《2》When the night comes
Das war kein Traum. Oft habe ich gelesen, dass man unglaubwürdige Situationen in seinem Leben als Traum wahrnimmt. Leider wusste ich nie sicherer, dass ich wach war und definitv nicht im Bett lag, sondern irgendwo in Seoul am Straßenrand hockte und meine blutende Nase hielt.
Unsere Geschichte hätte weitaus besser beginnen können.
Meine Atmung überschlug sich vor Aufregung. Während ich versuchte, meinen Körper und vor allem meine Psyche wieder unter meine Gewalt zu bringen und mich darauf konzentrierte, nicht zu atmen wie ein erstickendes Kaninchen, kniete sich der Schattten vor mir hin und tastete über den Boden, als würde er etwas suchen.
Er fand es auch und hielt mir kurz darauf mein Handy vor mein Gesicht.
Es hatte zwei hässliche Risse auf dem Display. Als ich keine Anstalten machte, meine Hände von meinem Gesicht zu nehmen, schob die Person es vorsichtig in die Tasche meiner Jeans.
Er hob seinen Kopf und ich zuckte ungewollt zusammen. Das helle Licht erleuchtete sein Gesicht auf eine gespenstische Art und Weise. Er griff nach dem Mundschutz, welches sein halbes Gesicht verdeckt hatte und zog es von seinem Mund. Ich quietschte erschrocken auf und bekam doch das Gefühl, immer tiefer in einen schlechten Traum zu geraten.
Denn ich erkannte die Person hinter den dunklen Auenringen und der Kapuze. Und gleichzeitig, wusste ich, dass das, was ich sah, nicht echt sein konnte.
Unmöglich.
Das, was ich sah, konnte nicht sein.
Vor mir saß ein Toter.
„Min Yoongi?", fragte ich leise, einfallslos, eigentlich nur, um meine Stimme zu hören. Er nickte und wandte sich ab, als wäre es ein alltägliches Erlebnis, ihn einfach so, irgendwo in Seoul, mitten in der Nacht zu treffen.
„Du musst etwas dagegen drücken...und was Kaltes in den Nacken", hörte ich eine andere Stimme neben meinem linkem Ohr. Sie klang etwas unbeholfen. Mir war selten etwas unegaler, als meine blutende Nase.
Mein Kopf flog zu Seite und wieder wusste ich mir nicht anders zu helfen, als zu Kreischen. Ein paar rote Sprenkel landeten in dem Gesicht des Schwarzhaarigen neben mir. Dieser presste die Lippen zusammen und verkniff sich einen Kommentar. Um seinen Hals baumelte ein bandanaartiges Tuch, welches er wahrscheinlich ebenfalls vor seinem Gesicht getragen hatte. Seine dunklen Augen ruhten auf mir.
Er wollte erkannt werden.
Er wusste genau, dass ich ihn erkannte.
Er sieht anders aus, als früher.
Er war über zwei Jahre lang tot gewesen, dass musste sich ja negativ auf sein Erscheinungsbild auswirken. Beinahe lachte ich auf. War das gerade alles ein Witz?
Jungkook schien das alles sehr ernst zu nehmen.
Nachdem er in seinen Hosentaschen, offenbar erfolglos, gewühlt hatte, zog er seine weinrote Jacke aus, um sie vorsichtig unter meine Nase zu drücken. Ich hob meine Hände und hielt die Jacke selbst fest, woraufhin er seine Hände wieder aus meinem Gesicht nahm und seine Finger einmal knacken ließ.
Tränen verschleierten für einen Moment meine Sicht, trotzdem konnte ich nicht aufhören, ihn anzustarren. Auf seiner blassen Wange verlief eine dünne Blutspur.
Seine Augenringe konkurrierten mit der Farbe seiner Haare. Selbst die sahen nicht mehr aus, wie früher.
Sie waren viel zu lang.
Die rabenschwarzen Strähnen teilten sich in einem Mittelscheitel und fielen weit in seine Stirn, die er besorgt runzelte.
Ich war wohl doch zu betrunken, um zu realisieren, dass all das Halluzinationen sein mussten. Auch wenn es keine waren, aber zu dem Zeitpunkt hätte ich das eigentlich denken müssen.
„Wer zur Hölle bist du?", fragte ich ihn, aggressiver als gewollt.
