Kapitel 5 - Das Spiel mit den Steinen

"Djibril. Hast du mich heute Morgen gesucht?", fragt mich Mbaye, der auf einmal hinter mir steht.
"Mit meiner Mutter, ja! Wir wollten uns für den Fisch bedanken."
"Deine Mutter hat nicht erlaubt, dass ich dir das Meer zeige, richtig?"
"Woher weisst du das?" Mbaye weiss viel. Er ist bestimmt sehr intelligent.
"Sie kennt mich nicht. Sie sollte ihr Kind keinem fremden Mann anvertrauen."
"Aber warum warst du nicht auf dem Markt? Sie hätte dich kennenlernen können!"
Mbaye lacht ein tiefes, spöttisches Lachen bevor er antwortet: "Und was hätte wohl dein Vater dazu gesagt?" Er hebt eine Augenbraue und grinst mich breit an. Irgendwie habe ich Angst vor ihm. Aber ich antworte mutig.

"Papa ist fast nie da. Ich habe ihn schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Mama sagt, er schwängert bestimmt andere Frauen."
"Das tut mir leid, Djibril. Das wusste ich ja nicht." Mbaye schaut mich betrübt und mitleidig an.
"Mir macht es nichts aus. Ich mag Mama sowieso viel lieber als Papa. Nur für Samba und Aissatou ist es schade. Sie werden sich an ihren Vater nicht erinnern können."
"Samba und Aissatou - sind das deine Geschwister?", fragt Mbaye neugierig nach.
"Ja und Bella. Ich bin der Älteste."
"Ihr habt alle so schöne Namen." Wieder grinst Mbaye breit und ich frage mich, weshalb er mir vorhin Angst eingejagt hat. Er ist doch ganz freundlich.

"Möchtest du sie kennenlernen? Und meine Mutter? Du hast uns den Fisch geschenkt also müssen wir dich zum Essen einladen." Meine Schlussfolgerung ist logisch, und doch lehnt Mbaye ab.
"Nein, Djibril. Lieber nicht. Ich muss weiterziehen."
"Wieder in den Senegal?"
"Noch nicht, aber bald werde ich auch wieder in den Senegal gehen."
"Wohin gehst du dann? Kann ich mitkommen und du zeigst mir das Meer?"
"Du bist der Älteste, Djibril, und du hast keinen Vater. Du solltest bei deiner Mutter bleiben und sie unterstützen."
Traurig blicke ich zu meinen Füssen und überlege mir eine Antwort. Als ich wieder aufschaue, ist Mbaye verschwunden. Ich suche ihn noch eine Stunde und dann gehe ich traurig nach Hause.

Bella empfängt mich vor der Tür: "Was hast du, Djibril?"
"Das verstehst du nicht."
"Ich bin nicht dumm, grosser Bruder!" Bella stemmt ihre Hände in die Hüften, wie sie es sich von Mama abgeschaut hat. Ich strecke ihr die Zunge heraus und sie ruft Mama.
"Djibril! Du bist heute unmöglich! Was ist nur los mit dir?" Ich trete in einen kleinen Sandhaufen, als wäre er ein Fussball. Der Sand wirbelt durch die Luft und ich betrachte, wie er sich langsam wieder auf den Boden legt. 

Aissatou muss Sand in die Augen bekommen haben, denn plötzlich schreit sie auf und Mama wird noch wütender: "Du denkst doch nicht etwa immer noch daran, mit diesem Senegalesen das Meer zu besuchen?"
Bella macht grosse Augen und sieht mich neugierig an.
"Ich habe ihn zum Essen eingeladen, damit du dich für den Fisch bedanken kannst, aber er wollte nicht kommen", sage ich missmutig und genervt.
"Natürlich nicht! Der Mann weiss, dass ich auf der Stelle die Polizei rufen würde!" Mama schnaubt und geht ins Haus. Mbaye hat doch nichts gemacht. Warum sollte Mama dann die Polizei rufen?
"Bella! Komm und wickle mir Aissatou!" Bella wirft mir noch einmal einen langen neugierigen Blick zu und verschwindet dann ebenfalls im Haus.

Ich setze mich auf den Boden, nehme einige Steine aus meiner Hosentasche und spiele damit, während ich nachdenke.
"Djibril! Kann ich mitspielen?", fragt mich Samba mit seiner unschuldigen kindlichen Stimme.
"Du verstehst das Spiel nicht", entgegne ich genervt.
"Dann bring es mir bei."
"Nein!"
Das Spiel mit den Steinen ist ganz einfach. ich könnte es Samba locker beibringen und er würde es bestimmt verstehen. Aber ich habe keine Lust.

Samba setzt sich neben mich und beobachtet meine Hände.
"Geh weg!"
"Nein! Lass mich mitspielen! Bitte, Djibril."
Ich schweige und ignoriere Samba, aber er geht nicht weg. Schliesslich beugt er sich nach vorne und versucht so, mein Gesicht besser zu erkennen. Obwohl ich wütend bin, stelle ich mir seine neugierigen Augen vor und muss lachen. Ich sehe ihn mit Absicht nicht an.

"Djibril... willst du wirklich fortgehen um das Meer zu sehen?"
"Hat Bella dir das erzählt?"
"Ja, aber sie hat gesagt, ich soll es dir nicht sagen."
"Dann solltest du mich auch nicht fragen."
Ich sammle meine Steine mit beiden Händen ein und lege sie in meine Hosentasche. Dann gehe ich ins Haus und nehme Aissatou auf den Arm. Manchmal schreit sie und nur ich kann sie beruhigen.
Ich finde mich damit ab, dass Mbaye ohne mich gegangen ist. Als Mama merkt, wie traurig ich bin, sagt sie mir, dass wir einmal ein Auto kaufen werden und dann zusammen ans Meer fahren. Wenn Aissatou etwas grösser ist.

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