《12》A rainy night
Die nächsten Tage wurden verdächtig schön.
Doch während ich mich mit Julie von Gretha durch die Stadt ziehen ließ, lagen die Geschehnisse der letzten Tage wie Nebel in meinem Kopf und umhüllten alle meine Gedanken. Ich spürte einen starken Drang, meine Mutter anzurufen und mich bei ihr kurz auszuheulen, oder sie zu bitten, mich abzuholen, so wie ich es in der Grundschule gemacht hatte, wenn der Kindergeburtstag blöd war oder es am späten Novembernachmittag im Reitstall langsam kalt wurde, weil ich mal wieder meine Handschuhe vergessen hatte. Ich lieh mir Julies Handy, da die Einzelteile meines geliebten IPhones Jungkooks Getrete natürlich nicht überlebt hatten.
Als ich ihre Stimme hörte, spürte ich kurz das Gefühl der Sicherheit und ich sah mich kurz bei mir Zuhause im Wohnzimmer, bevor sie mich wieder in die Realität riss.
„Lynn! Ist etwas passiert?" Sie klang besorgt und ich seufzte. „Nein, natürlich nicht. Wollte nur Bescheid sagen, dass alles okay ist und so..."
„Ah ja?"
„Bei euch alles gut?", fragte ich.
„Ja sicher."
„Wunderbar.", freute ich mich etwas zu übertrieben. „Das war auch eigentlich alles, ich..."
„Wieso rufst du nicht von deinem Handy an?", fragte meine Mutter skeptisch.
„Akku leer."
Sie seufzte. „Wie geht es Jonah und den...anderen?"
„Gut gut. Ich muss euch so viel zeigen und erzählen, wenn ich wieder zu Hause bin..."
„Mit Jonah alles okay?", fragte sie noch einmal und dieses Mal war ich diejenige, die seufzte.
„Natürlich, wieso denn nicht?"
Mein Blick flog beinahe reflexartig auf den silber-schwarzen Ring, den ich an meinem Finger trug. Ich mochte Schmuck nicht besonders, deshalb hatte ich ihn normalerweise an einer Kette um den Hals unter meinem T-Shirt versteckt, aber die Umstände zwangen mich irgendwie dazu, ihn wieder an meinem Finger zu tragen.
Meine Mutter liebte Jonah. Für sie war er bereits jetzt schon der perfekte Schwiegersohn und ich hab das dumme Gefühl, dass sie hofft, Jonah würde mir hier in Korea einen Heiratsantrag machen oder sowas in der Art. Was verrückt war, denn ich war erst neunzehn und spielte definitiv nicht mit dem Gedanken, jemanden zu heiraten. Ich hatte nicht einmal sicher einen Studienplatz...
Ich hatte sicher gar keinen Studienplatz. Ich hatte mich noch nicht beworben. Weil ich keine Ahnung habe, was ich tun möchte. Oder...
„Du hast noch keinen Brief von der Uni bekommen, Lynn. Weißt du von den anderen schon was?", fragte sie mich, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
„Hmm...nein, komisch. Kommt bestimmt noch...", murmelte ich.
Wenn sie wüsste...
„Tja, also, tschüss dann...", sagte ich schnell und trat zum Fenster, während ich die Seid-bloß-vorsichtig-und-sterbt-nicht-Abschiedsrede über mich ergehen ließ.
Mein Blick wanderte über die leere Straße, übersät mit kleinen Rissen und unebenen Stellen. Die Schrift und Farbe der Straßenschilder waren verblasst, genauso wie die Farben der Gebäude. Ob hier früher noch mehr los war? Wer baut schon ein Hotel mitten im nirgendwo...
Die schwüle Luft platze mir entgegen, als ich den Griff verdrehte und das Fenster aufzog. Die dunklen Gewitterwolken, die spätestens heute Abend niederregnen würden, warfen einen Schatten über die Stadt. Ich spürte die Vorgewitter-Spannung, die sich den Tag über aufgebaut hatte und freute mich darauf. Es war kein sehr heißer Sommer gewesen, aber die letzten Tage waren, vor allem in der Stadt, nicht mehr besonders angenehm gewesen.
***
Immer unruhiger wälzte ich mich in dem Bett hin und her, welches bei jeder meiner Bewegungen ein ungesundes Quietschen von sich gab. Die Decke hatte ich schon längst weggetreten.
Um elf Uhr waren die ersten Regentropfen gegen das Fenster geprasselt, wenige Minuten später stürzten sich wahre Wassermassen nieder, die von dem Wind gegen die Glasscheibe geworfen wurden. Immer wieder erhellten Blitze das Zimmer, gefolgt von dem krachenden Donner.
