Kapitel 25 - Veränderung

"Schaut euch dieses Gebäude an!", stieß Emma begeistert aus, als unser gesamtes Team auf die alte Architektur zuschritt. Es war ein großes und altes Gebäude, dessen Außenmauern aus braunen Ziegeln bestand. Vor dem Eingang ragten mehrere dicke Säulen aus dem Boden und verbanden das Dach mit den Treppenstufen. Die Säulen waren mit riesigen Plakaten behängt, die zeigten, welche Vorstellungen man sich ansehen konnte. Sofort blieb mein Blick an einem Plakat hängen, das für den Wettbewerb warb. Mein Blick glitt wieder auf die Treppen, auf welchen ich eine kleine Gruppe Menschen ausmachen konnte. Da Sam unter ihnen stand, lag die Vermutung nahe, dass es seine Gruppe war. Sam erblickte uns im gleichen Moment und winkte uns.
Plötzlich spürte ich etwas Warmes an meiner Hand und blickte neben mich. Hannes lief an meiner Seite und umfasste meine Hand. Ich verbarg ein Grinsen und sah wieder nach Vorne, wobei ich in zwei zusammengezogene Augen blickte, die zunächst auf unsere Hände starrten und dann mich fixierten.
"Hey!", begrüßte meine Mitbewohnerin die anderen, doch erhielt nur von wenigen eine Reaktion. Sam schien damit beschäftigt zu sein, Hannes mit seinen Blicken zu töten. Hätte die Stille noch länger angehalten, dann wäre Sam vermutlich auf uns losgegangen, doch glücklicherweise tauchte eine ältere Dame aus dem Theater auf und begrüßte uns alle freundlich. Sie hatte ihre grauen Haare zu einem Dutt gebunden und aufgrund ihrer Haltung, vermutete ich direkt, dass sie früher Ballett getanzt hatte.

Sie führte uns durch das alte Gebäude und zeigte uns jeden Winkel. Von den Umkleiden, über die große Bühne, bis hin zu den Zuschauerrängen. Die ganze Zeit wurde meine Hand von Hannes' umschlossen. Es war ein unglaublich schönes Gefühl, zu wissen, dass ich zu ihm gehörte. Auch wenn wir noch nicht darüber gesprochen hatten, nur Freunde waren wir auf jeden Fall nicht mehr. Das hatte auch Sam erkannt, der mit seiner Truppe vor uns lief, jedoch immer wieder einen bösartigen Blick zu uns warf. Wegen der ständigen Berührung des Klavierjungen, hatte ich mich kaum auf die Führung konzentrieren können. Doch als wir auf der Bühne ankamen, geriet ich ins Staunen. Automatisch ließ ich Hannes' Hand los und sah mich begeistert um. Die dunkelroten Vorhänge waren geöffnet, sodass man einen perfekten Blick auf die beleuchteten Zuschauerränge hatte. Das Holz der Bühne, knarzte unter meinen Schritten leicht. Die alte Dame informierte uns mit Details über das Gebäude, jedoch war ich mit meinen eigenen Vorstellungen beschäftigt. Mein Blick glitt über die Publikumssitze und ich freute mich bereits darauf, am Samstag meine Eltern dort sitzen zu sehen. Ich spürte die Emotionen, die auf dieser Bühne schon entstanden waren. Am Samstag würden wir diese Halle mit unserem Stück füllen und eine Geschichte erzählen, die alle Besucher in ihren Bann ziehen sollte.
"Alles okay?" Eine leise Stimme riss mich aus meinen Tagträumereien. Hannes hatte sich neben mich gestellt und ließ seinen Blick ebenfalls über die Sitze des Publikums gleiten.
"Ja, ich möchte endlich auftreten", gab ich zu. Auf der Bühne zu stehen, erfüllte mich.
"Nicht mehr lange", seine Stimme war immernoch nur ein Flüstern. Immerhin wollten wir die ältere Dame nicht unterbrechen, die gerade die Geschichte der Architektur ausführte.
"Ich wünschte meine Mutter könnte uns sehen."
Die Stimme des Jungen neben mir klang gebrochen. Ich widmete ihm meine Aufmerksamkeit, wollte ihm sagen, dass ich seinen Wunsch verstehen konnte. Doch plötzlich trat eine dritte Person neben uns. "Na, bereitet ihr euch schon auf eure Niederlage vor?"
Sam war neben uns getreten. Zunächst wollte ich lachen, ihm ebenfalls einen ironischen Kommentar an den Kopf werfen, so wie wir es damals immer gemacht hatten. Doch als meine Augen auf seine trafen, erkannte ich, dass er das Gesagte ernst meinte. Er funkelte mich vernichtend an und sofort breitete sich eine Gänsehaut auf meinem Körper aus. So schnell, wie er aufgetaucht war, verschwand er auch wieder.
"Was ist denn mit dem los?" fragte Emma, die sein Auftreten wohl ebenfalls mitbekommen hatte.
Schulterzuckend sah ich dem Schwarzhaarigen hinterher. Ich erkannte ihn nicht wieder. Von dem Jungen, der mit mir früher Geige gespielt hatte und mir bei meinen Griffen geholfen hatte, war nichts mehr zu sehen. Waren wirklich seine Gefühle für mich der Auslöser für diese Veränderungen?
Den Rest der Führung verfolgte ich nur noch halb so motiviert und auch weniger aufmerksam, weshalb meine Mitbewohnerin mir am Abend nochmal erklären musste, in welchen Umkleiden unser Team am Samstag unterkommen sollte. Alles war bereits durchgeplant. Sogar den Ablauf des Wettbewerbs hatten wir erhalten. Insgesamt nahmen einundzwanzig Teams teil und der Auftritt von Sam und seiner Truppe, war unmittelbar vor unserem. Es würde nicht leicht werden, nach ihm aufzutreten.

