Kapitel 18

~Pov. Jimin~
Als wir Zuhause ankamen roch man bereits den Auflauf in der ganzen Wohnung, was mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Ich zog mir meine Schuhe aus und brachte die Tüten mit Yoongi in mein Zimmer. Dann ging ich in die Küche und schaute in den Ofen.

Der Nudelauflauf war noch nicht ganz fertig und bräuchte noch einige Minuten. Also könnte ich noch in Ruhe das Ramen fertig machen. „Was ist das?", fragte Yoongi und schaute in den Ofen. „Nudelauflauf.", antwortete ich und nahm nach und nach die Zutaten aus dem Kühlschrank.

„Und was machst du jetzt?", fragte er verwirrt. „Ich mache noch Ramen." „Kenne ich beides nicht.", sagte er und als ich anfing schaute er mir dabei gespannt zu. Er verfolgte jeden meiner Bewegungen deutlich, was mich ein wenig nervös machte. Es war ungewohnt von jemandem so beobachtet zu werden.

„Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte er. „Du kannst den Tisch decken, wenn du willst.", antwortete ich. „Okay und wo ist das Geschirr?" Ich zeigte ihm die Schubladen, in denen die Teller und das Besteck waren. Er fing an den Tisch zu decken und ich war etwas erleichtert nicht mehr so sehr beobachtet zu werden.

Als ich mit dem Essen fertig war stellte ich es auf den Tisch und setzte mich auf meinen Platz. Yoongi setzte sich mir gegenüber. Ich machte uns beiden etwas von dem Nudelauflauf auf den Teller und wollte mein Besteck in die Hand nehmen, als ich realisierte, dass dieses falsch herum lag.

Verwirrt sah ich zu Yoongi, bei welchem das Besteck auch vertauscht war. „Was ist?", fragte er, als er meinen Blick bemerkte. „Du hast das Besteck vertauscht.", erklärte ich und nahm mein Besteck richtig herum in die Hand.

„Oh echt?", fragte er überrascht und vertauschte sein Besteck nun auch. „Ich habe schon lange nicht mehr mit Besteck gegessen.", erklärte er und wir fingen an zu essen.

Nachdem wir den Nudelauflauf aufgegessen hatten, füllte ich unsere Schüsseln mit Ramen. Doch nachdem er die Hälfte davon gegessen hatte ließ er seine Schüssel stehen und trank ein Schluck aus seinem Glas. „Bist du schon satt?", fragte ich etwas überrascht. „Ja. Ich kann nicht so viel auf einmal essen, das bin ich nicht gewohnt."

Verstehend nickte ich, fragte dann aber:„Willst du dann kein Nachtisch?" Er runzelte die Stirn. „Du hast noch Nachtisch gemacht?" Ich bejahte. „Wieso?" Ich öffnete den Mund, schloss ihn kurz darauf aber wieder, da ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte.

„Einfach so.", meinte ich dann. Seine Stirn war immer noch in Falten gelegt. Dann sagte er:„Ich dachte wir wollten das Leben des anderen kennen lernen. Dann müsstest du mir dein Leben zeigen und nicht versuchen mich durchzufüttern."

Etwas perplex sah ich ihn an, wusste dann aber nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich fühlte mich ertappt, weswegen ich schüchtern auf mein Teller schaute. Ich hörte ihn seufzen, dann sagte er aber:„Vielleicht später, wenn ich nicht mehr ganz so voll bin."

Ich nickte und aß schnell auf, ehe wir dann den Tisch abräumten und nicht ganz wissend, was wir jetzt machen sollten, standen wir in der Küche. „Was würdest du denn jetzt normalerweise machen?", fragte er.

„Vermutlich irgendetwas lesen. Oder lernen. Vielleicht auch Fernseher gucken oder am Handy sein." Er schien zu überlegen und sagte dann:„Wenn du mir ja jetzt alles gezeigt hast, was sonst in deinem Leben passiert und es sonst nichts anderes gibt könnten wir ja etwas raus gehen."

Damit einverstanden machten wir uns also auf den Weg nach draußen und gingen ein wenig durch die Straßen, bis wir zu einer Baustelle mit einem großen Kran kamen. Schnell erkannte ich die Baustelle. Auf dieser war Yoongi auf den Kran geklettert, um den Müllwagen zu finden, in welchem mein Rucksack gewesen ist.

„Bist du schon einmal auf einem Kran gewesen?", fragte er. Entgeistert sah ich ihn an. „Natürlich nicht!" „Na dann komm.", sagte er und kletterte über den Maschendrahtzaun auf die andere Seite. „Spinnst du? Das ist illegal! Wir brechen quasi ein!" „Was glaubst du haben wir bei der Müllhalde getan?"

