Kapitel 32

~Pov. Jimin~
Nun war es der nächste Tag und ich lief durch die Schule. Gestern hatte ich es nach langer Zeit irgendwie vom Kran geschafft, auch wenn ich mich an die Leiter mehr geklammert, als festgehalten habe.

Ich schloss meinen Spind auf und nahm ein Buch heraus, als mich jemand an der Schulter antippte. Da ich durch gestern generell aufgewühlt und fertig war fragte ich nur genervt:„Was?" Kurz herrschte Stille, als plötzlich eine Stimme erklang, die mich sofort in meiner Bewegung erstarren ließ.

„Wenn du gerade irgendwie gestresst bist kann ich auch später nochmal kommen.", hörte ich Yoongi sagen. Ich drehte mich zu ihm und sah ihn an. Er sah ziemlich müde aus und seine Haare waren sehr verstrubbelt. Außerdem war seine Körperhaltung etwas anders, mehr in sich zusammen gesackt und nicht mehr so aufrecht und selbstbewusst wie sonst.

„Nein! Ich.." Ich zögerte und schaute mich kurz um. Es liefen einige Schüler im Gang entlang, doch niemand beachtete uns wirklich oder könnte uns durch den Lärmpegel zuhören. „Ich habe nicht gerechnet, dass du es bist. Ich dachte, dass du heute nicht kommst."

Er schwieg einige Zeit, sagte dann jedoch:„Hatte ich auch gedacht." Ich wartete auf eine Erklärung, doch da er nichts weiter sagte fragte ich nach. Er wollte grade antworten, als es klingelte. „Lieber später.", murmelte er dann und verstehend nickte ich.

Wir machten uns auf dem Weg in den Unterricht und ich versuchte mich auf diesen zu konzentrieren. Doch das war gar nicht so leicht, da die ganze Zeit Fragen in meinem Kopf umher flogen. Ich verstand nicht, wieso er gestern abgehauen und heute gekommen war.

Wieso er mich überhaupt angesprochen hatte, anstatt mich zu ignorieren. Dazu kam noch seine bloße Anwesenheit, die mich ebenfalls ablenkte. Jedoch verstand ich langsam wieso.

Als die Schule endlich zu Ende war, machte ich mich schnell auf dem Weg nach draußen. Ich und Yoongi hatten eben getrennte Kurse gehabt und wir hatten deswegen ausgemacht uns am Schultor zu treffen. Ich musste nur wenige Minuten warten bis er auf mich zu kam. „Wollen wir uns etwas zum Mittagessen besorgen, an 'nen ruhigen Ort gehen und du erklärst mir dann alles?"

Er nickte zögernd und so machten wir uns auf den Weg in die Stadt. Wir liefen in die Richtung von dem Gebäude, auf dem wir oft schon drauf geklettert waren. Wir kauften uns schnell ein Brötchen vom Bäcker und kletterten dann an der Leiter hinauf. Oben angekommen setzte ich mich im Schneidersitz an den Rand, Yoongi ließ wie immer seine Beine in die Tiefe baumeln.

Ich packte mein Brötchen aus und fragte dabei:„Wieso bist du denn heute in die Schule gekommen?" Ich biss in mein Brötchen und erst nach ein paar Sekunden antwortete er:„Ich habe letzte Nacht viel nachgedacht. Ich konnte nicht schlafen. Und mir ist klar geworden, dass ich entweder im Selbstmitleid versinken kann, oder versuchen damit klar zu kommen und weiter zu leben. Und letzteres schien mir klüger."

Verstehend nickte ich und er biss ebenfalls von seinem Brötchen ab. Ich schluckte runter und fragte dann zögernd:„Wieso bist du dann abgehauen? Gestern auf dem Kran." „Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Ich hatte auch Schuldgefühle und habe mir Vorwürfe gemacht.

Dass ich dich nicht so hätte anschreien dürfen und dass du deswegen hättest sterben können. Nur weil ich mich aufgeregt habe über etwas, wofür du nichts kannst. Ich hab einfach Abstand gebraucht. Ich will mich aber nicht länger verkriechen."

Ehrlich gesagt bewunderte ich ihn für diese Einstellung. Es musste schwer sein sich so etwas vorzunehmen und es dann wirklich umzusetzen. „Denkst du denn, dass du so weiter leben kannst? Mit den Wissen, dass du keine DNA hast?" Er zuckte nach einigen Sekunden mit den Schultern. „Ich muss es wohl rausfinden."

Nun herrschte Stille auf beiden Seiten und während wir so aßen dachte ich nach. Ich fand es wirklich faszinierend und auch spannend zu erfahren, wie er nun wirklich dachte und wie er wirklich war. Doch ich wollte diese Neugier verdrängen, da ich wusste, dass es falsch war jetzt darüber nachzudenken. Ich sollte mich mehr um ihn Sorgen und versuchen ihm beizustehen, doch ich wusste nicht wie.

Er schien wirklich zu wissen, wie er nun weiter machen wollte und schien um einiges selbstständiger und selbstbewusster, als er heute morgen ausgesehen hatte. Ich war mir sicher, dass es ihm trotzdem schwer fiel auch dahinter zu stehen, was er dachte, doch es war ein Anfang es sich vorzunehmen. Wie ich ihm genau helfen konnte, wusste ich aber nicht. Ich wusste nur, dass ich ihn auf jeden Fall unterstützen würde und für ihn da sein würde, wenn er Hilfe bräuchte.

