CAT - Kapitel 11


Eine ganz Weile sitzen wir nebeneinander, schweigen einfach.

„Macht es dir was aus, wenn ich rauche?", fragt er nach einer Weile und ich weiß sofort, dass wir nicht nur von Tabak reden.

„Nein, kein Problem", sage ich und meine es auch so. Am Anfang der Uni fand ich es ganz schrecklich. Habe mir geschworen, dass ich mich von Leuten, die Gras rauchen unbedingt fernhalte. Aber auf Dauer klappt das nicht so gut, wenn man nicht allein in seinem Zimmer versauern will. Sogar Niall hat früher ab und zu was geraucht.

Also sehe ich Corey einfach zu, wie er sich seinen Joint bastelt.

„Crow, darf ich dich was fragen?", wage ich einen vorsichtigen Vorstoß in Richtung der Verstorbenen.

Er richtet seinen Blick auf mich, verzieht sein Gesicht.

„Ich muss dich jetzt leider verhauen", sagt er trocken.

„Was?", frage ich irritiert.

„Du hast mich schon wieder Crow genannt."

„Oh, stimmt, da war gestern was. Jetzt wo du es sagst, erinnere ich mich wieder!"

„Temporärer Gedächtnisausfall, Cat? Heißt das, du erinnerst dich auch nicht mehr an unseren Kuss?"

Ich schlucke hart. Scheiße. Keine Ahnung. Wann war das denn? Ich dachte, er saß den ganzen Abend bei Emmi. Er ist auch mit ihr heimgegangen.

Dann fängt er an zu lachen und ich werfe meinen Kronkorken nach ihm. Gerade erzählt er mir, dass seine Freundin sich umgebracht hat und wenige Minuten später soll ich ahnen, dass er plötzlich Witze macht?

„Dein Gesicht war zu lustig."

Er schleckt sein Zigarettenpapier an und sein Piercing blitzt im Licht der spärlichen Beleuchtung auf. Das ist ziemlich sexy und unwillkürlich frage ich mich, wie es wäre, ihn zu küssen. Der Gedanke ist grad völlig unpassend, dass ich trotzdem darüber nachdenke, bereitet mir Kopfzerbrechen und ich stehe auf.

Er sieht mich fragend an und ich erkläre:

„Ich hol mir noch was zu trinken. Soll ich dir auch was mitbringen?"

„Wäre sehr nett, ja", antwortet Crow.

„Wie immer?"

„Ein Doppelpack wäre auch okay. Ich habe heute irgendwie nicht so Lust auf Gesellschaft, wenn es okay ist, würde ich einfach hier oben bleiben."

„Soll ich lieber gehen? Also, ich meine, wenn du einfach ein bisschen deine Ruhe willst, dann ist das voll in Ordnung", biete ich ihm an, doch Crow schüttelt den Kopf.

„Nein, ich meinte nicht dich. Mir ist das unten nur grad ein bisschen zu viel. Ich dachte erst, unter Leute gehen, wäre eine gute Idee, aber ich habe grad so viel im Kopf wegen meiner Mum und Greg und es läuft alles Scheiße bei mir. Dann kommt das mit Meg auch immer wieder hoch."

Meg hieß sie also. Ich drücke seine Schulter und gehe nach unten und hole die Getränke für uns. Auf dem Rückweg ziehe ich die Feuerabschlusstür zu und verriegle sie. Wenn er Ruhe will, soll er Ruhe haben.

Oben riecht es nach Gras. Ich setze mich neben ihn, folge seinem Blick, der starr auf den Fluss hinaus gerichtet ist. Sein Bier stelle ich kommentarlos neben ihm ab. Er klemmt sich seinen Joint zwischen die Lippen und öffnet erst seine Flasche, dann meine mit dem Feuerzeug. Dann bietet er mir einen Zug von seiner Zigarette an, doch ich traue mich nicht. „Ich rauch eigentlich nie irgendwelches Zeug", sage ich.

„Sehr klug, Cat."

„Aber es riecht gut", sage ich und schnuppere.

„Ich habe noch was dabei. Du kannst überlegen und es später immer noch mal probieren. Läuft nicht weg."

„Was ist das für eine wilde Geschichte mit deinem Stiefvater?", frage ich.

„Auch darüber will ich nicht reden", wehrt er ab.

Eine Weile blicken wir weiter über den Fluss, dann platzt er doch damit heraus.

„Ich habe noch geschlafen, als mein Stiefvater irgendwie ausgetickt ist. Er hat meine Mutter angeschrien, sie sei, ach, egal. Jedenfalls hat er sie ins Gesicht geschlagen. Vor Lillys Augen und Lilly hat er auch angebrüllt. Also habe ich gesagt, dass es reicht und hab ihn vor die Tür gesetzt."

