Kapitel 16 - Verschwinden
Am Freitag Morgen stopfte ich die Filmpackung in meinen Rucksack, um sie Hannes zurück zu geben. Bereits beim Frühstück hielt ich Ausschau nach dem Braunhaarigen, doch ohne Erfolg, scheinbar hatte er bereits gefrühstückt oder aber er ließ es ausfallen. Als Emma und ich vor dem Klassenzimmer ankamen, scannte ich den Flur nach ihm, doch ich konnte ihn nirgends ausmachen. Gestern hatte ich vor dem Schlafen bereits ausgiebig darüber nachgedacht, warum Hannes so plötzlich verschwunden war. Etwas Eifersucht konnte ich dabei nicht verbergen, auch wenn ich mir das eigentlich nicht eingestehen wollte. Doch nun machte ich mir Sorgen. Wenn Hannes während der Schulzeit fehlte, musste etwas passiert sein. Er war niemand, der den Unterricht einfach so ausfallen ließ, dafür kannte ich ihn schon zu gut.
Kurz überlegte ich, Emma in meine Überlegungen einzuweihen, allerdings tauchte in genau diesem Moment Louisa auf und bettelte sie an, sich das mit ihrer Freundschaft nocheinmal zu überlegen. Emma ignorierte diese Versuche gekonnt und schaffte es sogar, während dem Unterricht keine Miene zu verziehen. Ich bewunderte sie und vefluchte gleichzeitig mich dafür, wie leicht ich mich manchmal aus der Bahn werfen ließ. Hin und wieder schielte ich zu dem leeren Platz neben Liam, auf dem Hannes für gewöhnlich saß. Eventuell wusste Liam, wo er war, immerhin waren sie nicht nur Freunde, sondern wohnten auch gemeinsam in einem Zimmer. Daher beschloss ich, Liam während des Mittagessens zur Rede zu stellen, um hoffentlich ein paar Antworten zu erhalten.
Während den nächsten Schulstunden tauchte der Braunhaarige auch nicht auf und die Stunden zogen sich elend lang.
Selbst während meiner Geigenstunden, konnte ich an nichts anderes denken, obwohl die Musik es normalerweise vermochte, mich gänzlich einzunehmen und von allem anderen zu lösen. Auch Frau Keli merkte, dass ich abgelenkt war und fragte mich, woran das lag.
"Ach, die Vorbereitungen für den Wettbewerb...", log ich. Da meine Geigenlehrerin von meiner Teilnahme noch nichts wusste, gratulierte sie mir und fragte mich, ob ich ihr das Stück vorspielen wolle.
Als ich die Melodie spielte, vermisste ich die Töne des Klaviers, die meine Geige ergänzten. Ohne das zweite Instrument klang das Stück langweilig und leblos. Frau Keli war dennoch begeistert und lobte mich dafür, dass ich ein tolles Stück geschrieben hätte.
Immerhin neigte sich die Stunde dem Ende zu und ich konnte endlich in der Kantine mit Liam sprechen. Etwas Hoffnung begleitete mich auf meinem Weg in die Cafeteria, dass Hannes an dem gewöhnlichen Tisch sitzen und zu Mittag essen würde. Doch ich konnte den Braunhaarigen nicht erkennen. Also steuerte ich auf Liam zu, der mich erst bemerkte, als ich direkt neben dem Tisch stand. Seine Augen musterten mich fragend.
"Hey, ich wollte dich fragen, ob du weißt wo Hannes ist", mein Herz schlug etwas schneller als sonst, da ich mit jeder Antwort rechnen musste.
"Ne, keine Ahnung", sagte der Schwarzhaarige trocken, "er kam gestern nicht mehr aufs Zimmer."
Das bedeutete, dass Hannes tatsächlich nach unserem Filmabend verschwunden und nicht wieder zurückgekehrt war. Schnell bedankte ich mich, holte mein eigenes Essen und setzte mich zu Emma, die mit einigen ihrer Tänzer an einem Tisch saß. Da die Stimmung am Tisch sehr ausgelassen war, wollte ich sie mit meinen Gedanken und Fragen, nicht in die Tiefe ziehen.
Emma berichtete mir von Alicia, die ihr ihren Tanzpartner vorgestellt hatte, der nun ebenfalls Teil unseres Teams war. Nachher wollten sie die Ballett-Schritte einstudieren und in den Tanz einarbeiten.
Da ich weder mit Hannes üben konnte, noch etwas anderes vor hatte, begleitete ich die Tänzer nach dem Essen zur Turnhalle und beobachtete ihr Training. Langsam ergab sich ein stimmiges Gesamtbild und der Tanz formte eine Geschichte, die zur Stimmung meines Stückes exakt passte.
