Kapitel 28 - Der Auftritt

Hand in Hand sprinteten Hannes und ich zur Bühne, mit der Hoffnung, noch nicht zu spät zu sein.
"Lucy Larsen und Hannes Walters?"
Die laute Stimme des Moderators, der auf der Bühne stand und uns aufrief fand ihren Weg zu meinen Ohren und bereitete mir unter diesen Umständen mehr Panik, als sie sollte.
Hannes und ich liefen an Sam vorbei, der gerade auf dem Weg zurück zu den Umkleiden war. Sein Blick glich einem Erdmännchen, als er Hannes ausmachte. Doch mehr Beachtung wollte ich ihm nicht schenken, mehr hatte er nicht verdient.
Als wir Emma und die anderen erblickten, wurden unsere Schritte noch schneller. Sie befanden sich noch immer an der Treppe, die zur Bühne hinauf führte. Meine Mitbewohnerin kam uns entgegen und fiel mir ebenso um den Hals, wie ich es zuvor bei Hannes getan hatte.
"Letzter Aufruf für Lucy Larsen und Hannes Walters", hallte die Stimme des Moderators erneut durch den Saal.
"Wir sind dran", murmelte ich, worauf alle begannen zu nicken. Emma reichte mir meine Geige und wandte sich dann an alle. Während sie sprach, versuchte ich meinen schnell gehenden Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen.
"Wir schaffen das. Genießt die Musik, genießt die Bühne, genießt die Zeit", selbst in diesem Moment fand sie die richtigen Worte, um uns alle zu beruhigen, um uns Zuversicht zu spenden. Eine warme Hand umfasste meine und drückte diese leicht. Hannes schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln und zog mich dann zu der Holztreppe, die uns auf die noch voll beleuchtete Bühne führte.

"Da sind sie ja!", begrüßte uns der Moderator, der nun in seinem edlen schwarzen Anzug direkt vor uns stand. Mit einem euphorischen Ausruf unserer Namen und dem Titel des Stückes überließ er uns die Bühne. Hannes ließ meine Hand nicht los, bis das Licht ausging und den gesamten Saal in tiefe Dunkelheit hüllte. Vereinzelte Gesichter konnte ich unter den zahlreichen Zuschauern ausmachen und als ich die Gesichter meiner Eltern erblickte, entspannte sich meine Körperhaltung merklich. Ich war auf der Bühne und nichts trennte mich und meine Musik jetzt noch.
"Bereit?", flüsterte der Junge, der hinter mir an dem aufgebauten Flügel saß.
"Bereit."

// Tipp der Autorin: Macht Euch jetzt das Lied an, welches ich mir beim Schreiben vorgestellt habe. (Dream of Dreams - Brian Crain) //

