Kapitel 23 - Doch keine Freunde
Der letzte Ton hallte durch den Raum und verstummte nach einer kurzen Zeit. Mir fiel erst jetzt auf, dass wir vergessen hatten, das Licht einzuschalten, weshalb nur das schwache Mondlicht von draußen durch die Fenster schien und uns Licht spendete.
"Wow", kam es aus meinem Mund und Hannes' Kopf drehte sich augenblicklich zu mir. Seine sonst kastanienbraunen Augen wirkten bei dieser Belichtung beinahe Schwarz. Das Lächeln auf seinem Gesicht, steckte mich an.
"Kannst du mir etwas beibringen?"
Sein Blick folgte meinen Händen, die ich auf der Klaviatur platzierte.
Ich begann 'Pompeii' zu spielen. Dieses Lied hatte ich bereits auf dem Klavier gespielt, als Hannes nicht zum Üben gekommen war und ich hoffte, dass ich dadurch nicht ganz so verloren wirkte. Dennoch schien der Braunhaarige noch einige Verbesserungen für mich zu haben. Seine Hand fand in einer schnellen Bewegung meine und sofort stoppte ich in meinen Bewegungen. Hannes' Hand lag leicht auf meiner und er entfernte meinen Zeigefinger etwas von meinen anderen Fingern. "Du brauchst mehr Abstand zwischen deinen Fingern."
Ein Nicken war alles, was ich zustande bekam. Meine Kehle war plötzlich wie zugeschnürt und ausgetrocknet. Bemüht, seine Anweisungen zu befolgen, spielte ich die nächsten Töne. Er nickte, "Gut."
Erleichtert lächelte ich und entspannte mich wieder. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie Hannes seine Hände ebenfalls wieder auf die Tasten legte und eine zweite Stimme zu dem Lied spielte. Er ergänzte meine hohe Melodie mit tieferen Tönen und ich fragte mich, ob er das alles improvisierte.
Wir füllten den dunklen Raum mit unserer Melodie und ich konnte das Grinsen, welches sich auf mein Gesicht schlich, nicht zurückhalten.
Dieses Lied bedeutete mir inzwischen unfassbar viel. Es erinnerte mich stets an unser Duett und verband mich mit dem Braunhaarigen auf eine Art und Weise, die mich glücklich machte. Erst als die letzten Klänge des Liedes verstummten und in dem dunklen Raum untergingen, bemerkte ich, dass seine Hand wieder zu meiner gewandert war. Hannes' Finger berührten meine nur leicht und hinterließen ein Kribbeln auf meiner Haut. Mein Blick huschte an ihm nach oben, bis ich seine Augen fand. Er betrachtete mich wie gebannt und machte es mir unmöglich mich von seinem Blick zu lösen. Sein Gesicht war meinem so nah, dass ich die kastanienbraune Farbe seiner Augen wieder erkennen konnte. Kurz schnellte mein Blick zu seinen Lippen, die zu einem leichten Lächeln verzogen waren, bevor ich sie komplett schloss. Im nächsten Moment spürte ich die sanfte Berührung auf meinem Mund, die so zärtlich war, dass ich Angst hatte, es wäre nicht real. Mein Herz pochte aufgeregt in einem schnellen Takt und es war, als würde uns unsere Melodie noch immer umgeben. Es war ein langer, vorsichtiger und sanfter Kuss, der trotzdem länger hätte dauern können. Doch Hannes löste sich aus der Berührung. Langsam öffnete ich meine Augen und versuchte gleichzeitig, meine kreisenden Gedanken wieder unter Kontrolle zu bekommen. Als Hannes lächelte und sich durch die Haare fuhr, entfuhr mir ebenfalls ein erleichtertes Lachen.
"Was ein Klischee", murmelte er, "der erste Kuss, am Klavier."
Stumm grinste ich in mich hinein. Unser erster Kuss war nicht nur mein, sondern auch sein Erster gewesen.