Ich bewunderte die Eleganz und Leichtigkeit, mit der Alicia und ihr Tanzpartner Jonas die Ballett-Schritte vorführten. Emma probierte sich ebenfalls an einigen Schritten und lachte lauthals, als sie ihr Gleichgewicht verlor und beinahe umkippte. Während ich durch meine Nachrichten scrollte, mit der Hoffnung, eine von Hannes erhalten zu haben, erhielt ich wider Erwarten eine Nachricht von Sam.
"Hey hey! Wie wär's wir treffen uns mal wieder? Gerne auch mit deiner Freundin."
Seufzend starrte ich auf die Nachricht. Natürlich meldete er sich zum Wochenende. Ich hatte nur momentan andere Sorgen, weshalb sich meine Lust, mich mit Sam zu treffen, in Grenzen hielt. Emma hatte mein Seufzen wohl mitbekommen, weshalb sie mit einem interessierten Blick auf mich zu kam.
"Sam hat geschrieben, dass er sich wieder mit uns treffen will", erklärte ich ihr, während sie aus ihrer Wasserflasche trank. Zu allem Überfluss schlug Emma vor, dass er vorbeikommen könnte, da sie mit ihrem Tanztraining sowieso fast am Ende wären.
Meine Mitbewohnerin war eben ein aufgeweckter Mensch. Sie mochte es, sich mit Anderen zu verabreden und etwas zu unternehmen, ganz im Gegensatz zu mir.
"Vielleicht lenkt dich das ein bisschen ab", gab sie ihre Gedanken kund. Ablenkung würde mir auf jeden Fall gut tun, allerdings wollte ich mich nicht ablenken, indem ich Zeit mit Sam verbrachte. Emma nahm mir die Entscheidung allerdings kurzerhand ab, indem sie mir das Handy aus der Hand nahm, auf dem der Chat geöffnet war und eine Nachricht für Sam tippte. Böse funkelte ich ihr entgegen, allerings konnte sie diese Ablenkung eventuell mehr gebrauchen als ich.
Nachdem sich Jonas und Alicia verabschiedet hatten, machten Emma und ich uns auf den Weg zu dem Treffpunkt, den sie Sam über mein Handy mitgeteilt hatte. Wir setzten uns an einen kleinen Tisch direkt an den Fenstern des Cafés, das Emma wohl regelmäßig mit Louisa besucht hatte. Keine fünf Minuten später tauchte Sam auf und gesellte sich zu uns. Diesmal begrüßte er auch Emma mit einer kürzeren Umarmung und bestellte sich kurz darauf eine heiße Schokolade. Während ich an meinem Tee schlürfte, unterhielten sich die beiden miteinander und lachten über alles mögliche. Da meine Gedanken immer wieder zu Hannes drifteten, bekam ich von ihrem Gespräch nur sehr wenig mit. Aus Emma sprudelte es, wie aus einem Wasserfall, es wirkte fast so, als hätte sie seit Jahren geschwiegen und müsste jetzt alles loswerden. Als ich zu Sam blickte, trafen meine Augen direkt auf seine. Er schenkte mir ein warmes Lächeln. Eines, das mir vermittelte, dass er genau wusste, dass etwas nicht in Ordnung war. Meine Mundwinkel zuckten kurz, ehe Sam seine Aufmerksamkeit wieder den Erzählungen meiner Freundin widmete. Sie schien unseren Ausflug sehr zu genießen und allein das stimmte mich glücklich. Sie hatte jedes Glück verdient und ich wollte nicht diejenige sein, die ihre Stimmung herunterzog.
Es war bereits dunkel geworden und wir hatten beschlossen, zurück zum Internat zu gehen. Vor dem Café warteten Sam und ich auf Emma, die noch auf die Toilette gegangen war. Sam nutzte den Umstand, dass wir nun alleine waren, sofort.
"Was ist los?", fragte der Schwarzhaarige und sah mich ernst an. Das Kuriose war jedoch, dass ich mich ihm aus irgendeinem unbegreiflichen Grund anvertrauen wollte. Sam schien sich ernsthaft für mich zu interessieren und dass ich meine Gedanken bereits den gesamten Tag in mich hinein gefressen hatte, gab mir den restlichen Mut, mich ihm zu öffnen.
"Hannes ist seit gestern verschwunden", murmelte ich und beobachtete seine Reaktion auf das Gesagte. Zu meiner Überraschung gab es keine Anzeichen dafür, dass es ihn störte, wenn ich über Hannes sprach.
"Verschwunden?"
Nickend ließ ich den Kopf hängen.
"Hast du ihm geschrieben?", fragte Sam nun und überraschte mich erneut. Er versuchte nicht, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken, sondern fragte weiter nach.
Diesmal musste ich den Kopf schütteln, ich wollte Hannes nicht nerven, oder aufdringlich wirken, was ich Sam genau so beichtete.
"Weißt du, wie sehr ich mich gefreut habe, als du mir geschrieben hast?", kam es von ihm, worauf mein Blick zu ihm huschte. Er lächelte nur. Gerade als ich etwas erwidern wollte, kam Emma aus dem Café und kam auf uns zu, "Wir können gehen."
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