Die Stimme war aus meinem Kopf verschwunden.
Die Stimme saß jetzt neben mir.
„Wer bist du?", fragte ich noch einmal.
„Jungk..."
„Nein."
„Nein?"
„Nein.", antwortete ich einfach.
„Wieso...nein?"
„Weil...du nicht echt bist. Du bist in meinem Kopf.", erklärte ich ihm geduldig. Meine Stimme lallte etwas.
Er sah mich verwirrt an, dann schüttelte er den Kopf und sah an sich herunter.
Ich spürte seinen Griff an meiner Hand und ehe ich irgendwie reagieren konnte, spürte ich seine kalte Haut unter meinen Fingern. Der Schwarzhaarige hatte meine zitternde Hand auf seinem Arm abgelegt.
„Siehst du? Echt.", stellte er fest.
Etwas grober als gewollt bohrte ich meine Fingernägel in seinen Arm. Er riss ihn weg und fluchte auf Koreanisch etwas, dass ich nicht verstand, mir aber fest einprägte
„Tschuldigung." Ich schloss kurz meine Augen.
„Du bist gestorben...", redete ich mehr mit mir selbst. „Du bist tot...und Jimin und Yoongi. Ihr lebt nicht mehr. Ihr seid sehr tot."
Neben mir hörte ich ein Seufzen. „Wir erklären dir alles, Lyana, es ist bisschen...kompliziert..."
Das war zu viel.
Nein, das war Wahnsinn. Sowas gab es vielleicht in irgendwelchen bescheuerten Fanfictions, mit einer leichtgläubigen, zwölfjährigen Protagonistin. Und das war ich nicht.
Ich war eine leichtgläubige, neunzehnjährige Protagonistin.
Ohne lange nach zu denken, schob ich mich auf meine Knie und verdrehte meinen Oberkörper so weit, dass ich mich an der Laterne hochziehen konnte. Die Jacke ließ ich einfach fallen.
Irgendetwas in mir schrie, dass ich es fürchterlich bereuen würde, wenn ich jetzt einfach ging. Aber ein paar unbetrunkene Gehirnzellen erinnerten mich an meinen Gedankengang von vor fünf Sekunden und dass ich dem Vertrauen sollte. Als ich mich, dieses Mal vorsichtiger, von der Straßenlaterne schob und langsam über den Asphalt ging, hörte ich hinter mir ein genervtes Stöhnen.
„Bitte Lyana! Geh nicht schon wieder weg. Das geht jetzt schon seit zwei Wochen so und langsam wird's echt...Bitte warte doch kurz..."
Yoongi rannte neben mir her und redete geduldig auf mich ein. Auf Englisch. Aber heute wunderte mich gar nichts mehr.
„Lyana, ich verstehe, dass das alles furchtbar verwirrend sein muss und wir hätten dich auch längst angesprochen, wenn du nicht jedes Mal weggelaufen wärst...", kam jetzt auch Jungkook dazu. Er sprach meinen Namen mit einem unglaublich süßen Akzent aus. Das fiel mir selbst in der Situation auf und ließ mich für einen Moment Gänsehaut haben.
„Yoongi hat schon nach drei Tagen aufgegeben...", fügte er noch etwas leiser hinzu. „Oke ich meine das ist Yoongi, das war jetzt kein Wunder, aber...Lyana bitte bleib doch kurz stehen! Wir..."
„Woher wisst ihr überhaupt, wie ich heiße?", unterbrach ich ihn. Meine Stimme zitterte schon.
„Das können wir dir erklären, wenn du kurz wartest und uns zuhörst..."
„Ihr seid gestorben...ich weiß es doch, ihr wart tot. Wieso zur Hölle wart ihr tot?"
Ich hustete und presste meine Hände an meine Schläfen, während Yoongi weiter auf mich einredete.
Stur ging ich weiter und wartete darauf, dass ich aus diesem wahnsinnigen Traum aufwachte.
Es war ein schöner Traum...
Irgendwann, etwa fünf Straßen weiter, spürte ich schließlich eine Hand an meiner Schulter.
Es war nicht der sanfte Griff, der mich zum Stehen brachte, sondern die Tatsache, dass es Jungkooks Hand war, die dort ruhte. Ich drehte mich um und sah sein Gesicht keine zwanzig Zentimeter von mir. Mir wurde wieder schwindelig.
