Schreiben übers Schreiben
Ich möchte in ein Café gehen, doch das ist so ein schönes kleines warmes schnuckeliges Café und ich sitze da mit meinem großen kalten langweiligem Laptop. Und es versteht doch niemand, niemand versteht es, denn ich kann hier ja schlecht mit einer Schreibmaschine sitzen. Die Leute denken doch alle ich arbeite, oh sie denken alle ich schreibe hier Mails oder sonstwas, ach, ich will doch nicht, dass sie das denken. Das ist schließlich nicht alles, es ist doch so viel mehr. Wobei - am Ende denken sie es ja auch eh nicht. Was denken die Leute schon? Oder bin ich etwa die Einzige, die hier zu viel denkt?
Doch nun sitze ich doch endlich in einem Café, die Tasten des elektrischen Klaviers senken sich ein langsames düm-düm-düdümm, und das Stimmengemurmel mengt sich unter, ein Mann sticht dabei heraus, es ist der Mann mit dem Dackel, der, der immer hier ist. Also nicht der Dackel, sondern der Mann - also: beide. Der Mann sticht heraus, wie er sich zu seinem Freund über den Couchtisch der gemütlichen Ecke lehnt und ruft: "Ich sage dir jetzt mal was: Wenn du den Roman weitergeschrieben hättest...!" und dann redet er Sachen, von Klappentext, erstem Kapitel, und so weiter, und ich verstehe es akustisch nicht mehr, doch es freut mich sehr, irgendwie. Einfach der Bedeutung halber.
Ich habe neulich gedacht: Eigentlich kann ich gar nicht schreiben, worüber ich möchte. Und täte ich es, so könnte ich nicht unter meinem Namen (oder eher: unter meinem Gesicht) veröffentlichen, keine Lesungen geben, nicht darüber reden. Ja, all das was ich will, es ginge ja nicht. Es ginge nicht, dass ich dazu stehe und daraus lese und darüber rede, wenn ich über das schreiben würde, was sich mir aufdrängt. Das wäre Folgendes: Ich könnte so viel über meine Eltern schreiben, was ich an ihnen liebe und was mich an ihnen zum Weinen bringt, über meine Freunde und alle Menschen die ich kenne. Doch dann erkennen sie sich ja in meinen Büchern wieder, selbst wenn ich die Namen oder Rollen vertauschte, sie wüssten anhand der Beschreibungen ganz genau, dass sie es sind. Ich müsste neue Charaktere basteln, klar. Doch will ich das? Sie sind doch schon so vollkommen.
Manchmal frage ich mich, wie die Maler oder Musiker ihre Musen sehen. Farben und Formen und Töne? Wohl kaum. Doch ich denke, mit der Zeit macht dein Kunstmachen doch was mit deiner Wahrnehmung. Vielleicht denke ich auch einfach zu viel und bin damit die Einzige, bei der es was macht.
