Kapitel 8 - Der Wettbewerb
Mein Handy weckte mich aus meinen Gedanken, indem es in meiner Tasche vibrierte. Kurzerhand fummelte ich es aus meiner Hosentasche. Als ich auf das Display sah, erstarrte ich. Sam. Wieso zur Hölle rief er mich an?! Mein abgrundtiefer Hass gegenüber Telefonaten sorgte nicht unbedingt für meine Ruhe. Zögerlich wischte ich den grünen Hörer zum Annehmen über den Bildschirm und hielt mir das Handy ans Ohr, "Hallo?"
"Hey, hier ist Sam", ertönte seine tiefe Stimme auf der anderen Seite und mein Herz setzte für einen Moment aus.
"Hey! Wie geht's?", bemühte ich mich, meine Nervosität unter Kontrolle zu behalten. Ich vernahm ein Lachen von Sam, ehe er mir antwortete, "Gut, ich freue mich, dass du geschrieben hast."
Als ich nicht antwortete, sprach Sam weiter, "Ich komme dich gerne mal besuchen."
Ich schluckte. Er wollte tatsächlich eine Fahrt von über drei Stunden auf sich nehmen, um mich zu sehen, "Das ist toll."
"Wann denn?", fragte Sam und sofort überlegte ich, wie das mit Besuch in diesem Internat überhaupt funktionierte. Ich kam zu dem Schluss, dass es sinnvoller war, wenn Sam an einem Wochenende kam. Er meinte, er würde sich ein Wochenende raus suchen und sich nochmal melden, was ich dankend annahm, da das Telefonat somit zu Ende war, sodass sich mein schnell schlagendes Herz erstmal wieder beruhigen konnte.
Zurück auf meinem Zimmer traf ich überraschender Weise auf Emma. Normalerweise war sie immer unterwegs, doch diesmal saß sie auf ihrem Bett und grübelte über ihrem Block. Da sie mit dem Rücken zur Tür saß und Kopfhörer in ihren Ohren stecken hatte, bemerkte sie mich nicht. Neugierig lugte ich über ihre Schulter und erhaschte einen Blick auf ihre Notizen. Leider verstand ich nicht so ganz, was sie machte, da das Papier von kleinen Punkten und Pfeilen übersät war. Ich tippte ihr auf die Schulter, worauf sie erschrocken zusammen zuckte und mich mit tellergroßen Augen anstarrte. Sie zog sich einen ihrer Kopfhörer aus dem Ohr und begann zu lachen, "Alter, Lucy!"
Ich deutete auf ihren Block, "Was machst du da?"
Sie blickte selbst auf ihre Notizen und zuckte dann mit den Schultern, "Eine Choreographie entwerfen."
"Oha, wie cool", stieß ich aus und verstand nun, dass die kleinen Punkte, Personen darstellten und die Pfeile die Richtungen, in die sie sich beim Tanzen bewegen sollten.
"Magst du mit zur Probe kommen?", fragte Emma, die nun dabei war, ihre Tanztasche zu packen.
Kurz überlegte ich, doch dann fiel mir auf, dass ich sowieso nichts besseres zu tun hatte und mich tatsächlich interessierte, wie Emmas Truppe tanzte.
Bei der Turnhalle angekommen, die ein Stück außerhalb des Internats lag, stellte mich Emma ihren Freunden vor. Zumindest zwei erkannte ich wieder. Daniel war wohl ebenfalls ein Tänzer und nickte mir kurz zu. Louisa, die mir immernoch gänzlich unsympathisch war, wickelte sich eine ihrer blonden Strähnen um den Finger und unterhielt sich mit einem anderen Mädchen, welches pechschwarze Haare hatte. Beide bedachten mich mit einem abwertenden Blick, den ich jedoch gekonnt ignorierte. Emma zeigte mir, wo ich mich hinsetzen konnte, um zuzusehen und legte die CD in den Player ein, der direkt neben mir stand.
"Alle bereit?", rief Emma, worauf alle Anwesenden verstummten und sich auf ihre Plätze stellten. Die Musik startete und erfüllte die gesamte Halle mit dröhnenden Tönen, wodurch der Boden unter mir zu beben schien. Alle bewegten sich im Takt zur Musik, die durch die Halle hämmerte. Meine Augen ruhten auf Emma, die ihre Hip Hop Moves so leicht und elegant aussehen ließ. Mein Kopf wippte im Rhythmus des Liedes und ich genoss die Vorstellung.
"Wirklich ihr wart der Hammer!", meinte ich, als wir auf dem Weg zurück zu unserem Zimmer waren.