Er ist...schön.
Komm schon Lyana...Jungkook steht vor dir...reiß dich zusammen. Mach nichts Seltsames. Reiß. Dich. Zusammen.
Es gelang mir recht lange, über die Kopfschmerzen und den Alkoholeinfluss hinweg bei Verstand zu bleiben. Aber in weniger als fünf Minuten war mein Gehirn völlig vernebelt und meine Gedanken nicht mehr greifbar. Was war das hier nur? Ich schwöre, dass ich noch nie so betrunken war. Ja, das muss es sein. Ich bin betrunken.
„Wir müssen zurück...", sagte ich etwas lauter, als gewollt.
„Wohin?" Er hob fragend seine Augenbrauen und grinste mich an. Da war es. Für einen klitzekleinen Moment sah ich wirklich Jungkook. Einen lächelnden Jungkook. Einen echten Jungkook. Spätestens jetzt brachte mich seine Anwesenheit aus der Fassung. Ich vergaß, mich zu konzentrieren. Mein Bauch begann zu pulsieren und der Alkohol übernahm völlig die Kontrolle über mein Gehirn.
„Zu der Laterne...wir müssen zurück, zu meiner Laterne. Ich muss doch...ich muss doch noch...?"
Was wollte ich sagen? Sein Gesicht verschwamm etwas vor meinen Augen.
„Meinen Freunden Tschüss sagen...ich muss mich doch noch verabschieden..."
„Du meinst im Club? Ich...", begann er, doch ich unterbrach ihn.
„Nein! Zur Laterne! Meine Freunde, die Motten. Habt ihr die Motten gesehen. Sie waren schön, die Motten, fast so schön, wie du..." Meine Stimme versagte und ich kicherte leise.
Was hatte ich gerade gesagt?
Ich spürte eine Berührung in meinem Gesicht. Jungkook betrachtete mich mit gerunzelter Stirn und roch vorsichtig in die kalte Nachtluft.
„So viel Alkohol?", sagte er mehr zu sich selber, als zu mir. Ich nickte trotzdem und kicherte noch lauter.
„Cool, oder?"
Er schüttelte nur leicht den Kopf und kurz darauf spürte ich, wie er seine Hand um meine Hüfte legte und mich vorsichtig über den Bürgersteig lenkte.
Durch seine Nähe wurde mir noch ein Stück wärmer, aber dieses Mal störte es mich nicht.
Er sagte etwas zu Yoongi, das ich nicht verstehen konnte. Ich hatte mir damals noch viel Mühe gegeben, koreanisch zu lernen.
Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, ihre wahren Stimmen zu verstehen.
Sehr bald war ich auch ziemlich gut darin geworden, aber im jetzigen Zustand war alles was ich verstehen konnte ein sich immer wiederholendes „Nein!" von Yoongi und ein „Wir müssen..." von Jungkook.
„Wir hätten das nicht tun sollen...Wir hätten dieses deutsche Mädchen niemals suchen sollen...", hörte ich Yoongis Stimme von der anderen Seite, endlich auf Englisch. Sie klang vorwurfsvoll, als wäre all das hier meine Schuld.
„Eigentlich bin ich sogar Viertel-Französin...", wiedersprach ich ihm todernst.
Er nickte nur, aber ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen.
„Stell dir mal vor, wenn ich Jungkook heirate, dann werden unsere Kinder..." Der Rest meines Satzes ging in einem gequälten Lachen unter, wofür ich am nächsten Tag sehr dankbar war. Ich sags doch: Beziehungen zu realen Personen sind weitaus unkomplizierter.
Ich überlegte kurz, aber ich vergaß meinen letzten Satz in dem nächsten Moment schon. Und auch alle weiteren Sätze, die ich an dem Abend noch sagte, falls ich welche sagte.
Ich war so unendlich dankbar, dass der Filmriss seine Aufgabe erledigte und mir außer der blutenden Nase, den Motten und meinen indirekten Heiratsantrag an Jungkook nicht mehr viel in Erinnerung blieb.
Art splashing inside this clear crystal cup
Art is alcohol too, if you can drink it, you'll get drunk, fool
~K. N. (Dionysus)
Cringe?
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