CAT - Kapitel 15
„Und gehst du Samstag zu dem Kaffeekränzchen?", fragt Corey, während wir gemeinsam mit Lilly auf der Parkbank sitzen, jeder eine Kugel Eis in der Waffel in seiner Hand.
„Ja, hilft ja nicht", sage ich. Begeistert bin ich von dem Termin nicht, aber natürlich will Sams Mutter nicht die Katze im Sack präsentieren. Niall bringt mich seit Montag um den Verstand, weil er erwartet, dass ich bis Samstag jede freie Minute mit Klavier spielen verbringe, damit wir einen guten Eindruck machen.
Crow lacht. „Wir proben vor den Konzerten auch viel."
„Täglich? Mehrere Stunden? Ohne Pause?", vergewissere ich mich.
„Naja, wir üben schon ein paar Jahre zusammen, also ist das bei uns nicht mehr nötig", gibt Corey zurück.
„Ich spiele mit Niall Klavier seit ich drei bin. Dann sollte das reichen, oder?"
„Corey", sagt Lily plötzlich. „Ich mag mein Eis nicht mehr."
„Was ist los? Schmeckt es nicht?", fragt er. „Willst du meins?"
Sie schüttelt den Kopf. „Nein, ich habe ein bisschen Bauchweh. Und ein bisschen schlecht ist mir auch."
Eingehend mustere ich Lilly. „Sie ist ziemlich blass", stelle ich fest und blicke zu Corey, der seine Schwester besorgt mustert. „Vielleicht verschieben wir das Schaukeln um ein oder zwei Tage?", schlage ich vor.
„Wahrscheinlich hast du recht." Er sieht mich zerknirscht an. „Tut mir leid, dass du unseretwegen extra hergekommen bist."
„Mach dir keine Gedanken. Sowas passiert schon mal", beruhige ich ihn und streiche Lilly sanft über das Haar.
„Aber es ist vielleicht besser, wenn ihr gleich nach Hause fahrt. Sie glüht ja!", stelle ich fest. Und ihre Augen sehen in ihrem blassen Gesicht riesig aus, während sie mich ansieht.
„Das ist merkwürdig. Als ich sie vom Kindergarten geholt habe, da war noch alles gut. Ich glaube, ich fahr mit ihr gleich zum Arzt."
Corey hebt die Kleine von der Parkbank und Lilly schlingt ihre dünnen Ärmchen um seinen Hals, kuschelt sich an seine Schulter.
„Soll ich mitkommen?", biete ich Crow an. Doch er lehnt dankend ab. Besorgt sehe ich den beiden hinterher. Meine Angst sitzt bohrend in meinem Nacken, auch wenn ich weiß, dass das albern ist und kleine Kinder nun mal ab und zu krank sind.
„Hey, was machst du denn für ein Gesicht? Ist jemand gestorben?", fragt Niall, als ich nach Hause komme.
Ich fauche ihn an, dass man mit sowas keine Witze macht und sofort entschuldigt er sich.
„Ähm, also, Cat, nur dass du dich nicht wunderst. Elena kommt gleich. Ich habe ihr erzählt du wärst heute unterwegs und..."
Ja, da wären wir wieder bei der Privatsphäre, die unser Provisorium nicht bietet.
„Wir können am Samstag vielleicht auch gleich mit Sam über ein Zimmer für dich reden", schlage ich vor. „Sicher kann man von unserem Konzertsaal noch was abteilen. Vielleicht kann Myra da was für dich planen."
„Die Worte Sam und reden in einem Satz von dir? Das irritiert mich. Wer bist du? Und was hast du mit meiner Schwester gemacht?"
Och, Niall! Tag der schlechten Witze heute oder wie?
„Also, dann geh ich halt wieder. Ich will Euch nicht stören."
„Blödsinn, Cat. Du störst uns nicht. Ist ja nicht so, dass wir hier in deiner Abwesenheit wildes Zeug machen", meint er, aber seine Wangen nehmen einen leichten Roséton an.
„Euer Geknutsche ist schon Prüfung genug für mich. Nein, im Ernst, ich geh ins „Granny's" oder so. Das ist schon in Ordnung."
Doch er sieht noch immer unsicher aus.
