Kapitel 11 - Training und Übung

Der Sonntag kam schneller als gedacht und somit auch der Abschied von Sam, da er wieder zurück nach Hause musste. Auch für mich begann morgen wieder eine normale Schulwoche. Unabhängig davon war ich froh, dass der Besuch meines Freundes sich dem Ende zuneigte. Meine Gefühle waren in diesen drei Tagen bereits mehr Achterbahn gefahren, als mir lieb war.
"Ich fand es sehr schön mit dir", meinte Sam zum Abschied zu mir und lächelte breit. Wieder erwiderte ich ein nicht ganz ernst gemeintes Lächeln und wurde kurz darauf in eine feste Umarmung gezogen. Sam schlug vor, dass er mich demnächst wieder besuchen könnte, was ich ihm nicht ausschlug. Als Sam verschwunden war, fiel bereits einiges an Anspannung von mir ab. Ich genoss den restlichen Abend mit meinen Eltern, ehe ich mich auf den Rückweg zum Internat machte. Während der Busfahrt stellte ich mich bereits auf ein Verhör von Emma ein, die sicherlich interessiert daran war, einige Antworten von mir bezüglich Sam zu erhalten.

"Ihr habt euch beinahe geküsst?!", stieß sie aus, als ich ihr von meiner Freundschaft mit Sam berichtete, "Das erklärt, warum er dich so ansieht."
"Emma, das stimmt nicht", protestierte ich, obwohl mir durchaus bewusst war, dass sie recht haben könnte. Im Nachhinein war ich mir immer noch nicht sicher, was genau Sam mir gegenüber empfand.
"Wir müssen bald mal anfangen mit dem Training für den Wettbewerb", wechselte meine Mitbewohnerin plötzlich das Thema. Nickend dachte ich an mein Stück, welches ich für unseren Auftritt geschrieben hatte. Ich musste mich unbedingt mit Hannes treffen, um ihm seine Stimme zu geben und mit ihm die Noten zu üben. Immerhin war ich mir noch nicht sicher, ob die beiden Stimmen miteinander harmonierten.

So kam es, dass wir am nächsten Tag, nach der Schule den Raum, in dem Hannes Klavierunterricht hatte, belegten und ich ihm ein Papier mit Noten unter die Nase hielt.
"Es ist noch nicht ganz fertig", erklärte ich das plötzliche Ende des Stückes, was der Braunhaarige nickend zur Kenntnis nahm.
Er platzierte die Noten auf dem Klavier und begann, seine Stimme zu spielen. Nun war es endlich soweit; ich würde das Lied gemeinsam mit einem Klavier spielen und wissen, ob die Stimmen meines Stückes miteinander funktionierten. Die Klänge erhellten den Raum mit Emotion und ich war stolz auf meine eigene Melodie.
"Das ist super", meinte Hannes, als wir das durchgespielt hatten, was ich bisher geschrieben hatte.
"Danke, ich muss es noch fertig schreiben."
"Ich hab' eine Idee", meinte Hannes und spielte sofort eine Melodie, die perfekt zum Rest des Stückes passte. Es würde als Bridge optimal funktionieren. Wir dachten uns gemeinsam die restlichen Noten des Stückes aus und beendeten den Tag mit einer fertigen Melodie, die Harmonie und Hoffnung, sowie Freude und Spannung versprühte, wenn wir sie gemeinsam spielten.

Am nächsten Tag begleitete ich Emma nach der Schule zur Turnhalle, sie würde heute damit beginnen, sich gemeinsam mit den anderen Tänzern eine passende Choreographie zu unserer Meldodie auszudenken und wollte, dass ich sie unterstützte. Hannes und ich hatten das Stück aufgenommen, damit die Tänzer dazu üben konnten. Ich hoffte inständig, dass sich das Stück zum Tanzen eignen würde, sonst müsste ich wieder einiges ändern und das würde uns viel bedeutende Zeit kosten. Das Stück war immerhin total anders, als die Musik zu der Emma und ihre Truppe sonst tanzten. Und tatsächlich gab es einige Schwierigkeiten, die klassische Melodie mit dem Freestyle der Tänzer zu vereinigen. Nach dem ersten Tag wirkten die Tänzer unfassbar frustriert, aber Emma versicherte mir, dass das normal sei und ihr noch Schritte einfallen würden und ich hoffte, dass sie damit recht behielt.

Die Tage traf ich mich oft mit Hannes und wir nahmen kleine Verbesserungen an dem Stück vor, während wir es immer wieder übten. Dabei ging es fast ausschließlich um den Wettbewerb oder die Schulaufgaben. An einem Wochenende, als wir uns relativ früh zum Üben trafen, sprach Hannes allerdings seine Begegnung mit Sam an, die ihm vermutlich seither gedanklich zu schaffen machte, "Bist du dieses Wochenende nicht weg?"
Als ich den Kopf schüttelte, lächelte Hannes kurz, bevor er eine weitere Frage hinterherwarf, "Ist Sam dein Freund?"
Fast verschluckte ich mich, bevor ich antwortete, "Äh- Nein, also... er ist ein alter Freund aus der Schule."
Hannes nickte nur, doch irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass er mit meiner Antwort nicht zufrieden war, weshalb ich weitersprach und wahrscheinlich nichts besser machte, "Er möchte bald wieder vorbei kommen."
Nervös tippte ich auf meiner Geige herum, die in meinem Schoß lag.
"Cool", meinte Hannes nur und widmete sich dann wieder den Klaviertasten, auf welchen er das Stück erneut spielte.