Die Woche verging träge, was vermutlich daran lag, dass ich total aufgeregt war, wegen dem bevorstehenden Wettbewerb. Wir übten jeden Abend und alle Durchläufe klappten gut. Es gab noch einige Stellen im Tanz, die Emma perfektionieren wollte, doch insgesamt waren wir alle mehr als zufrieden.
Unser Stück klappte ebenfalls ohne Fehler und Emma meinte sogar, dass unser Lied noch besser klang, seitdem das zwischen Hannes und mir passiert war.
Mit meinen Eltern hatte ich telefoniert, um zu klären, wo wir uns treffen würden. Eigentlich hatte ich vor, ihnen Hannes vorzustellen, doch ich beschloss, dieses Gespräch auf nach dem Auftritt zu verschieben. Hannes und ich hatten nämlich immernoch nicht darüber gesprochen, was wir nun füreinander waren und empfanden. Wir begrüßten uns meist mit einer innigen Umarmung, doch manchmal drückte er mir auch einen Kuss auf die Wange. Meiner Mutter war aufgefallen, dass ich mich anders verhielt. "Was grinst du denn so?", fragte sie mich und schnell versuchte ich meine Mundwinkel wieder unter Kontrolle zu bekommen. Fürs Erste hatte ich es geschafft, sie auf nach dem Wettbewerb zu vertrösten. Natürlich wollte ich ihr von Hannes erzählen, aber zunächst sollte das zwischen uns beiden geklärt werden. Nach dem Wettbewerb würde vieles an Anspannung und Druck von uns abfallen. Wir würden Sam nicht mehr ständig über den Weg laufen, dessen Blicke von Tag zu Tag vernichtender wirkten. Zudem war ich mir unsicher, ob nicht die Trauer wieder über den Klavierjungen Besitz ergreifen würde, sobald das Adrenalin seinen Körper verlassen sollte. Immerhin war der Tod seiner Mutter nicht lange her und alles was ihn auf Trapp hielt, war der Wettbewerb.
Mit der Erwartung, sowieso nicht viel schlafen zu können, war ich am Freitag Abend ins Bett gegangen. Doch ich konnte schlafen. Allerdings träumte ich von zahlreichen Szenarien, was am morgigen Tag passieren konnte. Wir verpatzten das Stück, den Tanz oder traten gar nicht erst auf. Jedes Mal fing der Traum von vorne an und endete meist in einem kläglichen Desaster.

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