Was sich weiterhin eignet

Ich hab die Augen geschlossen und lieg an seiner Brust. Und spüre neben seinem Herzschlag und seiner Atmung, und der Tatsache dass ich langsam richtig Lust auf ihn bekomme - dass es immer wieder eine Haarsträhne von meiner Stirn in die Länge zieht, und dann wieder loslässt, sodass die Locke zurück in ihre Kringeligkeit springt. Ich stelle mir vor, wie er dabei müde-fasziniert darauf schielt, und mein einer Mundwinkel gräbt sich grinsend in seinen Fleecepulli. "Hast du Spass mit dem Telefonkabel?", frag ich. "Ja, schon.", sagt er. "Es ist cool, Locken mal so richtig von Nahem anzuschauen.".

Ich muss an andere denken, die sich meine Haarsträhnen um den Finger gewickelt haben oder ihre Hand hineingekrallt haben. Ich überlege, ob du das auch gemacht hast. Ich glaube, schon, aber nicht lange. Die Locken sind der Renner, muss ja niemand wissen, dass es nur eine Dauerwelle ist. Solange man auf einer Wellenlänge ist. Und meistens dauert das dann eh nicht lange an.

Seine Finger die an meinen Locken herumzuppeln, seine Ruhe. Ich spüre schon die ganze Zeit seine Lippen an meiner Stirn, und endlich, aber ganz langsam, lehne ich mich hoch an ihn, streck mich ein bisschen, und heb den Kopf und wir küssen uns. Es dauert nicht lange bis er auf mir liegt und irgendwann seinen Kopf unter meinen Pulli schiebt und noch tiefer. Ich seufze und muss zufrieden über die Niedlichkeit lächeln, und fahre ihm durch die weichen Haare. Alle weißen Typen hatten bisher extrem weiche Haare, ich bin immer beeindruckt, wie dünn und weich sie sind. Ganz anders als deine Locken, die im Vergleich dazu Stahlfedern sind, Stahlfedern gegen Schäfchenwolle. Und doch waren mir die am liebsten, deine drahtigen Löckchen.

Vor ein paar Minuten hat er mir etwas vorgelesen, "Weiße Nächte" von Dostojewski. Und noch ein paar Minuten davor habe ich seine Medimops-Aufkleber von seinen Büchern abgerupft, weil er das selber immer nicht hinbekommt. Manchmal frage ich mich, ob ich komisch bin, weil ich immer so lieb zu ihnen bin, als wären sie gute Freunde oder Mitbewohner, denen ich ein bisschen Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit schuldig wäre. Aber ich bin zu den meisten Dates so lieb, als obs sowas wie Schuldig-Sein nie gegeben hätte und nie geben wird. Ich flirte, indem ich mich kümmere. Ich bin mir für nichts zu schade und bisher - bisher hab ichs nie bereut. Und endlich hat mir mal jemand etwas vorgelesen.

Dabei hat er über meinen Rücken gestreichelt, und meinte "Dein Pulli streichelt mich zurück, ich kann gar nicht aufhören.". Ich glaube, ich könnte eine kleine Liste anfangen, mit Sachen, die der Renner sind. Nr. 1: Locken. Nr. 2: immer noch ein bisschen lieber sein. Nr. 3: Flauschiger Pulli. Nr.4 -

Als sein Gesicht wieder in der Nähe von meinem Gesicht ist, fällt mir ein, was ich noch sagen wollte: "Ich mag dein Helix.". "Danke.", sagt er und schaut mich an. "Das ist jetzt auch endlich verheilt und kann wieder angefasst werden.". Ich heb die Augenbrauen, mache ein hungriges Raubtiergeräusch und lecke ihm übers Ohr und er kichert und windet sich. "Keine Gnade.", flüster ich, stemme mich auf deine Unterarme und beiß ihm in die Ohrmuschel. Meeresfrüchte und Wellenrauschen. Zweitbester Snack heute. Erstbeste Naturgewalt. Je flacher die Atmung desto tiefer das Gefühl, sowohl körperlich geographisch als auch seelisch emotional. Emographischer Wandel. Kann so weitergehen, das System trägt das schon.

Der Rest war ziemlich unvorhergesehen. Als wir fertig sind, und sich neben mich legen will um sich auszuruhen, sieht es kurz aus als ob er eher umkippt, als dass er sich fallen lässt. Ich zieh ihn an mich und drück ihm kleine Küsse auf die Schläfe, schieb mit der Nase seine verschwitzten Haare zur Seite. Er sieht irgendwie fertig aus, nicht nur körperlich. Ich überlege, ob ich ihn fragen soll ob er über irgendetwas nachdenkt. Plötzlich schaut er mich an und lächelt "Gehts dir gut?", fragt er. Ich lächel zurück und sag "Ja." und vergesse das "und dir?".

"Ja.", ist alles was ich sag. "Schön.", sagt er einfach nur.