„Er hat Lilly angeschrien? Aber wieso? Sie ist doch so... eine Süße."

„Er mag sie nicht."

„Wie, er mag sie nicht? Ist sie nicht seine Tochter?" Ich verstehe nur Bahnhof.

„Doch, aber nachdem klar war, dass sie Trisomie hat, hat er sich total von ihr zurückgezogen. Meine Mum behandelt er auch total mies. Er kümmert sich seit fünf Jahren um nichts, bezeichnet uns alle aber als Schmarotzer und..." Mitten im Satz bricht er ab, dreht sich noch eine Zigarette mit einer guten Portion Gras.

„Meinst du nicht, das wird ein bisschen viel?", frage ich vorsichtig.

„Ich weiß schon, was ich tue, Cat."

***

Ich habe zwar zu Sam gesagt, dass das hier keine Orgie wird, aber bei Licht betrachtet, bin ich mir nicht sicher, was hier letzte Nacht alles lief.

Emmi schläft in meinem Bett, das ist nicht ungewöhnlich. Dass Elena in Nialls Bett liegt, das ist neu. Ebenso seltsam ist die Tatsache, dass Corey auf unserer Couch pennt.

Der war gestern so breit, dass ich gesagt habe, er soll einfach dableiben.

Und ich war auch ganz schön dicht. Ich konnte ihn ja schlecht die ganze Zeit alleine rauchen lassen, oder? Also habe ich es probiert. Blöde Idee! Mein Raum-Zeit-Kontinuum ist jetzt etwas durcheinander und mir ist furchtbar schlecht. Aber das kann auch am Alkohol liegen.

Sam sagt immer, Kaffee würde alles kurieren und ich werde diesen nutzen, um zwei Aspirin runterzuspülen, was man ja eigentlich auch gar nicht soll.

Aber irgendwie muss ich zusehen, dass ich schnellstens wieder funktioniere, aufräume und dann lerne. Die Prüfungen stehen vor der Tür und selbst wenn ich nicht viel für die Uni tun muss: nichts reicht auch nicht.

Leise schleiche ich die Treppe der Galerie hinunter und schließe die Küchentür, dann fülle ich Kaffeepulver in die kleine Mokkakanne und entlocke ihr eine starke, schwarze Brühe, die kurz darauf gemeinsam mit Milch und Zucker in meiner Tasse schwimmt. Filterkaffee trinke ich gerne schwarz, aber das Zeug aus dieser Kanne geht nur mit Milch.

„Rieche ich hier Kaffee?", fragt Corey und schließt leise die Küchentür hinter sich.

Er guckt in die Kanne, dann nimmt er sich wie selbstverständlich eine Tasse vom Regal.

„Du solltest echt mal deine Wohnung aufräumen, bevor du Leute zum Übernachten einlädst", sagt er, „Ist nicht schön bei jemandem zu schlafen, der so ein Chaos daheim hat." Sehr witzig. Na, warte nur mein Lieber...

„Ich mag den zugekifften Crow lieber, als den der gerade in meiner Küche steht", sage ich. „Der andere war viel netter und viel zärtlicher."

Seine Gesichtszüge entgleisen einen Moment völlig, dann hat er sich wieder im Griff.

„Cat, ich habe doch nicht irgendwelchen Scheiß gemacht, oder?", fragt er zerknirscht.

„Nein, wir haben uns nur geküsst." Mühsam verbeiße ich mir mein Lachen.

„Tut mir wirklich leid..."

Dann pruste ich los.

„Ach, nicht echt, oder?" Diesmal wirft er mit einem Kronkorken, der auf der Arbeitsplatte liegt, nach mir, verfehlt mich aber knapp.

„Du, ich sag mal meiner Mum schnell Bescheid, dass ich nicht tot im Fluss treibe und dann helfe ich dir hier aufräumen, okay?"

„Ist gut, ich glaub ich versuch es mal kurz mit Duschen, ich steh heute völlig neben mir."

Als ich wiederkomme, hat Crow die Küche bereits gut im Griff. Der Geschirrspüler läuft, Müll stapelt sich in der einen Ecke, das Leergut in der anderen.

„Ich wusste nicht, wo du Müllsäcke hast. Und ich wollte nicht deine Schränke durchwühlen."

Ich reiche ihm das Gewünschte. Wie macht er das? Woher nimmt er die Energie? Ich würde am liebsten wieder ins Bett gehen.

„Dann mach das doch", schlägt er vor, als ich mein Bedürfnis nach Ruhe laut ausspreche.

„Ich muss heute lernen", jammere ich, wenn auch auf hohem Niveau.

„Lieber noch eine Stunde schlafen, als den ganzen Tag rumzuhängen."

Mist. Vielleicht, nein mit Sicherheit, hat er Recht.