„Hast du dich eigentlich verletzt? Also wegen gestern?", riss mich deine Stimme aus meinen Gedanken. „Ein wenig.", gab ich vorsichtig zu. Er bat mich ihm die Verletzungen zu zeigen. Ich legte mein Brötchen zur Seite und zeigte ihm meine Handflächen, welche durch das krampfhafte Festhalten einige rote Stellen hatte.

Außerdem hatte ich auf den Armen noch blaue Flecken, als ich versucht hatte mich vorher irgendwie festzuhalten und meine Arme auf die Metallstange geknallt waren.

„Mehr nicht?", fragte er und ich sagte, dass meine Schultern ebenfalls etwas weh taten. Er nahm meine Hände vorsichtig in seine uns strich mit einem Daumen über die kleinen, roten Stellen, die Blutergüssen sehr ähnlich waren. Mein Blick folgte seinen Fingern, welche ebenfalls über die blauen Flecken an meinen Armen strichen, was meine Haut kribbeln ließ und mir eine leichte Gänsehaut bescherte.

Dies lies Yoongi ein wenig Lächeln und er sah mich an. Langsam beschleunigte sich mein Herzschlag ein wenig und er rutschte etwas näher an mich heran, was mich keineswegs störte. „Weist du eigentlich schon was genau du für mich fühlst?", fragte er dann leise, was mich automatisch etwas lächeln ließ.

Ich nickte vorsichtig und meinte:„Ich glaube schon." Nun sah ich ihm in die Augen, welche so viel Wärme ausstrahlten, dass mein Herz sich ein wenig beruhigte. Ich sah auf seine Lippen und zögerte kurz, beugte mich dann aber langsam vorsichtig vor. Ich kam ihm näher, bis seinen Atem spüren konnte, jedoch waren seine Hände plötzlich an meiner Brust und hielten mich davon ab näher zu kommen.

Unsicher und verwirrt sah ich ihn an und setzte mich wieder richtig hin. Ehe ich fragen konnte erklärte er sich:„Ich mag dich wirklich sehr Jimin. Aber ich brauch noch Zeit. In mir ist grad ein riesiges Chaos, das ich erstmal sortieren muss. Wenn es für dich okay ist würde ich mich freuen, wenn wir uns noch etwas Zeit lassen."

Er klang sehr vorsichtig und auch etwas schüchtern, was ich unglaublich süß fand. Und böse oder enttäuscht war ich kein bisschen. Ich freute mich gerade zu sehr darüber, dass er sich getraut hatte offen mit mir zu reden. „Natürlich, das ist kein Problem. Ich kann verstehen, dass du erstmal mit allem klar kommen musst. Du hast alle Zeit der Welt.

Er lächelte sehr und zog mich plötzlich in eine Umarmung, die ich sofort erwiderte. Nach einiger Zeit fing er an mir über den Rücken zu streichen, was mich Lächeln ließ. Wenige Augenblicke später legte er sich langsam auf den Rücken und ich kuschelte mich an ihn, mein Kopf lag auf seiner Brust. Er legte einen Arm um mich und streichelte sanft an meinem Arm weiter.

So verweilten wir eine Weile, als mir eine Frage in den Sinn kam. „Du Yoongi?", machte ich auf mich Aufmerksam, worauf er nur ein kurzes Brummen gab. „Hast du eigentlich jemals an deinen Glauben gezweifelt. Vor allem jetzt, wo dir so viel schlechtes passiert ist?" „Nein.", kam es sofort aus ihm.

„Wieso eigentlich nicht? Ich meine, wenn es Gott geben würde, wieso würde er sowas dann zulassen? Generell Leid? Ich versteh das nicht.", sagte ich zögernd. Ich wollte ihn keinesfalls kritisieren zu glauben, doch ich verstand einfach nicht wie man an so etwas glauben konnte. Das war doch eigentlich nichts anderes als eine Märchengeschichte oder?

An Märchen glaubte doch auch niemand. Und an Gott glaubte auch niemand, außer Yoongi. Ich verstand den Unterschied nicht und konnte auch nicht verstehen, wie es einen Gott geben konnte, der andere leiden ließ. Das ergab keinen Sinn.

„Darauf gibt es keine Antwort. Aber ich glaube, dass Gott uns alle liebt. Auch wenn jemand leidet, dann liebt Gott ihn auch. Er hat etwas mit jedem einzelnen von uns vor, er hat für uns alle einen Plan. Nur weil wir keinen Sinn darin sehen, dass Menschen leiden oder böse sind, heißt es nicht, dass Gott keinen Sinn sieht.

Außerdem finde ich, dass es keinen Sinn machen würde, wenn es hier nur Frieden und Glück gäbe. Ich denke, dass das Leben eine Probe ist. Ein Test. Ein unbeschwertes Leben gibt es im Himmel, nicht hier auf der Erde. Und um da hinzukommen muss Gott sehen, ob du es Wert bist dort hin zu kommen."

Ich schwieg einige Sekunden, murmelte dann aber:„Richtig glauben oder nachvollziehen kann ich es immer noch nicht." „Das musst du auch nicht. Das einzige, an was du glauben solltest ist, dass es einen Grund gibt, dass du hier bist. Dass du es Wert bist auf dieser Welt zu sein. Das ist auch der einzige Grund, wieso ich noch hier bin. Ich wusste, dass ich einen Platz in dieser Welt habe, auch wenn ich noch nicht wusste wo er sein wird. Jetzt weiß ich es."

„Wo ist er denn?", fragte ich neugierig und sah ihn nun an. Er lächelte mich sanft an, strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, ehe er seine Hand auf meiner Wange platzierte. „Bei dir."

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