Ich schwieg, was ihn leicht lachen ließ. Er ging auf den Kran zu und sagte dabei:„Jetzt komm schon!" Noch unsicher, ob ich das wirklich machen sollte, schaute ich mich etwas um. Es war bereits dunkel und ich konnte weit und breit keine Menschenseele sehen.

Auf mich selber ein wenig wütend kletterte ich ebenfalls über den Zaun und lief zur Leiter des Krans, auf welchem Yoongi bereits war. „Warte auf mich!", flüsterte ich laut, in der Hoffnung, dass mich niemand hörte, und fing ebenfalls an den Kran hinauf zu klettern.

Natürlich wartete Yoongi nicht auf mich und stieg weiter die Stufen hinauf. Ein wenig Dreck bröselte von seinen Schuhen auf mich herab, weswegen ich sofort meinen Kopf nach unten richtete, um nichts in die Augen zu bekommen. Doch diese weiteten sich, als ich sah, wie weit der Boden bereits von uns entfernt war.

Ich spürte, dass mein Herz anfing etwas zu rasen und meine Hände ein wenig schwitzig wurden. „Jimin? Alles okay?", hörte ich Yoongi von oben und ich schaute zu ihm. Er sah zu mir runter und hatte aufgehört weiter zu klettern.

Einige Male atmete ich tief ein und aus, um mich ein wenig zu beruhigen. Dann bejahte ich und kletterte langsam weiter, doch Yoongi blieb noch stehen. „Wenn es zu viel wird, dann können wir auch wieder runter.", sagte er und klang etwas besorgt. Eine angenehme Wärme durchfuhr meinen Körper, als er das sagte.

„Nein, alles gut, wirklich. Wir können weiter." Noch etwas skeptisch kletterte er weiter und ich schaute wieder nach oben. Dabei sah ich, dass er immer wieder zu mir herunter sah, um sich zu versichern, dass es mir gut ging.

Oben angekommen wartete er auf mich, bis ich ebenfalls neben ihm stand. Wir standen auf Metallstäben und hielten uns auch an welche fest, die über unseren Köpfen zusammen gingen. Er lief auf den Metallstäben bis zum Ende des Krans. Ich blieb dicht hinter ihm und konzentrierte mich drauf auch nicht an den Metallstäben vorbei zu treten. Dabei versuchte ich nur auf die Metallstäbe und nicht direkt in die Tiefe zu schauen. Das gelang mir mehr schlecht als recht.

Als wir dann aber am Ende ankamen setzte sich Yoongi langsam und vorsichtig hin, was ich ihm gleich machte. Dabei hielten wir uns noch immer fest, doch das Gleichgewicht zu halten war nicht schwer.

Wenn man geradeaus sah konnte man einige Häuserdächer sehen und weiter entfernt beleuchtete die Innenstadt die Nacht. Der Himmel war größtenteils wolkenlos und der sichelförmige Mond leuchtete mit unzählig vielen Sternen am Himmel.

„Wieso kletterst du eigentlich immer irgendwo hoch? Und vor allem wieso so hoch. Reicht ein Baum nicht?" Ich sah ihn von der Seite an, doch er schaute nur weiter geradeaus. Einige Sekunden schwieg er, er schien wohl die richtigen Worte zu suchen.

„Freiheit.", sagte er dann aber nur und schaute in den Himmel, was mich verwirrt blicken ließ. „Wie Freiheit?" Er schien wieder zu überlegen, fing dann aber an zu erklären:„Da unten am Boden laufen Menschen herum. Menschen, die ein Leben leben."

„Aber das machen wir doch auch.", sagte ich verwirrt. „Du, ja. Ihr lebt ein Leben. Du lebst ein Leben. Das wurde dir vorgesetzt, die beigebracht. Allen wurde es vorgesetzt und beigebracht. Ihr seid ein Teil des Systems, ein Teil des Landes. Ein Teil dieser Denkweise, ein Teil dieser Regierung. Ihr lebt das Leben, das man es von euch erwartet. Wie es das System von euch erwartet."

Langsam drehte er sein Kopf zu mir und sah mir tief in die Augen, was mir einen Schauer über den Rücken laufen ließ und eine Gänsehaut verpasste. Ich sah in seinen Augen ein Funkeln, was ich zuvor noch nie bei jemandem gesehen hatte. Seine Augen strahlten Willenskraft, Tatendrang, Mut und Stärke aus. Gleichzeitig aber auch Enttäuschung, Trauer, Lustlosigkeit und Erschöpfung.