Ich habe letztens etwas ganz Erstaunliches getan. Dass es so erstaunlich war, habe ich aber erst in der Küche bemerkt, als ich am Herd lehnte und auf unseren hässlichen krümeligen Küchenboden starrte und nichts sagte. Und einer weinte, und zwischendurch auch wir beide, doch ich glaube, in diesem Moment starrte ich nur und weinte nicht mit. Auf einmal sagte ich da etwas ganz ganz Blödes, ich sagte: "Du, ich habe es in letzter Zeit so oft nochmal gelesen und überarbeitet, und dann gedruckt und gefaltet und genäht, den Buchrücken. Ich habe es so viel gelesen und in der Hand gehabt, dass ich gar nicht mehr richtig wusste, was es ist.". Da schaut er mich mit tränenvollen Augen an. Ich hab das Falsche gesagt. Einfach das Falsche, es war so unnötig, es war nichts als eine Erkenntnis für mich selbst, und nur für mich selsbt, warum teilte ich diese mit ihm, wo es doch gerade um uns beide ging? Ich war manchmal so und wollte eigentlich immer weniger so sein. Und es war so dumm, was sollte das denn Bitteschön gewesen sein?? Eine Entschuldigung? Dafür, dass ich hätte wissen müssen, das er oder wir beide weinen würden? Dafür, dass ich dabei vielleicht nicht genug mitweinte? Dafür, dass ich ihm das so rotzfrech einfach schenkte, obwohl es etwas ganz, ganz Besonderes, und vor allem: etwas sehr Verletzliches war? "Tut mir leid, das ist jetzt nicht -", fing ich an. "Nein, es ist nicht nur deswegen, es ist einfach gerade alles zu viel.", sagte er. Und da setzte ich mich zu ihm und nahm ihn endlich in den Arm - endlich. Noch mehr Tränen. Ich wusste noch genau, wie ich ihn umarme, so wie immer, wie er sich anfühlte, alles war noch in meinen Bewegungen gespeichert und vielleicht war es falsch, doch wie tröstet man denn sonst? Worte machten es gerade einfach nicht. Er ließ sich umarmen, umarmte nicht zurück, aber hielt das kleine knittrige schlecht gebundene "Buch" in den Händen. Auf der ersten Seite stand, dass er das hier nicht lesen dürfte, wenn er es jemals entdecken sollte. Darunter hatte ich handschriftlich ergänzt: "Ups, Dinge ändern sich.". Diese erste Seite hatte er gelesen, dann kurz durchgeblättert. Dann ganz still drauf geschaut, dann gesagt: "Das hast du ja wirklich alles geschrieben.". Und dann geweint. Ich hab mitgeweint. Ich weiß nicht, was ich gefühlt habe.
"Setz dich ganz still hin, ja, so. Okay. Jetzt schreibe ich 15 Minuten über dich, dann Wechsel die Postion.", ein 15 Minuten Akt. Gibts beim Schreiben nicht. Und schreibt man über Menschen, wenn sie schweigen?
Dieses Buch, welches ich ihm geschenkt habe, ist von der Wortanzahl her ein halber Roman. Es ist also keine Hyperbel, keine Metapher, wenn ich sage: Ich habe über ihn einen halben Roman geschrieben. Angeregt davon habe ich dann alle brauchbare Lyrik zusammengekramt und auch diese in ein Dokument geworfen und formatiert. Und siehe da: Auch das war ein halber Roman. Beides war in meinen Augen brauchbar. In meinen Augen. Verlage würden das wahrscheinlich anders sehen, doch es ging nun erst einmal um eine ernste Sache: Sich selbst genug sein. Auch mit meinen Texten, die doch nichts weiter sind als ein vielzumotiviertes und stets beflissenes Tagebüchlein. Dies Büchli, zerpflückt in Brieffreundschaften, zerflossen in Chatverläufen, meinen komischen spontanen Einwürfen im Alltag (genauer: Gesprächs-Sprengsätze) und nicht zu vergessen: all dem Gedöns hier, wo ich mich um Kohärenz bemühe.
Mein letztes Date meinte: Ich schreibe an sich so gerne, aber immer nur auf Twitter. "Twitter-Posts sind Romane-Schreiben für ADHSler. Beziehungsweise Bühnenauftritte der scheuen Schreibtischtäter.", sagte ich. Mein Date nickte so heftig, wie nur ein solch umausgelasteter ADHS Schreibtischtäter nickten konnte. Er lachte, ich lachte mit. Und jetzt schreib ichs auf. Ach, ich schreib so gerne.
Mein letztes Date blieb seitdem mein letztes Date. Es hilft ja nichts. Ich schreibe und ich liebe, manchmal glaube ich, ich tu nichts anderes in meinem Leben. Ich schreibe und ich liebe und ich tue es nie getrennt voneinander. Komisch, wie sich alles mischt. Und irgendwie schreib ich gerade nichts. (und alles ist ein bisschen trist. Doch es ist eben so, dass das Leben eben manchmal so ist.)
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