Als ich nach unserer Probe auf meinem Zimmer zurück war, hätte ich mir am liebsten gegen den Kopf geschlagen, Hannes' Fragen hatten mich dermaßen nervös gemacht, dass meine Antworten total dämlich ausgefallen waren. Zum Glück lenkte mich Emma ab, indem sie mir ihre neuen Tanzschritte zeigte. Tatsächlich passten sie ziemlich gut zur Melodie und ich war begeistert davon, dass meine Mitbewohnerin nicht klein zu kriegen war. Einige Tänzer hatten vor lauter Frust bereits hingeschmissen und waren ausgestiegen, aber Emma zauberte eine Choreographie aus ihren Fingern, die zu der magischen Stimmung des Stückes optimal passte, sodass einige der Tänzer tatsächlich wieder zurückgekehrt waren.
"Ich bin trotzdem unzufrieden damit", wiederholte sie, nachdem ich ihr beteuert hatte, wie genial ich die Tanzschritte fand, "es fehlt irgendetwas."

Laut Emma, war ihre größte Inspirationsquelle die Menschheit selbst und ihr Treiben, weshalb sie mich kurzerhand auf einen kleinen Ausflug in die Innenstadt mitnahm. Dort aßen wir gemeinsam Eis und beobachteten die Menschen in den Parks und in den Cafés.
"Weißt du wie viele Bewegungen wir täglich machen, die als Tanzschritte gelten könnten, würde jemand Musik abspielen?", fragte sie mich begeistert, worauf ich den Kopf schütteln musste. Sie zeigte mir einige spielende Kinder auf den Wiesen, die Purzelbäume schlugen oder ein Paar das sich angespannt unterhielt und dabei wild mit den Armen fuchtelte, "Alles Tanz."
Während Emma gespannt unsere Umgebung beobachtete, erhielt ich eine Nachricht auf meinem Handy. Sam hatte mir geschrieben.

"Hey, ich bin gerade in der Stadt. Vielleicht kann ich dich im Internat besuchen?"

Verwirrt las ich mir die Nachricht ein zweites Mal durch. Warum war Sam in New York? Es war doch erst eine Woche her, dass wir uns gesehen hatten. War er wieder wegen mir hier?
Als ich bemerkte, dass Emma neben mir aufgestanden war, um Tanzschritte auszuprobieren, die ihr eingefallen waren, wandte ich meinen Blick vom Display meines Handys ab. Emmas Bewegungen erinnerten mich an Ballettübungen, ihre Arme umrahmten ihren Kopf, ehe sie ihren linken Arm in einer umfassenden Bewegung Richtung Boden ausstreckte. Es erinnerte mich an die Fantasie der Ballettänzerin, die ich beim Spielen meines Stückes gehabt hatte. Sprachlos beobachtete ich sie, plötzlich hüpfte sie auf der Stelle und klatschte wild in die Hände, "Das ist es!"
Als sie meinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte, erklärte sie ihre Begeisterung, "Ballett fehlt! Zu deiner Musik passen langsame und ruhige Schritte genauso, wie unsere schnellen und wilden, wir mischen es einfach."
Emma schaffte es tatsächlich, mich ebenfalls zu begeistern. Sie hatte recht. Mein Stück war einerseits ruhig, andererseits spannend. Eine Kombination zwei solcher verschiedenen Stile könnte tatsächlich funktionieren. Auf dem Rückweg zum Internat vibrierte mein Handy in meiner Tasche, als ich auf das Display sah, erstarrte ich kurz. Vor lauter Begeisterung, hatte ich komplett vergessen, Sam zu antworten, weshalb er mich vermutlich nun anrief. Nach einem Blick auf mein Handy, hob Emma eine Augenbraue und sah mich verschmitzt an. Angesäuert erwiderte ich ihren Versuch mich aufzuziehen mit einem bösen Blick, ehe ich das Gespräch entgegen nahm, "Hallo Sam."
"Hey, ich wollte nochmal nachfragen, wegen meiner Nachricht", kam er direkt zum Punkt, womit er es mir unmöglich machte, abzulehnen. Somit stimmte ich einem Besuch zu und meinte, ich würde in fünfzehn Minuten vor dem Internat auf ihn warten. Emma erklärte sich glücklicherweise dazu bereit, mit mir gemeinsam auf Sam zu warten, was meine Aufregung in Grenzen hielt.

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