Match-Cut
Match-Cut: Beim Match-Cut werden in einem Film zwei ziemlich unterschiedliche Schnittbilder miteinander verbunden durch: (a) die Kontinuität der Handlung, (b) die Ähnlichkeit der Handlungen zweier Charaktere, die man im gleichen Bildfeldbereich sieht, (c) die Ähnlichkeit der Handlungen der gleichen Figur zu verschiedenen Zeitpunkten oder (d) die graphische Ähnlichkeit zweier Objekte im gleichen Bildfeldbereich. Dadurch wird Kontinuität erzeugt und zwei unterschiedliche Sequenzen zu einander in Bezug gesetzt. Sagt das Filmlexikon der Uni Kiel.
In Stanley Stanley Kubricks "Odysee im Weltraum" wirft ein Menschenaffe einen Knochen in die Luft und in einer Millisekunde werden 4 Millionen Jahre übersprungen und ein knochenförmiger Sattelit umkreist die Erde.
In einer Sekunde machte Rex einen Schritt durch den Türrahmen, schaute mich an und umarmte mich zur Begrüßung, ehe er etwas sagte zu mir. Danach erst sagte er Hallo, und danach stellte mein Mitbewohner uns einander vor, und danach war nach diesem kurzen Moment der Plötzlichkeit - ich nenne es nicht Überraschung, dafür fühlte es sich zu selbstverständlich an - aber nach dieser Sekunde war schon wieder alles normal. Rex ist der beste Freund meines Mitbewohners.
Mir fällt es sehr leicht, Menschen faszinierend zu finden. Und das Faszinierende in ihnen zu finden, was manchmal nicht einmal wirklich sie selbst sind. Mir fällt es leicht mich für Menschen begeistern und mich ihnen nahe zu fühlen. Ich falle leicht. Vielleicht verfalle ich auch - leicht. Ich kann Sätze die Andere sagen, Handlungen, die sie auf ihre Art und Weise tätigen, Gesichtsausdrücke und Bewegungen sehr sehr wertvoll finden und sehr genau aufschreiben, wobei mein Kopf und mein Herz den ganzen Tag damit beschäftigt sind, sich alles genau und vorsichtig zu merken, so zart und roh wie es ist. Ich kann mir Worte, Brüche in der Stimme, Blicke, all das kann ich mir sehr gut im Gedächtnis behalten - Ich vergesse Termine und Geburtstage, Daten, Fakten und Namen. Ich würde nie versuchen, es umzukehren um besser zu funktionieren, eine bessere Arbeitskollegin und zuverlässigere Freundin zu sein. Ich würde das nie hergeben, nie, ich bin lieber eine aufmerksame Aufschreiberin und respektlos am romantisieren.
Wenn ich jetzt aber versuche, etwas über Rex in Worte zu bringen... dann hab ich keine Lust. Nicht weil ich es mir nicht gemerkt habe oder weil ich es nicht wertvoll fand. Aber. Ich fands einfach unpoetisch. Ohne tiefen Schmerz und tiefes Glück, ohne unerwartete Aussagen und Überraschungen, ohne Verwirrung.
Und wahrscheinlich ist genau das das Problem. Es war einfach leicht und schön und nichts Schlimmes ist passiert. Nicht mal was gutes Schlimmes.
Er half meinem Mitbewohner beim Umzug. Er trug Schränke für die man drei Leute braucht alleine und begradigte schiefhängende Schranktüren, brachte Lampen an und ließ sich fast das Genick brechen, als er wie ein Mechaniker unter der uralten riesigen ausklappbaren Couch lag, um diese zusammenzuschrauben. Wir machten Witze über die furzende 3 Tonnen schwere Ledercouch und die nervigen Fruchtfliegen in der Küche. Es war Sommer. Wir redeten nicht einmal viel, aber: Rex liebt Kampfsport und arbeitet auf dem Bau, hat auch ein paar konservative Freunde und kifft. Rex will bald Medizin studieren, ist Vegetarier, ist links, untermalt seine Witze durch niedliche helle Tonlagen in seiner Stimme, und hat eine Geduld wie ein Hundetrainer. Am Ende dieses halben Nachmittages war ich überrascht. Die Überraschung kam langsam und stark. Und Rex zeigte sich vielleicht (zumindest hoffe ich es, insgeheim) auch ein bisschen überrascht, wie schwer ich tragen, wie gut ich Möbel zusammenbauen und solide mit schlechtem Humor mithalten kann.
