gesicht vor, aber ich erinnere mich kaum noch an Details. Sie entgleitet mir mehr und mehr. Wird von den Gesichtern der vielen Frauen überlagert, die ich in den letzten Jahren benutzt habe, die Leere zu füllen. Gestern erst war es Cat.
Bei dem Gedanken an sie packt mich tiefe Reue. Das ich bei ihr schwach geworden bin gleicht einer Katastrophe epischen Ausmaßes. Ich bin so ein Idiot!
Wenn ich Meg schon verloren habe, dann will ich wenigstens die Bilder von ihr lebendig halten! Aber wie soll das gehen, wenn ich, sobald ich die Augen schließe Cats funkelnde Augen statt Meghans sehe?
Panik überfällt mich, weil es mir nicht gelingen will, mir ihr Aussehen ins Gedächtnis zu rufen. Wie so oft lande ich in meiner emotionalen Einbahnstraße. Und wie Einbahnstraßen nun mal so sind, hat auch diese immer nur eine Richtung. Sie führt mit einem Six-Pack und einer Flasche Hochprozentigem und viel Gras runter an den Colorado, über die steile Böschung, wo sich sonst keiner hinunter verirrt.
Wo ich jetzt stehe, weiß ich: am Rande eines brutalen Rausches und das ist gut so, denn von dem Six-Pack, das ich mit runter zum Colorado genommen habe, ist nur noch ein Bier übrig, der Schnaps ist auch schon in großen Mengen durch meine Kehle geflossen und mein Gras ist komplett in Rauch aufgegangen.
Dass ich mich nicht mehr an Meg erinnern kann, tut nicht mehr so weh, das Leben, es verliert langsam an Konturen und alles um mich herum dreht sich. Shit, das war wohl wieder zu viel...und dann gehen die Lichter für mich erstmal aus.
Das erste, was ich mache, als ich aufwache ist kotzen. Das zweite ist, Überraschung: nochmal kotzen. So krass abgeschossen habe ich mich schon lange nicht mehr. Aber dafür sehe ich jetzt klarer: das Problem ist Cat. Mit ihr zu schlafen, hat mich an mein erstes Mal mit Meghan erinnert, alles an ihr erinnert mich irgendwie an Meg. Das ist zu viel für meine angeschlagene Psyche.
Meine nächste Erkenntnis hat nichts mit meiner Psyche zu tun, sondern mit der Tatsache, dass es bereits dunkel ist. Ein Blick auf mein Handy sagt mir, dass es bereits nach zehn ist und ich sage und schreibe über dreißig verpasste Anrufe habe. Nicht mal seinen Rausch kann man in Ruhe ausschlafen!
Ich versuche zu entziffern, wer mich so dringend erreichen will, aber ich komme mit den ständig verschwimmenden Buchstaben nicht klar. Obwohl ich mehrere Stunden geschlafen habe, bin ich vom Zustand „nüchtern" meilenweit entfernt. Kein Wunder, ich habe ja auch nur Alkohol gefrühstückt!
Was mich zu einer weiteren Erkenntnis bringt: ich habe extrem krassen Hunger.
Okay, ich bin jetzt komischerweise davon abgekommen, dass ich ja wissen wollte, wer mich angerufen hat. Doch auch dieses Mal scheitere ich, aber nicht an meinem latenten Rausch, sondern daran, dass Cat anruft.
„Hey, Cat", begrüße ich sie. Okay, kurze Sätze gehen einigermaßen, vielleicht merkt sie ja nicht, dass ich total stoned bin. Und wenn schon, ist schließlich ihre Schuld. Sie hätte mir ja mal sagen können, dass sie noch Jungfrau ist, oder?
„Hey, Crow, machst du grade Wochenend-Blödsinn, oder müssen wir uns Sorgen machen?"
„Wochenend-Blödsinn, nur ein bisschen krasser", gestehe ich.
„Dann ist es ja gut, ich gebe C Bescheid, dass du natürlich wie immer alles unter Kontrolle hast und er soll deine Mum informieren. In deinem Zustand brauchst du keinen von beiden anrufen."
Bahnhof. Ich check nichts . Aber wenn Cat sagt, dass ich besser niemanden anrufe, dann glaub ich ihr das.
„Crow, wo steckst du eigentlich die ganze Zeit?", fragt sie dann.
„Ich war am Fluss und bin irgendwie eingepennt."
Sie lacht. „Und dazwischen lag ziemlich viel Gras und sechs Bier und eine Menge Schnaps?"
„Fünf. Nur fünf Bier", korrigiere ich. Den Schnaps unterschlage ich mal lieber.
„Soll ich dich abholen, oder findest du nach Hause?", fragt sie fürsorglich.
„Ich finde immer nach Hause."
Sie lacht und irgendwie tut das gut. Ich mag es, wenn sie lacht. Auch wenn ich das Gefühl habe, dass sie mich gerade auslacht.
„Hm, und du weißt immer genau was du machst, ja? Sag mir einfach wo du bist." Ihre Stimme klingt weich wie Schnee, oder so wie ich mir Schnee vorstelle.
„Cat, ich habe keine Ahnung. Echt, ohne Scheiß", gebe ich zu und versuche mich zu erinnern, wo ich den Alkohol gekauft habe.
„Schick mir deinen Standort über Google, ja? Ich find dich dann schon."
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