Als wir uns verabschieden, will ich noch einmal die Hand ausstrecken, einfach nur um kurz aus Spass die Fingerspitzen aneinanderzustupsen als wären unsere Hände jeweils ein verspielter Baby-Octopus. Er verschränkt nochmal unsere Finger ineinander. Das ist so nice. Ich radle nach Hause und denk an nichts, nur Grinsen. Nachts wache ich ab und zu auf und erinnere mich schlagartig und kann nicht wieder einschlafen.

Als wir uns das nächste Mal sehen, fragt er: "Wollen wir mal so über Bedürfnisse und Erwartungen reden?". "Unbedingt.", sag ich. "Das ist ambitioniert.", lacht er. "Ja, schon. Freu mich halt dass du fragst.". Dann schauen wir uns kurz an, und keiner traut sich anzufangen. Dann lachen wir. Dann reden wir. Dann lachen wir nicht mehr. Aber ist okay. Schon okay alles. Wenn man gleich kaputt ist, passt es. Wenn einer kaputt ist und der andere ganz und distanziert, passt es auch.

Ein paar Tage und eine sehr wilde Party später stehe in der Tram und denke schon wieder viel zu viel an jemand anderen, als ich versuche an ihn zu denken und mir für ein paar Sekunden einfach sein Gesicht nicht einfällt. Darüber erschrecke ich, dass ich trotzdem ganz anders wach bin, die Welt ein bisschen anders aussieht, wie als würde man in einem Traum bemerken, dass man träumt. Mir fällt für ein paar komische Sekunden einfach nicht ein, wie er aussieht. Dann fokussiere ich meinen Blick, schaue aus der Straßenbahn, konzentriere mich auf ein Haus und krame in meinem Kopf, stelle mir unsere Küsse vor, und auf einmal fällt er mir ein, und alle Bilder die ich auf dem Handy von ihm habe. Wie konnte das denn gerade passieren.

Da erinnere ich mich, dass ich bei meinen ersten großen Verleihungen auch immer die Gesichter vergessen habe, und so ein komisches unrealistisches Abbild der Personen im Kopf gehabt hatte. Doch was das gerade das Selbe? Ich weiß es nicht. Vielleicht habe ich es wirklich einfach vergessen und das wäre etwas traurig. Die Gesichter einiger Leute schwirren durch meinen Kopf, wie meine Träume, die in letzter Zeit immer voller und immer wilder und immer mehr durcheinander sind.

Bald seh ich ihn wieder und wir schauen meine Lieblings Kinderserie und zwischendurch ist es spannend - so spannend, wie Kinder es eben aushalten. Da sagt er "Das ist gruselig" und ich sage "Aww, ist das zu gruselig für dich, hm?". Und er nickt. Da nehme ich seinen Kopf in meine Hände und küsse ihn und es ist so sanft und so weich und so warm und echt, und ich fühl mal wieder was, was mein Herz auf 2 Arten schneller schlagen lässt: Durch das wieder aufkommende Gefühl an sich, und die Freude und Aufregung über dieses Gefühl. Wir versuchen noch ein bisschen weiter zu schauen und geben irgendwann auf.

Er seufzt immer so leise und so echt, ich finde es unglaublich niedlich, manchmal schau ich ihn zwischendurch an und genieße es richtig. Ich spiel mit der Zunge an seinem Helix und er muss kichern und drückt sich auf einmal gegen mich.

Einmal wollte er aufstehen und ich streichelte im ein wenig über den Rücken, da hörte er auf mit reden und sich bewegen. Als ich aufhörte irgendwann, und "Hm?" fragte, und "Wollten wir nicht aufstehen?" Da grummelte er einige müde Laute vor sich her, und dann: "Du hast mich paralysiert". Und das ist niedlich. Und da viel mir auf: Wir sehen (vielleicht) nicht die gleichen Farben und können und (vielleicht) nie so richtig nahebringen, was wir alle fühlen, und: was wir auf der Haut spüren. Wer weiß schon, was auf der Haut des anderes passiert, wenn man sie streift. Das ist fremdes Gebiet und man läuft darüber, dringt ein, geht über Dinge hinweg und drückt Finger in Wunden und kitzelt lieb Grenzen. Das ist bedenkens- und betastenswert. Warum reden wir immer so viel?

Einmal sagte er:

"Die Zeit vorhin bevor wir rumgemacht haben fühlt sich an als wäre es schon Tage her"

Ich liebe, dass er so schnell so weggetreten ist.


Ich versuche jetzt immer, den Personen ihre Geheimnisse zu lassen, damit ich sie nicht so schnell verletze. Denn ich glaube meine Neugier ist das Rücksichtsloseste was es gibt. Ich bin sehr gerne ehrlich. Denk nicht, ich mach das ohne Grund. Meine Gemheimnisse sind mir egal, weil das Gesamtbild davor stimmt (oder sich zumindest stimmig für mich anfühlt.) Doch man sollte die bröckelnden Fassaden von Lost Places respektieren, wirklich. Vor allem wenn man durch eingeschlagene Fenster eh reinschauen kann. Manch einer ist auch ein leerstehender Neubau wo die Fenster noch fehlen. Ich glaub, das bin ich. Und ich will das bisher nicht ändern.


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