Kapitel 26 - Der Tag

Am Samstag Nachmittag machten wir uns alle gemeinsam auf den Weg zu dem Theater, welches wir erst Anfang der Woche zu Gesicht bekommen hatten.
Endlich war der Tag gekommen! Heute Abend würde sich entscheiden, wer das Stipendium erhielt. Doch viel wichtiger war, wir würden alle zusammen Spaß auf der Bühne haben und das Publikum verzaubern. Meine Aufregung war ins Unermessliche gestiegen.
Emma hatte, bevor wir losgegangen waren, bei allen noch einmal kontrolliert, dass das Kostüm nicht vergessen wurde. Ohne sie wären wir wahrlich aufgeschmissen. Bei den uns zugeteilten Umkleiden angekommen, gingen wir zunächst allesamt in eine der beiden Umkleiden und bald schon war ein ordentlicher Geräuschpegel erreicht. Alle redeten durcheinander und teilten ihre Nervosität mit ihren Freunden.
Emma stieg auf eine der Bänke und machte so auf sich aufmerksam.
"So. Heute ist der Tag. Bald stehen wir alle auf der Bühne und ich will von jedem seine beste Leistung sehen! Wir haben hart trainiert und heute zeigen wir den Leuten, was wir drauf haben."
Zustimmendes Murmeln ging durch den Raum und im nächsten Moment spürte ich einen Arm auf meinen Schultern.
"Wir rocken das", flüsterte Hannes' Stimme an mein Ohr und bereitete mir abermals eine leichte Gänsehaut.
"So jetzt alle umziehen!", beendete meine Freundin ihre Motivationsrede und sprang von der Bank.
"Bis gleich", verabschiedete sich der Braunhaarige und hauchte mir einen Kuss auf die Wange, ehe er mit den anderen Jungs in der zweiten Umkleide verschwand. Ich war mehr als gespannt, ihn bald in dem Outfit, das Emma für ihn heraus gesucht hatte, zu sehen.

"Das war auf jeden Fall die richtige Wahl!", meinte Emma, als sie vor mir stand und mich in meinem dunkelgrünen Kleid musterte. Natürlich stach mein Outfit hervor, genauso wie die der Ballettänzer. Alicia sah zauberhaft in ihrem roten Kleid aus und trat zwischen den ganzen schwarz gekleideten Tänzern noch deutlicher hervor als ich.
"Darf ich jetzt endlich Hannes sehen?", drängelte ich, meinen Blick ungeduldig auf die Tür gerichtet.
"Meine Güte, dann geh schon!", lachte meine Freundin und schubste mich auf den Gang.

An der Wand lehnend, wartete der Klavierspieler bereits. Seine braunen Augen huschten über mein Kleid und sogleich zierte ein breites Lächeln sein Gesicht. Ich tat es ihm gleich und betrachtete sein Outfit. Er trug einen schlicht orangenen Anzug, der eigentlich nicht allzu besonders wirkte. Doch die Farbe harmonierte auf ihre Weise mit der grünen Farbe meines Kleides. Fast wie unsere Instrumente es taten, wenn wir spielten.
"Du siehst toll aus", kam es von ihm und ich spürte sofort, wie mir die Wärme ins Gesicht schoss.
"Du auch", nickte ich, "Emma hat saubere Arbeit geleistet."
"Danke!", hörte ich sie hinter mir. Sie stellte sich, mit beiden Armen in ihre Hüfte gestemmt, neben mich.
"So und jetzt", sie drehte sich zu mir, "wo ist deine Geige?"
"In der Umkleide", ich deutete hinter uns auf die Tür, "wieso?"
Ein Grinsen auf dem Gesicht der Tänzerin verriet mir, dass sie etwas vorhatte.
"Hol sie."
Kurze Zeit später stand ich mit dem Geigenkoffer wieder in dem weißen Flur.
"Deine Geige wird etwas aufgepeppt", erklärte sich Emma, obwohl mir immernoch nicht klar wurde, was ihr Vorhaben war. Als ich zu Hannes sah, erkannte ich ein wohlwissendes Grinsen auf seinem Gesicht. Er wusste davon.
Langsam legte ich den Koffer auf den Boden und holte mein Instrument heraus. Emma streckte mir ihre Hände entgegen, sie wollte mir die Geige abnehmen. Es war ein komisches Gefühl, sie in fremde Hände zu geben. Sonst vertraute ich sie niemandem an, sie war mir zu wichtig.
"Den Bogen auch", meinte sie, den ich ihr daraufhin ebenfalls reichte. Kurzerhand verschwand Emma wieder in der Umkleide und ich blickte ihr lediglich panisch hinterher. Was hatte sie bloß vor?
"Keine Sorge", Hannes' Stimme riss mich aus meinen Überlegungen, was meine Mitbewohnerin da drinnen mit meiner Geige alles anstellen könnte.

Nach einigen Minuten erschien Emma wieder im Flur und gesellte sich zu uns. Mein Koffer lag immernoch offen und leer auf dem Boden. Ihre Arme hatte die Tänzerin hinter ihrem Rücken versteckt.
"Jetzt zeig schon", meinte ich ungeduldig.
Mit einem euphorischen 'Ta-Da' hielt sie mir mein Instrument vor die Augen. Es war immernoch meine Geige, doch sie leuchtete an den Seiten. Emma hatte einen LED-Streifen um den Korpus der Geige geklebt, der in einem wunderschönen orange leuchtete. Auch der Bogen leuchtete in dem gleichen Ton.
"Wow", brachte ich hervor, "wieso?"
"Na, man soll auch sehen, wie ihr beiden harmoniert", sagte sie, während ich ihr meine Geige wieder abnahm. Sofort schnellte mein Blick zu Hannes und jetzt fiel mir auf, dass meine Geige in dem Orange leuchtete, welches er am Körper trug.
"Mein Klavier wird grün leuchten", sagte er und seine Augen fixierten kurz mein Kleid.
"Emma, das ist perfekt", sagte ich und schloss sie in eine dankbare Umarmung. Ich wusste, dass sie unfassbar ehrgeizig war, aber dass sie auch noch die Beleuchtung organisierte, hätte ich niemals gedacht.
"Okay, okay", sie drückte mich leicht von sich, "wir haben nicht mehr viel Zeit, macht euch fertig."
Nickend verschwand Hannes wieder in der Umkleide für die Jungs. Gleich würden wir auf der Bühne stehen und gemeinsam harmonieren.

Plötzlich ertönte eine kurze Melodie und ein Mann begann voller Euphorie zu sprechen. Der Wettbewerb war eröffnet worden und nun würden alle Teams nacheinander auftreten. Das bestätigte sich, als eine kleine Gruppe an uns vorbei, Richtung Bühne lief. Sie waren die Ersten. Ihre Gesichter waren von der Aufregung gezeichnet. Kurze Zeit später hörte man ein Cello und eine Geige, die eine langsame Melodie vortrugen.
Emma und ich tauschten einen Blick und ich hätte wetten können, wenn wir auf unserem Zimmer im Internat gewesen wären, hätten wir beide angefangen zu schreien. Doch jetzt tauschten wir nur einen vielsagenden Blick miteinander und gingen ein letztes Mal in die Umkleide, um die abschließenden Vorbereitungen zu treffen.

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