Kapitel 24 - Aufregung

Ich war mehr als froh, am Sonntag nicht in die Schule gehen zu müssen. Meine Gedanken kreisten auch so schon um meine nächste Begegnung mit Hannes, ich wollte mir nicht ausmalen, wie diese Begegnung vor dem Klassenzimmer ausgesehen hätte.
Vor lauter Herzklopfen und Gedanken hatte ich die letzte Nacht nur wenig geschlafen. Es war, als hätte mich mein dämliches Grinsen, das ich einfach nicht mehr von meinem Gesicht bekam, wach gehalten.
Während ich meine Hausaufgaben für die nächste Woche bearbeitete, saß Emma auf ihrem Bett und ging die Choreographie zum wiederholten Mal durch. Ob sie ihre Aufgaben schon erledigt hatte?
"Morgen Nachmittag ist die Besichtigung des Theaters für den Wettbewerb", meinte Emma plötzlich, die über ihr Handy gebeugt saß. "Es treffen sich wohl alle Teilnehmer dort."
"Ist doch gut", sagte ich und freute mich bereits darauf, die große Theaterhalle und die Bühne zu sehen, auf der wir am Samstag spielen würden. Es war lange her, seitdem ich auf einer Bühne Geige gespielt hatte und es war das erste Mal, dass ich ein komplett eigenes Stück vortrug.
"Sam wird vermutlich auch da sein", murmelte meine Mitbewohnerin, doch ich zuckte nur mit den Schultern. "Ist mir egal, er weiß jetzt, was ich fühle."
Emma nickte, doch ich hatte das Gefühl, dass sie unsicher war, was Sam betraf.
"Was ist los?"
Emma spielte an der Hülle ihres Handys herum und mied den Blickkontakt mit mir.
"Emma?" forderte ich sie ein weiteres Mal auf.
"Na ja, als Sam und ich gestern im Café waren", sie kratzte sich am Kopf, "da hat er nur von dir und Hannes gesprochen. Er ist wie besessen."
Kopfschüttelnd dachte ich nun auch darüber nach, wie ich Sam morgen gegenüber treten sollte. Ich hatte wirklich gedacht, nun wäre alles geklärt und wir könnten einfach Freunde sein. Doch Sam verhielt sich absolut kindisch.
"Tut mir leid, dass du das immer ab bekommst", entschuldigte ich mich bei meiner Freundin, die jedoch nur abwinkte.
Emma informierte Alicia und Jonas über den morgigen Besuch im Theater, die allerdings bereits Bescheid wussten. Jeder Teilnehmer hatte eine Nachricht von dem Veranstalter erhalten, dass an diesem Montag der Besuch stattfand, weshalb die letzten Schulstunden für uns ausfielen. Ich konnte mich nicht darüber beklagen, morgen den Englischunterricht nicht besuchen zu müssen. Hannes hingegen hatte Schwierigkeiten den Stoff nachzuholen, den er aufgrund seiner Abwesenheit verpasst hatte. Zu allem Übel, hatte er auch noch genau in der Woche gefehlt, in der alle Arbeiten geschrieben wurden.
Eine Weile widmete ich mich noch meinen Schulaufgaben, als es plötzlich an unsere Tür klopfte.
Sofort wandte ich mich zu meiner Mitbewohnerin, deren Blick mehr als tausend Worte sagte. Sie grinste verschmitzt und machte eine Kopfbewegung Richtung Tür. Ich reagierte mit einem Verdrehen meiner Augen. Tatsächlich stand der Klavierjunge davor, als ich öffnete und lächelte verlegen.
"Hey."
Wieder verlor ich mich in seinen braunen Augen, die jetzt bei Tageslicht tatsächlich wie Edelsteine wirkten.
"Möchtest du vielleicht... vielleicht mit mir üben?", fragte er, fuhr sich durch die Haare. Schnell nickte ich und kramte dann unter meinem Bett nach dem Geigenkoffer.
"Viel Spaß beim Üben!", rief Emma uns noch hinterher, wobei sie eine merkwürdige Betonung auf das letzte Wort legte.