Ich konnte meinen Blick nicht mehr von ihm und seinen Augen lösen. Ich verstand nicht, wie Gegensätze so sehr in einem Menschen präsent sein konnten, dass man diese sogar in seinen Augen sehen konnte.

Doch meine Gedankengänge wurden unterbrochen, als er fortfuhr:„Ihr alle lebt ein Leben, das ihr euch nie ausgesucht habt. Dass ihr nie freiwillig ausgewählt habt. Ihr lebt ein Leben, das ihr nie hinterfragt habt. Oder es nie hinterfragen konntet."

Er lehnte sich ein wenig weiter zu mir, doch weder wich ich zurück, noch wendete ich mein Blick von seinen Augen ab. Er kam mir so nah, dass wir den Atem des jeweils anderen auf unserer Haut spürten.

„Da unten leben Leute ein Leben. Die ganze Stadt gehört zum System. All die Menschen, all ihre Leben, gehören zum System. Ich tu es aber nicht. Und ich will es auch nicht. Deswegen will ich dem Himmel nahe sein. Er schwebt über dem System. Und das will ich auch tun. Ich will nicht wie ihr alle ein Teil vom System sein. Ich will nicht wie ihr ein Leben leben. Ich will mein Leben leben."

Obwohl er aufgehört hatte zu reden sahen wir uns weiter in die Augen. Und das länger als ein paar Sekunden. Ich war perplex und überrascht über seine Ansicht, obwohl ich es mir eigentlich schon hätte denken können. Ich konnte einfach nicht begreifen, dass er so wirklich dachte. Es hörte sich jedes mal fremd und eigenartig an, wenn er so von „dem System" redete. Es war so fremd, dass er sich nicht als Teil unserer Gesellschaft sehen wollte.

Lautes Grölen lies mich zusammen zucken und ich schaute zur Seite, von wo das Geräusch kam. Nach wenigen Sekunden kamen einige Jugendliche zum Vorschein, die eindeutig betrunken waren.

Sie grölten irgendwelche Lieder und redeten wild durcheinander, während sie mit einer Flasche Alkohol, die ich nicht erkennen konnte, über den Bürgersteig torkelten. Nach wenigen Sekunden waren sie auch schon hinter einem anderen Haus verschwunden und die Geräusche wurden etwas leiser.

Langsam sah ich wieder zu Yoongi, welcher mittlerweile wieder geradeaus schaute. Ich überlegte, was ich sagen könnte, da wechselte Yoongi auf einmal das Thema. „Wann kommen deine Eltern eigentlich wieder?", fragte er. „Vermutlich am Sonntagabend. Wieso?" „Nur so. Ich hab' morgen Abend noch nichts zu tun. Wollen wir vielleicht feiern gehen?", fragte er.

„Ich war noch nie feiern. Ich weiß auch nicht, ob ich das will. Wenn man so von den ganzen Geschichten hört, wie Leuten etwas ins Getränk gemischt werden und sie dann vergewaltigt werden oder sowas."

„Ach quatsch, ich pass schon auf dich auf. Du sollst ja wieder heil Zuhause ankommen.", sagte er, was mich etwas überraschte. Gleichzeitig überraschte mich aber auch wiedee das warme Gefühl, dass sich in mir breit machte. Es war komisch, so etwas von jemanden zu hören, der nicht in der eigenen Familie war.

Aber irgendwie war es schön. Generell war es schön in Yoongis Nähe zu sein. Oft fragte ich mich auch, was er denn gerade machte, wenn wir nicht zusammen etwas unternahmen. Ob er sich vielleicht gerade mit irgendwelchen Typen anlegte. Oder ob er vielleicht einfach irgendwo am schlafen war.

Es war komisch, dass eine nicht verwandte Person einem so wichtig wurde und dass sie so ein Wohlbefinden in einem selbst auslöste, dass man teilweise nervös wurde die Person zu treffen, was mittlerweile nicht mehr an der Angst vor ihm lag. Es war auch sehr komisch und ungewohnt, dass man oft bei einer Person sein wollte und etwas mit ihr unternehmen wollte, egal was es war.

Ich war wirklich froh darüber Yoongi getroffen zu haben. Ich hatte das Gefühl von ihm verstanden zu werden, wie zum Beispiel auf dem Dach, als ich so weinen musste. Er hatte gemerkt, dass es für mich zu viel gewesen ist und hatte sogar versucht mich zu trösten. Auch wenn er darin wohl nicht wirklich begabt war.

Solche Erinnerungen lösten ein warmes Gefühl und ein leichtes Kribbeln in meinem Körper aus. Das musste wohl Freundschaft sein.

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