Ich lag still im Bett und betrachtete die Schatten, die für den Bruchteil einer Sekunde entstanden, wenn der Raum von dem weißen Licht geflutet wurde.
Wo waren jetzt wohl alle Menschen, die kein Zuhause hatten?
Ob Gretha schlafen konnte? Früher, als wir noch in der Grundschule waren, hatte sie Angst vor den Gewittern. Sie weinte immer. Erst, als unsere Lehrerin uns erklärte, wie Blitz und Donner funktionierten und wir mit ihrer Hilfe feststellen konnten, wie weit das Gewitter schon gezogen war, sah man sie nicht mehr besorgt. Fasziniert starrte sie aus dem Fenster und zählte die Sekunden, die zwischen dem Licht und dem Lärm vergingen. Ich bewunderte ihre Eigenschaft, jede noch so kleine Wissenschaft als faszinierend und lebenswichtig aufzufassen. Auch hier in Seoul ließ sie keine Möglichkeit aus, etwas zu besichtigen, was für sie neu sein könnte.
Was würde Gretha wohl sagen, wenn ich ihr von der Sache mit Jungkook erzählte? Oder Jonah? Sie mochte Jonah, das wusste ich, sie mochte eigentlich jeden.
Und Julie? Würden sie mir überhaupt glauben?
Ich drehte mich wieder zu der Fensterseite und starrte die orangenen Vorhänge an. Es war spät nach Mitternacht, dass Gewitter war schon längst weitergezogen. Hin und wieder hörte man den Himmel noch leise knurren, ansonsten war Ruhe eingekehrt. Schwache Schatten tanzten hinter dem dünnen Stoff, Bäume bewegten sich auf der anderen Straßenseite. Die dünnen Äste schwankten leicht von oben nach unten und zeichneten ihre grauen Umrisse auf den Vorhang.
Während ich das kleine Schauspiel mit meinen Augen verfolgte, wurde ich immer müder. Meine Lider senkten sich und bald bewegten sich die Äste nur noch im Halbschlaf in meinen Hintergedanken weiter.
Ich lag unbequem auf meiner Schulter, aber ich war zu müde, meinen Körper noch einmal zu bewegen. Im Halbschlaf dämmerte ich durch die halbe Nacht, die sich ewig anfühlte.
In dem unruhigen Halbschlaf-Traum tauchten immer mehr zusammenhanglose Personen auf, ich war mal Zuhause in Deutschland mit Jungkook, dann bei der Lagerhalle, in der ich meine Eltern traf, die mit Taehyungs Freundin sprachen. Yoongi tauchte auch wieder auf, ich sah, wie er Jonah umarmte und sich bei ihm bedankte, warum auch immer. Meine alte Klasse besuchte mich in Seoul. Wir waren gerade auf dem Weg zu der Lagerhalle, um auf der Couch schöne Bilder zu machen, als ich aus meinem Traum gerissen wurde.
Ich blinzelte in den Raum und stöhnte genervt. Jetzt konnte ich sicher nicht mehr einschlafen. Mein Nacken schmerzte, als ich meinen Arm nach der Bettlampe ausstreckte. Kurz bevor meine Finger das Kabel mit dem Schalter erreichten, streifte etwas über meine Hand.
Ich zuckte zurück, doch die Berührung kehrte wieder. Etwas Warmes umschloss mein Handgelenk. Ich öffnete meinen Mund, um den lautesten Schrei meines Lebens von mir zu geben, aber bevor auch nur ein Laut über meine Lippen kam, traf mich etwas Weiches in meinem Gesicht.
„Ich bins nur...", flüsterte mein nächtlicher Angreifer. Ich packte das Kissen, das er mir ins Gesicht drückte und riss es nach unten. Ohne lange Nachzudenken schmiss ich es in die Richtung der Stimme und tastete dann wieder nach dem Lichtschalter.
„Endlich habe ich dich gefunden..."
Licht erhellte den Raum und brannte unangenehm in meinen Augen, die ich aufzwang.
„Jungkook! Was ..." Das Kissen traf mich wieder in meinem Gesicht.
„Schhh! Sonst wachen die da drüben noch auf." Der Schwarzhaarige legte seinen Zeigefinger auf seine Lippen und zeigte dann in die Richtung von Jonahs Zimmer.
Ich umarmte das Kissen und stützte meinen Kopf kurz auf dem weichen Stoff ab. Während ich halb hyperventilierend versuchte, erstmal richtig wach zu werden, ließ sich Jungkook ohne zu fragen neben mich auf mein Bett sinken.
Das Fenster stand weit offen, ich hörte das Plätschern des Regenwassers, welches durch die Rinne lief und von den nassen Ästen tropfte.
„Hey Lyana...", begrüßte er mich.
