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Seufzend schaue ich in den Spiegel. Meine braunen Haare sind zu einem eher unordentlichen Dutt zusammengerollt und auch, wenn ich mich tatsächlich einfach nur grausam fühle, seh ich gar nicht so schlimm aus. Nichtmal müde, obwohl ich seit sicherlich über vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen hab. Die Tatsache, dass ich auch dieses Mal keinen Direktflug bekommen habe, hat mir alles wieder etwas erschwert. Statt also nach zwei, vielleicht drei Stunden zu Hause zu sein, hat sich die Zeit, die ich unterwegs war auf knapp acht Stunden verlängert. Demnach ist es jetzt auch schon Abend, kurz nach zehn schon. Mein erster Gang ging strikt ins Badezimmer, um erstmal duschen zu können, in der Hoffnung, mich so wenigstens etwas besser zu fühlen. Ganz so geklappt hat das nicht, Jacksons Anwesenheit werde ich die nächsten Wochen nicht verspüren, und wie ich damit umgehen soll, weiß ich aktuell noch nicht. Ich schluffe aus meinem Zimmer raus und laufe den Gang entlang, nur, um kurz darauf gegen die weiße Türe zu klopfen.
Ohne abzuwarten schiebe ich mich ins Zimmer und schließe die Tür hinter mir einfach wieder.
"Du bist schon zurück?",fragt Ivan überrascht und setzt sich mehr auf.
"Schon länger. Mama hat mich abgeholt, sonst würd ich immernoch im nirgendwo hängen.",erkläre ich und drehe mich kurz weg, weil ich mir mein Gähnen nicht verkneifen kann. Ich will einfach nur schlafen. Ich will schlafen, um die Zeit herum zu bekommen, um mich wieder besser zu fühlen.
Mit einem weiteren Seufzen lasse ich mich auf dem Bett nieder und rutsche unter die warme Decke, die Kälte hat sich so langsam nämlich auch in Barcelona breit gemacht und somit auch im größten Teil des Hauses. Besonders in Ivans Zimmer, davon, das Fenster zu schließen hält er immernoch nicht viel. Ich werde sofort in eine Umarmung gezogen, welche ich schmollend erwider. Auch, wenn ich die letzten Monate mit Jackson wirklich genossen habe, Mama und Ivan hab ich schon irgendwie vermisst. Immerhin bezieht sich die längste Zeit, in der ich weg von zu Hause war, eigentlich nur auf knapp vier Wochen, und damals war Ivan immernoch dabei, allein war ich also nicht.
"Und? Wie wars?"
"Ich denke- ich weiss nicht."
"Du weißt nicht?"
Ich seufze und rolle mich zurück auf den Rücken, lasse meinen Blick an die Decke gerichtet.
"Es war wirklich schön. Wir hatten nicht wirklich viel Zeit vor der Operation, aber- ich meine, ich konnte die Nächte mit im Krankenhaus bleiben, was mich wirklich erleichtert hat."
"Du hast mir gesagt-"
"Ich hab dir gesagt, dass ich geschlafen habe, ja, Ivan, damit du dir keine Gedanken machst. Mit Schlafmangel überlebe ich auch noch die ein oder anderen Tage.",entgegne ich sofort, weil ich weiss, worauf er genaus will. Ein paar kleine Veränderungen haben ja nicht geschadet, ändern können hätte er sowieso nichts daran, im Endeffekt war es nämlich ausschließlich meine Entscheidung, die Nächte über mit Jackson wach zu bleiben.
"Ich hab- es war wirklich schwierig für mich, damit klar zu kommen, dass er krank war, weißt du? Ich denke, dass ich damit die ganze Situation nicht einfacher gemacht habe."
"Wieso hast du- nicht bescheid gesagt?"
"Weil du nichts daran hättest ändern können. Jackson hat alles getan, um- mich auf zu muntern, was auch irgendwann geklappt hat. Die- Zeit war also trotzdem noch wirklich schön."
"Erzähl schon, Chloe."
"Hm?"
Fragend blicke ich meinen Bruder an, blinzle ein paar Mal, weil meine Sicht wieder verschwimmt.
"Ich kenne dich, du willst irgendwas erzählen."
"Ich werde nicht zögern, wenn es darum geht, ob ich-"
"Ob du zu ihm ziehst?"
Ich nicke langsam. Ob ich zu ihm ziehe. Und das würde ich wirklich nicht. Keine Sekunde.
"Weißt du, ich- sitze hier und- fühl mich nichtmal so wirklich zu Hause, Ivan."
"Das geht vorbei, Chloe, schon gut."
Ich umarme ihn wieder, weil ich merke, wie meine Lippen sich erneut zu einem schmollen verziehen. Mir ist bewusst, dass das nur ein schlechter Moment ist. Dass ich mich nur so fühle, weil ich letztendlich das erste mal nach vier, fast fünf Monaten ohne Jackson sein werde, und das, erneut für mehrere Wochen. Bald wird wieder alles gut, die Entfernung wird wieder zur Gewohnheit und das ist gut so, es erleichtert alles, mit sicherheit.
"Kann ich hier bleiben? Bitte, ich- will nicht alleine sein."
"Natürlich, Chloe."

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