„Geh schlafen, Cathy. Los. Ab mit dir. Ich nehme mir derweil die Leichen auf der Terrasse vor. Ich kenn zwei, die haben da oben einen ziemlichen Dreck hinterlassen und das Musikzimmer sieht auch wüst aus."

Stimmt. Nachdem Niall ins Bett wollte, haben die anderen ja drüben weitergefeiert, weil Crow und ich uns auf dem Dach verschanzt hatten und keiner nach oben konnte.

Aus der von Crow verordneten Stunde Schlaf werden zwei und ich frage mich, wie ich bei dem Lärm, den die anderen unten machen, überhaupt so lange pennen konnte.

Unsere Wohnung sieht fast normal aus! Das bisschen Haushalt macht sich von allein, denke ich bei mir und geselle mich zu den anderen.

„Hey, du Schlafmütze", begrüßt Niall mich. Elena sitzt eng an ihn gekuschelt auf der Couch, die Füße angezogen und ich beneide die beiden für einen Moment. Wenn ich auch befürchte, dass diese traute Zweisamkeit ein jähes Ende haben wird, wenn sie Niall nicht mehr spannend findet.

Trotzdem freue ich mich. Niall hat sein Glück verdient, egal von welcher Dauer es sein mag und so wie er Elena anstrahlt, ist er gerade sehr glücklich.

Emmi sitzt auf Coreys Schoß und auch die beiden machen einen recht zufriedenen Eindruck. Ist zwischen den beiden letzte Nacht ernsthaft noch mal was gelaufen? Wie krass! Da muss ich wohl schon gepennt haben.

Sorry, Sam, da habe ich mich in Hinblick auf den Ablauf der Party etwas verschätzt...

„Was machen wir heute Abend?", fragt Elena. Noch so eine, die nicht totzukriegen ist!

„Ich mache heute gaaar nichts außer lernen und dann gehe ich früh schlafen", kündige ich an, was mir einen schrägen Blick von Elena einbringt.

Niall stimmt mir zu und sagt: „Couch klingt für mich auch nach einem super Plan."

Crow schiebt Emmi von seinem Schoß und sagt nichts. Das verstehe ich. Eigentlich ist er zu unserer Runde gekommen, wie die Jungfrau zum Kind. Völlig unverhofft.

Dann streckt er sich, was den Blick von Emmi geradezu magisch anzieht. Und, oh Gott, meinen Blick auch. Unter dem Saum seines Shirts zeigt sich sein durchtrainierter ebenfalls tätowierter Bauch und der Rand seiner tiefsitzenden Jeans, unter dem ein Teil seiner Tätowierungen verschwindet.

Später gesteht Emmi mir, dass sie eigentlich gar nichts mit ihm anfangen wollte, weil ja auf seiner Stirn das Wort „One-Night-Stand" schon weithin sichtbar ist.

Warum sie trotzdem mit zu ihm gegangen ist?

Das kann sie mir selber nicht genau sagen. Irgendwie ist es halt passiert. Versteh ich jetzt nicht. Es „passiert" doch nicht einfach, dass man mit jemanden schläft?

Also zumindest mir nicht. Wobei ich da jetzt nicht wirklich den Expertenstatus habe und ich es im Moment auch nicht grade darauf anlege, jemanden für amouröse Abenteuer an Land zu ziehen. Nach der Erfahrung mit Sam bin ich angeschlagen und sein Auftritt gestern hat nicht dazu beigetragen, dass ich mich nach einer irgendwie gearteten Beziehung sehne, nicht einmal für eine einzelne Nacht.

Vielleicht hat Emmi recht, dass ich vielleicht auch anfälliger für Avancen des anderen Geschlechtes wäre, wenn ich wüsste, wie geil Sex sein kann- danke für die explizite Wortwahl, Emmi- und dann vielleicht auch etwas freizügiger wäre.

Während ich mein Laptop hochfahre, frage ich mich nur, wie das gehen soll mit der Freizügigkeit. Ich habe mich bei Sam auch nur so weit vorgewagt, weil ich ihm vertraut habe. Weil wir, wenn auch auf verkorkste Art, eine Beziehung hatten, in der ich das Gefühl hatte, auch das Bedürfnis hatte, was auszuprobieren. Und irgendwie hat Emmi recht: der Appetit kommt beim Naschen, denn mit Sam wäre ich sicher noch weiter gegangen, wenn sich die Möglichkeit ergeben hätte. Nicht umsonst habe ich dieses Wohnmobil mieten wollen, um einen Weg zu finden, wie wir Sex haben können.

Und wenn man schon öfter mal genascht hat, dann will man vermutlich auch mehr. Vor allem wenn es in einer absolut anziehenden Verpackung wie bei Crow geliefert wird.


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