Er trug ein schwarzes T-Shirt, so wie in den Tagen davor auch. Er ist immer noch so farbenfroh unterwegs, wie früher.
„Stell dir vor, ich war gerade vorhin schon im falschen Zimmer...", erzählte er mir und damit rieb ich mir das letzte bisschen Schlaf aus den Augen.
„Du warst was?", fragte ich ungläubig.
„Reg dich nicht auf, da war eh nur so eine alte Frau, die hat voll tief geschlafen und...au!" Mein Schreck entlud sich in Wut gegen ihn. Dieses Mal hatte ich ihm das Kissen ins Gesicht geschleudert.
„Spinnst du? Was fällt dir überhaupt ein, hier nachts einfach reinzukommen?"
„Ich konnte die letzten Tage nicht zu dir, weil dein Freund ständig in der Nähe war.", erklärte er so, als wäre es das normalste der Welt, nachts hier einzubrechen.
„Wie bist du überhaupt hereingekommen", fragte ich und er zeigte stolz Richtung Fenster.
„Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken..."
„Hast du nicht! Überhaupt nicht", murrte ich. „Was ist passiert?"
„Nichts, wieso?" Er blinzelte und lächelte mich unschuldig an, während er das Kissen zu Recht schüttelte und dann ordentlich auf meinem Bett platzierte.
„Keine Ahnung, sag du es mir."
„Hast du...ganz vielleicht schon das Bu-"
„Nein, natürlich nicht!" Ich zog meine Augenbrauen zusammen.
„Sorry, ich will dich ja nicht stressen, aber..."
„Ich muss euch auch gar nicht helfen.", stellte ich klar, während sich mein Magen zusammenzog. Wann war ich zu so einer Zicke mutiert?
„Nein, natürlich nicht. Aber du scheinst ziemlich darauf auf zu sein, das so schnell wie möglich hinter dich zu bringen, also..."
Oh.
„Das...das stimmt nicht."
„Nein, natürlich nicht.", sagte er ironisch.
„Ich bin nur unsicher, das ist alles." Wieso hast du das gesagt? Ahh Lyana, reiß dich zusammen.
Jungkook nickte und suchte dann offensichtlich nach einer Möglichkeit, die unangenehme Situation weniger seltsam zu gestallten. Was eine hochgradig psychologische Leistung wäre, wenn ihm das gelang. Er zeigte auf meine Hand.
„Der Ring...von wem ist er?"
„Ich wüsste nicht, was dich das angeht.", antwortete ich und strich über den breiten, silber-schwarzen Ring.
Drei Mal darfst du raten, "Kookie".
„Er ist von ihm, oder? Von Jonah?"
Ich schüttelte nur meinen Kopf.
Von wem den bitte sonst?
„Seid ihr verlobt? Wollt ihr heiraten?" Er sah mich neugierig an und ich hätte ihm am liebsten eine rübergezogen. Oder zwei. Mit einem Stuhl.
Ich riss das Schmuckstück von meinem Finger und steckte es in die Tasche meiner Schlafanzughose.
„Okay nochmal, ein letztes Mal. Die Sache mit mir und Jonah: Sie geht. Dich. Nichts. An.", knurrte ich und hoffte, dass keine Tränen in meine Augen stiegen.
Ich wollte weiter reden, mich entschuldigen, doch ein leises Poltern bei der Tür ließ mich zusammenzucken.
„Lynnie? Alles okay?"
Verdammt.
Ohne weiter nachzudenken packte ich Jungkooks Schulter und presste in Richtung Boden. Er reagierte schnell und robbte unter das Bett, während ich mich auf die Matratze fallen ließ und die Bettdecke nach oben zog. Keine Sekunde zu früh.
„Lynnie? Wieso bist du noch wach?"
Ich fuhr herum und kniff meine Augen zusammen, um zumindest etwas müder auszusehen.
„Bin ich...gar nicht...", sagte ich und fälschte ein Gähnen. Jetzt bloß nichts verdächtiges tun, einfach atmen, er kann mein Herzklopfen nicht hören, auch wenn ich nichts anderes höre...
Jonah zeigte stumm Richtung Bett und zog seine linke Augenbraue nach oben. Das Blut gefror augenblicklich in meinen Adern und ich begann nach und nach ein paar Tode zu sterben, während Jonahs Blick über das Linoleum streifte.
„Lynnie, was...was ist das?"
Mein Blick flog auf den Boden und mein Herzklopfen setzte aus.
Das wars dann wohl.
The thick color of a rainy day in Seoul,
I still can't fall asleep as I fade away.
The rain stops and the reflection in the puddle: I see myself looking more miserable today.
It's a rainy night, the rain knocks on my window, it hits my heart
~J.J. / K.T. / M.Y. (Rain)
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