Kapitel 6 - Das Duett
"Und? Wie fandest du den Film?", fragte Hannes, als der Abspann begann. Er klang total aufgeregt und bedachte mich mit einem neugierigen Blick.
Ich nickte, "Gut, aber irgendwie auch ziemlich brutal."
Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile über den Film und vor allem über die Filmmusik, bis wir merkten, wie spät es bereits geworden war. Kein Tageslicht schien mehr durch das große Fenster, nur der helle Mond stand am Himmel und spendete sein kühles Licht.
"Wir müssen mal zurück", meinte ich lachend, worauf Hannes mir nickend zustimmte.
Er bestand darauf, mich noch bis zu meinem Zimmer zu begleiten. Während wir so nebeneinander herliefen, spielte ich mit dem Gedanken, ihn zu fragen, warum er unseren Filmeabend zuvor vergessen hatte. Ich war mir unsicher, ob das zu aufdringlich sein würde und ließ es schließlich doch sein.
Vor meinem Zimmer angelangt, wandte ich mich ihm zu, "Danke für den Abend."
Hannes lächelte, "Klar."
Zum Abschied nahm er mich in den Arm und ich genoss die kurze Nähe. Dann machte ich mich so schnell ich konnte fertig, um zu schlafen. Morgen war wieder ein langer Tag, da Orchester auf meinem Stundenplan stand.
"Ich bin froh, dass er dich nicht wieder hängen lassen hat", meinte Emma, der ich am nächsten Morgen während dem Frühstück von dem gestrigen Abend erzählt hatte, "sonst hätte ich ihm weh getan."
Ich begann zu lachen, da Emma als sie das sagte einen beängstigenden Ausdruck auf ihrem Gesicht trug.
Auf dem Weg zum Klassenzimmer begegnete uns Hannes. Ich lächelte ihm zu und winkte, was er ohne zu zögern erwiderte.
"Mein Gott, fliegen hier die Funken", sagte Emma leise, worauf ich sie strafend ansah. Ich wollte mich noch nicht in solche Probleme stürzen. Noch nicht.
Plötzlich stoppte mich Emma, indem sie an meinem Arm zog. Sie deutete auf eine Pinnwand, an der zahlreiche bunte Zettel hingen, "Die Wettbewerbe."
Interessiert betrachtete ich die ganzen Plakate. Da hingen Angebote für Nachhilfen, Verkaufsanzeigen für Instrumente und Anzeigen für die Wettbewerbe, die Emma meinte.
MUSIKWETTBEWERB für Klassik und Tanz
"Da kann ich aber schlecht alleine auftreten", murmelte ich, dennoch steckte mir Emma einen der Flyer in meinen Rucksack und zog mich dann weiter zu unserem Klassenzimmer.
Der Tag verging schrecklich langsam, da ich die Fächer allesamt nicht besonders mochte. Während Politik blätterte ich in dem Flyer für den Musikwettbewerb.
Die einzigen Voraussetzungen waren mindestens zwei klassische Instrumente und mindestens zwei Tänzer. Man musste nicht einmal Schüler des Internats sein. Und der Gewinn waren Stipendien an sehr bekannten und hoch angesehenen Musikhochschulen.
Als die Glocke zur Pause klingelte, brauchte ich noch eine Weile, um meine Sachen einzupacken. Emma und Louisa waren bereits verschwunden.
"Was hast du da?"
Erschrocken drehte ich mich zu der Stimme um. Ein mir noch fremder Junge stand direkt vor mir.
"Du bist Lucy, oder?", fragte mich der schwarzhaarige Junge und auf einmal erinnerte ich mich. Das war der Junge, der immer mit Hannes unterwegs war.
Vor lauter Überforderung nickte ich lediglich.
"Ich bin Liam", stellte er sich vor und lächelte, "du bist das also."
Eigentlich wollte ich ihn fragen, was er damit meinte, doch Hannes mischte sich plötzlich ein. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass er ebenfalls noch im Klassenzimmer war.
"Liam, lass gut sein", er stieß seinem Freund leicht in den Rücken, um ihn zum Gehen zu bringen. Liams Blick huschte zwischen mir und Hannes hin und her, ehe er ohne ein weiteres Wort das Klassenzimmer verließ.
"Tut mir leid", entschuldigte sich Hannes, "er ist verrückt."
Lachend nickte ich und packte dann meine Sachen weiter zusammen, wobei mir der Flyer aus dem Rucksack fiel. Sofort hob Hannes ihn auf und warf einen kurzen Blick darauf.