„Was ist los, großer Bruder?", frage ich und setze mich zu seinen Füßen auf den Boden, und lehne meinen Kopf gegen sein Bein.
„Meinst du sie mag mich wirklich? Oder macht sie das aus Mitleid? Sie ist so hübsch und so lebendig und ich so ein Wrack." Seine Stimme bricht plötzlich.
„Ich liebe Dich, großer Bruder."
„Das ist keine Antwort. Du bist meine Schwester."
„Doch das ist die Antwort auf deine Frage. Wenn ich dich liebe, dann ist es absolut denkbar, dass sie dich auch mag. Warum auch nicht?"
„Weil ich meinen Arm und mein Bein nicht bewegen kann", knurrt er.
„Ist mir schon aufgefallen!", gebe ich zurück. „Aber sonst ist doch alles intakt, worauf es sonst ankommt."
„Und was ist das für eine Geschichte, dass sie auch auf Mädchen steht?", fragt er. „Tony meinte mal sowas in der Richtung."
„Das fragst du sie am besten selber und nicht mich. Wenn es von deiner Seite ernst ist, dann sprich sie auf deine Sorgen an. Sag ihr, dass das für dich kein Spiel ist und du wissen willst, woran du bist."
„Und was mache ich, wenn mir die Antwort nicht gefällt?"
„Dann musst du die Situation neu beurteilen und sehen, wie du zu dem stehst, was sie dir sagt."
Unser Gespräch ist schlagartig beendet, als es an der Tür klingelt.
„Ich bin dann mal weg. App mir einfach, wenn ihr fertig seid, ja?" Ich zwinkere ihm zu, verschwinde durch unsere Hintertür in unseren Konzertsaal, dann die Treppe hinunter und durch den Lastenaufzug, der in beide Richtungen öffnet, nach draußen, da ich für die Glas-Fronttür im Erdgeschoss keinen Schlüssel habe.
***
Der Rest der Woche laugt mich völlig aus. Niall war, wie zu erwarten, über Elenas Antwort nicht glücklich. Sie war ziemlich sauer, dass er ihr unterstellt, sie würde nur aus Mitleid Zeit mit ihm verbringen. Als er ihr gestanden hat, wie unzulänglich er sich im Vergleich mit ihr fühlt, war sie wohl besänftigt.
Was ihn aber mehr belastet, ist die Tatsache, dass sie ihm ehrlich ins Gesicht gesagt hat, dass ihr eine Beziehung nur zu einem Mann nicht reichen würde. Und dass das auch nicht an ihm läge, sondern daran, dass sie eben noch andere Dinge tun möchte, als er ihr bieten kann, weil er eben andere anatomische Voraussetzungen hat.
Er hat ihr klargemacht, dass er nicht im Traum daran denkt, eine Partnerin zu teilen, weder mit Männern noch mit Frauen. Und nun ist Funkstille zwischen den beiden.
Zwischen mir und Crow ist auch Funkstille, ich habe zweimal per App nachgefragt, wie es seiner Schwester geht und auf meine Anrufe hat er auch nicht reagiert.
Und zu diesem Wahnsinn dräut noch der Termin mit den Lake-Palmers in wenigen Stunden. Niall ist total durch den Wind wegen Elena, ich wegen Lilly und bei dem Gedanken, dass ich Sam einen Nachmittag lang ertragen soll, bessert sich meine Laune kein bisschen.
Es kann also nur in einer Katastrophe enden.
Das Anwesen von Sams Eltern ist noch immer imposant und Niall ist angemessen beeindruckt. Ich habe ihm gesagt, wir sollten einen Rollstuhl mitnehmen, nur für alle Fälle. Aber er wollte nicht. Nun muss er sehen, wie er damit klarkommt. Wir können die, die wir lieben, eben nicht immer beschützen.
Zunächst einmal bekommen wir Kaffee und Kuchen vorgesetzt und Niall und Sam unterhalten sich angeregt, während ich mich mit Sams Mutter durch sämtliche erdenklichen Small-Talk-Themen quäle, während mein Handy ständig aufs Neue vibriert.
