CAT - Kapitel 47

Der Anruf bei Mum war weitaus weniger schlimm, als befürchtet, nur am Anfang war es etwas holperig. Nachdem ich ihr gesagt habe, dass ich sie besuchen möchte, hat sie sofort angeboten, mir einen Flug zu buchen. Krass. Auch dass ich den Volvo mitnehmen will, fand Mum nicht komisch. Sie meinte, dass Dad und sie auf die Idee auch selber hätten kommen können. Dann hätten sie ihn zur Gala mitgebracht.

Jetzt fliege ich Business Class. Was Anderes wäre Mum gar nicht in den Sinn gekommen. Ich glaube sie ist noch nie in der Holzklasse geflogen. Meine Großeltern stammen aus einer Familie, die mit Viehzucht gutes Geld gemacht hat und noch besseres Geld damit, das Weideland zu verkaufen und meine Mum ist dank ihres Architekturstudiums mit Vollgas auf den fahrenden Zug aufgesprungen und hat für die Käufer der Grundstücke etliche wunderschöne Häuser geplant.

Mein Dad, seines Zeichens Bauingenieur, hat meine Mum bei einer Fachmesse kennengelernt, ist dann irgendwie in die Stadtentwicklung geraten und eines morgens bin ich aufgewacht, zum Frühstück nach unten gekommen und er hat verkündet, dass er für den Kongress kandidieren wolle.

Das Beste an meinem Ausflug, mal abgesehen von dem inngreifbare Nähe gerückten, fahrbaren Untersatz ist, dass er mich erfolgreich von der Tatsache ablenkt, dass ich seit über einer Woche nichts von Crow gehört habe. Er fehlt mir schrecklich. Seit dem Morgen nach der Abreise war er auch nicht mehr online. Es gibt einen Status anzusehen, keine wechselnden Profilbilder. Einfach nichts.

Das macht mir Sorgen, aber wenn ihm etwas passiert wäre, dann hätten C oder Sunny mir sicher Bescheid gesagt, oder?

Auf der Homepage der steht auch nichts von abgesagten Terminen. Also wird schon alles passen. Vermutlich genießt er einfach das Leben in vollen Zügen ohne mich. Und ist dabei nie online... Vielleicht hat er aber auch einfach eine neue Handynummer. Das ist Nialls Theorie und die ist sehr plausibel.

Am Zielflughafen steige ich aus und Mum erwartet mich, umarmt mich, nimmt mir den Trolley ab und gemeinsam fahren wir nach Hause.

Es ist wirklich seltsam, wieder in meinem alten Zimmer zu stehen- seit ich das letzte Mal hier war, ist so viel passiert und ohne Niall fühle ich mich zu Hause ein wenig fremd. Auch das Wohnzimmer wirkt ohne Nialls Flügel kahl und leblos. Mum hat zwar ein Klavier angeschafft, auf dem sie, wie sie sagt, selber gelegentlich wieder spielt. Dort auf dem großen hellen Fleck, der an der Stelle entstanden ist, wo der Flügel früher stand, wirkt das neue Musiknstrument geradezu winzig.

Mum gibt sich alle Mühe, dass es ein netter Aufenthalt wird. Am Abend grillen wir gemeinsam mit Dad und sitzen bis tief in die Nacht zusammen. Meine Eltern erzählen mir lustige Anekdoten der letzten Monate. Die Stimmung ist gelöst und im Laufe des Abends bekomme ich ein sehr schlechtes Gewissen, dass ich die beiden so vernachlässigt habe. Das ich bei unserem letzten gemeinsamen Frühstück übellaunig war, kommt mir plötzlich  kleinlich vor. Die beiden sind eigentlich nicht verkehrt, sie können nur eben auch nicht raus aus ihrer Haut. Keiner von uns kann das.

Schließlich kommt der Moment, vor dem ich mich ein bisschen gefürchtet habe. Die unvermeidliche Frage, wie es Niall ergeht. Und ich berichte ihnen behutsam, wie hervorragend er sich in meinen Freundeskreis integriert hat und dass er in der Arbeit mit den Kindern seine Berufung gefunden hat. Dass Sam ihn bei der Stiftungsgründung unterstützt und auch dass die Familie Palmer, besonders Sams Mutter, Niall in Hinblick auf die Organisation eine große Hilfe ist, verschweige ich nicht.

Mein Dad blickt zuerst ein wenig verkniffen drein, dann sagt er zu meiner Überraschung: „Ich muss keine Waffen tragen und ich muss sie nicht unterstützen. Was sie für Niall und seine kleinen Würmchen auf die Beine stellen, das verdient dennoch meine Hochachtung. Was mir aber nicht gefallen will, Cat, das ist deine amouröse Beziehung zu diesem verkorksten Musiker."

Wie bitte? Amouröse Beziehung?

„Du musst nicht glauben, dass man erblindet, wenn man alt wird. Wie ihr miteinander umgeht, das spricht Bände. Du solltest dir nur überlegen, ob du den Problemen, die er mit sich herumträgt, gewachsen bist."

„Ich denke, das mit uns ist ohnehin Schnee von gestern", sage ich verzagt. "Ich habe ihn tatsächlich vergrault."

„Ich denke, so wie du es sagst, ist der Schnee von gestern aber noch nicht ganz geschmolzen." Dad zwinkert mir zu. Dann sagt er: „Aber das besprecht ihr Frauen lieber untereinander, ich gehe ins Bett!"

Er wünscht uns beiden gute Nacht. Mit seinem leeren Glas und dem Sitzpolster seines Stuhls unter dem Arm steuert er das Gartenhäuschen und verschwindet im Innerrn des Hauses. Kurz darauf flammt das Licht im Schlafzimmer auf und ratternd schließen sich die Jalousien. 

Mum und ich bleiben im Garten zurück. Nach kurzen Anlaufschwierigkeiten schütte ich ihr, zum Schluss weinend, mein Herz aus.
Ich kann selbst nicht glauben, wie sehr ich Crow vermisse.

„Nun, Niall hat recht, du bist die Sache ein wenig ungeschickt angegangen", gibt meine Mum nachdenklich von sich. Auf ihrer Stirn bildet sich eine feine Falte. "Hinterher ist man aber immer klüger. Sicher wäre es besser gewesen, ihm zu sagen, was du willst, statt ihm zu sagen, was du nicht willst. Zu komplexen Interpretationen des Gesagten sind wir Menschen nicht immer in der Lage. Vor allem, wenn man emotional so vorbelastet ist, wie es bei Crow der Fall ist. Dann hört man nur, was der andere sagt, aber nicht, was er eigentlich meint. Ruf ihn an, versucht das zu klären. Vielleicht geht es ihm wie dir und er ist froh, wenn du dich meldest."

Tatsächlich hat mir das Gespräch mit meiner Mum geholfen. Und am Abend, als ich im Bett liege, sehe ich zum ersten Mal seit einer Woche nicht mehr alles schwarz.

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