Kapitel 20 - Vorfreude
Der gestrige Abend hatte sich nach meinem privaten Auftritt schnell dem Ende zugeneigt, da Hannes total übermüdet war, was mich keineswegs verwunderte. Immerhin konnte man ihm seinen Schlafmangel bereits von Weitem ansehen. Emma war erst spät in unser Zimmer zurückgekehrt, sie waren tatsächlich im Gemeinschaftsraum gewesen. Sam hatte sie absichtlich nicht noch einmal zu mir gelassen, obwohl er sich wohl unbedingt verabschieden wollte. Natürlich hatte ich Emma direkt von meinem Gespräch mit Hannes erzählt, sie hatte aufmerksam zugehört, weshalb wir erst spät schlafen gegangen waren. Sie lachte mich sogar wegen meiner unbegründeten Eifersucht gegenüber Svenja aus und zog mich deshalb auf. Eine Menge Erleichterung hatte mich gestern erfüllt und hatte mich tief schlafen lassen.
Nun stand ich hellwach im Zimmer und war voller Tatendrang. Weshalb das so war, konnte ich mir nicht erklären. Vielleicht weil ich wieder etwas mit Hannes unternehmen wollte. Ich war mir jedoch sicher, dass er noch schlief, zumindest hoffte ich das, da er die Erholung dringend nötig hatte. Ein Blick in das Bett meiner Mitbewohnerin verriet mir, dass sie bereits unterwegs war. Deshalb machte ich mir allerdings keine weiteren Gedanken, ich konnte mir gut vorstellen, dass sie in die Turnhalle gegangen war.
Nachdem ich meine Schulaufgaben erledigt hatte und nach einem Blick auf die Uhr, fasste ich meinen gesamten Mut zusammen und schritt in den Gebäudeteil der Jungs. Vor der entsprechenden Tür blieb ich stehen und klopfte gegen das Holz. Kurz darauf wurde die Klinke herunter gedrückt und Liam stand mir gegenüber. Er zog die Augenbrauen zusammen und ich vermutete, dass ich ihn bei irgendwas unterbrochen hatte.
"Ist Hannes da?" Sein Verhalten gegenüber mir verunsicherte mich. Ein Kopfschütteln reichte, dass bei mir alle Alarmglocken zu läuten begannen. War er wieder verschwunden? War etwas passiert?
Meiner Panik wurde jedoch sogleich von Liam ein Ende gesetzt, "Er ist vorhin mit Emma verschwunden."
Einerseits erleichtert, andererseits verwirrt bedankte ich mich bei ihm. Warum waren Emma und Hannes gemeinsam unterwegs? Kurzerhand zückte ich mein Handy, um Emma eine Nachricht zu schicken.
Eine Antwort erhielt ich bereits bevor ich wieder zurück auf dem Zimmer war.
"Kleidung kaufen."
Was dachte sie sich dabei, Hannes einen Tag nachdem er wieder aufgetaucht war, zu entführen? Sie wusste doch von meinen Erzählungen, was er durchgemacht hatte.
"Keine Sorge, Hannes war einverstanden."
Schnaubend ließ ich mich auf meine Matratze fallen. Meine Mitbewohnerin konnte wirklich hartnäckig sein, wenn es um etwas ging, dass ihr wirklich wichtig war. Welche Kleidung sie wohl für Hannes aussuchte? Nach einer weiteren Stunde, in der ich mit meinen Eltern telefoniert hatte, um sie auf den neusten Stand zu bringen, tauchte Emma wieder auf. Sie war total aufgeregt und fegte wie ein Wirbelwind durch unser Zimmer. Das Gespräch mit meinen Eltern beendete ich rasch, um mich Emma zu widmen.
"Unser Auftritt wird geil!", stieß sie aus. Wie sie das an unseren Klamotten fest machte, war mir ein Rätsel. Gerade als ich ansetzen wollte, um sie auf Hannes anzusprechen, redete sie dazwischen, "Ja, Hannes war wirklich zufrieden. Er braucht Ablenkung."