"Bist du schon aufgeregt wegen dem Wettbewerb?", begann Hannes das Gespräch, während wir nebeneinander durch den Gang liefen.
Nickend bestätigte ich ihm seine Frage, "Ja, ich hab echt Angst. Und du?"
Auch er schien aufgeregt zu sein, jedoch versuchte er das gekonnt zu überspielen, "Wir schaffen das."
Als wir bei dem Klavierzimmer ankamen, stellten wir fest, dass es ausnahmsweise belegt war. Etwas enttäuscht über diesen Umstand, schlug Hannes vor, auf sein Zimmer zu gehen. Dort hätte er immerhin sein E-Piano.
Gedanklich bereitete ich mich also auf eine Begegnung mit Liam vor, der mir immernoch sehr suspekt vorkam. Er benahm sich mir gegenüber ständig so, als hätte ich ihm etwas weggenommen.

So bedachte er uns beide mit zusammengezogenen Augenbrauen, als wir in das Zimmer traten. Ich begrüßte ihn freundlich, doch von ihm kam lediglich ein kurzgebundenes 'Hallo'.
"Ist es okay, wenn wir hier üben?", wandte sich der Klavierjunge an seinen Freund, der daraufhin etwas grimmig dreinschaute, "Hier?"
Er seufzte laut und ich stellte mir abermals die Frage, wie Hannes ihn einen Freund nennen konnte. "Von mir aus."
Obwohl es mir schwer fiel, vor Liam zu spielen, versuchte ich, mir das nicht anmerken zu lassen, indem ich ihn ignorierte. Hannes blickte kurz zu mir und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Seine braunen Augen fesselten mich und ließen mich vergessen, dass Liam direkt neben uns saß. Er spielte die ersten Akkorde und ich stieg mit ihm ein. Mit geschlossenen Augen spielte ich meine Melodie und genoss die Emotionen, welche die Klänge in mir auslösten. Meine Gedanken schienen mit den Tönen zu tanzen und gaben eine vollkommene Einheit. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass Liam uns unterbrechen würde, doch er schwieg. Als ich am Ende des Stückes meine Augen öffnete und einen Blick zu Hannes' Mitbewohner warf, registrierte ich, dass er uns wohl überhaupt nicht zugehört hatte. Er schien total vertieft in seine Notizen. Als ich zu Hannes sah, trafen meine Augen auf seine und er lächelte verträumt. Ihn schien die Musik genauso umschlossen zu haben, wie mich.
"Seid ihr fertig?", machte sich Liam nun doch bemerkbar und an seiner Stimmlage konnte man erkennen, dass er genervt von uns war und uns am liebsten wegschicken wollte.
"Ja, denke schon. Ich gehe dann am Besten", meinte ich, da ich nicht weiter stören wollte und Liam mir auf eine komische Art Angst machte.
"Warte." Der Braunhaarige erhob sich umständlich von seinem E-Piano und kam auf mich zu. Kurz hielt er inne, doch dann fand seine Hand den weg zu meinem Nacken und im nächsten Moment spürte ich seine Lippen auf meinen. Es war ein vorsichtiger Kuss, der zu schnell wieder vorbei war. Hannes' Hand lag weiterhin in meinem Nacken und er strich mit dem Daumen über meine Wange, wobei sein Finger meine Haut zum Kribbeln brachte.
"Bis morgen?", raunte er und allein seine Stimme ließ mein Herz höher schlagen. Nicken war alles, was ich erwiderte, ehe ich mich auf den Rückweg machte.

In meinem Zimmer, traf ich auf eine aufgedrehte Emma, die vor lauter Nervosität nicht still sitzen konnte. Die Gedanken an den Besuch, hielten sie wohl auf Trab und natürlich musste sie mich damit anstecken. Es endete also damit, dass wir versuchten uns gegenseitig zu beruhigen. Wir freuten uns beide unfassbar darauf, die Bühne zu sehen. Auch Emma hatte bereits auf kleineren Bühnen getanzt, jedoch noch nie an einem so großen Wettbewerb teilgenommen.
"Kommen deine Eltern eigentlich?", fragte sie mich. Fröhlich nickte ich. Meine Mutter hatte sofort geklärt, dass sie und mein Vater dabei sein wollten, wenn ihre Tochter auf einer Bühne spielte. Emma jedoch sah enttäuscht auf den Bezug ihrer Bettdecke. Ihre Eltern zeigten wenig Interesse für sie und waren auch bei ihren damaligen Auftritten selten anwesend gewesen. Es stimmte mich traurig, meine Freundin so zu sehen. Sie hatte sich in den Entwurf der Choreographie so hineingesteigert, dass sie es verdient hatte, wahrgenommen zu werden. Vor allem von ihren Eltern.
Doch meine Mitbewohnerin zuckte bloß mit ihren Schultern und tat so, als würde es sie nicht kümmern.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top