"Danke, eigentlich will ich an einem der Wettbewerbe teilnehmen, aber die meisten der anderen wollen nicht", sie zuckte enttäuscht mit den Schultern. Auf einmal dachte ich wieder an den einen Wettbewerb, den ich mir genauer angesehen hatte. Vorausgesetzt waren zwei klassische Instrumente und zwei Tänzer. Eventuell wäre es eine Idee dort gemeinsam mit Emma teilzunehmen? Gleichzeitig könnten wir uns beide ein Stipendium sichern und hätten nebenbei noch etwas Spaß.
Der Anblick Marcos vor unserer Zimmertür, der ungeduldig mit dem Fuß wippte, holte mich aus meinen Überlegungen.
"Ich gehe heute Abend noch mit Marco weg", erklärte sie mir sein Auftauchen, worauf ich nur nickte. Aus irgendeinem Grund, war Marco mir einfach unsympathisch. Ich mochte solche Kerle noch nie, aber bei ihm war es anders, er erschien mir schlichtweg böse.
Alleine in unserem Zimmer, blätterte ich wieder in dem Flyer für die Wettbewerbe. Die Anmeldefrist war bereits in zwei Wochen, sollte ich dort teilnehmen wollen. Nervös tippte ich mit dem Finger auf dem Papier herum und ließ meine Augen über das Anmeldeformular gleiten, auf welchem man die Teilnehmer eintragen musste. Der Gedanke setzte sich von Minute zu Minute immer stärker in meinem Kopf fest. Ich nahm mir vor, Emma den Vorschlag zu machen und dann abzuwarten, was ihre Meinung dazu war. Denn vielleicht war sie absolut abgetan von dem Gedanken zu klassischer Musik zu tanzen und die Sache würde sowieso im Sand verlaufen.
"Das ist eine klasse Idee!", stieß Emma am Montagmorgen aus, als ich ihr von meinen Gedanken bezüglich des Wettbewerbs berichtete, "ich kann mich eventuell noch um weitere Tänzer kümmern!"
Einerseits freudig, andererseits unsicher nickte ich. Mindestens einen weiteren Tänzer bräuchten wir, um teilzunehmen.
"Und du fragst Hannes?"
Mit geweiteten Augen starrte ich Emma entgegen, nicht sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte. Klar, brauchten wir ein weiteres klassisches Instrument, aber Hannes? Ich schluckte und versuchte zu ignorieren, dass mein Herz bei dem Gedanken schneller schlug.
"Komm schon, wer denn sonst?", fragte Emma und das berechtigt. Ich kannte hier keinen und Hannes war der Einzige, von dem ich wusste, dass er Klavier spielte. Wieder dachte ich an unser überraschendes Duett als wir gemeinsam 'Pompeii' gespielt hatten und daran, wie gut meine Geige mit seinem Klavier harmoniert hatte. Ich schluckte.
"Du kannst ihn ja gleich vor Mathe fragen", schlug Emma vor und schulterte fröhlich wie eh und je ihren Rucksack. Sie schien nicht einmal zu ahnen, wie nervös mich der Gedanke machte, Hannes gegenüber zu treten und zu fragen, ob er mit mir an dem Wettbewerb teilnehmen wollte.
Nervös trottete ich hinter Emma her und legte mir im Kopf die Worte zurecht. Ungeduldig faltete ich den Flyer zu den Wettbewerben auf und wieder zu. Von Weitem erblickte ich bereits Hannes, der vor dem Klassenzimmer mit Liam sprach. Meine Nervosität erreichte ein neues Level, "Emma ich will ihn nicht fragen."
"Stell dich nicht so an!", zischte sie mir zu und packte mich am Handgelenk.
"Hey!", trällerte sie fröhlich und stellte sich vor Hannes und Liam. Sie drückte mich nach vorne und meinte dann, "Lucy will dich was fragen."
Mit diesen Worten ließ sie mich stehen und zog Liam von uns weg. Woher nahm sie nur dieses Selbstbewusstsein?
Hannes zog eine Augenbraue in die Höhe, worauf ich schüchtern auf den Fließenboden sah. In diesem Moment verfluchte ich meine Mitbewohnerin.
"Du wolltest mich was fragen?", kam es nun von dem Braunhaarigen, der immer noch vor mir stand und vermutlich verwirrter war, als ich.
"Ähm, ja...", murmelte ich und lachte, "also, es geht um - äh diese Wettbewerbe."
Ich hob den Flyer, den ich immernoch in der Hand hielt.
Hannes nahm mir den Flyer aus der Hand und schlug ihn auf, um ihn zu lesen. Auf einmal schien er sich zu erinnern, dass er sich ihn bereits angesehen hatte.
"Ich wollte dich fragen, ob du... daran mit mir teilnehmen willst", brachte ich die Frage heraus und atmete erleichtert aus.
Hannes lächelte, was mein Herz freudig springen ließ, "Ich denke drüber nach."
Sein Grinsen verriet mir, dass er seine Antwort bereits wusste, weshalb ich ihm ebenfalls entgegen grinste.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top