Im Herbst kam Rex wieder zu Besuch, und weil mein Mitbewohner in diesen ersten Stunden arbeiten war, beschloss ich, Rex Gesellschaft zu leisten. Wir schauten Videos von 1UP, Freerunning Schlappen und den besten Drohnen-Stuntshots von Red Bull. Wir lachten und redeten drüber, wir hielten etwas mehr Abstand auf der Couch, aber ansonsten hätte ich gedacht, er wäre schon immer da gewesen. Ich nahm ihn dann sogar einfach mit zum Sport, lieh ihm sogar Klamotten, die... ich für meinen Freund gekauft hatte.
"Ihr seid Geschwister, oder?", fragte meine Trainingspartnerin, als sie uns sah. Ich lachte und freute mich. Rex war von ihrer Aussage entweder unbeeindruckt oder auch etwas verwirrt, genau konnte ich es nicht deuten, aber er lachte zumindest nicht.
Doch das musste die Erklärung sein, deshalb hatten wir beim Umzug so viel über Schlagbohrer gequatscht, und deshalb haben wir vorhin auf der Couch so viel gelacht und geredet. Deshalb habe ich ihm dabei auch erzählt, wie ich meinen Freund kennengelernt hatte, ihm sogar Bilder von meinem Freund gezeigt. Und es hat sich irgendwie so richtig angefühlt, einfach all das zu erzählen. Er hat so zugewandt zugehört, es war keine Sekunde komisch. Das fand ich komisch.
Wir spazierten im Dunkeln nach Hause, ich durfte von uns beiden als Erste duschen gehend, er saß wartend am Handy auf der 3 Tonnen Ledercouch. Als meine Mitbewohnerin wiederkam und uns begrüßte - ab da war es nicht mehr so unverständlich selbstverständlich. Ich glaube ich nenne es: andersverständlich. Aber als meine Mitbewohnerin wiederkam und wir zu Dritt waren, da war es nicht mehr so andersverständlich.
Später kam auch mein andrer Mitbewohner nach Haus und wir gingen feiern. Irgendwann auf der Party bildeten wir einen Kuschelhaufen und ich kraulte meinem Mitbewohner und Rex die Haare. Und übernachtete fast mit Rex auf der schweren Ledercouch. Im letzten Moment stand ich auf und ging. Niemand hatte vorher was gesagt, mein Mitbewohner nicht, seine Freundin nicht. Niemand passte auf, Mann, was sollte das? Aber - Niemand dachte bestimmt irgendetwas. Nur ich. Als Rex sich entschuldigte, dass er mir nicht das Gefühl hatte geben wollen, er wolle die Couch für sich alleine, sagte ich: "Es passt schon.". Wir sahen uns kurz an. "Gute Nacht Leute!", rief ich und ging. Als ich im Bett lag, war es kalt und ich wusste, etwas richtig gemacht zu haben.
Am Samstag gingen wir wandern, ich machte immer zwei Schritte auf ihn zu und drei zurück. Niemand. Passte. Auf. Ich kann mir Worte und Gesichtsausdrücke merken. Ich vergesse alle Daten. Ich kann gut auf andere aufpassen. Ich stolper ständig durch Gefühle. Vielleicht fällt es mir leicht, zu fallen. Der Freitag war schön, aber der Samstag schön und schrecklich, am Ende aber vielleicht etwas mehr schön. Und am Sonntag fuhr Rex vormittags wieder nach Hause, er hatte eine Schicht auf dem Bau. Er verabschiedete sich, sein Knie streifte meins und unsere Hüften berührten sich leicht, aber es fühlte sich nicht wie ein Versehen an, sondern wie Nähe. Er verabschiedete sich und ging aus dem Türrahmen.