"Emma will, dass ich mir überlege, dort teilzunehmen", erklärte ich.
"Keine schlechte Idee", meinte er darauf und reichte mir den Flyer wieder, "Aber mit wem?"
Ich zuckte mit den Schultern und ließ die Anzeige wieder in meinen Rucksack verschwinden, "Das ist das Problem."
"Was machst du in der Pause?", fragte er, während wir das Klassenzimmer verließen.
"Essen?", lachte ich, da ich wirklich Hunger hatte, freute ich mich bereits auf die Cafeteria.
Hannes setzte sich zu seinen Freunden und ich nahm bei Emma und Louisa Platz. Während dem Essen lugte ich ab und an zu Hannes' Tisch und stellte fest, dass Liam mich ansah. Jedoch konnte ich seinen Blick nicht genau deuten, er lächelte weder, noch sah er böse aus. Er sah mich einfach nur an, als würde er mich scannen. Nach einer Weile sah ich weg und widmete mich dem Gespräch zwischen Emma und Louisa, das mich jedoch nicht wirklich interessierte, da es nur wieder um ihre Shoppingtouren ging. Wie konnte man so lange und ausgiebig über neue Klamotten sprechen?
Nach der großen Mittagspause holte ich meine Geige aus dem Zimmer und suchte den Orchesterraum auf. Heute lernten wir ein neues Stück, welches ich noch nicht kannte. Es beinhaltete einige neue Techniken, die uns Frau Keli allen privat genauer beibringen wollte.
"Kennst du das Stück?", fragte mich das Mädchen, welches neben mir saß. Sie hatte ihre dunkelblonden Haare hochgesteckt und saß kerzengerade auf ihrem Stuhl.
Ich schüttelte den Kopf und fragte sie, ob sie es kannte, was sie ebenfalls verneinte.
"Ich dachte, weil du das Stück schon so gut spielen kannst", meinte sie, worauf ich lächeln musste. Es tat unglaublich gut ein solches Lob zu bekommen, nachdem ich neu in dem Orchester war.
Nach der Orchester Stunde verabschiedete sich meine Sitznachbarin, von der ich den Namen noch immer nicht kannte. Während ich meine Geige in ihren Koffer räumte, fiel mir auf, dass aus dem Nebenraum eine wunderschöne Melodie ertönte. Da Frau Keli bereits an der Tür wartete, bis ich den Raum verließ, um ihn zu schließen, beeilte ich mich mit dem Einpacken. Im Flur stellte ich mich vor die Tür des Nebenzimmers und legte mein Ohr an die dicke Holztür. Wieder ertönte die Klaviermelodie und ich schloss die Augen und lächelte.
Als die Melodie verstummte ging kurze Zeit später die Tür auf, was mich zurückschrecken ließ. Ein älterer Mann kam heraus. Er stockte kurz, als er mich sah, doch nickte dann freundlich und ging weiter in Richtung Lehrerzimmer.
Bevor die Tür zu fiel, hielt ich sie auf und lugte hinein. In der Mitte stand ein großer schwarzer Flügel und an diesem saß Hannes. Er war gerade dabei, seine Notenblätter einzupacken, weshalb er mich nicht bemerkte.
"Hey", begrüßte ich ihn, worauf er sofort etwas erschrocken aufsah.
"Was machst du denn hier?", fragte er lächelnd, während ich in den Raum trat. Die Tür fiel hinter mir zu.
"Ich hab direkt nebenan Orchester", antwortete ich und deutete auf den Raum daneben.
"Ach ihr habt so laut gespielt!", beschwerte er sich lachend.
Kurz sahen wir uns nur an, bis er seine Hände auf die Klaviertasten legte und begann, ein mir allzu bekanntes Lied zu spielen. Pompeii. Er sah auf und lächelte mir zu. Schnell legte ich meinen Geigenkoffer auf den Boden und holte mein eigenes Instrument heraus.
Ich setzte es an und stieg mit ein. Mit geschlossenen Augen spielte ich die Noten. Das Klavier und die Geige klangen perfekt zusammen und ergänzten sich auf eine wundervolle Art und Weise, die ich mir nicht erträumen hätte können.
Als ich die letzte Note gespielt hatte, ließ ich die Geige sinken und blickte zu Hannes, der ebenfalls die letzten Akkorde spielte. Er hob seinen Kopf und sah mir direkt in die Augen.
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Na, wie gefiel euch dieser kurze Moment zwischen den Beiden?
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