Nach einer halben Stunde bin ich so entnervt, dass ich mich entschuldige und das Bad aufsuche, um mich frisch zu machen. Dort checke ich als Erstes mal mein Handy.
Neun verpasste Anrufe in etwas mehr als dreißig Minuten. Und alle sind von Crow. Mist.
„Crow? Hier ist Cat. Was ist los?" Seine Stimme klingt gepresst und ich kann ihn fast nicht verstehen, aber das Piepsen im Hintergrund kann ich sofort einordnen.
„Ich ruf gleich zurück, Cat. Ich darf hier nicht telefonieren."
Nervös warte ich auf den Rückruf, bete, dass mit Lilly nichts Ernstes ist.
„Ja?", frage ich atemlos, nachdem er anruft. „Was ist los, Crow?"
„Lilly liegt auf der Intensiv. Sie hat eine schwere Lungenentzündung. Sie hatte in der Nacht Atemaussetzer und wird künstlich beatmet." Er schluchzt leise.
Scheiße, das kann doch nicht wahr sein?
„Und was sagen die Ärzte?", frage ich angespannt.
„Was Ärzte halt immer sagen. Wir sollen abwarten, Geduld haben. Ihre Vitalwerte sind wohl stabil. Was auch immer das heißt."
„Crow, das tut mir so leid. Ich wünschte, ich könnte etwas für Euch tun."
„Viellicht kannst du das." Er klingt beinahe zaghaft. „Meine Mum kommt so gegen sechs nach der Arbeit her. Ich würde dann gerne duschen und vielleicht mal kurz ein Nickerchen machen. Kannst du später runter zum Anleger kommen? Gegen zehn?"
„Ist gut, unten am Steg?", sage ich, auch wenn ich nicht ganz verstehe, wie er jetzt an Partys denken kann.
An Nialls Blick sehe ich, dass er sehr wohl merkt, dass etwas nicht stimmt, als ich zurückkomme. Aber ich kann jetzt ohnehin nichts für Crow und seine Schwester tun. Dann kann ich wenigstens etwas für Niall tun.
Nach dem Kaffee gehen wir hinein und Mrs Lake-Palmer bittet uns, ihr einen Eindruck unserer Musikalität zu verschaffen.
Zunächst spielen wir uns mit Einaudi warm. Dann folgt eine Variation desselben Stückes, in der wir aber sowohl Melodie als auch die Begleitakkorde verändern bis ein imposantes Klanggebilde entsteht.
Dann spielen wir ein Duo von Mozart, das Niall von vier auf drei Hände umgesetzt hat.
Zu meiner Überraschung setzt Sams Mum sich dann selbst zu Niall ans Klavier und bittet ihn, eines der zwanzig Stücke, die sie ausgewählt hat mit ihr gemeinsam zu spielen. Alles Klassiker, die Niall im Schlaf mit Grippe spielen könnte, ohne die Noten vor sich zu haben. Danach soll ich mit ihr vierhändig spielen.
Sie ist keine Virtuosin, auch keine Konzertpianistin, aber man merkt dennoch, dass sie über vierzig Jahre Zeit hatte, um immer wieder zu spielen.
„Ich denke, dass ihr wisst, was ihr tut. Und bin gerne bereit, als Eure Schirmherrin aufzutreten und eine Veranstaltung zu organisieren. Allerdings in einem sehr kleinen Rahmen, um erstmal auszutesten, wie das Interesse an Eurer Arbeit ist. Wenn ihr Erfolg habt, dann können wir im Winter vor Weihnachten eine größere Veranstaltung aufziehen. Da ist die Spendenbereitschaft enorm."
Wir verabschieden uns und Sam bleibt mit seiner Mutter zurück, während wir in unser Taxi steigen.
„Meine Güte Cat, was ist nur los mit dir? So mies hast du schon lange nicht mehr gespielt."
Er klingt genervt. Aber es ist ja noch mal gutgegangen und Sams Mum weiß ja nicht, wieviel Luft bei mir nach oben ist.
„Tut mir leid. Ich war total abgelenkt und unkonzentriert. Crow hat angerufen, dass Lilly auf der Intensiv liegt und künstlich beatmet wird."
„Shit."
Ich stimme ihm aus vollem Herzen zu. Das ist blöder Mist.
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