Als Hannes sich neben mir erhob, kehrte ich in die Realität zurück und tat es ihm gleich. Es musste schon spät sein, das Licht, welches durch das Fenster trat, hatte weiter abgenommen.
"Ich bin froh, dass du mit Sam geredet hast", kam es nun von ihm und ich stimmte ihm nickend zu. "Ja, ich dachte eigentlich, es ist geklärt."
Obwohl Hannes nicht gefragt hatte, erzählte ich ihm von meiner damaligen Abfuhr von Sam und dem Beinahe-Kuss. Und er hörte aufmerksam zu. Wir ließen das Klavierzimmer hinter uns und schlenderten durch die beleuchteten Gänge des Internats. Es war zwar kein langer Weg, dennoch genoss ich ihn an seiner Seite. Kurz bevor wir bei der Tür zu meinem Raum ankamen, packte Hannes mich an den Ellenbogen und sprang genau vor mich, wodurch ich ruckartig zum Stehen kam.
"Hannes!", stieß ich erschrocken aus, jedoch blickte ich in ein amüsiertes Gesicht.
"Sorry", brachte er unter Lachen hervor, "was gebrochen?"
Belustigt legte ich den Kopf schief, als ich verstanden hatte, dass der Braunhaarige auf unsere erste Begegnung anspielte.
Ich boxte ihm in die Seite und ging auf sein Spielchen ein, "Bei dir auch alles noch dran?"
Er nickte lachend, dann bedachte er mich mit einem durchdringenden Blick, der mich wieder vergessen ließ, wo wir uns befanden. Hannes griff nach meiner Hand und zog mich in eine Umarmung. Die Wärme, die von ihm ausging, umhüllte mich, wie es sonst bisher nur die Musik vermocht hatte.
"Gute Nacht", ertönte seine leise Stimme an meinem Ohr, ehe er sich von mir löste, um mir einen Kuss auf die Stirn zu geben.
"Gute Nacht", hauchte ich und winkte ihm, als er sich auf den Weg in den anderen Gebäudeteil machte.
Als ich meinen Blick von ihm löste und zu der Tür sah, die in mein Zimmer führte, erkannte ich Emma, die durch den Spalt lugte. Sie öffnete die Tür, als ich auf sie zu kam, immernoch ungläubig darüber, was gerade passiert war. Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, sah ich zu meiner Mitbewohnerin. Emma strahlte bis über beide Ohren, "Nur Freunde?"
Angesäuert verschränkte ich die Arme und setzte mich vor meinem Bett auf den Boden, was mir meine Freundin sofort nachmachte.
"Soll ich dir auch einen Kuss auf die Stirn geben? Wir sind doch auch Freunde."
"Okay Emma!", ich begann zu lachen. "Hab's verstanden. Wir sind doch keine Freunde."
Sie lächelte zufrieden, dann stubste sie mich mit ihrem Fuß an, "Na, erzähl schon, was ist passiert?"
Noch total unter Spannung begann ich Emma von unserem Klavierspiel, unserem Kuss und unseren Gesprächen zu erzählen. Mit jedem Wort, das meinen Mund verließ, wurde das Grinsen auf dem Gesicht meiner Freundin breiter. Sie freute sich für mich und erst langsam begann ich zu realisieren, was an diesem Abend passiert war.
"Oh nein!", stieß sie plötzlich entsetzt aus und ich wurde ebenfalls panisch. "Was ist?"
"Kannst du dich denn beim Wettbewerb überhaupt konzentrieren?", fragte sie und hielt sich beide Hände an die Wangen. Ich verdrehte die Augen.
"Klar!", erwiderte ich etwas beleidigt.
"Wahrscheinlich spielst du noch besser!", gab Emma von sich und wackelte verspielt mit den Augenbrauen, weshalb sie einen leichten Tritt von mir abbekam.
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