Meine Lippen presste ich aufeinander. Ich hatte nichts mehr dagegen zu sagen. Stattdessen fragte ich sie, welches Outfit Hannes tragen würde.
"Überraschung. Und du zeigst ihm deines auch nicht", warnend hob sie ihren Finger. Mit einem Nicken bestätigte ich ihre Bitte. Weshalb aus unserer Kleidung so ein Geheimnis gemacht werden sollte, verstand ich nicht, aber es löste in mir eine Vorfreude auf den kommenden Auftritt aus.
"Hannes wartet übrigens im Klavierzimmer auf dich."
Froh darüber, dass er seinen Tag auch noch mit mir verbringen wollte, packte ich meinen Geigenkoffer und lief zu dem entsprechenden Raum.
Wieder empfing mich meine Melodie, die wir jetzt seit einer Woche nicht mehr gemeinsam gespielt hatten. Ich freute mich darauf, wieder mit seinem Klavier zu harmonieren. Strahlend trat ich in das Zimmer und erblickte den Braunhaarigen auf dem schwarzen Hocker. Er sah bereits deutlich besser aus als gestern. Die Ringe unter seinen Augen waren zwar immernoch zu sehen, aber sein Gesicht strahlte heute nicht nur Trauer sondern auch Freude aus. Er freute sich, mich zu sehen.
"Hab schon von deinem Ausflug gehört", meinte ich, holte mein Instrument währenddessen aus dem Koffer.
"Ja, Emma ist das echt wichtig", schmunzelte der Braunhaarige.
"Sie will nachher mit allen gemeinsam den Auftritt durchgehen", weihte Hannes mich ein, was ich mir bereits gedacht hatte. Emma war gestern schon Feuer und Flamme dafür gewesen, den Auftritt weiter zu planen.
Jetzt wollte ich mich jedoch auf unser Stück konzentrieren, es genießen.
Hannes begann, seine Noten zu spielen und sah mich mit einem warmen Lächeln an. Beinahe verpasste ich deshalb meinen Einstieg. Der Bogen strich die Saiten an und meine Finger erzeugten den korrekten Ton. Meine Augen schienen mit seinen verankert zu sein. Unfähig mich von ihnen zu lösen spielte ich die Noten auswendig. Es erfüllte mich mit Freude und Erleichterung wieder mit ihm spielen zu können, ihn vor mir sitzen zu sehen. Es wurde mir plötzlich deutlich wärmer, obwohl ich doch nur ein schlichtes T-Shirt trug.
"Ich habe es vermisst mit dir zu spielen", gab Hannes zu, nachdem die letzten Noten gespielt waren. Nickend stimmte ich ihm zu. Mein Herz schlug so schnell, dass es mir das Sprechen erschwerte. Nach einem Schlucken erwiderte ich, "Ich auch."
Emma grinste mir entgegen, als Hannes und ich gemeinsam die Turnhalle betraten. Wir hatten wieder Hannes' E-Piano geholt, um nun mit den Tänzern gemeinsam zu üben.
"Du strahlst ja richtig", stellte sie flüsternd fest, vermutlich damit der Braunhaarige, der gerade sein Klavier aufstellte, uns nicht hören konnte. Ich stieß sie dennoch mit dem Ellenbogen und murmelte, "Shht, es ist einfach schön, dass er wieder da ist."
Sie entfernte sich lachend und bereitete ihre Tänzer vor.
"Also Leute, der Wettbewerb ist in zwei Wochen und wir haben alles fertig. Wir machen einen kompletten Durchlauf."
Bei diesem einen Durchlauf blieb es jedoch nicht. Einige Tänzer verpatzten ihre Schritte und stolperten, ein weiteres Mal traf ich die Töne nicht richtig. Und so wurden es mehrere Anläufe, bis es einwandfrei klappte. Der Vorteil daran war, dass es mir nun immer leichter fiel, mich zur Musik zu bewegen. Der Auftritt war genial und meiner Meinung nach, nicht zu toppen. Obwohl mit jedem Tag, der verging, meine Aufregung stieg, freute ich mich auf den Wettbewerb.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top