Als die Akkorde des Flügels durch den Saal hallten, erstrahlte zeitgleich das Licht an dem Flügel in Grün. Drei leise Akkorde spielte der Junge, während ich die Geige und den Bogen ansetzte. Mein leuchtender Bogen glitt über die Saiten und meine Finger erzeugten die tiefen Töne, die mit der Begleitung des Klaviers geradezu durch den Raum flogen. Eine kurze Pause, alles wurde noch einmal stockdunkel, bis nun auch die großen Scheinwerfer des Theaters uns mit leichtem Licht beleuchteten. Die Tänzer standen neben uns und begannen sich zu der Melodie zu bewegen, erst langsam, wie eingerostet. Wieder eine Pause, alles stand Still und ich meinte, mein schneller schlagendes Herz in meiner Brust hören zu können. Höhere Töne verließen nun den Korpus meines Instruments und veranlassten die Tänzer dazu, sich freier zu bewegen, sie tauten auf. Langsam nahm die Melodie einen fröhlichen Ton an, passend zu den gelassenen Tänzern. Auch das Licht, welches uns beleuchtete, wurde wärmer und heller. Alles schien perfekt, so leicht und frei. Vereinzelte Lächeln konnte ich unter den Zuschauern ausmachen. Doch so schnell die Freude gekommen war, ging sie wieder. Spannung füllte die Halle, die Tänzer taumelten, hielten sich aneinander fest. Schnelle Bewegungen meines Bogens sorgten für eine aufbrausende Stimmung. Das Klavier wurde lauter. Die Melodie erschien wie ein tosender Wind und machte es den Tänzern schwer, sich zu bewegen. Die immer höher werdenden Töne zogen an mir, veranlassten mich letztlich dazu, meine Augen zu schließen, um mich zu konzentrieren. Immer lauter wurde meine Melodie und immer erdrückender die Spannung, die den Raum füllte. Langsam wurden die Instrumente wieder leiser. Die Tänzer neben uns, fielen zu Boden, einer nach dem anderen. Kurz glitt mein Blick zu Hannes. Er sah ebenfalls zu mir, dann nahm ich den Bogen von den Saiten und die Bühne wurde abermals in Dunkelheit gehüllt.
Leise startete ich wieder mit dem Spielen, Hannes Töne begleiteten mich, wie auf einem Wolkenbett. Zwischen den am Boden liegenden Tänzern, waren die Balletttänzer erschienen. Ihre eleganten Bewegungen folgten den hohen Tönen meiner Geige, sie schienen die Töne mit den Armen und Beinen in der Luft aufzufangen. Langsam erwachten auch die anderen Tänzer wieder zum Leben. Diese Erleichterung spiegelte sich in unserer Melodie wider. Sie schlossen sich dem Tanz an, jedoch auf ihre eigene Art und Weise. Die Töne schienen bei ihnen durch die Körper zu fließen. Die eleganten Bewegungen standen im Gegensatz zu den freien und lieferten sich einen kontrastreichen Kampf. Es folgte eine Phase der Spannung. Mein Bogen glitt über die Saiten und erzeugte ziehende Töne, die sich in den Kampf, der auf der Bühne stattfand einzumischen schienen. Die Töne wurden höher, höher als zuvor und erzeugten eine erdrückende Stimmung, die sich über jeden legte, der in diesem Saal saß. Mehrere lange, ziehende, hohe Töne erstreckten sich durch den Raum, ließen alles um mich herum einfrieren, drückten den Schmerz, welchen der Streit auf der Bühne entfacht hatte, aus und trugen ihn fort. Angespannt hatte ich meine Augen geschlossen, steckte jegliche Emotion in das Erzeugen dieser Töne, die mich so frei fühlen ließen. Die Klänge des Flügels waren nun deutlicher zu hören und erzeugten gemeinsam mit den langen Tönen meiner Geige eine riesige Spannung. Leisere Töne rundeten den Gefühlsausbruch ab, ließen die Emotionen abklingen und endeten in einer Pause, in der ich meine Augen wieder öffnete. Ein Lächeln umspielte meine Lippen, was aber durch die Dunkelheit niemand sehen konnte. Es folgte die Melodie von Beginn und neben uns begannen die Balletttänzer und die Hip-Hop-Tänzer ähnliche Tanzschritte zu vollführen, und doch schienen sie sich gänzlich voneinander zu unterscheiden. Sie befanden sich in einem Einklang, genau wie es Hannes' Flügel und meine Geige taten. Ein letzter Part, in dem die Tänzer sich gemeinsam auf den Boden setzten, in dem meine Geige nur tiefe Töne erzeugte und der Flügel hervorstach. Ich nahm den Bogen von den Saiten und sah zu dem Jungen, der die letzten Töne leise spielte. Wie zu Beginn schloss das Stück mit mehreren Akkorden des Flügels, die einen Punkt hinter unsere erzählte Geschichte setzten. Durch den letzten Ton war eine immense Anspannung von mir abgefallen. Uns umhüllte die Dunkelheit und Totenstille nahm den Saal ein.

Plötzlich ertönte tosender Beifall und im gleichen Moment erhellten die Scheinwerfer die Bühne. Wir konnten sehen, wie viele Zuschauer aufstanden und uns damit verdeutlichten, dass die Emotionen sie erreicht hatten.
Eine warme Hand riss mich aus meinem Staunen und meinem Unglauben. Strahlend sah ich in die braunen Augen des Klavierspielers und dann verbeugten wir uns gemeinsam. Neben uns taten es uns unsere Tänzer gleich. Wir verbeugten uns mehrere Male, bis der Applaus wieder abklang und der Moderator die Bühne betrat.
"Also ich muss schon sagen, das war einfach zauberhaft!", seine Aussage wurde durch erneuten Applaus bestätigt und ließ mich abermals lächeln.
Als wir die Stufen der Bühne hinab stiegen, vermisste ich sie bereits. Am Liebsten wäre ich umgekehrt und wieder hinauf gegangen und hätte weiter gespielt. Doch vermutlich war es gut, dass wir nun zunächst eine Pause hatten, denn ich merkte, wie sich das Adrenalin, dass durch meinen Körper gepumpt wurde, langsam verflüchtigte.

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