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Seufzend lasse ich mich nach hinten fallen. Mein Blick wandert kurz im Raum herum, einfach, weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll. Die große Fensterfront lässt mir freien Blick auf die glitzernden Gebäude der Stadt, und auch, wenn es wirklich besonders aussieht, bin ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt hier sein will.
Immerhin ist Heiligabend und eigentlich wär ich um einiges lieber zu Hause, bei Mom und Ivan, oder nunmal mit Jackson. Beides haut dieses Jahr wohl nicht hin.
Ich stocher mit meinem Löffel in der Schachtel Eis herum, nur, um kurz darauf auch schon wieder etwas davon in meinem Mund verschwinden zu lassen.
Das Klingeln, welches mein Handy zum gefühlt zehnten Mal heute von sich gibt, zieht meine Aufmerksamkeit auf sich.
Zögerlich nehme ich Jacksons Anruf ab und stelle einfach auf laut, lege mein Handy dafür auf meinem Oberschenkel ab.
"Du bist einfach weg, wieso bist du einfach weg?"
"Ich musste los.",erkläre ich.
"Du hast dich nichtmal verabschiedet."
"Ja, ich- ich musste los."
"Nicht mal Bescheid gesagt, ob du angekommen bist hast du."
"Ich bin nicht geflogen, Jack, für mich lohnt sich das nicht.",gestehe ich schulterzuckend, auch, wenn mir klar ist, dass er das nicht sieht.
"Hm?"
"Mom und Ivan sind in Deutschland, Jackson. Niemand ist zu Hause, also- hab ich ein Hotel gebucht."
"Aber- ich versteh nicht, wo du jetzt bist?",hinterfragt er nur, weswegen ich kurz seufzen muss.
"Hier in- London."
"Und wieso hast du behauptest du, du fliegst nach Hause?"
"Hab ich nicht.",entgegne ich sofort.
"Du hast auch nicht gesagt, dass du nicht fliegst."
"Was hätte ich sonst sagen sollen? Du hast mir einfach eine Flugkarte vor die Nase gehalten und gesagt, ich soll die Feiertage über nach Hause fliegen."
"Natürlich, weil- weil ich weiß, dass dir deine Familie viel bedeutet und ich mir vorstellen kann, dass du nach so langer Zeit- Ich hol dich ab, welches Hotel?"
Sofort setze ich mich auf und fahre überfordert durch meine Haare. Was hätte ich schon sagen sollen? Dass ich ihn und seine Familie selbst auf Weihnachten belästigen werde? Seine nett gemeinte Geste war doch indirekt auch irgendwo ein kleiner Rauswurf, eine Erinnerung daran, dass ich nunmal nicht hier sein sollte.
"Weihnachten sollte mit der Familie verbracht werden, richtig?",frage ich, in der Hoffnung, er versteht was ich meine. Dabei bin ich mir sicher, dass er das nicht tut. Dass er es schlichtweg nicht will, denn was das angeht, stellt sich Jackson meistens recht unwissend, um auf Nummer sicher sich zu gehen.
"Ja."
"Und du hast deine Familie, Jack. Also solltest du mit deiner Familie auch Weihnachten feiern. Es wär seltsam, wenn ich mich einfach rein zwänge."
"Chloe, scheiße, du denkst zu viel nach.",zischt er. Ich höre wie es raschelt, und um ehrlich zu sein, bin ich mir ziemlich sicher dass Jackson sowieso schon recht gehetzt heute ist, ich werd das mit Sicherheit nicht besser machen.
"Stress fördert Krebs und das ist nicht gut."
Jackson bleibt still, entlockt mir damit nur noch ein seufzen. Ich weiss, dass er da sowieso nicht drauf achtet, trotzdem ist es doch eine Erwähnung wert.
"Wie lief die Bestrahlung? Gehts dir gut?"
"Nein."
"Nebenwirkungen?"
"Ohne dich da zu sein, macht es nicht gerade besser."
"Tut mir leid. Ich kann- ich geh morgen einfach wieder mit, wenn du möchtest."
"Ja. Ich hol dich ab."
"Nein."
"Nenn mir das Hotel oder schick mir deinen Standort.",fordert er mich auf.
"Nein."
"Chloe."
"Jackson."
"Name oder Ort sonst ruf ich deinen Bruder an und erzähl, dass du wegen deinen Gespinsten Weihnachten alleine verbringen willst."
Meine Mundwinkel zucken nach oben:"nicht nett."
Ich meine, das wär wirklich mies. Einfach, weil ich weiss, dass er sich dann auch noch Gedanken machen würde, ganz zu schweigen von Mama.
"Chloe."
"Hilton Hotel am Hyde Park."
"Gib mir zehn- fünf Minuten."
Gerade als ich noch etwas erwidern will, ertönt das typische Tuten, welches mit zeigt, dass er den Anruf schon wieder aufgelegt hat. Schmollend lasse ich mich nach hinten fallen. Was solls. Ich kann immernoch allein irgendetwas machen, ich meine, meistens merkt man doch, wenn man unwillkommen ist, oder?
Mein Handy klingelt erneut, also nehme ich nochmal ab.
"Ich liebe dich."
Ich muss schmunzeln. Geht doch.
"Ich liebe dich auch Jackson, pass auf dich auf."
"Werd ich. Bis gleich."
Ich lege mein Handy weg und rolle mich auf die Seite. Seufzend vergrabe ich mein Gesicht in dem weichen Hoodie von Jackson, welcher zum Glück noch nicht an Geruch verloren hat. Das ist wirklich nicht gut. Ich hätte wirklich nicht einfach gehen sollen. Besonders nicht, vor der nächsten Bestrahlung. Wahrscheinlich denke ich bloß wieder zu viel nach. Zu viel, über alles.
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