Jump-
Cut: Beim Jump-Cut handelt es sich um einen Filmschnitt, der die klassischen Continuity-Regeln bricht und die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Der Bildsprung kann für den Zuschauer irritierend sein. Sagt Wikipedia.
Am Montag vermisste ich ihn.
Er hatte nichts falsch gemacht. Ich auch nicht, glaube ich. An einem Abend musste ich bei einem Konzert weggehen, weil ich ihn nicht mehr vor mir tanzen sehen wollte. Später, bei einem ruhigen Lied, setzten wir uns alle spontan auf den Boden. Mein Mitbewohner kuschelte mit seiner Freundin. Ich saß etwas neben den beiden und schlang meine Arme um einen guten Kumpel, weil mein Freund immer noch nicht da war. Er war schon seit dem Umzug nicht da. Er ist nicht oft weg, aber wenn, dann lange. Doch jetzt bei dem Konzert kuschelte ich mit dem Kumpel, das war okay. Und jeder aus unserer Gruppe kuschelte mit irgendwem. Nur Rex saß ganz alleine neben uns allen, und etwas abseits. Doch - er sah sich wach um und hörte der Musik zu, sah zufrieden aus. Er war sich immer genug, so wirkte er. Er hat zu keinem Zeitpunkt etwas falsch gemacht.
Vielleicht, ganz vielleicht, hatte er ja aufgepasst, in den Momenten, in denen ich dachte, niemand passt auf.
Jetzt ist wieder Freitag und heute vermisse ich ihn glaube ich nicht mehr. Trotzdem könnte er jetzt hier sein. Wir könnten kurz vor dem Winter noch ein letztes mal Klippenspringen gehen. Wir könnten auch im Winter Klippenspringen gehen. Oder in den leeren Block in der Neustadt klettern. Oder er könnte einfach in der Küche sitzen. Oder so. Muss er aber nicht.
Wer auch hier sein könnte, ist: mein Freund.
Ja, er, über den ich geredet hab, dessen Sporthose ich verliehen hab und der beim Konzert nicht da war und nicht mit mir gekuschelt hat, und der generell nicht da war.
Ich kann daher nicht wissen, ob das alles nur so ist, weil er nicht da ist. Ich weiss nicht, was wäre, wenn er mehr da wäre. Oder wenn Rex mehr da wäre als er. Was ich weiß: dass ich Rex auf eine Art sehr mag. Aber auf eine andere Art als meinen Freund, den ich liebe wie nichts anderes auf der Welt. Das für Rex ist wahrscheinlich eine andere Kategorie. Es gibt romantische, freundschaftliche und familiäre Liebe, und seelenverwandschaftliche. Und wenn man jemanden sehr liebt, fühlt man auch mal drei davon oder alle vier, zu unterschiedlichen Anteilen.
Wenn ich Rex (und mir selbst (und meinem Freund)) ein Geständnis machen müsste, dann: Ich empfinde wohlfühlende Liebe für dich, Rex. Nähesuchende, gemütliche Liebe. Du tust mir einfach nur ein bisschen sehr gut. Ist das zu einseitig? Es ist so oder so falsch. Wahrscheinlich brauche ich es nicht einmal. Du bist gerade durch eine Trennung gegangen und mir fällt nichts besseres ein als mich an deine Schulter zu lehnen und dir mein mein Bettzeug zum Schlafen auszuleihen. Und danach dran zu riechen und mich dafür zu hassen.
Das Kopfkissen riecht nicht einmal nach dir: du hast wirklich gar Nichts, nicht das kleinste Bisschen falsch gemacht. Du hast dieses Kopfkissen von mir dir ausgeliehen und dich dann vielleicht nicht einmal draufgelegt. Du hast aufgepasst auf mich, vielmehr aber auf dich, in den Momenten in denen ich nicht aufgepasst habe. Danke. Und wenn du nicht bald nen wirklichen tollen Menschen an deiner Seite findest, dann fress ich ein Filmlexikon.
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